Wo die Magie des Wortes nur das Moos beeindruckt, den Firn der völligen Verwesung, werde ich immer neue Blätter zu beschreiben wissen, und ignoriere das Gegenwartsgewürm, das mir nachstellt, um Hauer in mich zu schlagen, die vor Eiter triefen. Es muss da noch was Lebendiges geben, ohne versteinerter Zunge, ein säftewallendes Leben, begehrend und begehrt wie eine Frühlingsnacht, herzfassend, wie zur kalten Stund’ gewärmtes Bettenzeuch, nicht jene, die sich um Automatensprüche finden: stählern, synthetisch, verratzt, verseucht vom trögen Hingeschnodder, aufgewalzt und breitgehaun. Und ich gehe und bin der Quelle nicht mehr treulich, bei der nicht eine Undine wacht; und gehe und bin den Bergen nicht mehr treulich, in denen sich keine Querkel niedergelassen; und gehe und bin den Bäumen nicht mehr treulich, die keine hundert Jahr gestanden.
M.E.P.
Restezuber
Sehr gerne würde ich mir begegnen wollen, zufällig natürlich, straß=ecks, dunkeltrüb (eine sich verjüngende Gasse zweigt ab.)
Borges ist sich begegnet in ›los libros y las noches‹ von 1999. Der Film steckt mir im Videorekorder, der noch bei meinem Gerümpel in der Schweiz liegt, die Hülle habe ich hier, im Keller, im Restezuber.
Beinahe wäre ich nach Buenos Aires gegangen, aber das hätte mir genauso wenig eingebracht wie damals Mexiko.
Oder Paz’ ›Suche nach einer Mitte‹, die schwer zu finden, schwer zu halten ist.
Im Grunde habe ich es versucht, sage ich mir. Ich bin daran interessiert, mich aufzulösen, mich hinfortzuschwingen, aber nirgendwo steht der Horst.
Als es noch die Erde gab und nicht das Produkt der Kunst (Kunstprodukt und Kunstwerk sind nicht identisch), als vor 6333 Jahren die letzten Traktoren in den Scheunen standen,
ihnen stellt man nicht einfach Milch hin, damit sie
zu schnurren beginnen, da geschah dies:
süßes Geflecht deiner äußeren Rinde / vom Mond beschienen Tannin /
die lockere Hand fällt der Rebe zum Trotz wurzelwärts.
Diesen Weg gingen wir heute nicht, die alten Traktoren
wurden gebaut als es noch Land gab, sie sind
ähnlich wie das Pferd an den Kräutern interessiert.
Im Innern des Zyklopen
Die Uhr mit den bereits verblassenden gilbroten Zeigern saß in der Mitte unter den über die Frontscheibe gebogenen Blechdach. Im Innern des Zyklopen zeigte das Auge jeden Tag fünf nach sieben, die Nachrichten waren wieder der Musik gewichen, der Tag begann mit Alan Parsons‘ Lucifer und gab die Stimmung vor, die bis zum Nachmittag anhalten sollte. Die Fahrt zur Schule, einst ein Hilfslazarett für Amputierte, die wie ein altes Schloss mit ihren 5 Meter hohen Portalen auf uns wartete, war auch die Fahrt zu einem Friedhof, an den der Schulhof grenzte. Die karge Mauer hielt die Toten nicht davon ab, am Unterricht teilzunehmen; ich zählte nicht, wie oft die Totenglocke in die Unterrichtsstunden einbrach. Das Gewusel in den Pausen blieb abstrakt, das Gemäuer furchteinflößend, der Friedhof die eigentliche Lektion.
Von den Hexenjagten
Ich erinnere mich nicht daran, dass ich Hexen fürchtete, als ich aufwuchs. Stattdessen fürchtete ich die Männer, die sie verbrannten. Als merkwürdiges, tyrannisches Kind, das Magie immer für selbstverständlich hielt, nahm ich stillschweigend an, wenn die Hexenjagd jemals wieder beginnen würde, wäre ich nicht sicher. Jemand würde mich schnell als „falsch“ erkennen und an den nächsten Scheiterhaufen binden.
Wellness Reißen
Farewell, du Zahn. Zwar machtest du mir Kummerlein über Monate 2, warst mir aber ein wichtiger Mahlstein, der du mir Schinken, Klopse, Wurst und Fleisch zerhäckselt hast. Jetzt bist du im Zahnhimmel, kein rächender Geist wird aus dir erstehen.

Es war sehr viel Morgen zu spüren noch in der Frühe, als mich Albera zur Chirurgin begleitete. (Das Busfahren geht mittlerweile ganz gut). Was folgte, war der beste Riss meines Lebens, mit Decke über dem Schoß und Blendschutz vor den Augen. Der Name des Zahns, der ging, lautete „47“. Obwohl mein rechtes Böcklein noch von der Spritze einem Daunenkissen ähnelt (und die Zunge einem blinden Lurch), konnte ich schon eingeweichte Milchbrötchen schlubbern.
Maurizio De Giovanni: Der Winter des Commissario Ricciardi / Maurizio De Giovanni
„Ich will Blut, mein Zorn soll wirken, im Hass wird all meine Liebe enden.“

Das sind die letzten Worte, die der 31-jährige Luigi Ricciardi, Kommissar der Questura im faschistischen Neapel des Jahres 1931, von dem großen Tenor Arnaldo Vezzi hört. Sie stammen aus der Oper Pagliacci. Das wesentliche Detail, das die Fälle des Commissario Ricciardi seit Jahren in Italien zu einem großen Erfolg gemacht haben, besteht darin, dass der Tenor bereits tot ist, als Ricciardi diese Worte vernimmt, vorgetragen vom blutüberströmten und betäubten Geist des Opfers, der im Augenblick seiner Ermordung wie in einem Spuk gefangen ist. Ricciardi hat diese beunruhigende und unerwünschte Gabe seit seiner Kindheit: Die gespenstischen Bilder der Toten zu sehen. Nicht alle – nur die gewaltsam Verstorbenen, und nicht lange – nur in der Zeitspanne der extremsten Emotionen, in der die plötzliche Energie ihre letzten Gedanken offenbart.
Obwohl der Tisch
Lesetechnisch bleibe ich weiter bei Ricardo Piglia, „Ins Weiße zielen“ und „Falscher Name“ (letzteres ist mir in der Schweiz abhanden gekommen. Und danach dann den Erzählband „Der Himmel“ von Nona Fernández, deren Kurzroman „Die Toten im trüben Wasser des Mapocho“ mir bereits genau jenes Gefühl verschaffte, auf dem ich in jeder Literatur auf der Suche bin. Weil sich das zeit- und länderspezifisch nicht umreißen lässt (außer in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur, da finde und suche ich auch nichts), ist das ein schwieriger Prozess, der nicht durch eine Verschlagwortung abgekürzt werden kann. Von äußerster Wichtigkeit ist das, was Massimo Bontempelli 1927 eine „nouvelle atmosphère“ genannt hat, abgeleitet von einem Denken in Bildern, das kein Verhältnis zur linear geordneten Zeitvorstellung kennt. Gerade in Europa ist das Denken in eine eklatante Katastrophe geraten, mit dem die tiefen Schichten der Wirklichkeit schon lange nicht mehr erfasst werden können.
Obwohl der Tisch, an dem ich schreibe, regelmäßig wie ein Stall abgesprüht und ausgemistet wird, bleibt der kardinale Saustall stets die Konstante. Um 11 der letzte Arzttermin für diesen und nächsten Monat, zur Feier gab es einen zementartigen Quarkkuchen, der die Speiseröhre in einen gut betonierten Abwasserkanal verwandelt.
Experimentelle Literatur
Misst man die Resonanz einer Veröffentlichung an den Verkaufszahlen, hat man sich bereits vom Kern der Literatur entfernt, misst man sie an den Rezensionen, begreift man die Distanz zwischen sich und der Welt, wobei eine Besprechung – wie auch immer geartet – im günstigsten Fall eine Mittlerfunktion einnimmt. Das Problem wird immer sein, sein Zielpublikum zu erreichen, darin liegt überhaupt die Schwierigkeit. Meist steht ein Verlag bereits für ein bestimmtes Feld und die Leser wissen das. So ist es leicht zu erklären, warum Autoren sich bereits mit Schubladen im Kopf generieren lassen und man so von Verlagsseite später keine Mühe mehr hat, das korrekte Register zu ziehen. Seit den 60er Jahren – als es noch eine freie Literatur gab – ist dadurch all diese fließende Freiheit vernichtet worden, der miserable Zustand unserer Literaturen wird dadurch verstehbar.
Die Pest der Vernunft
Im Jahre 1670 wurde eine kleine Schrift des Henri Montfaucon de Villars, namentlich »Der Graf Gabalis oder die Einführung in die Geheimwissenschaften, gerichtet gegen die Pest der Vernunft«, zum Bestseller. In diesem Werk finden sich polemische Hammerschläge gegen die aufklärerischen Begriffe.
Ein Verbrechen in der Nacht
Was immer der Kriminalroman ist – das Unheimliche, das Böse, das Verbrechen, das Rätsel – beherbergt er wohl aller Menschen Los. Was aber, wenn einmal kein Verbrechen geschieht? Dann ist die Fiktion immer noch ein Rätsel, mehr als es das Leben ist. Und vielleicht ist schon mit aller Existenz ein Verbrechen im Gange, nur gelöst werden kann es nicht.
Zur Nacht – ich mag an einer bestimmten Stelle der Nacht Müdigkeit empfinden – aktiviert sich das Nachtgehirn, das sich ganz und gar von dem des Tages unterscheidet. Vielleicht tritt es gerade durch die Erschlaffung der körperlichen Funktion hervor. Ich ging auf und ab vor meiner Bücherwand; gehe ich nahe an sie heran, sind es viele, trete ich etwas zurück, bemerke ich vor allem das Fehlen jener Bücher, die noch nicht da sind. Dieses Fehlen fällt mir auf, weil noch Wand zu erkennen ist. Ich habe Mühe, die Nacht zu verschlafen – ein Traum ist ja nicht garantiert. Eine Nacht ohne Traum währe allerdings vertan, also muss der Ersatz, der sichere Ersatz, die Lektüre sein. Nicht das lineare Zeilenfolgen, sondern das Fliegen durch auffällige Bände, die sich anbieten durch ihr leichtes Vorstehen, das Durchbrechen der sauberen Linie.
„Kriminelle“ Fantasy
Neben der offensichtlichen Verbindung zwischen einer Detektivgeschichte und Fantasyliteratur wie den Dresden-Files oder den Flüssen von London, gibt es die beinahe schon genrelos zu nennenden alternativ-historischen Kriminalromane, in denen entweder berühmte Persönlichkeiten wie Goethe oder die Gebrüder Grimm sich als Ermittler betätigen (und neuerdings sogar die Queen), oder sich die Kriminalgeschichten einfach nur in einer anderen Epoche abspielen.
Genretalk über Phantastik

Zauberwelten-Online ist ein phantastisches Magazin, auf dem Games, Tabletop, LARP und Anderes besprochen wird. Aber es gibt eben auch eine literarische Sektion. Relativ neu ist da der Genre-Talk, den Andreas Giesbert in gewissen Abständen mit Protagonisten unterschiedlichster Genres führt, um an Ende eine reichhaltige und diverse Kolumne zu erhalten. Mich hat es sehr gefreut, dass ich mit ihm über das Thema der Phantastik ganz allgemein plaudern durfte. Networking ist ja nicht unbedingt unser aller Stärke hierzulande. Umso notwendiger sind solche Rubriken.
Gateway To The Vichtel Waters

Hin und wieder zurück

Im Allgäu gewöhnt man sich im Laufe der Zeit an Pfeifen und Schnabel, das heißt, man gewöhnt sich an ein Leben, wie es die meisten führen wollen: goldene Wollmäuse brechen aus jeder Matratze, die Welt an sich ist ein ewig strömendes Fass. Ich selbst befinde mich seit 1994 in den unterschiedlichsten Gäuen und es ist mir zu einer zweiten Heimat geworden (was eine seltsame Aussage für jemanden ist, der sich selbst als heimatlos bezeichnet). Mein Werk allerdings ist ohne das Gebürg in mir nicht denkbar. Ich denke sogar, dass dies der eigentliche Schlüssel zum Verständnis vieler meiner Arbeiten ist. Sei es wie es seibl post… (auf deutsch: sei es, wie es ist), es kamen in meiner Vergangenheit immer wieder Versuche auf, mich zu transmutieren, mich ins Blätterwerk des Hufeisenlandes zu transportieren (auf dass es mir wohl ergehe und ich lange leb‘ auf Erden). Das Leben aber ist ein Widder (achtet auf den Widder!) und folgt anderen Spuren; das linke Horn weiß oft nicht, was das rechte Horn tut.

In den letzten Tagen ging es deshalb um ein Sondieren, denn es darf nicht verschwiegen werden, dass auch hier die Zeit in einer gewissen Weise vergeht, wenn auch völlig anders, als man das gemeinhin zu glauben hat. Die Destination Rehau liegt leicht oberhalb des Gebürgs, 12 km von Selb entfernt (man erreicht sie über den Tatterdemalion-Express, der die Achse Hof – Oberkotzau – Rehau – Selb abnudelt; das ist eine gute Achse – man kann sehr schnell in die umliegenden Dörfer rauschen, oder nach Böhmen gelangen, das sozusagen nur von einer künstlichen politischen Grenze durchstoßen wird, geographisch aber ebenfalls eine gute Portion Fichtelgebirge in sich vereint).

Es wäre schön gewesen, wenn wir nicht über München geprängelt worden wären, oder wenn wir nicht auf Hin- und Rückfahrt zwei Stunden dort auf einen Anschluss hätten warten müssen. Ja, ich habe dort studiert – und ja, ich war einst ein Verfechter der Schönheiten dieser Großstadt, aber das ist lange her. In der Zwischenzeit hat sich München in die Kloake eines riesigen dreckigen Arsches verwandelt (oder in das, was aus einem großen, dicken Arsch herauskommt, wenn der Darm murrt und der Betreiber des Darmes etwas Falsches gegessen hat). Ich könnte das jetzt zwar im Einzelnen ausführen, aber dann ginge es ja um München, und das tut es nicht. Doch Unbilden müssen erwähnt und kartographiert werden, damit in Zukunft ein anderer Weg hinauf und hinab gefunden wird (es böte sich die Achse Augsburg – Nürnberg – Bayreuth an, auch wenn man von Nürnberg in diesen Tagen ebenfalls nichts Gutes hört).
Es gibt unterschiedliche Wahrnehmungsmöglichkeiten der Stille. Da gibt es also die Abwesenheit von Lärm oder auch nur irgendeiner akustischen Regung, es gibt ein leichtes Wohltönen der Geräusche des Landes und es gibt ein generelles Fehlen von etwas, nachdem es jedoch war und also auch einer Notwendigkeit entspricht. In Rehau haben wir das zweite Beispiel vor uns. Die Stille hier ist natürlich dennoch ein Fehlen von etwas, hier nämlich einem unsinnigen Lärm, aber das eigentliche Prädikat ist das Wohltönen der Geräusche des Landes. Während ich in Kempten gerne jeden einzelnen Autofahrer aus seiner Raviolidose zerren würde, um ihm den Levitikus zu lesen, ist eine Fahrt mit dem Automobil hier dem Transport geschuldet und fällt in seiner Spärlichkeit nicht unangenehm ins Gewicht (ja, hier würde ich dem Fahrer sogar gerne einen Luftballon schenken).

Ich weiß, dass der Geist meines Großvaters für immer auf Wanderschaft ist. All die vorhandenen Wege; andere, über die Gras gewachsen ist. Nichts davon ist vergangen. Ich erbte sein Gesicht und seinen Wanderstab.
Fress-Flanke
Früh zermürbte uns der Druck, der die Seele der Familie bereits fremd machte. Wir durften nicht einmal in unserem Zimmer in die Hose scheißen und die Kackwürste dann unter das Bett werfen. Darob hab ich mir erneut an der linken Fress-Flanke, die den Kopf meint, einen Zug bei nachtoffenem Fenster geholt. Leicht nur; diesmal wirbelts von der Schläfe herunter. Beete klavierte seine fünfte tags und nachts. Mein Mantel entleimt sich und muss eventuell gegen ein neues Exemplar weichen.