Eine alte Dame geht aus

Manchmal stellte sie das Radio an. Es kam ihr dann so vor, als wäre jemand bei ihr im Raum und spräche sie an. Antworten müsste sie ja nicht, aber sie tat es trotzdem. Oft sagte sie: »Ihnen auch!« Oder: »Das haben Sie wieder einmal fein ausgedrückt!« Sie ging in der ganzen Wohnung umher und betrachtete die Wände, die Figuren auf manchen Regalen, die Teller in der Vitrine. Manchmal gab es im Radio ein Lied, das sie kannte. Das akustische Fenster, das sie davon überzeugte, dass es eine Welt außerhalb ihrer Küche gab. Lange war sie nicht mehr raus gekommen, woher sollte sie also wissen, ob die Straße vor ihrer Haustür überhaupt noch existierte? Vielleicht war da schon längst eine Autobahn entstanden. Sie hätte televisionieren können, damit kannte sie sich allerdings nicht besonders gut aus; sie wusste nicht, wie man zuschaut, und deshalb gab es für sie nie ein Bild, dem sie hätte folgen können.

Das Radio war die Lebendigkeit in Person, darin war die ganze Welt vertreten, sogar das ›Weiße Rauschen‹, das sie sich manchmal ebenfalls einstellte. Und heute – heute wollte sie wieder einmal ausgehen. Dafür hatte sie ihr einziges bestes Kleid im Bügelofen bügeln lassen. Manchmal aber wollte sie Stille. Es kam ihr dann so vor, als sei sie die letzte Überlebende eines großen Irrtums. Dann sagte sie in die Stille hinein: »Ich habe es schließlich gewusst!« Oder: »Es ist schon merkwürdig!« In der Stille hörte sie den Boden an manchen Stellen knarzen. Ab und zu, wenn ihr danach war, küsste sie eine der Wände, anstatt sie nur anzusehen, die Figuren in manchen Regalen. Jetzt aber nahm sie ihr Kleid, zog es an – und auch ihre einzigen besten Schuhe vergaß sie nicht, bevor sie sich ins Bett legte. Im Radio lief ein altes Lied.

Traum vom Gasthaus

5 Uhr 45, und einen Traum im Gepäck.

Ein abgelegenes Gasthaus sollte eröffnen, und als ich mich dort vorstellte, schien mein Charme über meine Kenntnisse gestellt zu werden. Von außen war das Gebäude leicht dem Brutalismus zuzuordnen. Beton und Glas, dabei flach. Im Innern war alles etwas altmodisch, aber es gab eine Musikanlage. Untypisch für ein Speiserestaurant. So weit ich weiß, sollten wir nur zu dritt in diesem riesigen Gebäude arbeiten. Interessant war wieder einmal das Urinal, das außerhalb des Gebäudes mit einem schönen Waldblick versehen war. Man konnte den Notdurft-Verrichtenden unbeschwert aus den großen Fenstern der Gaststube heraus beobachten. Tatsächlich lag das Urinal etwas höher und man pinkelte hinunter auf einen Steinquader. Interessanterweise gab es da auch ein Quadrat, in dem man lümmeln konnte und sich traf, so als wäre in der Nähe ein Schwimmbad. Die Wirtin, ein verlebtes, geschminktes Weib, verstand nicht viel von ihrem Job. Dann gab da diejenige, die sich aus dem Restaurant verzog und lieber in der Buchhaltung arbeitete, obwohl sie sich wahrscheinlich am besten ausgekannt hätte.

So weit, so gut. Interessant waren aber die berittenen Geister, die am nächsten Tag kommen sollten, um alles zu prüfen. Sie kamen durch den Wald geritten, stoisch und ruhig (und einzeln). Ihr Gesicht war wie ein Heckenschnitt anzusehen.