
Kirchschatull

Um die besonderen Bücher zu finden, insofern man sie nicht bereits in seiner Sammlung hat, ist es unabdingbar, immer weiter den Spuren zu folgen. Früher war es so, dass man dem Literaturverzeichnis folgte und sich die nächsten Stationen heraus schrieb. Des weiteren fand man – gerade in Taschenbüchern – am Ende ein reichhaltiges Register oder sogar Werbung für ähnliche Werke wie dieses, das man gerade in Hände hielt. Das bedeutet nicht, dass es heute nicht ähnlich funktioniert, aber die Trefferquote ist doch längst nicht mehr so hoch wie zu Beginn eines Leselebens, aber die Spurensuche funktioniert weiterhin überragend bei Sachbüchern, die sich sozusagen per definitionem aus angegebenen Quellen speisen.
Überlegt man sich, wie eine ausgewachsene und nennenswerte Bibliothek überhaupt zustande kommt, dann wird man zugeben müssen, dass – abgesehen vom Grundstock, den jede Bibliothek pflegen sollte, unabhängig davon, in welchen Zweig hinein sie sich später entwickelt – ein Großteil der Anschaffungen zunächst ungelesen eingeordnet wird. Man beginnt ein vielversprechendes Werk und legt es enttäuscht zur Seite, um zum nächsten Buch zu greifen. Manchmal kommt es sogar vor, das im gesamten Pulk nicht das zu finden ist, nach dem man gerade dürstet und schon mit der nächsten Bestellung zugange ist. Selbstverständlich hat man immer etwas zu lesen, es ist ganz und gar unmöglich, leer zu laufen, aber ich spreche hier von besonderen Büchern, von jenen, die sofort in den persönlichen Kanon wandern. Um so mehr Bücher auf den Markt geworfen werden, desto geringer werden die Meisterwerke, desto höher aber auch die Sichtungen, die dann den Umfang der Bibliothek merklich erhöhen.
Manchmal setze ich mich auf dem Dachboden in den Sessel, der in der Wohnung seinen Platz für ein freies Teppichfeld räumen musste. Die Geruchsmischung aus altem Gebälk, weichgespülter Wäsche und der gewaltigen Enzyklopädie mit vergoldeten Schnittkanten, die ebenfalls vorerst aus meinem Arbeitszimmer verschwunden ist, weil sie einen ungemein bibliothekaren Duft verströmt, oder besser und wahrer gesprochen, weil ich in diesem Zimmer sonst nicht mehr treten kann, verleitet mich dann dazu, eine Pfeife anzustecken. Ich sitze da und betrachte die vertraute Wäsche. Wie wäre es, wenn ich unter dem Dach leben würde? Das ginge nicht ohne Hut. Ich gehe also hinunter in die Wohnung und wähle einen, den ich selten trage, schließlich sitze ich auch selten unter der Wäsche; wieder oben angekommen, finde ich das Tableau, das ich mit mir darin selbst nicht sehen kann, perfekt vor. Vielleicht aber habe ich die falschen Schuhe an, weil man das, was ich anhabe, nicht Schuhe nennen kann. Morgen aber, wenn ich die Wäsche abnehme, werden es die richtigen sein.
Alles Geisterhafte war mir von Anfang an vertraut. Kein Ort, an dem ich jemals war, der nicht von einem Spuk heimgesucht worden wäre, auch wenn ich längst und viele Jahre schon mein eigener Dämon bin. Doch es könnte sein, dass Geister auch mit der Jugend verschwinden; sie verschwinden vor allem dann, wenn man sie nicht mehr sucht, weil man ein Teil von ihnen geworden ist. Dadurch kehrt eine äußerliche Ruhe ein.
Im Gefüge herumkratzen. Es ist wie einen Körper betrachten. Es hat einen Grund, warum wir ausgerechnet diese Gestalt haben und keine andere. Wir sind immer und zu jeder Zeit, wer wir sein wollen. Und das Schöne ist: Nichts existiert wirklich, alles wird nur von Gedanken aufrecht erhalten, von unseren Beschreibungen und Erzählungen. Die aber wirken, weben also Welt.