Die Veranda

Possenspiele

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Robert Arthur – Alfred Hitchcock und Fledermäuse

Robert Arthur am Radio. Foto aus dem Archiv von Elizabeth Arthur.

Es gibt wohl kaum einen Hörer oder Leser, der Die drei ??? nicht kennt. Vor allem die heute schon etwas älteren „Kassettenkinder“ sind den berühmten Hörspielen von Europa, die seit 1979 ausgestrahlt werden, sehr treu. Natürlich ist es nicht so, dass die Serie nur bei uns bekannt wäre, aber irgendwie scheint es, dass Robert Arthur sie vor allem für uns erfunden hat, aber das wusste er natürlich nicht; und er hätte es auch nie erfahren, denn er starb 1969. Zu diesem Zeitpunkt hatte er zehn Bücher der Serie geschrieben und Dennis Lynds, der unter dem Pseudonym William Arden insgesamt 14 Bände beisteuerte, zwei weitere.

Robert Arthurs frühe Arbeit für Pulp-Magazine hatte großen Einfluss auf seinen späteren Schreibstil, insbesondere auf die Gestaltung rasanter, fesselnder Krimis und die Entwicklung überzeugender Charaktere. Seine Erfahrungen als Pulp-Autor, der in den 1930er und 1940er Jahren seine Blütezeit erlebte, schärften seine Fähigkeit, fesselnde Geschichten voller Spannung, Action und logischen Schlussfolgerungen zu schreiben.

Robert Arthurs Pseudonyme

Arthur schrieb weit über 100 Geschichten unter seinem eigenen Namen und viele weitere unter Pseudonymen wie Andrew Benedict, A. A. Fleming, Robert Forbes, Jay Norman und Pauline C. Smith. Das geht vielen Autoren so, die eine Idee nach der anderen präsentieren. Es gibt kaum ein Pulp-Magazin, in dem nicht eine oder mehrere seiner Geschichten erschienen sind, darunter Clues, Dime Mystery, Baffling Detective, Thrilling Detective, Double Detective und Popular Detective. Diese Magazine wollte er nicht nur mit einem einzigen Namen fluten. Aber er schrieb eben auch viele Genres, und schon damals griff man bei einem Stilwechsel automatisch auf ein anderes Pseudonym zurück.

Robert Arthur, Erfinder der Drei ??? mit Kurzgeschichten in dem Buch „Die Geister, die ich rief“

Eine von Arthurs Lieblingsgeschichten, „Footsteps Invisible“, wurde in die von ihm herausgegebene Anthologie „Monster Mix – Thirteen Chilling Tales“ aufgenommen. Sie ist sogar in dem fabelhaften Band „Die Geister, die ich rief“ als Unsichtbare Schritte enthalten. Der Band wurde von Anja Herre, die ein wahres Gespür für Arthur entwickelt hat, liebevoll restauriert, denn eine bloße Übersetzung ist das nicht. Der Band ist bei Kosmos erhältlich, und inzwischen gibt es auch einen zweiten Erzählband, „Im Kabinett der Illusionen“, ebenfalls übersetzt von Anja Herre. Wer wissen will, warum Robert Arthur das heutige Thriller-Genre maßgeblich beeinflusst hat, sollte sich diese beiden Bücher nicht entgehen lassen. Die von ihm eingeführten Schlüsselelemente wurden zum Markenzeichen einer spannenden Erzählung, vor allem die bereits erwähnte Kombination von Rätsel und Spannung, gepaart mit einer eng verwobenen Handlung und unerwarteten Wendungen, die damals noch keineswegs üblich waren.

Der Weg zum Terror Castle

Eine Ausgabe des Dime Mystery Magazine, als es noch wirklich großartige Cover gab.

In Magazinen wie Dime Mystery oder Thrilling Detective veröffentlichte Arthur Geschichten, in denen die Protagonisten oft gefährliche Situationen meistern und gleichzeitig komplexe Rätsel lösen mussten – ein Ansatz, den er später in der Serie mit den drei Detektiven verfeinerte.

In den 1940er und frühen 1950er Jahren arbeitete er hauptsächlich für den Rundfunk und schrieb zahlreiche Drehbücher. 1959 ging er nach Hollywood, um sich als Drehbuchautor für Fernsehserien wie „Alfred Hitchcock Presents“ und „Thriller“ mit Boris Karloff zu versuchen. Seine Verbindung zu Alfred Hitchcock führte zu einer Zusammenarbeit mit Random House bei verschiedenen Anthologien mit Kurzgeschichten von Alfred Hitchcock für Erwachsene und Jugendliche, die Arthur herausgab oder als Ghost Editor betreute, und schließlich zur Gründung der Alfred Hitchcock and the Three Investigators Mystery Series.

Robert Arthur wollte eine Jugendserie wie die Hardy Boys erschaffen, nur besser. Das wurden dann die Drei ???

In Zusammenarbeit mit dem Lektor Walter Retan von Random House schuf und entwickelte Robert Arthur diese Serie, die in mancher Hinsicht den Hardy Boys ähnelte, einer Jugendbuchreihe, die es bereits seit 1927 gab und die damals über allem stand. Der Unterschied bestand jedoch darin, dass die Qualität des Stils und der Charakterisierung in Arthurs Büchern im Allgemeinen höher war als in den meisten Serienbüchern, unabhängig davon, ob sie sich an Jugendliche richteten oder nicht. Arthur vermischte verschiedene Genres, darunter Krimi, Mystery, Horror und Science Fiction. Diese Vielseitigkeit ermöglichte es ihm, solche Elemente auch in seine neue Serie zu integrieren, in denen es oft um mysteriöse Schauplätze und scheinbar übernatürliche Ereignisse geht, die durch rationale Erklärungen aufgelöst werden.

Effiziente Erzählweise

Robert Arthur als College-Student

Das Format der Pulp-Magazine erforderte eine effiziente Erzählweise. Die Autoren wurden pro Wort bezahlt, mussten die Leser aber mit spannenden Geschichten bei der Stange halten. Arthur beherrschte diese Kunst, indem er der Handlung Vorrang vor der Selbstreflexion einräumte und die Geschichten schnell voranschreiten ließ, was auch zum Markenzeichen der Serie um die drei Detektive aus Rocky Beach werden sollte. Das Trio – Jupiter Jones, Pete Crenshaw und Bob Andrews – waren ausgeprägte Persönlichkeiten mit Herausforderungen aus dem wirklichen Leben, eine erstaunliche Abkehr von den oft eindimensionalen Helden der Magazine. Oft verwendete er Handlungen und Charaktere aus seinen Pulp-Geschichten für andere Medien, darunter Radiosendungen wie „The Shadow“ oder „Suspense“. Diese Praxis der Wiederverwendung von Ideen sicherte die Kontinuität seines Stils, während er ihn gleichzeitig an ein neues Publikum anpasste.

Vorbereitung auf das Erbe

Das phänomenale Cover- und Innenlayout von Harry Kane und Ed Vebell trug ebenso zum Erfolg bei wie die Tatsache, dass der berühmte Filmregisseur Alfred Hitchcock in den Büchern eine Rolle spielte. Später, als Robert Arthur gesundheitlich angeschlagen war, beauftragte er Dennis Lynds mit der Fortsetzung der Serie. Damit gab es also einen renommierten Krimiautor, der vielleicht am besten unter dem Namen Michael Collins bekannt ist.

Harry Kane gab den Drei ??? von Robert Arthur ein Gesicht.

Jupiter Jones, Peter Crenshaw und Bob Andrews heißen die drei Detektive im Original, bei uns ist nur Bob Andrews geblieben, aus Jupiter wurde Justus Jonas und aus Peter Crenshaw Peter Shaw. In den Hörspielen wird aber nur Justus Jonas falsch – nämlich deutsch – ausgesprochen. Arthur hat sich als Bob Andrews in die Serie eingeschrieben, zumindest hat er einige Attribute von sich auf Bob übertragen. Das fängt beim Vornamen an – Robert – und geht mit dem Journalismus weiter. Bob Andrews‘ Vater ist Reporter bei der Zeitung von Rocky Beach und Arthur hat einen Master in Journalismus. Beide sind dünn und unsportlich.

Die Fledermäuse zur Inspiration

Man darf nicht vergessen, dass die Hörspiele – so beliebt sie sind – eigentlich immer nur ein Abklatsch der Bücher sind. Es liegt in der Natur der Sache, dass vieles umgeschrieben und weggelassen werden muss. Ein Beispiel ist „Das Gespensterschloss“, das erste Buch der drei Fragezeichen, das 1964 als „The Secret Of Terror Castle“ erschien und 1968 bei uns. Sehen wir mal davon ab, dass es in der Hörspiel-Reihe erst an elfter Stelle kommt, gibt es im Buch eine Szene, wo sich Justus und Peter dem Schloss zum ersten Mal nachts nähern und plötzlich etwas über ihre Köpfe hinwegfliegt.

Harry Kane setzte die drei ??? immer wieder in schwarzweiß in Szenen, die direkt aus den Büchern stammen.

Peter duckt sich und schreit, dass es eine Fledermaus sei, und Justus antwortet: „Fledermäuse fressen nur Insekten, niemals Menschen„. Das ist für die Handlung nicht von Belang, aber hier steckt der Schlüssel zur ganzen Serie, denn Robert Arthur hatte eine Vorliebe für Fledermäuse. Die meisten Menschen wussten damals noch nicht, wie wichtig Fledermäuse für das Gleichgewicht eines jeden Ökosystems sind und Arthur sah es als seine persönliche Mission, sie aufzuklären.

In dem Haus, das er zehn Jahre lang in Yorktown Heights, New York, bewohnte – ein Haus in den Wäldern am Croton Reservoir – lebte auf dem Dachboden eine große Fledermauskolonie. Arthur nahm seine kleine Tochter regelmäßig tagsüber, wenn die Fledermäuse schliefen, mit nach oben, damit sie sie bewundern und die Zuneigung ihres Vaters für sie teilen konnte. In dem Haus in Yorktown Heights, das aus drei Stockwerken, einem Dachboden und einem Keller bestand, befand sich Arthurs Arbeitszimmer im dritten Stock, und es kam vor, dass die Fledermäuse nachts verwirrt waren und nicht durch die Dachschindeln nach draußen flogen, sondern durch die Tür vom Dachboden hinunter in den dritten Stock. Da Arthur oft nachts arbeitete, pflegte er den Leuten zu sagen, dass es nichts Besseres gäbe, als einen Krimi oder eine Geistergeschichte zu schreiben, während ein paar Fledermäuse gesellig um den Kopf schwirrten.

Sicherlich wäre die Serie auch ohne diesen markanten Ort entstanden, aber vielleicht wäre das Gespensterschloss nicht der erste Fall der drei Detektive geworden.

Das Ägyptische Mysterium ruft

Auch für „Die flüsternde Mumie“, im Original von 1965 – also der dritte Fall, ließ sich Arthur von seinem Umfeld inspirieren, in diesem Fall von seiner Frau Joan, die von 1935 bis 1940 in Ägypten lebte. Joan war die Tochter von Louis Vaczek, einem ungarischen Diplomaten, der 1935, als Joan an der McGill University studierte, von Montreal nach Ägypten versetzt wurde. Sie veröffentlichte auch eine Reihe von Kurzgeschichten, die in Ägypten spielen. Als Robert Arthur und Joan Vaczek heirateten, teilte sie mit ihm ihr Interesse an der Ägyptologie.

Harry Kane und Aiga Rasch

Ich selbst bin ein Fan der amerikanischen Originalcover von Harry Kane, aber ich verstehe natürlich, dass diese in unseren Breitengraden wahrscheinlich nicht so gut funktioniert hätten wie die von Aiga Rasch, die völlig anders sind als die Originale, aber nicht weniger genial. Heute sind die drei von ihren Ursprüngen weit entfernt, unendlich modernisiert und längst nicht mehr so originell wie in ihren Anfängen. Aber sie funktionieren vor allem über das Hörspiel und sind ein großer Teil der deutschen Popkultur geworden, quasi eingedeutscht.

Aura / Carlos Fuentes

Carlos Fuentes‘ 1962 erschienene Novelle Aura gilt als eines der repräsentativsten Werke des mexikanischen Schriftstellers und ist ein Grundpfeiler der lateinamerikanischen Erzählkunst des 20. Jahrhunderts. Dieses Meisterwerk literarischer Experimentierfreude und psychologischer Raffinesse bestätigte nicht nur Fuentes‘ Platz als eine der wichtigsten Stimmen seiner Generation, sondern trug auch zur Konsolidierung des sogenannten lateinamerikanischen Booms bei. Diese literarische Bewegung, die die Region zwischen den 1950er und 1970er Jahren prägte, machte Autoren wie Gabriel García Márquez, Mario Vargas Llosa und eben Fuentes weltweit bekannt. Mit Werken wie Aura und Der Tod von Artemio Cruz avancierte Fuentes zu einem zentralen Vertreter dieser Epoche.

Aura von Alejandra Acosta
Aura von Alejandra Acosta

Was Aura besonders macht, ist seine unkonventionelle Erzählstruktur. Die Geschichte wird in der zweiten Person und im Präsens erzählt, wodurch der Leser direkt in die Rolle des Protagonisten Felipe Montero versetzt wird. Felipe, ein junger Historiker, der von seinem schlecht bezahlten Job und einem monotonen Leben frustriert ist, antwortet auf eine mysteriöse Zeitungsanzeige. Diese führt ihn in ein altes, baufälliges Herrenhaus in der Calle Donceles, wo ihn Señora Consuelo, die alternde Witwe eines Generals, beauftragt, die Memoiren ihres verstorbenen Mannes zu ordnen und zu vollenden.

Schon beim Betreten des Hauses wird Felipe in eine dunkle, zeitlose Welt gezogen. Das koloniale Herrenhaus ist in Dunkelheit gehüllt, erleuchtet nur von flackernden Kerzen, die zusammen mit religiösen Symbolen eine unheimliche Atmosphäre schaffen. Hier begegnet Felipe auch Aura, der geheimnisvollen jungen Nichte Consuelos, deren grüne Augen ihn sofort in ihren Bann ziehen. Aura verkörpert nicht nur Jugend und Schönheit, sondern scheint auch eine magische Verbindung zwischen Vergangenheit und Gegenwart, Leben und Tod zu repräsentieren. Im Laufe der Erzählung entwickelt sich zwischen Felipe und Aura eine intensive, aber rätselhafte Beziehung, die durch Consuelos undurchsichtige Präsenz und die merkwürdige Atmosphäre des Hauses zusätzlich aufgeladen wird.

Aura von Alejandra Acosta
Aura von Alejandra Acosta

Die Verwendung der zweiten Person als Erzählperspektive ist eines der herausragenden Stilmittel des Romans. Der Leser wird nicht nur zum stillen Beobachter, sondern selbst zum Teil der Erzählung. Diese innovative Perspektive verstärkt das Gefühl von Unausweichlichkeit und Verstrickung, während die hypnotische Atmosphäre – geprägt von erdigen Gerüchen, tierischen Präsenzen und dekadenten Räumen – eine tiefgreifende Spannung erzeugt. Diese Elemente, zusammen mit den gotischen Motiven von Dunkelheit, Dekadenz und Übernatürlichkeit, machen Aura zu einem eindringlichen Werk.

Ein zentrales Thema des Romans ist die Macht der Vergangenheit über die Gegenwart. Consuelos Besessenheit von ihren Erinnerungen und ihre Weigerung, die Vergangenheit loszulassen, stehen im Kontrast zu Auras jugendlicher Lebenskraft. Gleichzeitig verwischen die Grenzen zwischen Realität und Fantasie, Identitäten verschmelzen, und Felipe wird zunehmend in die dunkle Dynamik des Hauses verwickelt. Die Erzählung gipfelt in einer unerwarteten Wendung, die sowohl Felipes als auch die Wahrnehmung des Lesers von Figuren und Handlung radikal verändert. Diese traumartige Schlusswendung – eine Verschmelzung von Zeit, Körper und Identität – macht den Roman zu einer vielschichtigen literarischen Studie.

Aura ist nicht nur eine herausragende Auseinandersetzung mit Themen wie Verführung, Identität und Erinnerung, sondern auch ein beeindruckendes Beispiel für Fuentes‘ innovative Prosa. Die Kombination aus formaler Brillanz und psychologischer Tiefe hebt diesen kurzen Roman weit über andere Werke des Genres hinaus und macht ihn zu einem Meilenstein der lateinamerikanischen Literatur.

Dagobert Duck – Ein Porträt

© Egmont Ehapa, © Disney

Es gibt Figuren in der Popkultur, die so selbstverständlich geworden sind, dass man sie kaum noch hinterfragt. Dagobert Duck gehört zu ihnen. Der alte Erpel mit Zylinder und Zwicker, der sich kopfüber in seinen Geldspeicher stürzt, ist längst mehr als nur eine Comicfigur. Er ist eine kulturelle Ikone, ein Archetyp, ein Mythos. Doch wie entstand er eigentlich, und was macht ihn so besonders? Um diese Fragen zu beantworten, muss man in das Jahr 1947 zurückgehen, in die Werkstatt eines Mannes, der damals kaum ahnte, dass er einen der langlebigsten Charaktere der Comicgeschichte erschuf: Carl Barks.

Dagoberts erster Auftritt fand in der Geschichte „Christmas on Bear Mountain“ (Die Mutprobe) statt, die im Dezember jenes Jahres erschien. Barks hatte sich an die Aufgabe gemacht, Donald Duck eine neue Figur zur Seite zu stellen, einen wohlhabenden Onkel, der Donald und seine Neffen zu Weihnachten auf sein Schloss einlädt. Dieses erste Bild Dagoberts ist noch weit entfernt von der Gestalt, die wir heute kennen: ein mürrischer, einsamer Alter, der Weihnachten verabscheut und Menschen meidet.

„Here I sit in this big lonely dump… A curse on it! Me — I’m different! Everybody hates me, and I hate everybody!“ („Hier sitz ich einsam und verlassen und Weihnachten steht vor der Tür. Grauenhaftes Fest! Wenn’s nur erst vorbei wär! Weihnachten liegt mir nicht. Ich kann niemanden leiden und mich kann niemand leiden!“),

lässt ihn Barks klagen. Schon in diesem ersten Auftritt liegt aber der Kern des späteren Dagobert: die Isolation, die Bitterkeit, aber auch der Wille, andere auf die Probe zu stellen, um die eigene Weltsicht bestätigt zu sehen.

© Egmont Ehapa

Der Name, den Barks ihm gab, war Programm. „Scrooge McDuck“ knüpft unübersehbar an Ebenezer Scrooge aus Charles Dickens’ Weihnachtsgeschichte an, jenem geizigen alten Mann, der Weihnachten verachtet. Mit dem schottisch klingenden „McDuck“ verband Barks Humor, Tradition und einen Hauch Exotik. In Deutschland machte Erika Fuchs aus Scrooge McDuck Dagobert Duck. Sie fand in der Historie den Namen eines merowingischen Königs, der im Deutschen zugleich altmodisch, gewichtig und leicht komisch klingt. Fuchs’ Übersetzungen machten nicht nur Dagobert, sondern das gesamte Entenhausen für Generationen deutscher Leser zu einem literarischen Erlebnis. In dieser frühen Phase war Dagobert aber noch keine Hauptfigur. Er war Randgestalt, eine Art Karikatur des griesgrämigen Alten. Es brauchte noch einige Jahre, bis er das Zentrum einer Erzählung bilden sollte.

Der Wendepunkt kam 1952 mit „Only a Poor Old Man“ (Der arme reiche Mann). Hier war Dagobert zum ersten Mal der Protagonist einer längeren Geschichte. Carl Barks erinnerte sich später:

„Sie schrieben… fragten mich, ob ich einen zweiunddreißigseitigen Dagobert-Comic machen würde… niemand wusste, woher er kam… Also dachte ich, na ja, ich werde einfach ein bisschen darüber schreiben, woher er kam, wie er seinen Reichtum angehäuft hat und wie er ihn zu schützen gedenkt…“

In dieser Geschichte kämpft Dagobert nicht nur gegen die Panzerknacker, sondern auch gegen Naturgewalten, um seinen Geldspeicher zu verteidigen. Damit setzte Barks die Grundlagen für die Figur: reich, verletzlich, findig, zugleich Opfer und Sieger. Der Geldspeicher wurde zum Schauplatz, der ihn definierte. Barks sagte dazu:

„Die Tatsache, dass Dagobert reich war, war der Auslöser für alle weiteren Entwicklungen… Ich habe ihn nach und nach reicher und reicher gemacht. Dann musste ich einen Ort entwickeln, an dem er das Geld aufbewahren konnte.“

Doch Geld ist für Dagobert kein abstrakter Wert. Es ist Erinnerung. In den Geschichten wird deutlich, dass er jede Münze kennt, jede Banknote mit einer Anekdote verbinden kann. Jahrzehnte später schrieb ein Fan im Internet:

„Er liebt sein Geld so sehr, weil er sich daran erinnern kann, wie er jede Münze verdient hat… Jedes Geldstück in diesem Speicher ist eine Erinnerung für ihn… Sie stehlen seine Erinnerungen, seine Vergangenheit, seine Geschichte.“

Dieser Gedanke ist zentral: Dagoberts Speicher ist kein Hort der Gier, sondern ein Archiv der eigenen Biographie.

© Egmont Ehapa, © Disney

Das zeigt sich auch in Geschichten wie „Back to the Klondike“ (Wiedersehen mit Klondike) von 1953, in der Dagobert an die Stätten seiner Jugend zurückkehrt. Hier begegnet er Glittering Goldie (Nelly), der Sängerin, die einst sein Herz berührte. Diese Episode offenbart eine weiche Seite: den sentimentalen Romantiker, der im Wettlauf um Reichtum auch persönliche Bindungen verlor. Don Rosa griff diesen Faden Jahrzehnte später auf und machte Nelly zu einem Schlüsselmoment in Dagoberts Leben, zum Symbol für alles, was er opfern musste.

Noch deutlicher wird seine Philosophie in „The Fabulous Philosopher’s Stone“ (Der Stein der Weisen) (1955). Auf der Suche nach dem Stein der Weisen erkennt Dagobert, dass grenzenloser Reichtum den Wert des Reichtums vernichtet. Geld hat nur Bedeutung, wenn es erarbeitet, erkämpft, verdient ist. Barks betonte in einem Interview:

„Ich habe mir Dagobert nie als… Millionär vorgestellt, der sein Geld durch die Ausbeutung anderer Menschen verdient hat… Ich habe absichtlich versucht, es so aussehen zu lassen, als ob Onkel Dagobert das meiste seines Geldes… in den Tagen verdient hat, als man noch in die Berge gehen und Gold finden konnte.“

Dieser Satz zeigt, dass Dagobert nicht als Ausbeuter gedacht war. Sein Reichtum ist ein Symbol für Abenteuergeist, Fleiß und Cleverness – eine kapitalistische Utopie ohne die Schatten der Ausbeutung.

Mit diesem Ethos wurde Dagobert auch für Leser sympathisch. Er ist zwar knauserig, aber seine Knauserigkeit ist eine Pose, ein Schutzschild. Hinter ihr steckt Stolz auf das, was er selbst geleistet hat. Er ist der Selfmademan in Entengestalt, der Mythos vom Aufstieg aus eigener Kraft.

© Disney

Nach Barks übernahmen andere Künstler die Figur, doch keiner prägte sie so stark wie Don Rosa. In den neunziger Jahren schuf er den Zyklus „The Life and Times of Scrooge McDuck“ (Sein Leben, seine Milliarden), in dem er Dagoberts Leben von der Kindheit in Glasgow bis zu seinem Ruhestand in Entenhausen nachzeichnete. Ein schieres Meisterwerk. Don Rosa sagte: „Alles, was ich tat, baute auf Barks‘ Fundament auf. Er hat Scrooge erschaffen – ich habe nur versucht, die Details auszufüllen, die er angedeutet hat.“ Diese Geschichten machten aus Dagobert endgültig eine epische Gestalt. Sie zeigen den harten Jungen, der in Schottland als Schuhputzer seine ersten Münzen verdient, den jungen Mann, der in den Klondike zieht, den einsamen Abenteurer, der Reichtum anhäuft und zugleich das Leben verpasst. Don Rosa inszenierte ihn als tragischen Helden, der alles gewann und zugleich viel verlor.

Gerade in Europa fanden diese Geschichten ein riesiges Publikum. Während Disney-Comics in den USA eher als Kinderkram galten, wurden sie in Deutschland, Italien oder Skandinavien ernsthaft gelesen. Don Rosa wurde hier gefeiert wie ein Popstar. 1999 etwa tourte er durch Deutschland, und die Fans standen stundenlang Schlange für ein Autogramm. Das zeigt, wie stark Dagobert in Europa verankert ist. Ein Grund dafür ist sicherlich Erika Fuchs. Sie gab der Figur im Deutschen nicht nur ihren Namen, sondern eine Sprache, die ihn zu einer literarischen Gestalt machte. Fuchs übersetzte nicht wörtlich, sondern kreativ, durchsetzt mit Zitaten aus Schiller, Goethe oder Kant. Dadurch bekam Dagobert eine Stimme, die zugleich komisch und gebildet klang – eine Verbindung, die in Deutschland ganze Generationen prägte.

Dagobert ist aber nicht nur eine Figur der Comics. Er wurde zur Inspirationsquelle der Popkultur. George Lucas und Steven Spielberg erklärten, dass die berühmte Felsbrocken-Szene in „Indiana Jones – Jäger des verlorenen Schatzes“ direkt von einer Barks-Geschichte übernommen wurde. In „The Seven Cities of Cibola“ (Die Sieben Städte von Cibola) rollt ein riesiger Stein durch einen Tempel – fast identisch mit der Filmszene. Dagobert wurde damit zu einem modernen Mythos, der sogar Hollywood prägte.

Die sieben Städte (© Egmont Ehapa)

Man darf auch die Symbolik des Geldspeichers nicht unterschätzen. Er ist ein absurdes Gebäude, überdimensioniert, lächerlich – und zugleich erhaben. Für Kinder ist er ein Traum, für Erwachsene eine Satire, für Dagobert selbst eine Kathedrale. Don Rosa sagte einmal, der Speicher sei „Dagoberts Seele in Stein und Mörtel“. Ein Tempel, in dem er nicht den Mammon anbetet, sondern die eigene Vergangenheit.

Was bedeutet das für unsere Sicht auf Reichtum? Dagobert verkörpert eine Idee, die heute fast naiv wirkt: dass man durch harte Arbeit und Abenteuer reich werden kann, ohne andere auszubeuten. Er ist der gute Kapitalist, der gerechte Millionär. Das macht ihn sympathisch, aber auch märchenhaft unrealistisch. Vielleicht liegt darin seine Faszination. In einer Welt, in der reale Milliardäre mit Raketen ins All fliegen, wirkt ein alter Erpel, der in Münzen schwimmt, fast prophetisch – eine Parodie, die zur Wahrheit geworden ist.

Gleichzeitig ist er ein tragischer Held. Denn sein Reichtum ist auch seine Einsamkeit. Er sitzt allein auf seinem Geld, misstraut allen, klammert sich an die Vergangenheit. Viele Geschichten enden mit einem Bild, das ihn allein im Speicher zeigt, während die Münzen durch seine Finger rieseln. In diesen Momenten erkennt man, dass Dagobert mehr ist als ein Gag. Er ist eine Figur, die etwas über uns erzählt: über den Preis des Erfolgs, über die Sehnsucht nach Erinnerung, über den Wert von Geschichten.

Heute ist Dagobert längst Teil der Meme-Kultur, der Pop-Analysen, der Kunst. Sein Bild taucht in Street-Art auf, in Essays über Kapitalismus, in Karikaturen über Reichtum. Er ist Symbol und Satire zugleich. Aber er ist auch eine Figur, die Kinder nach wie vor lieben, weil sie Abenteuer verspricht, Schatzsuchen, ferne Länder, wilde Mythen.

Vielleicht ist es diese Doppelbödigkeit, die ihn unsterblich macht. Für Kinder ist er ein Schatzsucher. Für Erwachsene ein Spiegel der Gesellschaft. Für Künstler eine Quelle der Inspiration. Und für alle zusammen ist er einfach Dagobert – der alte, eigensinnige Erpel, der in Gold schwimmt und doch nie aufhört, nach dem nächsten Regenbogen zu suchen.

Am Ende bleibt Dagobert ein Paradox. Er ist Ebenezer Scrooge und doch sein Gegenteil, ein Geizhals mit Herz, ein Abenteurer mit Misstrauen, ein Kapitalist mit romantischer Seele. Vielleicht ist er deshalb so zeitlos. Denn er zeigt uns, dass Reichtum, Abenteuer und Erinnerung untrennbar miteinander verbunden sind – und dass kein Gold der Welt über das hinwegtrösten kann, was man unterwegs verpasst hat.

Und wenn er am Ende einer Geschichte wieder in seinen Speicher steigt, die Münzen durch die Finger gleiten lässt und leise seufzt, dann spüren wir etwas, das über jede Pointe hinausgeht: Hier spricht kein bloßer Comic, sondern ein Mythos, der von uns allen handelt.

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