Ein Fluch ohne Autor

In Teseo Albinesis Aufzeichnungen aus dem Jahr 1539 wird beschrieben, wie der Okkultist Ludovico Spoletano den Satan beschwor, weil er Fragen hatte, die ihm sonst niemand beantworten konnte. Ein Magier, der sehr von dem deutschen Gelehrten Johannes Trithemius beeinflusst zu sein schien, schrieb Werke wie das Steganographia, das alchemistische und magische Inhalte mit verschlüsselten Botschaften kombinierte, bis er an einen Punkt kam, wo er – ähnlich wie Doktor Faustus glaubte – alles bereits zu kennen, aber doch nichts zu wissen.

„Komm in meinen Körper, Majestät; ganz einfach, um den Stift in meiner Hand zu führen. Was sind diese verschollenen Wahrheiten, von denen ich vermute, dass es sie irgendwo geben muss? Was steht in den uralten Schriften, die ich nicht besitze?“

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Daumesdick

Die Geschichte vom Däumling, von den Brüdern Grimm auch „Daumesdick“ oder „Daumling“ genannt, ist das älteste englische Märchen, das in gedruckter Form vorliegt. Sicherlich gibt es Märchen, die noch älter sind, das Motiv des Rumpelstilzchens zum Beispiel ist über 4000 Jahre alt, aber das älteste erhaltene gedruckte Märchen ist „The History of Tom Thumbe“ von Richard Johnson. Es wird vermutet, dass nur ein einziges Exemplar des Originaldrucks aus dem Jahr 1621 erhalten ist. Möglicherweise handelt es sich aber bereits um einen Nachdruck.

Und so alt die gedruckte Geschichte vom Däumling auch ist, die (mündliche) Legende von Tom Thumb ist noch älter, denn in Texten aus dem sechzehnten Jahrhundert finden sich zahlreiche Hinweise darauf.

Der Däumling von Johann Grot
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Umso früher … desto witcher

(c) Albera Anders
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Der Geist des Schicksals in Charles Dickens „Der Bahnwärter“

Die Geistergeschichten von Charles Dickens, der für seinen charismatischen Witz, seine Ironie und seine Satire berühmt ist, waren oft typisch für die viktorianische Ästhetik des Übernatürlichen – schaurig, aber charmant -, doch seine berühmteste kurze Geistergeschichte widersetzte sich den Konventionen, schockierte die Leser und verstört sie bis heute. Der Grund dafür mag in der persönlichen Komponente liegen: Dickens‘ „The Signal-Man“, zu deutsch: Der Bahnwärter, basiert auf der einflussreichsten Tragödie seines späteren Lebens, einer Tragödie, die ihn bis ins Grab belastete.

Am 9. Juni 1865 um 3:13 Uhr nachmittags war Charles Dickens mit seiner Geliebten Ellen Ternan und Ternans Mutter im Südosten Englands unterwegs, als der Zug von Folkestone nach London in der Nähe von Staplehurst aufgrund der Fahrlässigkeit eines Weichenstellers entgleiste. Das Zugunglück von Staplehurst kostete zehn Menschen das Leben und hinterließ vierzig Verletzte, von denen einige in Dickens‘ Armen starben. Der Autor war traumatisiert. Er verlor danach zwei Wochen lang seine Stimme und versuchte von da an, jeglichen Kontakt mit Zügen zu vermeiden.

Ein Gnom beim Betrachten der Eisenbahn (Carl Spitzweg)
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Ich bin die Nacht: 1 Der Moloch (Re)

In der Tiefe der Nacht kann einem alles begegnen. Welten türmen sich auf und entfalten ihre grandiosen, weitläufigen Ebenen des Zerfalls. Mumifizierte Zeitzeugen murmeln aus trockenen Mündern von ihren Erlebnissen. Ein Gesicht hängt in Fetzen in Höhe des Mondes, die Wangen wie zerschnittener Stoff in einer Bastelstube. Dann ist es vorbei, wie bei einer Fahrt in einer Geisterbahn. Die Kufen führen aus der stinkenden Nacht in eine noch tiefere hinein und ruckeln weiter zur nächsten Szene. Und nirgendwo hat das Licht eine sichtbare Qualität; schwarz auf schwarz bestätigt es nur eine absolute Dunkelheit. Was man zu sehen bekommt, ist merkwürdigerweise unabhängig von einer Lichtquelle. Die Toten leuchten von innen, die Geister tun es ihnen gleich.

Eine chemische Reaktion, die sich über den Baumwipfeln zu einer Dunstglocke formierte – das war alles, was von ihm übriggeblieben war. Bald würde sein Rest zu Staub fremder Sterngruppen, zu Globulen und Dunkelwolken gehören. Unentdeckt von allen Teleskopen, die da noch kommen sollten. Die Sonne entdeckte den gemarterten Körper als Erste. Ihr tastendes Licht beendete die Nacht, die in vielen Seelen lauert. Nackt hing er an diesem Stamm gefesselt, übergossen mit flüssigen Exkrementen, in der Pose eines Gottes am Weltenbaum.

Schon öffnet der Moloch sein Bronzemaul, röchelt in allen Farben des Feuers und verschlingt alles. Vielleicht würde er sich sogar selbst verschlingen, aber vielleicht will er auch nur den süßen Saft des Lebens kosten, der ihm so fremd ist. Er will sich an den Rinnsalen des Leids aller sättigen, an dem herausgedrückten Seim. Vielleicht will er auch nur die nie von einer Sonne beschienene Statue sein, der Hochofen elementarer Angst.

In den letzten Sekunden seiner rituellen Ekstase sah er, wie die Nacht, die mit ihrer schneidenden Kälte bereits tief in ihn gedrungen war, Gestalt annahm. Durchs Gebüsch fegte ländliche Agonie. Der Mangel an Eindeutigkeit ließ ihn schauderhaft zittern. Er erkannte nicht, was seit Stunden um ihn herum kroch. Die Luft kündete von Maden, es war fürchterlich finster. Er zerrte an den Fesseln, doch das Hanfseil gab nicht nach. Was die Erscheinung tat, die sich weder bewegte noch an einem Ort verharrte, war für ihn nicht zu erkennen. Der Schmerz nahm beständig zu und die Angst hätte ihn verbrennen müssen, doch einige Minuten später war er ausgeschaltet und dieser zweigeteilte Baum war zu seinem Martergrab geworden. Er sank in die Hanfseile und sickerte langsam in die Erde, eine Hinterlassenschaft der Jäger, Fischer und Sammler der Nacheiszeit, die hier ihr Hüttenlager hatten. Die alte Erde sog sich voll mit Leben.

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Mord ohne Motiv in Edgar Allan Poes „Das verräterische Herz“

Poes Geschichte „Das verräterische Herz“ wurde erstmals 1843 im Pioneer, einem Bostoner Magazin veröffentlicht.

Mord ohne Motiv

In dieser Erzählung finden sich auf engstem Raum alle Elemente der Schauerliteratur: das unterschwellige Geheimnis, das unheimliche Gebäude – hier wird ein ganzes Schloss in einen einzigen Raum verwandelt –, das schreckliche Verbrechen und das Oszillieren zwischen dem Übernatürlichen und dem Psychologischen. Auf nur fünf Seiten scheint es, als habe Edgar Allan Poe den Schauerroman des 18. Jahrhunderts zu einer Geschichte von nur wenigen tausend Wörtern verdichtet. Doch was genau macht diese Geschichte so beunruhigend? Eine genauere Analyse zeigt, dass sich „Das verräterische Herz” auf das Beunruhigendste überhaupt konzentriert: den Mord ohne Motiv.

Der Herzschlag eines Toten

Das verräterische Herz
(c) Alex Kupczyk
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Warum ein wilder Ritt nicht zum Ufer führt

Das Irrsein spricht in glatten Talern,
es biegt Bäume im Wind und achtet nicht auf das
Ungemach, verborgen noch in Schloten und hinter
mesmerisierenden Worten. In der Nacht stehen die
Stühle still auf all ihren vier Hufen, gereinigt von
den Ärschen des Tages, die sich im Sitzen Visionen
ihrer Zukunft erdenken. Unter den Brücken gefriert
die Luft in den Lungen, ein Ziel ist auch ihnen
unbekannt. Sie beben stets über einem Orkan,
zwischen den Gliedern nur ein Seufzen.

Lichter, wunderdicht
Armengebein, Finder von
Trassen

Die Szenarien der Taubheit sind angebrochen – nichts bleibt
außerhalb einer endlos rollenden Straße gesichtsreif, nichts
streitet sich über den Tag oder das darin verborgene Wunder.
Als gäbe es nichts zu tun scheinen die Häuser leer, so
legen sich die Dörfer in die Mitte, dorthin, wo früher
die Muttersau ihren Ferkeln zum Brunnen wurde. Um die
Gassen wird ein Gedanke geführt – Halt sucht er vergeblich
am blanken Mauerwerk, dem Holzgestade ringsherum.

Die Knochen könnte der Mörtel geben, ritzenfest und
weniger schmuck als vorgesehen. Die tastbaren Hindernisse
fehlen, die Scharten waren nie dazu gedacht, Fenster zu
werden. Das Auge glüht sich in ein Bild, ein Streifen
der Weltfedern fern der Hieroglyphen auf Toren, Portalen,
Stelzen und geschnitzten Männchen. Ich setze mich auf diesen
unzugänglichen Stuhl, betrachte über mir die Launen der
verirrten Sträucher, gekennzeichnet durch Knoten in den
neu erwachten Trieben, mit denen sie die Pfosten sprengen.

Die Menschheit ist ein Klumpen
und die Worte reduzieren sich
sie sind ein Bestandteil des Irrationalen
das alles bestimmt

manchmal feiert sich eine Zusammenkunft der
Klicklaute

(Das eines Tages zu sprechen ist ein
ständiges Bewegen der Lippen)

Ich weiß auch nicht, was sie alle hatten,
auf einmal waren sie fort, ein Ring
aus Düften haftete wie Schnee an
den Ketten, weiß und Begierig darauf,
kalt zu sein
Kältebrausen – aber nur farblich – ihr
Fragment blieb ihnen erhalten

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