Die Veranda

Kult!

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Leichenfest

Der Briefkasten ohne Namensschild, als wäre er blind, nie jemand eingezogen seitdem. Das schlechte Gefühl des Reisenden, verlassenes Territorium verraten zu haben, die schicksalhafte Nacht (die Kreuzung hell bemondet), je in alle Richtungen trabend, paar Meter, dann wieder zurück zum Knoten, zukuckende Baumfamilien, die kein Auge zutun, ferne Landschaft, vages Schemen.

Wie den Abstieg in die Unterwelt erlebte ich das Verlassen des Gartens, terrassenförmig angelegt von Semiramis, dem Täubchen. Ich pflegte ihr damals jede Knabenerektion zu bringen; Daktari lief im Fernsehen, der Sommer schimmerte augusten mit einer ganzen Batterie an Ersatzsonnen. Ich vernahm das Prasseln ihres Duschmanövers. Ihre Mutter reichte mir Stachel- und Preiselbeeren, nass vom Küchenwasser, knackender Körper unter Jungzähnen; der schielende Leu äugte in die Wohnstube, ich aber kaute artig und dachte nur jede zweite Sekunde an das Schlüsselloch.

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Vor einem Regal der Toten

Ich könnte singen von den unheilvollen und drohenden Dingen, den toten und vergessenen. Doch werde ich je wieder reisen durch den vom Wahnsinn gelb gefärbten Nebel des Vergessens, zu den Gestaden fremder Wirklichkeit? Fände ich überhaupt den Weg zurück, der mir damals so zufällig erschien wie einst Rip van Winkle sich über das Auftauchen einer flämischen Gesellschaft verwunderte? Mir selbst wurden keine Jahrzehnte durch einen sonderbaren Schnaps gestohlen, noch nicht einmal Jahre, aber von den merkwürdigen Festen wie in den Tiefen des verhängnisvollen Venusbergs könnte auch ich berichten. Doch wüsste ich nie zu sagen, was sich daran mit mit meinen halluzinatorischen Träumen mischte, denn eines ist mir klar geworden: Es gibt unterschiedliche Arten des nächtlichen Gespinstes und mindestens eines davon eröffnet uns das Jenseits mit seiner unendlichen Weite. Es ist für mich gar nicht ausgeschlossen, dass, sobald wir unserer so stabiles Sternensystem verlassen würden, wir auch außerhalb unserer fleißigen Schlaftätigkeiten dorthin gelangen könnten, allein deshalb, weil wir unsere Körper nicht behalten dürften und stürben; d.h., es stürbe das, was wir in unserer Welt so sehr benötigen, und wenn wir es verlieren, geistern wir umher, unfähig, weiter zu träumen, weil wir in einem derartigen Zustand schlicht all unsere Erinnerungen für einen Traum halten. So nötig haben wir den Schutzschild der Materie, dass wir um seinen Verlust so sehr bangen wie um nichts anderes. Es mag sein, dass wir die Geister deshalb fürchten. Sie zeigen uns, dass wir auch im Tode nicht entkommen können und endlos weiterspielen müssen. Sie zeigen uns durch ihre finsteren Auftritte, wie wichtig die Wiederholung ist und wie sich eben alles so lange wiederholt, bis das Wort Ewigkeit seine Berechtigung erlangt.

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Die drei ??? und der Zauberspiegel / M. V. Carey

Nach dem durchwachsenen, aber nicht uninteressanten Das Bergmonster hat M.V. Carey den nächsten Teil der drei Detektive geschrieben. Es ist ihr vierter Beitrag, und insgesamt sind wir nun bei Buch 21 angelangt. Eigentlich sind alle ihre Bücher bis dahin gut lesbar, aber die zweiten scheinen immer ihre besten zu sein. Ob sich daraus eine Fortsetzung ableiten lässt, wird sich zeigen, aber Der Zauberspiegel enthält alle von Robert Arthur entworfenen Tropen, auch wenn der Fall und seine Hintergrundgeschichte am Ende vielleicht etwas zu kompliziert gedacht sind. Aber das tut dem Abenteuer zunächst keinen Abbruch, politische Intrigen hatten wir ja schon in Die silberne Spinne, auch wenn die Übersetzung dann etwas ganz anderes daraus gemacht hat. Von Mary Virginia Carey können wir noch 11 weitere Bücher erwarten und ich muss sagen, dass ihr Schreibstil absolut hervorragend ist.

Justus, Peter und Bob helfen Onkel Titus beim Ausräumen eines Hauses, das abgerissen werden soll, als sie Mortons Rolls Royce vor einem Nachbarhaus entdecken. Sie sehen, wie ein kleiner Mann aus dem Haus flieht und von Morton verfolgt wird. Peter versucht, den Mann zu überwältigen, aber der Dieb entkommt in einem in der Nähe geparkten Auto.

Das große Herrenhaus gehört Mrs. Darnley, einer Frau, die einen etwas altmodischen Kleidungsstil pflegt und Spiegel sammelt. Morton war ihr Chauffeur und hatte ihr bereits von den drei Detektiven erzählt, also werden die Jungs eingeladen, sich die Spiegel anzusehen. Eine Überprüfung ergibt, dass der Eindringling nichts gestohlen zu haben scheint. Die neueste Errungenschaft, die in der Bibliothek aufbewahrt wird, ist der Zauberspiegel, ein hässlicher gerahmter Spiegel, der einst einem spanischen Zauberer namens Chiavo gehörte, der vor zweihundert Jahren in Madrid lebte. In der Bibliothek ist seit neuesten unheimliches Gelächter zu hören, während das Haus schläft, und Mrs. Darnley hat Chiavos leuchtenden Geist im Spiegel gesehen. Nun hat auch das Haus seine Geschichte, denn es gehörte einst dem Zauberer Drakestar, der hier gestorben ist und von dem es nun heißt, dass er hier spukt. Viele Zauberer, viele Spukgeschichten und natürlich viele Spiegel. Carvey wirft hier mit einer Menge historischer Referenzen um sich, unter anderem befinden sich in Darnleys Sammlung der Handspiegel von Marie Antoinette, ein Spiegel aus dem Zarenpalast in St. Petersburg, ein Spiegel aus dem Besitz von Königin Victoria und so weiter. Das Thema ist also durchaus interessant, vor allem ist es fast verwunderlich, dass es so lange gedauert hat, bis sich jemand dieses Themas angenommen hat.

Spieglein, Spieglein…

Es gibt einen recht aufdringlichen Interessenten für den außergewöhnlichen Spiegel, ein mysteriöser Spanier namens Santora behauptet, ein Nachfahre Chiavos zu sein. Weiter behauptet er, der Spiegel sei verflucht und nur in den Händen von jemandem mit Chiavos Abstammung sicher. Irgendetwas scheint hier im Argen zu liegen. Niemand glaubt Santoras Geschichte so richtig. Justus ist überzeugt, dass es eine nicht übernatürliche Erklärung für die geisterhafte Erscheinung im Spiegel gibt. Wahrscheinlich hat sich jemand in dem Haus versteckt, aber eine Suche hat nichts ergeben. Da das Haus von einem professionellen Zauberer gebaut worden war, gibt es dort aber vielleicht geheime Räume?

Ich finde, dass dieses vierte Buch der Reihe von M.V. Carey eine großartige Ergänzung der Reihe ist, weil es sich so sehr auf seine Prämisse einlässt: ein Geist in einem Spiegel, ein Haus, das für einen längst verstorbenen Zauberer gebaut wurde. Das ist im Grunde Pulp der Kategorie alles oder nichts, und die Atmosphäre in der Bibliothek mit all den Spiegeln ist sehr gelungen.

Zur Rechten führte eine reich verzierte Flügeltür in einen Raum, der zu dunkel war, als daß man sein Inneres erkennen konnte.

Die Besucher wurden geradeaus in einen geräumigen Salon geführt – und hier schienen die Wände von tanzenden und zitternden Schatten belebt. Schwere Vorhänge schirmten das Sonnenlicht ab, und jetzt erst merkten die Jungen, daß die beweglichen Schatten ihre eigenen Abbilder waren. Sie fanden sich in Spiegeln wieder – in Dutzenden von Spiegeln, vielleicht auch Hunderten. Sie sahen ihr Spiegelbild gespiegelt. Im Raum schienen nicht drei Detektive, sondern dreißig oder dreihundert zu sein.

Ansonsten bewegen wir uns an verschiedenen Orten. Das Buch spielt in Los Angeles, es gibt ein verfallenes Farmhaus mitten im Nirgendwo, das Beverly Sunset Hotel, einen Pier und ein Lagerhaus in San Pedro, und trotzdem findet Carey noch genug Zeit für das Hauptquartier, was sie eigentlich immer sehr gut hinbekommt.

Peter versucht, Gomez im Hotel zu fassen, nachdem der Santora niedergeschlagen hat. Von Jack Hearne.

Mit der alten Dame leben auch ihre beiden Enkel Jenny und Jeff, beide etwa im gleichen Alter wie Justus, Peter und Bob. Hier haben wir also eine Variante des „hilfsbereiten Jungen“, der bei Arthur so beliebt war (und in Die singende Schlange hatten wir das „hilfsbereite Mädchen“). Nun, die beiden sind in diesem Abenteuer vielleicht nicht besonders hilfreich, aber sie erfüllen ihren Zweck. Jeff zum Beispiel wird entführt

Obwohl Mrs. Darnley und ihre Enkel Jenny und Jeff ein wenig zu kurz kommen, gibt es einige großartige Charakterisierungen, darunter ein preiswürdiges Zitat von Morton – „Peter zieht es vor, unnötigen Ärger zu vermeiden“ . Interessanterweise sagt Morton das in einem Abenteuer, in dem Peter gleich zweimal sein Draufgängertum unter Beweis stellt (auch wenn er beide Male scheitert). Gleich zu Beginn versucht er, den Einbrecher zu stellen, und als er Santora in seinem Hotel observiert und bemerkt, dass der mutmaßliche Einbrecher bei Mrs. Darnley ihn niedergeschlagen hat, versucht Peter es erneut.

Eine weitere Figur, die erwähnt werden muss ist der Brotverkäufer Henry Anderson, der sich in einer prekären Situation dazu bereit erklärt, den Detektiven zu halfen. Schön ist auch der Auftritt von Professor Barrister, der schon in Die singende Schlange vorkam, obwohl ich überrascht war, dass die Visitenkarte diesmal nicht benutzt wurde (oder zumindest dem Leser nicht gezeigt wurde). Das Ende, in dem Justus seine Fähigkeiten als Sherlock-Holmes-Detektiv einsetzt, um den entführten Jeff zu finden, ist gut gemacht (auch wenn die anschließende Auflösung mit zu vielen Erklärungen belastet ist).

Die Legende der Bloody Mary

Die Legende der Bloody Mary wurde vor allem im englischsprachigen Raum von Generation zu Generation an experimentierfreudige Jungen und Mädchen weitergegeben. Vielleicht hat aber auch schon jemand als Jugendlicher die Herausforderung angenommen, in einem dunklen Badezimmer dreimal Bloody Mary in den Spiegel zu rufen und dann schreiend zu fliehen, bevor der böse Geist erscheint. Die einen sagen, dass die blutverschmierte Frau nur im Spiegel erscheint, die anderen, dass sie sich ein Leben lang an die Versen heftet oder den neugierigen Rufer sogar tötet.

Lange bevor diese böse Frau die Lebenden heimsuchte, hatte das ursprüngliche Ritual seine Wurzeln im Erwachsenwerden einer jungen Frau. Vor hunderten von Jahren gingen Mädchen in der Pubertät neugierig auf ihre wahre Liebe rückwärts eine Treppe hinauf und blickten dann in einem dunklen Raum in einen Spiegel, während sie eine Kerze in der Hand hielten. Auf diese Weise sollte sich das Gesicht des zukünftigen Ehemanns offenbaren. Manchmal erschien aber auch ein Totenkopf, der den Tod bedeutete, bevor sie heiraten konnten. Eine wissenschaftliche Erklärung für solche Visionen weist auf Halluzinationen hin, die unweigerlich entstehen, wenn man längere Zeit bei schlechtem Licht in einen Spiegel schaut. Oft scheinen sich die Bilder zu verzerren oder zu verschwinden. Kein Wunder also, dass das Ritual der Spiegelbefragung irgendwann eine unheimliche Wendung nahm. An die Stelle der jugendlichen Suche nach der wahren Liebe trat mit der Zeit die düstere Legende von Bloody Mary. Sie wurde zur Mutprobe für Jungen und Mädchen, zum Partyspiel mit schrecklichen Folgen. Die Identität der wirklichen Person, die als Bloody Mary bekannt ist, ist schwer zu bestimmen. Im Laufe der Zeit wurden mehrere Frauen mit der Legende in Verbindung gebracht. Die bekannteste ist Mary Tudor, Königin von England, eine römisch-katholische Herrscherin des 16. Jahrhunderts, die im ganzen Land wegen ihrer Verfolgung der Protestanten gefürchtet war, die sie häufig auf dem Scheiterhaufen verbrannte. Eine Variante des Rituals bestand darin, “I Stole Your Baby Bloody Mary” zu rufen, in Anspielung auf die vergeblichen Versuche der Königin, einen Erben zu gebären.

Bild von shiprock

Eine andere Bloody Mary war die berüchtigte Elizabeth Bathory, auch bekannt als die Blutgräfin. Im Ungarn des 16. Jahrhunderts folterte, verstümmelte und ermordete Elizabeth junge Frauen und trank sogar ihr Blut, um jung zu bleiben. Eine neuere Version der Bloody Mary ist mit einem dunklen Moment der amerikanischen Geschichte verbunden. Die Hysterie der Hexenprozesse von Salem im 17. Jahrhundert schürte Angst und Aberglauben in ganz Neuengland. Die Kinder jener Zeit riefen, Ich glaube an Mary Worth, in Anspielung auf eine angebliche Anhängerin der dunklen Künste, die als Hexe lebendig verbrannt worden war. Es gibt nur wenige oder gar keine Beweise für die Existenz von Mary Worth. Tatsächlich wurde ihre Geschichte erst im 20. Jahrhundert erzählt. Viele werden Euch an dieser Stelle vielleicht erzählen, dass Mary Worth eine schöne Frau war, die bei einem Autounfall ums Leben kam, wobei ihr Gesicht stark entstellt und blutig war. Wenn sie beschworen wurde, erschien sie dem Beschwörer ganz in weiß gekleidet und ihr Gesicht war blutüberströmt. Auch Hollywood griff die Legende auf und verwandelte sie in eine männliche Figur für den Film Candyman von 1992. Indem man seinen Namen in einen Spiegel sprach, wurde der unheimliche Geist beschworen, der dann mit seiner Hakenhand erschien. Das Ritual der Bloody Mary weigert sich eindeutig zu verblassen. Wir warten mit angehaltenem Atem darauf, welche moderne Erscheinung als nächstes auf der anderen Seite des Spiegels erscheinen wird.

Schrecken der Hygiene

Stellen wir uns vor, wir könnten in eine Zeitmaschine steigen und in vergangene Epochen reisen. Diese phantastische Reise würde schnell in einen Albtraum umschlagen, nicht etwa wegen technischer oder physikalischer Hürden, die unsere Rückkehr verhindern könnten, oder weil wir uns in einer gefährlichen, gewaltbereite Zeit landen. Nein, unser Untergang wäre weitaus subtiler, heimtückischer – und dennoch unvermeidlich.

Kaum angekommen, würden uns fremde Bakterien attackieren, die unseren Körper in Windeseile überwältigen. Die Luft, die Nahrung, das Wasser – all das, was uns einst am Leben hielt, würde nun zur tödlichen Bedrohung werden. Selbst der Gestank der Städte, den die Menschen jener Zeit wohl kaum noch wahrnahmen, könnte uns den Atem rauben. Ein unschuldiger Händedruck könnte die letzte Berührung unseres Lebens sein.

Wir wären fremd in einer Welt, die einst die Heimat unserer Vorfahren war, in einer Umgebung, die uns gnadenlos überfordert. Unsere Körper, gewöhnt an die Annehmlichkeiten und Schutzmaßnahmen der Moderne, wären nicht für die rauen Bedingungen der Vergangenheit geschaffen.

Es sind die Jahrhunderte, die uns trennen – Jahrhunderte, in denen sich die Praktiken der Hygiene mit dem Fortschritt in Technik, Medizin und Wissen weiterentwickelt haben. Einst galten merkwürdige Rituale als Gipfel der Reinlichkeit. Wer hätte damals ahnen können, dass die Verwendung von Urin als Desinfektionsmittel, oder die Gemeinschaftsbäder, in denen der Dreck geteilt wurde, eines Tages als absurde Relikte einer längst vergangenen Zeit belächelt werden würden?

Diese Praktiken, so sonderbar sie uns erscheinen mögen, sind Zeugnisse eines Weges, den die Menschheit in Richtung eines besseren Verständnisses von Hygiene und Gesundheitsfürsorge gegangen ist. Sie erinnern uns daran, wie weit wir gekommen sind – und wie viel wir der Weisheit und dem Wissen verdanken, das wir heute besitzen. Es ist eine stille, doch bedeutende Erkenntnis, dass wir heute nur noch unsere eigene Dummheit fürchten müssen.

Ach, die guten alten Zeiten, als das Leben noch so herrlich unkompliziert und nah an der Natur war. Wer braucht schon fließendes Wasser oder Abfallentsorgung, wenn man all die Freuden des mittelalterlichen Lebens haben konnte? Nehmen wir zum Beispiel die Flöhe und Körperläuse – kleine, pelzige Mitbewohner, die stets für eine Überraschung gut waren. Vor allem die ärmere Bevölkerung konnte sich über ihre Gesellschaft freuen. Nicht, dass sie viel Auswahl gehabt hätten – die karge Ernährung sorgte immerhin dafür, dass die entzündeten Bisswunden schön lange blieben, um das elendige Leben noch ein bisschen elender zu machen. Und als wäre das nicht genug, brachten diese kleinen Blutsauger oft noch ihre eigenen Gäste mit: Typhus, Bandwürmer und andere reizende Krankheiten.

Aber das wahre Highlight mittelalterlicher Hygiene waren wohl die Böden. Binsen oder Stroh, die man großzügig auslegte, um den sowieso schon dreckigen Boden zu bedecken. Man wechselte die oberen Schichten, ja, aber wer hatte schon Lust, die untersten zu entfernen? Schließlich bot diese Schicht aus verrottendem Pflanzenmaterial eine ideale Heimat für eine bunte Mischung aus Keimen und Parasiten. Wer braucht schon keimfreie Böden, wenn man sie auch einfach mit einem Hauch von Wildblumen und Kräutern parfümieren kann?

In den Speisesälen der Herrenhäuser und Schlösser bedeckten die Binsen den Boden, und es war ganz normal, dass der Überfluss an Speisen und Getränken großzügig verteilt wurde – natürlich nicht auf den Tisch, sondern auf den Boden. Die Hunde erledigten zwar einen Teil der Aufräumarbeiten, aber sie waren freundlich genug, noch Reste für die Ratten und Bakterien übrig zu lassen, um eine wahre Symphonie des Verfalls mitzugestalten.

Das romantische Bild eines hoch aufragenden Schlosses, das von einem klaren, glitzernden Wassergraben umgeben ist, ist nicht unbedingt das, was wir auf unserer Reise tatsächlich zu sehen bekämen. Vor allem nicht, wenn wir über Toiletten von vor Hunderten von Jahren sprechen. In den Häusern der Tudors wurden sie “Aborte” genannt. Viele waren im Grunde genommen eine Schüssel mit einer Holzplatte darüber und einem in den Deckel geschnitzten Loch. Diese Schale wurde in eine Nische oder einen schrankähnlichen Bereich, den so genannten Garderobenschrank, eingesetzt. Manchmal bedeckte die Holzplatte auch nur ein Loch im Boden, durch das die Abfälle direkt in den Burggraben geleitet wurden. Es gibt quasi keine pittoresken Gemälde von niedlichen Bauern, die in einem Burggraben fischen, der menschliche Horizont endet dort, wo seine Fantasie endet.

Die Bauern, jene tapferen Seelen, hatten nicht einmal das zweifelhafte Vergnügen einer groben Toilette. Sie mussten sich Erleichterung dort verschaffen, wo es sich gerade anbot – sei es hinter einem Busch, einem Baum oder vielleicht in der Nähe eines grummeligen Misthaufens. Anschließend vergruben sie die Hinterlassenschaften mit der gleichen Sorgfalt, mit der man ein kostbares Geheimnis verbirgt.

Obwohl Toilettenpapier heute das weiche Wunderwerk der Moderne in jedem Haushalt ist, ist es eigentlich ein recht junges Produkt. Obwohl es Aufzeichnungen gibt, die darauf hindeuten, dass Papier bereits im 6. Jahrhundert in China verwendet wurde, wurde das saugfähige Papier, mit dem man sich im Badezimmer abwischt, erst 1857 in der westlichen Welt eingeführt, als Joseph Gayetty ein “Medizinisches Papier für das Wasserklosett” auf den Markt brachte. Davor waren die Menschen ziemlich kreativ, was die Art und Weise betraf, wie sie sich reinigten. Lappen und nasse Tücher mögen die naheliegendste Wahl sein, aber andere benutzten auch Muscheln und Tierfelle, Schwämme an einem Stock, Blätter und sogar ihre eigenen Hände. Wer etwas besser betucht war, durfte sich den zarten Komfort der Schafwolle gönnen. Doch den wahren Gipfel der Exklusivität erklomm nur der König. War man ein Monarch, dann stellte man jemanden ein, der einem höchstpersönlich den königlichen Hintern abwischte.

Dieser ehrenvolle Posten trug den prächtigen Titel “Pfleger des Schemels”, und so abstoßend diese Aufgabe auf den ersten Blick erscheinen mag, sie war heiß begehrt. Die Adligen kämpften mit allen Mitteln – manchmal so schmutzig wie der Posten selbst – um diese Position für ihre Söhne zu ergattern. Denn wer einmal den königlichen Allerwertesten gepflegt hatte, stieg nicht selten zum engsten Vertrauten und Berater des Königs auf, vielleicht gar zum Privatsekretär, denn wer den Hintern des Königs kannte, kannte auch seine intimsten Geheimnisse. Und solch ein Wissen machte den bescheidenen Pfleger bald zu einem der mächtigsten Männer am Hofe. Ein wahres Sprungbrett in die höchsten Sphären der Macht – wenn auch über eine eher ungewöhnliche Route!

Wer sich jemals in die Zeit des alten Edinburgh zurückversetzen will, sollte sich auf den Ruf “garde loo” gefasst machen. Wenn man nicht schnell genug war – oder wenn man nicht gemocht wurde – konnte es passieren, dass man mit dem Inhalt von Nachttöpfen überschüttet wurde, die aus den Fenstern der Mietshäuser geworfen wurden. Nachttöpfe dienten natürlich dazu, den Urin über Nacht aufzufangen. Der Begriff “garde loo” stammt aus dem Französischen “garde l’eau”, was so viel bedeutet wie “Vorsicht vor dem Wasser”. Der daraus resultierende Gestank der Nachttopfinhalte war in der weiten Welt auch als “die Blumen von Edinburgh” bekannt.

In der Zeit, als es noch keine Deodorants und kein häufiges Baden gab, können wir uns nur vorstellen, wie sehr es in dicht besiedelten Gegenden stinken konnte, vor allem in der Hitze des Sommers. Um zu versuchen, den eigenen Geruch in Schach zu halten, trugen die Menschen oft ein “Nasenstöckchen” mit sich herum, ein kleines Bündel Blumen oder Kräuter. In der Hand gehalten, an die Kleidung geheftet oder einfach um das Handgelenk gebunden, halfen Nasenstöcke, den Körpergeruch zu überdecken oder zumindest den Gestank in der Umgebung des Trägers zu überdecken. Es wird sogar behauptet, dass die Bräute Blumensträuße in der Hand hielten, um ihren eigenen Geruch zu überdecken, wenn die Hochzeit zu lange nach dem Bad stattfand, was dann zu einer Tradition führte, die auch heute noch bekannt ist, auch wenn die Bräute heute viel besser riechen.

Früher hatten die Häuser nicht die schützenden Dächer, die wir heute haben. Es war nicht ungewöhnlich, dass Ungeziefer, Schädlinge und Kot vom Dach auf das saubere Bettzeug fielen. Daher wurden vier Stangen und ein Baldachin erfunden, um das Bett sauber zu halten, und daher stammen auch die Namen Himmelbett und Himmelbett.

Als Marie, Königin der Schotten, aus Frankreich in ihre Heimat zurückkehrte, war sie erstaunt und nicht wenig verärgert darüber, dass die Männer bei ihren Banketten weiterhin ihre Hüte trugen, während sie sich zum Essen hinsetzten. Die junge Königin wurde darauf hingewiesen, dass dies kein Zeichen von Respektlosigkeit ihr gegenüber sei, sondern eine Notwendigkeit. Die Männer behielten ihre Hüte auf, um nicht nur zu verhindern, dass ihre langen Haare das Essen berührten, sondern auch, dass Kopfläuse auf ihre Teller fielen.

Wenn es um ihr Aussehen geht, sind manche Frauen bereit, alles zu tun, um ihre Schönheit zu bewahren. Das gilt auch für frühere Zeiten – vor allem, wenn Frauen Urin sammelten, um ihr Gesicht zu waschen. Die Chirurgen der elisabethanischen Zeit rieten den Frauen, ihr Gesicht mit “starkem Essig, Milch und dem Urin eines Jungen” zu waschen. Viele vertrauten auf die antiseptischen Eigenschaften des Urins und hofften, dass er das Gesicht frei von Flecken und Makeln halten würde. Außerdem glaubten sie, dass Urin straffende Eigenschaften hatte, die zu einem jugendlichen Aussehen beitrugen.

Die Menschen der Vergangenheit verwendeten Urin auch für andere Dinge. Während wohlhabende Familien den Luxus hatten, ihre Kleidung täglich zu wechseln, waren die meisten Menschen arm und mussten eine ganze Saison lang dasselbe Kleidungsstück tragen. Das bedeutete, dass die Kleidung nicht regelmäßig gewaschen wurde. Nachdem man mehr als einen Monat in denselben ungewaschenen Kleidern verbracht hatte, brauchte man etwas Starkes, um sie sauber zu bekommen. Auch hier glaubte man an die antiseptischen Eigenschaften des Urins und verwendete ihn als Waschmittel für die Wäsche. Er wurde auch als Mundwasser verwendet, aber das ist ein ganz anderes Thema.

Wem bei Urin als Mundwasser mulmig wird, wird vielleicht nicht wissen wollen, was die Menschen in der Vergangenheit als Zahnpasta verwendet haben. Es wird angenommen, dass die erste Zahnpasta von den alten Ägyptern 3.000-5000 v. Chr. hergestellt wurde. Sie wurde aus pulverisierter Asche von Ochsenhufen, Eierschalen und anderen Zutaten hergestellt und mit Wasser vermischt. Die antiken griechischen und römischen Versionen von Zahnpasta waren nicht viel besser, wobei erstere zermahlene Austernschalen und letztere vermutlich püriertes Mäusehirn verwendeten. Im Mittelalter wurde die Zahnpasta aus Kräutern und Gewürzen hergestellt, was sie wahrscheinlich etwas schmackhafter machte, aber die minzfrische Zahnpasta, wie wir sie kennen, kam erst Mitte der 1870er Jahre auf den Markt.

Heute ist Lysol für seine Reinigungsprodukte bekannt, die 99,9 % der Keime und Bakterien beseitigen. Es gab jedoch eine Zeit im frühen 20. Jahrhundert, als es als “Frauenhygieneprodukt” vermarktet wurde. Lysol wurde zu einem hochwirksamen Mittel gegen die Spanische Grippe im Jahr 1918, versuchte aber danach, seinen Namen zu ändern. In der Werbung war eine Frau zu sehen, die behauptete: “Ich benutze Lysol immer zum Duschen”, und es wurde auch als Verhütungsmittel eingesetzt. Wie nicht anders zu erwarten, kam es bei den Frauen zu Entzündungen und Brennen, und einige starben sogar, weil sie das Mittel in einem so empfindlichen Bereich verwendeten. Lysol wurde schließlich von der medizinischen Gemeinschaft als Frauenhygieneprodukt gemieden, ist aber immer noch ein starkes Desinfektionsmittel für andere Zwecke.

Frauen sind nicht die einzigen, die sich im Laufe der Zeit Sorgen um ihr Aussehen machen. Auch Männer, die unter Kahlheit leiden, haben mit seltsamen Methoden versucht, ihr Haar wieder wachsen zu lassen. Eine Empfehlung lautete: “Nimm die Asche von Culver-Dung, verühre sie mit Lauge und wasche den Kopf damit.” Culver-dung wird mit Hühnerkot übersetzt, was bedeutet, dass sich die Männer eine Mischung aus tierischen Exkrementen auf den Kopf schmierten. Leider hat das wahrscheinlich nicht funktioniert, denn Lauge ist eine starke, giftige Alkalilösung, die jede mögliche Wirkung von Hühnerkot auf das Haarwachstum wieder zunichte macht.

Wenn Männer unerwünschte Haare an einer beliebigen Stelle des Körpers entfernen wollten, sollten sie außerdem eine Paste aus Eiern, starkem Essig und Katzenkot herstellen. Diese Paste sollte auf die Stellen aufgetragen werden, an denen die Haare entfernt werden sollten. Warum sie sich nicht einfach rasierten, ist nicht belegt.

Die Titanic und das Paranormale

Was könnte in der mittlerweile überbordenden Geschichte der Titanic noch auf seine Entdeckung warten? Nun, das Paranormale. Und davon gibt es, wie sich herausstellt, eine ganze Menge.

Da sind zunächst die prophetischen Umstände des Untergangs selbst. Im Jahr 1898 veröffentlichte der Autor Morgan Robertson eine Novelle mit dem Titel “Futility” (Vergeblichkeit), die verblüffende Ähnlichkeiten mit der Titanic-Katastrophe von 1912 aufweist. Von der Kollision mit einem Eisberg auf der Jungfernfahrt von Southampton bis zur angeblichen Unsinkbarkeit des Schiffes aufgrund wasserdichter Abteilungen und eines Mangels an Rettungsbooten – alles glich sich auf unheimliche Weise. Der wohl unheimlichste Aspekt war der Name des fiktiven Schiffes: Titan.

Ein weiterer paranormaler Leckerbissen der Titanic-Geschichte sind die Artefakte. Da diese sich weitgehend im Besitz einer einzigen Firma befinden und bald versteigert werden sollen, gibt es zahlreiche Berichte über Spukerscheinungen in den Ausstellungsstücken. Besucher berichten von unerklärlichen Erscheinungen, ein bekanntes Fernsehteam nahm merkwürdige Phänomene auf, und Angestellte erzählten von paranormalen Aktivitäten. Eine Mitarbeiterin fühlte plötzlich Hände in ihrem Haar, andere sahen schattenhafte Gestalten durch die Gänge huschen oder begegneten einer geisterhaften alten Frau in einer nachgebauten Kabine.

Eine besonders hartnäckige, aber falsche Legende besagt, dass sich eine verfluchte Mumie an Bord der Titanic befunden habe. Dieser Mythos, oft im Zusammenhang mit dem angeblichen Fluch des Tutanchamun genannt, suggeriert, dass ein ägyptischer Fluch das Schiff ins Verderben gestürzt habe. Tatsächlich war jedoch keine Mumie an Bord, und die Geschichte geht lediglich auf einen Sargdeckel im Britischen Museum zurück, der sich nachweislich nie auf dem Schiff befunden hat.

Eine der bekanntesten Geisterlegenden im Zusammenhang mit der Titanic ist die “Lady in Black”. Zahlreiche Zeugen haben berichtet, dass eine mysteriöse Frau in schwarzer Trauerkleidung bei verschiedenen Ereignissen im Zusammenhang mit der Titanic gesichtet wurde, unter anderem auf Passagier- und Frachtschiffen, die den Atlantik befuhren, und an Orten, an denen das Schiff gesunken war. Oft sieht man sie weinen oder mit einem Ausdruck tiefer Trauer in die Ferne blicken. Manche spekulieren, dass sie der Geist einer trauernden Witwe sein könnte, die ihren Mann bei der Tragödie verloren hat. Die Lady in Black ist zu einer ikonischen Figur in der Geistergeschichte der Titanic geworden, deren Gegenwart ein Gefühl tiefer Trauer und Sehnsucht hervorruft.

Das vielleicht interessanteste paranormale Phänomen im Zusammenhang mit der Titanic ist das angebliche Spukhaus von Kapitän Edward Smith. Sein Geburtshaus in Stoke-on-Trent, Staffordshire, England, ein viktorianisches Gebäude, soll von seinem Geist heimgesucht werden. Bewohner berichteten von Sichtungen einer geisterhaften Gestalt im Schlafzimmer und plötzlichen Temperaturabfällen in verschiedenen Teilen des Hauses. Besonders beunruhigend ist die wiederkehrende mysteriöse Überschwemmung in der Küche, die ohne ersichtlichen Grund auftritt. Das Haus steht derzeit zu einem auffallend niedrigen Preis zum Verkauf – eine Gelegenheit für mutige Titanic-Enthusiasten, weitere Nachforschungen anzustellen.

Es ist kaum verwunderlich, dass ein so traumatisches und emotionales Ereignis wie der Untergang der Titanic Geistergeschichten hervorgebracht hat. Rund 1500 Menschen starben in jener Nacht unter schrecklichen Umständen. Paranormalisten und Hellseher behaupten, dass diese starken Emotionen sich auf die Artefakte und vielleicht sogar auf das Schiff selbst übertragen haben. Interessanterweise gibt es jedoch keine glaubwürdigen Berichte über Geistererscheinungen direkt am Wrack der Titanic. Dies könnte daran liegen, dass die meisten Opfer an der eiskalten Meeresoberfläche starben und nicht am Meeresgrund in der Nähe des Schiffes. Die schlechten Sichtverhältnisse in der Tiefsee, eingeschränkte Forschung durch Tauchboote und die logistischen Herausforderungen einer Expedition tragen ebenfalls zur Schwierigkeit bei, etwas dort zu entdecken oder wahrzunehmen.

Über individuelle Begegnungen und spirituelle Untersuchungen hinaus haben die Erzählungen über die Geister der Titanic auch in der Populärkultur Anklang gefunden. Bücher, Dokumentationen und Filme haben sich mit den übernatürlichen Aspekten der Geschichte der Titanic beschäftigt und die Faszination und den Mythos der Titanic-Geister aufrechterhalten. Von fiktionalisierten Berichten über geisterhafte Romanzen an Bord des Schiffes bis hin zu spekulativen Theorien über Zeitreisen und parallele Dimensionen regen die Geisterlegenden der Titanic weiterhin die Phantasie von Geschichtenerzählern und Publikum an.

Der Pfad / Megan Miranda

Megan Miranda Der Pfad

Vor zehn Jahren hat Abigail Lovett einen Job angenommen, den sie liebt: Sie leitet das Passage Inn, ein gemütliches, gehobenes Resort in dem kleinen Bergstädtchen Cutter’s Pass in North Carolina. Cutter’s Pass ist vor allem für seine Outdoor-Aktivitäten bekannt – Rafting, Wandern und der Zugang zum Appalachian Trail über einen beeindruckenden Wasserfall. Doch der Ort hat eine dunkle Vergangenheit. In den letzten 25 Jahren sind hier sieben Menschen spurlos verschwunden. Die ersten waren vier junge Männer, die jedes Jahr gemeinsam wanderten, bis sie eines Tages auf dem Trail verschwanden. Jahre später trennte sich eine junge Frau von ihrer Freundesgruppe, kehrte in die Stadt zurück und wurde nie wieder gesehen. Dann folgte ein Naturfotograf, der zuletzt nach dem Weg gefragt hatte. Der letzte Vermisste war der Journalist Landon West, der im Passage Inn übernachtete, um die mysteriösen Fälle zu recherchieren – und dann selbst verschwand.

Abby, die sich in Cutter’s Pass nie richtig zugehörig fühlte, wurde vor Jahren von der trauernden Besitzerin des Passage Inn eingestellt, die der Stadt erzählte, Abby sei ihre Nichte. Denn Fremde werden hier nicht mit offenen Armen empfangen. Als nun Landons Bruder Trey auftaucht, um nach Antworten zu suchen, spürt Abby, wie sich die Reihen der Stadtbewohner schließen. Auch nach einem Jahrzehnt gilt sie noch immer als Außenseiterin. Doch als sie auf belastende Beweise stößt, die der Journalist hinterlassen hat, beginnt sie, die Motive aller um sie herum zu hinterfragen – vom Sheriff über ihren Ex-Freund bis hin zu ihrer vermeintlichen Tante. Bald wird ihr bewusst, wie wenig sie über ihre Kollegen, Nachbarn und selbst die Menschen weiß, die ihr am nächsten stehen.

Das Bemerkenswerteste an Der Pfad ist seine Atmosphäre. Cutter’s Pass ist eine düstere Kleinstadt am Appalachian Trail, und die Erzählweise gibt dem Leser das Gefühl, selbst dort zu sein, in einer der Hütten zu wohnen und sich auf eine Wanderung in die Berge vorzubereiten. Der Appalachian Trail selbst, oft als einer der geheimnisvollsten Wanderwege der Welt bezeichnet, erstreckt sich über mehr als 3.500 Kilometer von Georgia bis Maine und führt durch dichte Wälder, zerklüftete Gebirgszüge und einsame Täler. Er ist nicht nur für seine atemberaubende Landschaft bekannt, sondern auch für seine anspruchsvollen Bedingungen, die Wanderer physisch und psychisch auf eine harte Probe stellen. Zahlreiche Mythen und unheimliche Geschichten ranken sich um diesen Weg – von spurlos verschwundenen Wanderern über rätselhafte Sichtungen bis hin zu unerforschten Nebenwegen, die ins Unbekannte führen. Diese geheimnisvolle Aura verleiht der Szenerie eine zusätzliche, beklemmende Dimension.

Der Roman lebt mehr von Spannung als von Überraschungen, aber eine späte Wendung sorgt für eine schockierende und erschütternde Erkenntnis. Trotz der stimmungsvollen Inszenierung gelingt es Megan Miranda nicht ganz, Abby eine tiefere Charakterzeichnung zu geben. Ihr Hintergrund bleibt eher vage: Ihre Mutter starb an Krebs, als sie 18 Jahre alt war, und ihren Vater hat sie nie kennengelernt, da er bereits in ihrer frühen Kindheit verstarb. Obwohl dies ein gewisser Hintergrund ist, fehlt es an emotionaler Tiefe und persönlichen Facetten, die sie greifbarer machen würden.

Dennoch ist Der Pfad ein empfehlenswerter Thriller, dessen Stärke eindeutig in der beklemmenden Atmosphäre und dem geheimnisvollen Schauplatz liegt. Wer eine langsam aufgebaute, atmosphärische Geschichte mit subtiler Spannung sucht, wird hier fündig.

Aus dem Englischen von Melike Karamustafa

Das Geheimnis der Appalachen

Die Appalachen

Die Appalachen, eine beeindruckende Gebirgskette, erstrecken sich über den Osten der Vereinigten Staaten. Die natürliche Schönheit der Wälder und Berge ist unbestreitbar, doch die düstere, mystische Atmosphäre macht sie zu einem besonderen Ort. In dieser Region gibt es eine Vielzahl von dunklen Geschichten. Sie warnen den Wanderer nicht nur vor natürlichen Gefahren, sondern auch vor den unerforschten, mystischen Elementen des Landes. Das Sprichwort “Schau nicht in die Bäume” ist ein markantes Beispiel für diese düstere Weisheit. Es verweist auf die tief verwurzelte Angst und den Respekt, die die Menschen gegenüber der Wildnis der Appalachen empfinden.

Appalachen

Die Bäume und Wälder der Region sind dicht und unübersichtlich. Sie bergen viele Geheimnisse. Für die ersten Siedler, die in dieser rauen Umgebung lebten, war der Wald sowohl Quelle des Lebens als auch potentiell tödlicher Ort. Die Appalachen-Warnungen spiegeln eine tief verwurzelte psychologische Vorsicht wider, abgesehen von den natürlichen Gefahren wie giftigen Schlangen, wilden Tieren und extremen Wetterbedingungen.

Die Ermahnung “Schau nicht in die Bäume” mag auf den ersten Blick wie primitiver Aberglaube erscheinen. Aber wenn wir tiefer in das Herz der Appalachen-Folklore blicken, erkennen wir ein Muster von warnenden Geschichten, die Menschen vor Gefahren schützen sollen. Die Wälder in diesen Bergen sind dicht und schattenreich, mit hoch aufragenden Bäumen und dichtem Gestrüpp, das Gefahren – ob natürliche oder übernatürliche – leicht verdecken kann.

Es gibt ein weiteres Sprichwort: “Wenn du hörst, wie dein Name im Wald gerufen wird, reagiere nicht darauf”. Auch hier wird an den menschlichen Instinkt appelliert, sich vor potenziellen Bedrohungen zu schützen. Die Legende besagt, dass, wenn man seinen Namen hört, es nicht wirklich jemand ist, der einen ruft, sondern dass es sich um einen Trick oder eine Illusion handelt. Solche Phänomene werden oft Geistern, bösartigen Kreaturen oder unbekannten Kräften zugeschrieben, die die Wälder durchstreifen.

Appalachen

In einer Region, die reich an spirituellem Wissen und einer Geschichte der Volksmagie ist, fällt es nicht schwer, sich vorzustellen, dass die Warnung aus Geschichten über Dinge herrührte, die in den Bäumen verborgen waren – ob es sich nun um Geister oder außerweltliche Kreaturen handelte, die gerade außer Sichtweite lauerten. Es ist eine Erinnerung daran, dass die Wälder kein Ort sind, den man leichtsinnig und unvorsichtig erforschen sollte.

Ähnlich wie das vorherige Sprichwort bezieht sich die Warnung vor nächtlichem Pfeifen auf die unheimliche Qualität der Geräusche in den Appalachen. Pfeifen, insbesondere nachts, wird seit langem mit übernatürlichen Aktivitäten in Verbindung gebracht. In vielen Kulturen wird das Pfeifen als Mittel angesehen, um Geister zu beschwören oder, schlimmer noch, um böse Wesen überhaupt erst anzulocken. In den Appalachen galt das nächtliche Pfeifen als Vorzeichen für Gefahr oder Unheil, oft in Verbindung mit den geheimnisvollen Kreaturen in den Wäldern.

Die Redewandung, dass man den Pfiff “nicht” gehört hat, bedeutet, dass man ihn nicht anerkennt oder darauf reagiert, was man tunlichst vermeiden sollte. Er dient als Erinnerung daran, dass nicht alles so ist, wie es scheint. Genau wie der Ruf des eigenen Namens könnte das Pfeifen eine Illusion sein, die den Wanderer in die Irre führen oder verwirren soll. Es könnte natürlich auch nur der Wind sein, aber eben auch das Geräusch eines Wesens, das sich durch die Bäume bewegt, oder auch nur die eigene Fantasie. Aber im Zusammenhang mit der Folklore dient es als eine weitere Warnung, vorsichtig zu sein und sich nicht von Neugier oder Angst zu weiteren Nachforschungen treiben zu lassen.

Diese Geschichten spiegeln alle auch etwas Tieferes wider – unser Bedürfnis, dem Unbekannten einen Sinn zu geben. Wenn Menschen in Abgeschiedenheit leben, umgeben von der unheimlichen Stille des Waldes, ist es nur natürlich, dass die Fantasie auf Reisen geht. Das Rascheln der Bäume, der Wind, das Knacken eines Zweigs – diese Geräusche könnten als das Werk von Geistern oder übernatürlichen Wesen interpretiert werden – und manchmal trifft das auch zu.

Der Appalachian Trail

In den tiefen, nebelverhangenen Wäldern entlang des Appalachian Trails ranken sich seit Jahrhunderten unheimliche Geschichten. Besonders in den abgelegenen Abschnitten des Trails, wo dichte Baumkronen das Tageslicht dämpfen und die Stille nur vom Knacken unbekannter Schritte durchbrochen wird, häufen sich Berichte über unerklärliche Phänomene. Die dichten Wälder, endlosen Berghänge und abgeschiedenen Täler schaffen eine Atmosphäre, die geradezu dazu einlädt, die Grenzen zwischen Realität und Mythos verschwimmen zu lassen.

Appalachian Trail

Viele Mythen handeln von geheimnisvollen Wesen, die zwischen den Schatten lauern. Berüchtigt sind die “Flüsternden Schatten”, gesichtslose Gestalten, die sich im Nebel verbergen und Wanderer mit leisen, kaum verständlichen Stimmen tiefer in den Wald locken. Jene, die diesen Stimmen folgten, wurden nie wieder gesehen. Andere berichten von den Irrlichtern, einem mysteriösen Schein, der plötzlich zwischen den Bäumen auftaucht und ebenso rasch wieder verschwindet. Während Wissenschaftler diese Erscheinungen mit Reflexionen oder biolumineszenten Pilzen erklären, wissen die Einheimischen, dass es die Seelen verlorener Wanderer sind, die vergeblich einen Weg nach Hause suchen.

Ein bekanntes Wesen der Region ist der „Wood Booger“, eine Kreatur, die dem legendären Bigfoot ähnelt. Wanderer berichten von riesigen Fußabdrücken im Schlamm, von unerklärlichem Rascheln im Dickicht oder dem Gefühl, aus der Dunkelheit heraus beobachtet zu werden. Manche erzählen sogar von einem tiefen, durchdringenden Heulen, das in einsamen Nächten durch die Baumwipfel hallt. Ähnlich schaurig sind die Erzählungen über die „Schwarzen Hunde“, riesige, geisterhafte Kreaturen mit glühenden Augen, die plötzlich auf einsamen Pfaden auftauchen. Manche sehen sie als Warnung vor drohendem Unheil, andere als Vorboten des Todes. Ihr Auftreten wird oft von plötzlichen Wetterumschwüngen begleitet, als würde der Wald selbst auf ihre Ankunft reagieren.

Doch nicht nur Kreaturen sorgen für Gänsehaut. Auch die Geschichte des Trails birgt ihre eigenen Mysterien. Seit der Kolonialzeit gibt es Berichte über die „Verlorenen Seelen des Trails“ – geisterhafte Erscheinungen, die in altmodischer Kleidung durch den Nebel wandeln, nur um sich im nächsten Moment in Luft aufzulösen. Historiker vermuten, dass es sich um die Geister früherer Siedler oder um Überbleibsel alter Cherokee-Legenden handelt, doch keiner kann mit Gewissheit sagen, was es mit diesen Gestalten auf sich hat.

Neben diesen bekannten Legenden gibt es Berichte über ein noch unheimlicheres Phänomen: den sogenannten „Wächter des Waldes“. Während die meisten übernatürlichen Wesen des Trails eine physische Gestalt haben oder zumindest als Lichter oder Schatten erscheinen, ist der Wächter anders. Manche Wanderer berichten davon, dass sie sich beobachtet oder verfolgt fühlten, ohne jemals eine Spur eines Lebewesens zu entdecken. Sie sprachen von einer bedrückenden Präsenz, die sich wie ein unsichtbarer Schleier um sie legte. Wer sich umdrehte, sah nichts als die dunklen Bäume, doch das Gefühl der Bedrohung blieb bestehen.

Besonders beklemmend sind die Geschichten über die „Leeren Hütten“, verlassene Unterkünfte entlang des Trails, die ursprünglich als Schutzräume für Wanderer dienten. Viele dieser Hütten sind über Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte hinweg dem Verfall überlassen worden, und manche gelten als verflucht. Wanderer, die dort übernachteten, berichteten von seltsamen Geräuschen in der Nacht – Kratzen an den Wänden, das Knarren unsichtbarer Schritte oder gar wispernde Stimmen, die aus der Dunkelheit drangen. Manche verließen diese Unterkünfte noch vor Morgengrauen, getrieben von einer plötzlichen, unerklärlichen Angst.

Der Appalachian Trail ist mehr als nur ein Wanderweg – er ist ein Ort, an dem die Natur und das Unbekannte miteinander verschmelzen. Ob Einbildung oder Realität, Legende oder Wahrheit – wer sich auf den Pfad begibt, sollte nicht nur auf die körperlichen Herausforderungen vorbereitet sein, sondern auch auf die Schatten, die zwischen den Bäumen lauern. Vielleicht sind es nur Geschichten, erzählt an flackernden Lagerfeuern, um die dunklen Nächte zu vertreiben. Oder vielleicht sind es Warnungen – Überlieferungen von jenen, die einst verschwanden und nie zurückkehrten.

Spurloses Verschwinden und mysteriöse Morde

Der Appalachian Trail, der sich über 2.190 Meilen durch diese wilde Landschaft windet, ist nicht nur für seine atemberaubende Schönheit bekannt, sondern auch für die Herausforderungen und Gefahren. Der Trail, der von den Abenteurern seit seiner Eröffnung im Jahr 1937 genutzt wird, hat nicht nur zahllose Geschichten von triumphalen Wanderungen hervorgebracht, sondern auch düstere Erzählungen von rätselhaften Vorfällen. Jedes Jahr verschwinden durchschnittlich sechs Wanderer, und seit 1974 wurden insgesamt 11 Morde registriert. Diese tragischen Ereignisse haben dem Trail eine unheimliche Aura verliehen, die ihn für viele zu einem geheimnisvollen, von Legenden durchzogenen Ort macht.

Ein besonders trauriger Fall in der Geschichte des Appalachian Trails ist das Verschwinden von Geraldine Largay im Jahr 2013. Die 66-jährige Wanderin verschwand während einer Wanderung in einem abgelegenen Teil von Maine. Trotz jahrelanger intensiver Suchaktionen wurde sie erst 2015 gefunden – zwei Jahre nach ihrem Verschwinden. Ihre Geschichte ist ein düsteres Beispiel für die Gefahren, denen Wanderer auf dem Trail ausgesetzt sind, und sie hat dazu beigetragen, das Sicherheitsbewusstsein unter den Wanderern zu schärfen. Largays tragisches Ende, das auf eine Orientierungslosigkeit zurückzuführen war, verdeutlicht die Herausforderungen, die der Trail bietet, insbesondere für jene, die unzureichend vorbereitet sind.

Ein anderer mysteriöser Vorfall, der den Appalachian Trail in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit rückte, war das Verschwinden von Thelma Marks im Jahr 1981. Ihre Überreste wurden erst Jahre später in einer Schlucht gefunden. Die genauen Umstände ihres Todes bleiben bis heute ungeklärt, was zu Spekulationen über die Risiken des Trails beiträgt. Der Fall von Marks, zusammen mit anderen ungelösten Verschwinden und Morden, wirft einen Schatten auf die sonst so friedliche Wandererfahrung und befeuert die Debatten über die Sicherheit auf dem Trail.

Ein besonders grausames Verbrechen war der Mord an Lollie Winans und Julianne Williams im Jahr 1996. Die beiden Frauen, die eine Wanderung auf dem Trail unternahmen, wurden brutal ermordet. Jahre später wurde der Serienmörder Richard Evonitz als Verdächtiger identifiziert, aber auch dieser Fall wirft Fragen über die Sicherheit und den Schutz der Wanderer auf, vor allem in abgelegenen Gebieten, in denen Verbrechen unentdeckt bleiben können.

Die Geschichten und Vorfälle rund um den Appalachian Trail, ob übernatürlicher oder menschlicher Natur, zeigen uns, dass die Natur nicht nur eine Quelle der Schönheit und des Staunens ist, sondern auch ein Ort, an dem Gefahr und Unsicherheit lauern können. Sie erinnern uns an die Notwendigkeit, vorsichtig und respektvoll mit der Wildnis umzugehen, die gleichzeitig friedlich und gefährlich sein kann. Diese Mischung aus Abenteuer und Gefahr ist es, die den Appalachian Trail zu einem solch schönen, aber auch geheimnisvollen Ort macht – ein Ort, an dem Legenden geboren werden und Abenteuer immer wieder auf das Unbekannte treffen.

Die drei ??? und der Phantomsee / William Arden

Piraten! Versunkene Schiffe! Ein geheimnisvoller Schatz! Ein Wettlauf um die Entschlüsselung einer Botschaft aus dem Jenseits! Der Phantomsee (1973) von William Arden, der neunzehnte Titel in der Reihe der drei Detektive, enthält all das.

Es ist sowohl eine Stärke als auch eine Schwäche der Reihe um die drei Fragezeichen, dass der Ausgangspunkt von Buch zu Buch genau derselbe sein kann: Titus Jonas kann von jemandem eine Ladung Schrott für seinen Schrottplatz kaufen, und ein Gegenstand auf diesem Schrottplatz kann für jemanden aus ungewöhnlichen Gründen wertvoll sein … das Ergebnis sind dann die jeweiligen Abenteuer. Privatdetektivromane beginnen damit, dass ein Klient durch die Bürotür tritt, Perry Mason beginnt fast jeden Fall mit der Beobachtung eines seltsamen Verhaltens – diese Tropen existieren, weil sie den Konventionen, die wir in diesem Genre erwarten, eine Form geben.

(c) Ramon Gonzales Vicente

Aber im Fall des Phantomsees ist das eine Schwäche, denn die erste Hälfte unterscheidet sich, ehrlich gesagt, kaum von den vielen Vorgängern dieser Serie. Der Trödel wird gekauft, jemand interessiert sich für eine Truhe, die darin enthalten ist, die Jungs werden von jemandem in einem Auto verfolgt, dann stellt sich heraus, dass jemand versucht, einzubrechen oder etwas zu stehlen… all das hat man schon einmal gesehen, und man weiß zu schätzen, warum so viele der früheren Titel mit fremden Schauplätzen oder ungewöhnlichen Rätseln aufwarten, auch wenn sie sich ansonsten als ziemlich unbefriedigend erwiesen haben.

Diese Illustration von Jack Hearne zeigt einen Dolch, der aus einer Truhe in Richtung Just geschleudert wird, während Pete, Bob, Tante Mathilda und Java Jim überrascht zusehen

Das erinnerte mich an die späteren James-Bond-Filme mit Daniel Craig: die Abfolge der üblichen Charaktere – ein Junge, der dem zentralen Trio hilft, ein Erwachsener, dem man nicht trauen kann, ein anderer Erwachsener, der ein bisschen zu hilfsbereit ist und sich am Ende als überraschender Bösewicht entpuppt – einfach, weil man sie erwartet und nicht, weil sie der Geschichte etwas hinzufügen.

Auch die Handlung – es geht um ein Tagebuch, das ein (ziemlich grausam) ermordeter Mann hinterlassen hat und das vielleicht (vielleicht aber auch nicht) die nötigen Hinweise auf einen alten und sehr wertvollen Schatz liefert – ist ziemlich platt.

Aber die zweite Hälfte ist besser: Einige gute Überlegungen helfen, die Komplexität des Rätsels zu etablieren – warum hat Angus Gunn seinen Schatz nicht einfach vergraben, wo er doch gewusst hat, dass Männer kommen würden, um ihn dafür zu töten. Das ist eine solide Frage, die sauber umgesetzt wird – und die Schwierigkeiten, die mit der Untersuchung eines im Grunde ungelösten Falls verbunden sind, werden realistisch aufgegriffen und bewältigt. Eines meiner Lieblingsbeispiele ist, wie die Jungs für eine Story in die Büros der Santa Barbara Sun-Press gehen, nur um dort zu erfahren, dass das Archiv der Zeitung bei einem Erdbeben und einem Feuer zerstört wurde und ihre nächste Hoffnung ein ehemaliger Reporter ist, der zu Hause ein eigenes privates Archiv pflegt. Dieser zusätzliche Schritt ist nicht notwendig, aber er macht die Welt lebendig und erhöht die Schwierigkeit auf eine Weise, die funktioniert.

Erfreulicherweise hat man auch das Gefühl, dass jeder Schritt neue Erkenntnisse bringt, die schließlich des Rätsels Lösung verdeutlichen.

„Alles was er unternahm, wird die Erklärung des Ganzen ergeben, wenn wir es zusammensetzen. Genau wie bei einem Puzzlespiel. Aber dazu brauchen wir alle Teile gleichzeitig!“

Und ja, der Fairness halber muss man sagen, dass jeder Schritt auf dem Weg zur Antwort notwendig ist, auch wenn einige der Sprünge, die gemacht werden, manchmal ein wenig… intuitiv sind. Außerdem, wie viele der Leser dieses Buches hätten gewusst, wovon Arden spricht, wenn er von „Poes entwendeten Brief“ angefangen hätte?

Diese Illustration von Jack Hearne zeigt Just und Cluny, die in einem Kahn gefangen sind, als Stebbins auftaucht und ihnen einige Fragen stellt.

Und man muss Arden zugute halten, dass er gut schreibt, wenn er die Gelegenheit dazu hat: Der Besuch auf der nebelverhangenen Insel, die von Bäumen bevölkert ist, die der Wind zu alptraumhaften Geistergestalten verbogen hat, ist erschreckend effektiv und zeigt, wie viel Spielraum diese Serie hat, um etwas Interessant zu machen und gleichzeitig den Tropen und den Erwartungen, die man an diese Bücher stellt, treu zu bleiben. Schließlich sind sie ja deshalb erfolgreich geworden.

Alles in allem wird Der Phantomsee wohl niemandes Lieblingsbuch der drei Detektive sein, und es bricht mit der starken Entwicklung, die die Serie in den drei vorangegangenen Titeln genommen hatte, und führt uns zurück auf das laue Mittelfeld von Die schwarze Katze. Vielleicht ist das hier nicht ganz zufällig ein weiterer Arden-Titel, der auf Nummer sicher ging. Der Ruf von Justus Jonas, Pete Shaw und Bob Andrews wird durch dieses Buch keinen Schaden nehmen, aber wer die Jungs in ihrer stärksten Form erleben will, sollte sich definitiv woanders umsehen.

Das Rätsel der Overtoun Bridge: Mysteriöse Hundesprünge, Geister und Tragödien

Die Overtoun Bridge, ein eindrucksvolles gotisches Steinbauwerk nahe Dumbarton in Schottland, zieht seit über sechs Jahrzehnten nicht nur Spaziergänger und Touristen an, sondern birgt ein düsteres Geheimnis. Diese Brücke, die sich über eine schmale Schlucht erstreckt und zum Overtoun House führt, ist Schauplatz eines seltsamen und traurigen Phänomens: Zwischen 300 und 600 Hunde sollen hier in die Tiefe gesprungen sein – viele davon in den Tod. Dieses Ereignis hat weltweit Aufmerksamkeit erregt, inspiriert zu wissenschaftlichen Untersuchungen, urbanen Legenden und kulturellen Diskussionen über das Unheimliche.

Overtoun Bridge © Copyright Lairich Rig

Ein tragischer Trend: Die Chronologie der Vorfälle

Seit den 1950er Jahren berichten Einheimische und Touristen von Hunden, die plötzlich und unerwartet von der Overtoun Bridge springen. Die Zahl der Vorfälle ist erschreckend: Etwa 50 Tiere haben den Sprung nicht überlebt (bis heute dürfte diese Zahl weiter angewachsen sein), während Hunderte weitere schwer verletzt wurden. Besonders verstörend ist, dass manche Hunde, nachdem sie den Sturz überlebt hatten, erneut versucht haben von der Brücke zu springen. Das Phänomen geschieht fast immer an derselben Stelle der Brücke und betrifft hauptsächlich langnasige Hunde wie Collies, Labradors und Spaniels – und besonders an sonnigen Tagen.

Die wiederkehrenden Berichte haben der Brücke den bezeichnenden Spitznamen „Dog Suicide Bridge“ eingebracht. Die renommierte New York Times widmete dem Phänomen sogar eine eingehende Untersuchung und sprach mit Experten, Einheimischen und Augenzeugen, um mögliche Erklärungen zu finden.

Einheimische Geschichten und die „Weiße Dame von Overtoun“

Während Wissenschaftler nach rationalen Gründen für die Sprünge suchen, glauben viele Menschen in Dumbarton an eine übernatürliche Erklärung. Die Region ist bekannt für ihre Geistererscheinungen, und die Overtoun Bridge wird oft mit einer legendären Figur in Verbindung gebracht: der „Weißen Dame von Overtoun“.

Overtoun House © Copyright Lairich Rig

Nach lokaler Überlieferung handelt es sich bei der Weißen Dame um den Geist der Witwe des ersten Barons Overtoun. Sie soll 30 Jahre lang um ihren verstorbenen Mann getrauert haben, bevor sie selbst starb. Seitdem, so heißt es, wandelt ihr Geist unruhig über das Gelände und die Brücke. Die Weiße Dame wurde in Fenstern des Herrenhauses gesichtet und soll auf den umliegenden Wegen umhergestreift sein.

Einige Einheimische sind überzeugt, dass sie die Ursache für das Verhalten der Hunde ist. Marion Murray, eine Bewohnerin Dumbartons, erklärte der Times: „Ihr Geist treibt sich seither hier herum. Sie wurde in Fenstern gesichtet und ist auf dem Gelände herumgelaufen.“

Augenzeugenberichte: Eine seltsame Energie

Lottie Mackinnon, eine Hundebesitzerin, erlebte das Phänomen aus nächster Nähe. Sie berichtete von einem erschreckenden Vorfall vor drei Jahren: „Etwas überkam meinen Hund, sobald wir uns der Brücke näherten. Zuerst war er wie erstarrt, aber dann wurde er von einer seltsamen Energie erfasst rannte los und sprang direkt von der Brüstung.“

Diese Erlebnisse passen in das Bild, das viele Einheimische zeichnen. Alastair Dutton, ein weiterer Bewohner Dumbartons, fasste es gegenüber der Times zusammen: „Die Leute hier sind sehr offen für das Übernatürliche, weil sie schon alle Geister gesehen oder gespürt haben.“

Übernatürliche Erklärungen: Der Geist als Ursache?

Paul Owens, ein Philosophieprofessor und Experte für lokale Geistergeschichten, hat 11 Jahre lang das Phänomen untersucht und ein Buch darüber geschrieben. Er ist ebenfalls davon überzeugt, dass die Weiße Dame für die Ereignisse verantwortlich ist. „Nach all meiner Forschung bin ich sicher, dass ein Geist dahintersteckt“, sagte er der New York Times.

Overtoun Bridge © Copyright Lairich Rig

Die Theorie, dass ein Geist die Hunde beeinflusst, mag für Dogmatiker spekulativ erscheinen, doch sie spiegelt die tiefe Verbindung zwischen den Bewohnern Dumbartons und ihrer mystischen Geschichte wider. Schottland ist reich an Mythen über „dünne Orte“ – also solche Orte, an denen die Grenze zwischen der physischen und der spirituellen Welt besonders durchlässig ist. Für viele ist die Overtoun Bridge ein solcher Ort.

Wissenschaftliche Untersuchungen: Was könnte Hunde anziehen?

Wissenschaftler haben ebenfalls versucht, das Verhalten der Hunde zu erklären. Im Jahr 2005 führten der Hundepsychologe Dr. David Sands und der Lebensraum-Experte David Sexton eine Untersuchung im Auftrag der Scottish Society for the Prevention of Cruelty to Animals (SSPCA) durch. Sie analysierten die visuellen, akustischen und olfaktorischen Reize in der Umgebung der Brücke und kamen zu einer etwas hilflosen Hypothese: Der Geruch von Nerzen sollte angeblich die Hunde anlocken.

Männliche Nerze hinterlassen einen starken Uringeruch, der für Hunde unwiderstehlich ist und ihren Jagdinstinkt auslösen könnte. Diese Theorie würde zwar erklären, warum besonders langnasige Hunde betroffen sind – sie besitzen einen besonders ausgeprägten Geruchssinn, aber die Sache hat einen Haken: es gibt in der Region überhaupt keine Nerze.

Eine weitere Möglichkeit, die Forscher in Betracht gezogen haben, ist, dass hochfrequente Geräusche die Tiere verwirren könnten. Quellen solcher Geräusche könnten nahegelegene Telefonmasten, ein Kernkraftwerk oder sogar das Mauerwerk der Brücke selbst sein. Doch bisher wurde kein eindeutiger akustischer Auslöser gefunden.

Die Psychologie der Hundesprünge

Tierpsychologen sind sich einig, dass Hunde instinktiv handeln und keinen Selbstmord begehen können, was natürlich nur eine weitere anthropozentrische Ansicht ist. Das bedeutet, dass die Sprünge auf eine Kombination von Umweltreizen und instinktivem Verhalten zurückzuführen sind. Hunde besitzen ein außergewöhnliches Geruchs- und Hörvermögen, sind jedoch visuell eingeschränkt. Die massive Steinbrüstung der Brücke könnte ihre Sicht behindern und sie daran hindern, die Tiefe der Schlucht zu erkennen.

Schutzmaßnahmen und Warnungen

Angesichts der wiederholten Vorfälle haben die Behörden Maßnahmen ergriffen, um weitere Tragödien zu verhindern. Ein Schild an der Brücke warnt Hundebesitzer: „Gefährliche Brücke – Führen Sie Ihren Hund an der Leine.“ Trotz dieser Warnungen bleibt die Brücke ein beliebtes Ziel für Spaziergänger und Touristen, die von der düsteren Mystik des Ortes angezogen werden.

Ein weiteres ungelöstes Rätsel

Die Overtoun Bridge bleibt ein weiters Mysterium unter Abertausend. Ob durch die Weiße Dame, einen unnatürlichen Reiz oder eine Kombination aus natürlichen und übernatürlichen Faktoren – die Ursache für die Hundesprünge ist bis heute ungeklärt. Doch die Legende der Brücke lebt weiter, als Mahnung und als Inspiration für all jene, die sich von den Grenzen zwischen Wissenschaft und Mythos angezogen fühlen.

Das Jahr der Spukhäuser

Jedes Haus wird heimgesucht. Die Frage ist, wovon?

Sobald man ein Haus betritt, weiß man es. Manche fühlen sich gut an, andere nicht. Und wie ein guter Wein sind ältere Häuser komplexer.

Im Sommer 20xx wurde ich nach Irland geschickt, um als Mitglied der Stonecoast MFA an einem Creative Writing-Programm teilzunehmen. Ich war dankbar für die Chance, herumzureisen und ungeduldig, diese Erfahrung zu machen, muss allerdings gestehen, dass Irland vor meiner Ankunft nicht auf meiner Liste stand. War Wales nicht malerischer? Und von London aus nicht besser zu erreichen?

Doch innerhalb von nur einer Stunde war ich von Dublin besessen. Ich wurde von einem überwältigenden Gefühl verschlungen, ja, von etwas, das dort in der Luft lag. Das Land verband sich mit mir. Ich sollte hier sein. Also überkam mich ein tiefes Bedauern, als ich Dublin am nächste Tag verlassen musste, um nach Galway zu reisen.

Aber das Gefühl kehrte zurück, genauso stark. Galway: das Kopfsteinpflaster, das Meer, die Gardinen, und der klimatisierte Bus. Ja.

Und dann ab nach Dingle, mein Zuhause für eine Woche, leben und arbeiten in einem Gästehaus, an der Seeseite gelegen, mit meinen zehn Studenten und dem Personal. Und das Gefühl wuchs. Da war so ein Ziehen, eine Sehnsucht, und so begann ich damit, mir die Möglichkeit zu durchdenken, wie ich hier leben könnte, wenn meine Tochter erst das College beendet hatte und ich dadurch dann San Diego verlassen könnte. Ich war verblüfft, wie sehr ich Irland liebte. In gewisser Weise hatte ich Irland in mich eingelassen. Und das veränderte mich als Schriftstellerin zutiefst. Es brachte mich soweit, zu akzeptieren, dass meine Zeit begrenzt war, und dass ich das Buch schreiben sollte, das mir wichtig war – das Buch meines Herzens.

So schnell wie mir der Gedanke kam, wusste ich auch gleich, dass das Buch meines Herzens ein Roman über ein Spukhaus sein würde.

Ich wusste allerdings nicht, warum.

Meine Studenten vermuteten, dass meine Entscheidung von den weit verbreiteten irischen Gespenstererzählungen und Legenden beeinflusst war. Das erste Buch, das ich mir in Irland gekauft hatte, war The Asylum, ein neogotischer Roman des Australischen Schriftstellers John Harwood. Ich hielt einen Vortrag über das Unheimliche in der Irischen Literatur, und ich sprach über Kobolde, Selchies und Pookas in Verbindung mit Wechselbälgern und Geistern.

Trotzdem wurde 20xx “mein Jahr der Spukhäuser.” Ich würde ein Tagebuch über all die Spukhausgeschichten, die ich gelesen hatte, führen, und damit beginnen, meine eigenen Ideen zu skizzieren. Ich erstand ein wunderschönes verschließbares Notizbuch im örtlichen Buchladen in der Green Street und machte mich an die Arbeit. Und natürlich betrieb ich Recherchen.

Hier ist einiges von dem, was ich über Spukhäuser in Erfahrung bringen konnte:

Der früheste Bericht über ein Spukhaus ist uns aus einem Brief überliefert, geschrieben von Plinius dem Jüngeren (61-ca. 112).  Darin beschreibt er eine Villa in Athen, die von einem männlichen Geist in Ketten drangsaliert wird; die Knochen des Phantoms wurden ausgegraben und in einem ordentlichen Grab beigelegt, von da an ließ sich der Geist nicht mehr blicken. Es gibt auch weitere Geschichten über Spukhäuser in den Erzählungen aus Tausend und einer Nacht.

Die vorromantischen Dichter der “Gräberpoesie” legten den Grundstein für die gotische und romantische Periode, die uns von Dickens’ Große Erwartungen bis zu Shirley Jacksons Spuk in Hill House, Stephen Kings Shining, Susan Hills Die Frau in Schwarz, und zu Der Besucher von Sarah Waters führt. Es gibt Hunderte von Romanen über Spukhäuser. Und Kurzgeschichten. Und Filme.

Manche von uns werben um Geister. Wir wollen leben, wo sie sich aufhalten. Die forensische Psychologin und Geisterjägerin Katherine Ramsland schlief in jenen Räumen, wo Lizzy Borden ihre Morde beging, und auch im Fall River House in Massachusetts; die Mitglieder des Haunted Mansion Retreat in Nordkalifornien haben ihre Erfahrungen in einer Reihe von Büchern niedergeschrieben; und Horrorautor und Herausgeber R. J. Cavender bietet Rückzugsmöglichkeiten für Schreibende im Stanley Hotel in Colorado an, wo Stephen King seine ersten Entwürfe zu The Shining verfasste.

Michele Hanks untersuchte das Phänomen des “Geistertourismus” in Großbritannien in ihrem Buch Haunted Heritage: The Cultural Politics of Ghost Tourism, Populism, and the Past. Es gibt sogenannte Ghostcams, die von allen erdenklichen Spukorten der Welt streamen.

“Schreckensspezialistin” Dr. Margee Kerr, die als Soziologin zum Personal des Scare House in Pittsburgh gehört, sagt, dass manche Leute Spukorte mögen, weil sie das Ausschütten des Dopamins genießen, das eine Angstreaktion begleitet. Es ist eine wohlkalkulierte Angst: es gibt zwischen 3.500 und 5.000 kommerziell genutzte Spukhäuser, die an Halloween besucht werden, und ebenso unzählige “Höllenhäuser”, die auf dem christlichen Glauben der Verdammnis beruhen, um ihre Gemeindemitglieder vor einer Verirrung zu warnen.

Mir kommt es etwas komisch vor, dass das Buch meines Herzens ein Roman über ein Spukhaus ist, merkwürdiger sogar als mein Gefühl “in Irland sein zu müssen”. Obwohl ich eine Horror-Autorin bin, meide ich die meisten Horrorfilme. Sie sind einfach zu schrecklich. Ich muss sie mir sorgfältig auswählen, oder ich kann sie nicht bis zum Ende sehen (ich bin mehrmals an Paranormal Activity gescheitert, und vor zwei Nächten habe ich Babadook aufgegeben).

Befinde ich mich allein zu Hause, bebe ich förmlich bei dem Gedanken an Szenen aus Die Frau in Schwarz oder Spuk in Hill House. Ich würde lieber durch Glas springen als mich freiwillig einem Spukhotel, Hospital, oder einer Spukfahrt anzuschließen. Ich möchte die Angstreaktion nicht herausfordern.

Aber ich möchte meine Ängste überwinden. Als ich sehr jung war, war ich erfüllt von einer krankhaften Angst vor der Dunkelheit. Ich litt unter schrecklichen Schlafstörungen (natürlich hatte ich nachts das Licht an). Eines nachts, als ich gerade die Treppen meines Hauses hinab ging, bemerkte ich etwas, das hinter mir her kroch, ich wirbelte herum und schrie: “Ich bin dessen Königin!” In diesem Augenblick wurde eine Horror-Autorin geboren – jemand, der die Monster niederstarrt, wenn er sie schon nicht vertreiben kann. Ist es das, wonach ich in meinem Spukhaus-Roman suche?

Ich glaube, es steckt etwas mehr dahinter. Etwas wie meine unerklärliche Liebe zu Irland.

Aber das Buch wurde geschrieben, und ich schreibe bereits an einem anderen.

Diese zweifache Besessenheit bleibt.

Die Geschichte der Fantasy -3- William Morris

William Morris

Kehren wir zu William Morris zurück. Betrachten wir seine drei berühmten phantastischen Werke “Die Zauberin jenseits der Welt”, “Die Quelle am Ende der Welt” und “Das Reich am Strom”. Sind sie völlig unabhängig von der realen Welt? Alle diese Bücher rühmen sich ihrer erfundenen Geographie (Das Reich am Strom hat sogar eine Karte). Die sozialen Komponenten sind ausgefeilt und unverwechselbar, ähnlich dem europäischen Mittelalter in Bezug auf Technologie, Klassen, etc. Alles sieht so aus, als hätten wir es hier mit der gesuchten unabhängigen zweiten Welt zu tun.

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Die Tanzwut (Veitstanz)

In den Annalen der Geschichte gibt es einige Ereignisse, die sich einer rationalen Erklärung entziehen. Ein solches Ereignis ist die Tanzwut von 1518. Während dieses bizarren Ereignisses begannen mehrere Menschen in Straßburg unkontrolliert zu tanzen, und einige tanzten sich sogar zu Tode. Das Phänomen dauerte etwa einen Monat lang an und ist bis heute ein faszinierendes Rätsel.

Die Tanzwut von 1518 begann im Juli, als eine Frau namens Troffea in den Straßen von Straßburg (damals eine freie Stadt im Heiligen Römischen Reich, heute in Frankreich liegend) eifrig zu tanzen begann. Was als einsamer Akt begann, entwickelte sich bald zu etwas viel Größerem. Frau Troffea tanzte erstaunliche 6 Tage lang ununterbrochen und zog die Aufmerksamkeit der Zuschauer auf sich. Das wirklich Bemerkenswerte war jedoch, dass sich ihr bald andere anschlossen, die dem Zwang, sich in einem unsichtbaren Rhythmus zu wiegen, nicht widerstehen konnten.

Innerhalb einer Woche hatten sich 34 Personen Troffea bei ihrem Tanzmarathon angeschlossen. Die Zahl wuchs schnell weiter an, und innerhalb eines Monats waren etwa 400 Personen von dieser unerklärlichen Tanzmanie erfasst. Die betroffenen Tänzerinnen und Tänzer machten keine Anstalten, aufzuhören, auch wenn ihre Körper müde und erschöpft wurden. Einige tanzten, bis sie vor Erschöpfung zusammenbrachen, andere erlagen Herzinfarkten, Schlaganfällen oder dem Hungertod. Die Straßen von Straßburg waren erfüllt von der Kakophonie der Schritte und den verzweifelten Schreien derjenigen, die sich nicht aus dem Griff dieses seltsamen Zwangs befreien konnten.

Die Tanzepidemie von 1518 verwirrte sowohl die medizinische Fachwelt als auch die breite Öffentlichkeit. Ärzte und Behörden suchten verzweifelt nach Antworten, um ein Heilmittel für diese unerklärliche Krankheit zu finden. Zunächst wurden astrologische und übernatürliche Ursachen in Betracht gezogen, aber die örtlichen Ärzte verwarfen diese Theorien schnell.

Der Schriftsteller Sebastian Brant, hatte der Torheit des Tanzes ein Kapitel in seinem Werk Das Narrenschiff gewidmet. Verblüfft über das Chaos in den Straßen, konsultierten er und seine Ratskollegen die örtlichen Ärzte, die das Tanzen gemäß der üblichen medizinischen Weisheit als Folge von “überhitztem Blut” im Gehirn erklärt, einer natürlichen Krankheit, die nur durch mehr Tanzen geheilt werden könne.

Sie ordneten die Räumung eines Getreidemarktes unter freiem Himmel an, beschlagnahmten Zunftsäle und errichteten eine Bühne neben dem Pferdemarkt. Dorthin eskortierten sie die verrückten Tänzer in dem Glauben, dass sie durch die ständige Bewegung die Übelkeit abschütteln würden. Die Bürger heuerten sogar Pfeifer und Trommler an und bezahlten “starke Männer”, die die Erkrankten aufrecht hielten, indem sie sich an ihren Körpern festhielten, während sie wirbelten und schwankten. Auf dem Getreidemarkt und dem Pferdemarkt tanzten die Menschen in der prallen Sommersonne weiter.

Ein Gedicht im Stadtarchiv erklärt, was dann geschah: “In ihrem Wahnsinn tanzten die Leute weiter, bis sie bewusstlos wurden und viele starben.”

Schließlich erkannte der Rat, dass er einen Fehler begangen hatte, und beschloss, dass die Tänzer eher unter dem Zorn des Heiligen litten als unter einem brutzelnden Hirn, und so entschied man sich für eine Zeit der erzwungenen Buße und verbot sowohl Musik als auch Tanzen in der Öffentlichkeit. Schließlich wurden die Tänzerinnen zu einem dem heiligen Vitus geweihten Schrein gebracht, der sich in einer modrigen Grotte in den Hügeln oberhalb der nahe gelegenen Stadt Saverne befand, wo ihre blutigen Füße in rote Schuhe gesteckt und sie um eine Holzfigur des Heiligen herumgeführt wurden. In den folgenden Wochen, so berichten die Chroniken, hörten die meisten von ihnen mit ihren wilden Bewegungen auf. Die Epidemie hatte ein Ende gefunden.

Dieses seltsame Kapitel der Menschheitsgeschichte wirft viele schwer zu beantwortende Fragen auf. Warum verschrieben die Bürger mehr Tanzen als Behandlung für verkochte Gehirne? Warum mussten die Tänzerinnen und Tänzer rote Schuhe tragen? Und wie viele Menschen starben? (Ein Schriftsteller, der in der Nähe der Stadt lebte, schätzte, dass es zumindest eine Zeit lang 15 pro Tag waren, aber das wurde nicht bestätigt).

Eine Zeit lang im 20. Jahrhundert hielt man Mutterkorn für einen guten Anwärter. Diese Krankheit entsteht durch den Verzehr von Lebensmitteln, die mit einer Schimmelpilzart kontaminiert sind, die auf feuchtem Roggen wächst und einen LSD-ähnlichen Stoff produziert. Sie kann zu schrecklichen Halluzinationen und heftigen Zuckungen führen. Diese Theorie ist jedoch sehr umstritten, da Mutterkorn extrem giftig ist und eher tödlich wirkt als einen Tanzwahn auszulösen. Genauso unwahrscheinlich ist die Behauptung, dass die Tänzer religiöse Außenseiter waren. Für Beobachter war klar, dass sie nicht tanzen wollten.

In den vorangegangenen Jahrhunderten hatte es mehrere andere Ausbrüche von Tänzen gegeben, an denen Hunderte oder nur wenige Menschen beteiligt waren, fast alle in Städten in der Nähe des Rheins. Mit den Kaufleuten, Pilgern und Soldaten, die auf diesen Gewässern unterwegs waren, reisten auch Nachrichten und Glaubensvorstellungen. Eine bestimmte Vorstellung scheint sich im kulturellen Bewusstsein der Region festgesetzt zu haben: dass der Heilige Veit die Sünder bestrafte, indem er sie tanzen ließ. Ein Gemälde im Kölner Dom, mehr als 200 Kilometer flussabwärts von Straßburg, stellt den Fluch dramatisch dar: Unter einem Bild des heiligen Veit tanzen drei Männer fröhlich vor sich hin, ihre Gesichter tragen die realitätsfremden Züge von Wahnsinnigen.

Der Glaube an eine übernatürliche Macht kann dramatische Auswirkungen auf das Verhalten der Menschen haben. Ein klassischer Fall ist die “Geisterbesessenheit”, bei der Menschen sich so gebärden, als ob ihre Seele von einem Geist oder einer Gottheit übernommen worden wäre.

Das Aufwachsen in einem “Glaubensumfeld”, in dem Geisterbesessenheit ernst genommen wird, kann die Menschen in einen dissoziativen Geisteszustand versetzen, in dem das normale Bewusstsein ausgeschaltet ist. Sie handeln dann nach den kulturell vorgegebenen Vorstellungen, wie sich Besessene zu verhalten haben. Dies geschah in europäischen Klöstern vor dem frühen 17. Jahrhundert, als sich die Nonnen krümmten, zuckten, Schaum vor dem Mund hatten, obszöne Gesten und Andeutungen machten, auf Bäume kletterten und wie Katzen miauten.

Ihr Verhalten erschien seltsam, aber die Nonnen lebten in Gemeinschaften, die sie dazu ermutigten, von der Sünde besessen zu sein, und die von einem mystischen Übernatürlichkeitsdenken durchdrungen waren. Diejenigen, die davon überzeugt waren, dass Dämonen in ihre Seelen eingedrungen waren, neigten dazu, in dissoziative Zustände zu fallen, in denen sie genau das taten, was Theologen und Exorzisten den teuflisch Besessenen nachsagten. In solchen Fällen griff die Besessenheitstrance auch auf Zeugen über, die dieselben theologischen Ängste teilten.

Der Fluch des heiligen Veit ist genau die Art von übernatürlichem Glauben, der die beeinflussbaren Personen in dissoziative Zustände treiben kann. Die Chroniken stimmen darin überein, dass die meisten Menschen schnell davon ausgingen, dass ein wütender Heiliger die Krankheit verursacht hatte. Es genügte also, dass einige der frommen und emotional schwachen Menschen glaubten, der heilige Veit habe sie im Visier, um in einen Trancezustand zu geraten, in dem sie sich tagelang zum Tanzen gezwungen fühlten.

Wenn es sich bei der Tanzmanie tatsächlich um eine psychogene Massenerkrankung handelte, ist auch klar, warum sie so viele Menschen erfasste: Nur wenige Handlungen waren für die Auslösung einer regelrechten psychischen Epidemie geeigneter als die Entscheidung des Stadtrats, die Tänzer an den öffentlichsten Orten der Stadt zu versammeln. Die Sichtbarkeit der Tänzerinnen und Tänzer sorgte dafür, dass andere Stadtbewohner anfällig wurden, da sie sich mit ihren eigenen Sünden und der Möglichkeit, dass sie die nächsten sein könnten, auseinandersetzten.

Das Leben in Straßburg zu Beginn des 15. Jahrhunderts erfüllte eine weitere Grundvoraussetzung für den Ausbruch psychogener Krankheiten: Die Chroniken berichten viel über die Not, die eine erhöhte Empfänglichkeit hervorruft. Soziale und religiöse Konflikte, furchterregende neue Krankheiten, Missernten und steigende Weizenpreise verursachten weit verbreitetes Elend. Ein Chronist beschrieb das Jahr 1517 in ergreifender Kürze als ein “schlechtes Jahr”. Im darauffolgenden Sommer waren die Waisenhäuser, Hospitäler und Notunterkünfte überfüllt mit verzweifelten Menschen. Dies waren ideale Bedingungen für einige der Bedürftigen in der Stadt, sich vorzustellen, dass Gott auf sie zornig sei und der Heilige Veit in ihren Straßen herumspuken würde.

Die Tanzwut von 1518 bleibt dennoch ein Rätsel, umhüllt von Geheimnissen und Vermutungen. Trotz jahrhundertelanger Spekulationen und Forschungen ist die wahre Ursache dieses unerklärlichen Phänomens nach wie vor unklar. Ob es nun durch eine giftige Substanz, Aberglauben oder den kollektiven Stress der damaligen Zeit ausgelöst wurde, die Auswirkungen auf das Leben der Betroffenen sind unbestreitbar. Die Tanzpest von 1518 ist ein Zeugnis der seltsamen und komplexen Funktionsweise des menschlichen Geistes und eine Erinnerung daran, dass selbst die rationalsten Individuen von der Flut unerklärlichen Verhaltens mitgerissen werden können.

Von der Existenz des Teufels

Vom christlichen Satan über den islamischen Iblis und den hinduistischen Ravana bis hin zum zoroastrischen Angra Mainyu taucht die Idee eines singulären Wesens, das das Böse repräsentiert, immer wieder auf. Diese kulturelle Allgegenwart lässt auf einen universellen Archetyp schließen, der in einer gemeinsamen psychologischen oder metaphysischen Realitäten verwurzelt ist, eine gegnerische Kraft, die sich im Kontext bestimmter Traditionen und Gesellschaften auf einzigartige Weise manifestiert.

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