Locusta, die erste Serienmörderin der Geschichte

Im alten Rom, einer Welt voller Machtspiele und Intrigen, tauchte im ersten Jahrhundert eine Frau auf, die die Kunst des Tötens zur Perfektion brachte. Ihr Name war Locusta, und sie war eine Giftmischerin aus Gallien, die zu den berüchtigtsten Persönlichkeiten ihrer Zeit werden sollte. Trotz der begrenzten Aufzeichnungen über sie ist eines gewiss: Locusta war nicht nur eine tödliche Bedrohung für ihre Feinde, sondern auch eine der ersten Serienmörderinnen der Geschichte.

Gift war in jener Zeit ein lautloser Killer, ideal für die heimlichen Machenschaften der römischen Elite. Ohne Kampf und ohne Blutvergießen konnte ein Opfer so aus dem Leben scheiden, und kaum jemand wusste, wer wirklich dahintersteckte. Die Angst vor Vergiftung wuchs daher stetig, und Kaiser sowie andere mächtige Römer schützten sich mit Vorkostern und Dienern, die jede Speise prüften, bevor sie serviert wurde. Besonders berüchtigt war Atropa Belladonna, die Tollkirsche, deren tödliche Wirkung dazu noch Halluzinationen hervorrufen konnte. Schriftsteller der damaligen Zeit notierten sogar genaue Dosierungen, um zwischen Qual und einem schnellen Tod zu entscheiden. Die Kunst des Vergiftens reifte zu einer erlernbaren Wissenschaft heran, und Locusta beherrschte sie meisterhaft. Antike Historiker wie Tacitus und Cassius Dio erzählten von ihrer tödlichen Begabung, die sie schon bald zu einer gefürchteten Figur machte.

Doch Locusta gibt Rätsel auf. Aufgrund ihres Namens wissen wir, dass sie aus Gallien, dem heutigen Frankreich, stammte und ihr Wissen über Gifte mit in die Hauptstadt des Reiches brachte. Wie ist Locusta in Rom gelandet? Es ist möglich, dass sie als Sklavin gefangen genommen wurde. Ein Jahrhundert zuvor hatte Julius Cäsar bei seinem Feldzug in Gallien bis zu einer Million Sklaven für das Imperium erbeutet. In Rom zog Locusta offenbar die Aufmerksamkeit der julisch-claudischen Dynastie auf sich. Roms Kaiserin Agrippina die Jüngere wandte sich an Locusta, um 54 n. Chr. ihren eigenen Ehemann zu ermorden, wodurch sie ihrem Sohn Nero den Kaiserthron zu sichern beabsichtigte.

Laut Tacitus hatte sich die Kaiserin „schon lange zu dem Verbrechen entschlossen“ und griff zum Gift. Außerdem wollte die Kaiserin „irgendein seltenes Mittel, das seinen Geist verwirren und den Tod hinauszögern würde“, damit niemand ein Verbrechen vermutete.

Frauen wie Locusta setzten im alten Rom auf tödliche Substanzen wie Arsen, Belladonna und Totenkopfpilze. Und Agrippina war nicht die einzige Römerin, die ein Familienmitglied derart über den Jordan schickte. Claudia Livia Julia vergiftete ihren Ehemann Drusus, den nächsten in der Thronfolge. Caligula füllte eine ganze Truhe mit Giften, damit er sie stets griffbereit hatte Der kaiserliche Hof erwarb sich einen so guten Ruf in Bezug auf Gifte, dass viele ohne Vorkoster gar nicht mehr auskamen oder sich ständig Sorgen um ihr Essen machten. Aus Angst, dass ihn jemand umbringen würde, hatte auch Nero ein tödliches Gift bei sich, um damit schnell Selbstmord zu begehen, anstatt gewaltsam durch ein langsamer wirkendes Gebräu zu sterben.

Damit ihr mörderischer Plan gelingen konnte, mussten Agrippina und Locusta also zunächst eine Hürde überwinden: Claudius hatte einen Vorkoster an seinem Hof, der sicherstellen sollte, dass er eben nicht vergiftet werden würde. Agrippina überredete jedoch den Vorkoster Halotus, den Kaiser zu verraten. Das Gift wurde auf sein Pilzgericht gestreut, und Halotus servierte Claudius das Essen. Zum Unglück für Agrippina verhinderten zwei Faktoren den Tod ihres Mannes. Erstens war Locustas Gebräu nicht stark genug, um einen schnellen Tod herbeizuführen. Zum anderen hatte Claudius die Angewohnheit, sich nach den Mahlzeiten selbst zu erbrechen, wodurch die Zeit, in der das eingenommene Gift auf den Körper einwirken konnte, begrenzt war. Claudius ließ sich von seinem Arzt, Gaius Stertinius Xenophon, eine Feder in den Hals stecken, um den Prozess einzuleiten. Doch auch diese Feder war mit Gift versetzt, was schließlich dem Leben des Claudius ein Ende setzte.

Gift hatte Nero also auf den Thron gebracht, und nun wollte er es nutzen, um seine Position zu festigen. Der Kaiser wurde misstrauisch gegenüber seinem Stiefbruder Britannicus, dem Sohn von Claudius‘ dritter Frau, der einen stärkeren Anspruch auf den Thron hatte als Nero, der nicht mit Claudius‘ verwandt war. Und so griff er erneut auf Locustas Dienste zurück.

Locusta entwickelte daraufhin ein zweites, viel stärkeres Gift, um es dem jungen Britannicus zu verabreichen, und zwar auf sehr heimtückische Weise. Im alten Rom war es üblich, den Wein vor dem Servieren mit heißem Wasser zu mischen. Ein solches Getränk wurde Britannicus gereicht, der es von seinem Vorkoster auf Gift untersuchen ließ. Als der Vorkoster bestätigte, dass es keinen Grund zur Sorge gab, ordnete Britannicus an, das Getränk mit kaltem Wasser zu verdünnen, da es ihm zu heiß war. Das kühle Wasser aber war vergiftet, aber Britannicus trank seinen Glühwein ohne Bedenken. Britannicus war dafür bekannt, dass er unter Anfällen litt, und Nero nutzte seine Epilepsie, um die Symptome nach der Vergiftung zu verschleiern. Nero ordnete an, dass niemand ihn während seines Anfalls berühren durfte, und schließlich erlag er dem Gift.

Wie man sich vorstellen kann, war Nero sehr erfreut über den Erfolg seines Plans, den er Locusta zu verdanken hatte. Als Gegenleistung für ihre Hilfe bei der Ermordung von Britannicus belohnte Nero Locusta mit eigenen Ländereien und Dienern und überschüttete sie mit luxuriösen Geschenken. Nero ließ sogar Schüler auf Locustas neue Anwesen schicken, um ihr Handwerk zu erlernen. Um sicherzustellen, dass diese Schüler voll und ganz in Locustas Praktiken eintauchten, und um ihr die Möglichkeit zu geben, ihre Fähigkeiten zu verbessern, gab Nero ihr die Erlaubnis, lebende Testpersonen für ihre Gifte zu verwenden. Es wird vermutet, dass Locusta ihre tödlichen Gebräue an Sklaven, verurteilten Verbrechern und Tieren, die auf ihre Anwesen geschickt wurden, angewendet hat. Wenn das stimmt, ist sie für den Tod vieler, vieler Menschen verantwortlich, die kaltblütig ermordet wurden.

Leider sollte Locusta ihre Freiheit nicht lange behalten. Neros tyrannische Herrschaft endete im Jahr 68 n. Chr., als er sich das Leben nahm. Er tat dies, um nicht bestraft zu werden, nachdem er nach dreizehn Jahren tyrannischer Herrschaft zum Staatsfeind erklärt worden war. Nero starb, indem er sich einen Dolch durch den Hals stieß, aber es scheint, dass er zuvor erwogen hatte, eines der Gifte von Locusta zu konsumieren, falls er sein Leben beenden musste. Wie sich herausstellte, bewahrte er das tödliche Gebräu in einer goldenen Schatulle auf, um es selbst verwenden zu können. Ohne Neros Schutz wurde Locusta gefangen genommen. Der neue Kaiser Galba ordnete an, dass sie wegen ihrer Taten und ihrer Loyalität zu Nero hingerichtet werden sollte. Der antike Historiker Cassius Dio beschrieb, wie sie in Ketten gefesselt durch die Stadt geführt wurde, zusammen mit „anderem Abschaum, der zu Neros Zeiten an die Oberfläche gekommen war“.

Nach Locustas Tod hörten die Giftmorde in Rom nicht etwa auf, aber keiner dieser Mörder war auch nur annähernd so geschickt wie Locusta.
Einige beschreiben Locusta von Gallien als eine Opportunistin, die ihr Schicksal mit der kaiserlichen Familie verband, um dem Gefängnis oder gar einem Todesurteil zu entgehen. Andere wiederum sehen in ihr eine kaltblütige Mörderin. War Locusta eine Opportunistin? Oder eine der ersten Serienmörderinnen der Geschichte? Die Quellen sagen wenig über die Vergangenheit der Giftmörderin aus. Möglicherweise war sie eine Sklavin, die von ihrem Herrn zur Herstellung von Giften gezwungen wurde. Tacitus sagt, dass sowohl Agrippina als auch Nero von Locusta erfuhren, weil sie wegen der Herstellung von Giften bereits in Schwierigkeiten war. Locusta hatte wohl kaum eine andere Wahl, als zuzustimmen, als eine Kaiserin und ein Kaiser ihre Dienste verlangten.

Andererseits wurde Locusta als skrupellose Frau dargestellt, die ihre Gifte an Unschuldigen ausprobierte. Unter Neros wachsamen Augen half Locusta, einen Sklaven zu vergiften, um eine tödliche Dosis zu perfektionieren. Seutonius zufolge tat sie dies jedoch nur unter der Drohung Neros. Andere Quellen behaupten jedoch, Locusta habe wahllos getötet. Sie vergiftete Tiere, Sklaven und Verbrecher – und eben auch mehrere Mitglieder der kaiserlichen Familie. Zweifellos häufte sie eine lange Liste von Leichen an.

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