Wolfgang Hohlbein: Als der Meister starb

In diesem Buch finden sich die ersten drei ersten Bände um Robert Craven, die zuerst im Gespenster-Krimi erschienen sind (Band 567, 571, 575). Wer dieses Buch gleich nach dem ersten liest, bemerkt hier die stilistischen Unterschiede, die nicht nur darin bestehen, dass Hohlbein Robert Craven in der ersten Person erzählen lässt. Hier ist noch eine Kraft am Wirken, die inspiriert wirkt, während Die Spur des Hexers doch etwas müde wirkt. Trotzdem war es natürlich interessant, die Themen, die in diesem ersten Hexer-GK angesprochen werden, noch einmal ausgearbeitet zu sehen. Und so verbinden sich diese beiden Teile dann doch mehr oder weniger nahtlos, wie es ja auch beabsichtigt war.

Den Prolog haben wir hinter uns, stürzen wir uns also in den Beginn des eigentlichen Abenteuers.

Im Juli 1883 reist der 25-jährige Robert Craven mit seinem Mentor Randolph Montague von New York nach London. Wir erfahren, dass Maude Craven, die Robert für seine Tante hält, starb, als er 16 Jahre alt war, und dass Robert sich seitdem mit kleinen Gaunereien über Wasser hielt. Hier klafft natürlich eine erzählerische Lücke, denn Band 1 endet damit, dass H.P. und Roderick den kleinen Robert abholen. Warum (das ist eine berechtigte Frage, die Hohlbein nicht auflöst) kam es dann zu einem erneuten Abschied? Immerhin hatte er, kurz nachdem er den dreijährigen Robert in Mauds Hände gegeben hatte, dies schon wieder bereut, wollte ihn holen und musste feststellen, dass er und Maude entführt worden waren. Wenn Hohlbein schon das Gefühl hatte, den Anfang nachträglich beschreiben zu müssen, dann sollte er ihm wenigstens ein paar Sätze wert sein.

Als der Meister starb

Das Schiff, auf dem Montague und Robert reisen, gerät in dichten Nebel und bleibt stecken. Montague gerät in Panik und spricht von einer Gefahr, die ihn verfolge, ohne zunächst weitere Erklärungen zu geben. Tatsächlich erscheint ein schlangenartiger Krakenarm, der das Schiff beschädigt und einen der Matrosen in den Tod reißt. Nun offenbart sich Montague seinem Schützling Craven: Er erklärt, in Wirklichkeit Roderick Andara zu sein, der in Amerika unter dem berüchtigten Spitznamen “Der Hexer” bekannt ist. In seine Ausführungen mischen sich immer wieder die in Buch 1 geschilderten Ereignisse, nur hört man sie jetzt zum ersten Mal aus seinem Munde. Er hatte mit einer Gruppe, die der schwarzen Magie mächtig war, das Städtchen Jerusalems Lot gegründet. Hier aber wird erzählt, dass sich die Menschen aus den umliegenden Dörfern zum zweiten Mal zusammenschlossen, um die Zauberer zu töten. (Das erste Mal war der Untergang Salems) – und auch das wird im ersten Band nicht deutlich. Wir haben gelesen, dass Andara vor der Gefahr floh, die anderen Zauberer fühlten sich verraten und verfluchten ihn. Kaum war Andara fort, riefen die Verbliebenen Yog-Sothot, um Roderick aufzuspüren und zu töten. Seitdem ist Roderick auf der Flucht.


Yog…?

Yog-Sothoth gehört nicht zu den “äußeren Göttern”, die Lovecraft besonders detailliert ausgearbeitet hat. Konsequenterweise lässt Hohlbein aber gerade ihn von den Zauberern beschwören, denn Yog-Sothoth wird häufig von Nekromanten angerufen. In “Der Fall Charles Dexter Ward” (1927) schlägt also seine große Stunde. Yog-Sothoth weiß alles und sieht alles. Ihn anzurufen kann Erkenntnis über viele Dinge bringen. Aber – wie überall im Mythos – kann das Wissen um die Dinge in einer Katastrophe enden. Einige Autoren, die sich Yog-Sothoth zu eigen gemacht haben, glauben, dass die Gunst des Gottes entweder ein Menschenopfer oder ewige Knechtschaft erfordert.

Das Wesen erscheint erneut, und wieder müssen Seeleute sterben, bis es Roderick Andara gelingt, den Dämon für einige Zeit in Schach zu halten, bis das Schiff an der schottischen Küste anlegen kann. Doch dann erscheint der Große Alte erneut und zerstört das Schiff mit Dutzenden von dämonischen Tentakeln. Andara wird von dem Dämon tödlich verletzt, doch er, Robert, der Kapitän des Schiffes und drei weitere Matrosen können sich an Land retten. Hier offenbart Roderick Andara sein letztes Geheimnis: Er ist der Vater von Robert Craven, und Robert hat seine Kräfte geerbt. Er müsse den Kampf gegen die Großen Alten weiterführen. Er schickt ihn nach London zu einem Mann namens Howard. Dann stirbt er und lässt Robert mit dem Bewusstsein zurück, dass er nun der Hexer ist.

Der Tyrann aus der Tiefe

Kapitel 2 des Buches ist Gespenster-Krimi Band 571: Der Tyrann aus der Tiefe. Ein Zwischenschritt, auch erzähltechnisch. Robert Craven und die anderen Überlebenden der LADY OF THE MIST kommen in Schottland in einem kleinen Fischerdorf an, genauer: in Goldspie. Ob es sich dabei um einen Schreibfehler handelt oder ob Hohlbein dies bewusst verfremden wollte, sei dahingestellt. Denn ein Goldspie gibt es in Schottland nicht, wohl aber ein Golspie. Das Loch Shin, in dem hier die Bestie haust, der man bei Vollmond Opfer darbringt, ist allerdings fast 50 Kilometer entfernt.

Noch wissen die Überlebenden nichts davon und quartieren sich in einem Hotel ein. Robert ist gerade auf dem Weg zur Bank, um einen der von Andara hinterlassenen Wechsel einzulösen und sich nach einem neuen Anzug umzusehen, als er zum ersten Mal von einem Craal, einer Blutbestie, angegriffen wird. Es handelt sich um eine Kreatur, die allein Hohlbeins Feder entsprungen ist und bei Lovecraft kein Vorbild hat. Ganz anders verhält es sich mit den Beschreibungen von Goldspie. Hier lehnt sich Hohlbein stark an Innsmouth an, ohne jedoch die für Lovecraft typische Degeneration der Bewohner zu verwenden. Denn Goldspie ist natürlich kein Innsmouth. Aber die Blutbestie passt gut in Lovecrafts Universum, ist halb unsichtbar und riecht natürlich nach Fisch. Robert verletzt sich an seinem Schwert und blutet, was eigentlich notwendig ist, um den Craal überhaupt auf seine Spur zu bringen. Hier liegt ein kleiner Fehler im Detail, denn die Blutbestie hat ihn offensichtlich auch ohne den offenen Blutgeruch finden können. Der erste der drei Magier des Dorfes wird nämlich (versehentlich) von Craal getötet, weil ihm bei einem Kampf, in den Robert mit ihm verwickelt ist, Roberts Blut auf die Wange gespritzt wird. Und dem Craal ist es letztlich egal, wen er erwischt.

Es gibt in Goldspie also drei Magier. Wir haben es schon im ersten Band (von Andara, der Mutter Rodericks) gesagt bekommen: drei sind genug, aber auch mindestens notwendig, um von einem Zirkel sprechen zu können).

Zwei von ihnen können getötet werden, aber die Identität des dritten bleibt auch am Ende des Kapitels völlig offen. Wie indes die “Urzeitbestie” in Loch Shin reagiert, nachdem der Polizeichef Donhill – einer dieser Magier – getötet wird, sehen wir ebenfalls nicht. Dabei soll Donhill der einzige gewesen sein, der die Bestie im Zaum halten konnte. Einst ist er gemeinsam mit Leyman (eben derjenige, der von der Blutbestie getötet wird, weil er einen Tropfen von Roberts Blut an die Wange bekommen hat) im Dorf erschienen. Gemeinsam haben sie es unter Kontrolle gebracht und die Bewohner unter ihren Bann gezwungen.

Zwei Dinge bleiben von diesem kleinen Intermezzo in Erinnerung: Roderick Andara erscheint Robert als warnender Geist und unterstützt im Rahmen seiner Möglichkeiten Roberts Flucht. Dabei erwähnt er, dass der Tod nicht das ist, was man gemeinhin glaubt. Und dann noch Priscylla, die Robert und Bannermann bei sich versteckt, als der Mob nach ihnen sucht.

Priscylla bittet Robert, sie mit nach London zu nehmen. Aus heiterem Himmel ist zwischen den beiden die Liebe ausgebrochen. Das mag an der Extremsituation liegen, und wer wäre als Gefährtin besser geeignet als ein blutjunges Mädchen, das bereits mit dem Grauen konfrontiert wurde? Wusste Hohlbein zu diesem Zeitpunkt schon, dass Priscylla der “dritte Hexer” ist? Wenn man die Stelle liest, an der sie nach London gebracht wird, kann man sich das kaum vorstellen. Vielleicht hat es sich ihm beim Schreiben aufgedrängt, obwohl er es am Anfang gar nicht so machen wollte. Hohlbein plottet nicht, er schreibt (das hat er mit Stephen King gemeinsam) einfach drauf los.

Viel mehr gibt die Geschichte nicht her und bleibt trotz Hohlbeins gefälliger Schreibweise im Stereotyp eines Groschenromans stecken. Dabei wäre das gar nicht nötig gewesen, wenn es einen übergreifenden Handlungsbogen gegeben hätte. Und – wollte der Autor nicht eine Ausgabe letzter Hand schaffen? Er hätte es tun sollen. Denn, in London angekommen, erfahren wir nichts mehr über Bannermanns Verbleib. Man ahnt zwar, dass sich ihre Wege trennten, aber es wäre doch schön gewesen, wenigstens in einem kleinen Absatz davon zu lesen. Ich verweise noch einmal auf die (angebliche?) Überarbeitung des Hexer-Zyklus.

Und schon sind wir in London, der von deutschen Autoren so geliebten Stadt. Das ist der Teil, in dem Robert auf Lovecraft trifft (die Figur!), in dem Robert sein Erbe antritt – und in dem der “verschollene” dritte Magier und das Urvieh aus dem letzten Kapitel wieder auftauchen. Wenn ich mir vorstelle, dass diese drei Bände unabhängig von der Heftroman-Norm entstanden wären, weil es Wolfgang Hohlbein eben nicht gelungen ist, in seiner Nachbearbeitung die Unregelmäßigkeiten und Lücken zu schließen – wir hätten ein erstaunliches Buch bekommen. Ich habe im Prolog schon darauf hingewiesen, dass ihm das bei “Enwor” allein atmosphärisch hervorragend gelungen ist (auch wenn die Serie an anderen Schwächen leidet). Und hier offenbart sich vielleicht das größte Manko: eine an sich komplexe Geschichte wie die des Hexers in einen Gespensterkrimi zu packen. Wie wir sehen werden, wird sich dies ändern, wenn Der Hexer zu einer eigenen Serie wird.

Interessant ist dieser Teil nicht einmal durch das Auftauchen des urzeitlichen Dämons in London oder der Hexe Lyssa, die Robert endlich zur Strecke bringen will, sondern durch das Zusammentreffen von Robert, Lovecraft mit seinem Diener Rowlf und dem Anwalt Dr. Gray, der für Robert die Erbschaftsangelegenheiten regeln will. Seit drei Tagen irrt Robert durch London auf der Suche nach dem mysteriösen “Howard”. Er kennt nur diesen Namen und weiß, dass er ihn im Hotel Westminster finden wird. Was er nicht weiß: Es gibt zwei solcher Hotels. Im ersten ist er mit Priscylla abgestiegen, aber ein freundlicher Herr macht ihn darauf aufmerksam, dass es noch eine Pension gleichen Namens gibt. Ein heruntergekommener Schuppen in einem ebenso heruntergekommenen Viertel Londons.

Lovecraft in London

Das mag überraschen, denn Lovecraft war nie in London. Aber er schätzte diese Stadt, wie er überhaupt ein begeisterter und faszinierter Anhänger des Königs war. Denn als Amerikaner sah er sich keineswegs. In seinem Fragment “The Descendant” hat er versucht, eine Studie über London zu schreiben. Und das Commonwealth galt ihm kulturell als das Maß aller Dinge. Hohlbein hat hier der Anglophilie Lovecrafts Rechnung getragen, und man mag davon halten, was man will, aber es ist ein schöner Zug, dass er ihn nach London verlegt hat.

In der Pension Westminster, die ausschließlich von H.P. und Rowlf bewohnt wird, erfährt er unter anderem über seinen Vater, dass er aufgrund seines Erbes zu den zehn reichsten Männern des Landes gehören dürfte. Dr. Gray, ein befreundeter Anwalt – und intimer Freund sowohl Lovecrafts als auch Andaras – soll die Angelegenheit regeln. Doch zuvor wird ihm ein versiegelter Brief seines Vaters übergeben, in dem nichts steht, was Robert neu wäre. Aber darum geht es in diesem Brief auch nicht. Denn wäre Robert nicht Andaras Sohn gewesen, hätte er weder das Siegel brechen noch überleben können. Der wichtigste Teil von Roberts Erbe ist jedoch nicht das Geld, sondern die Bücher, die Rodericks gesamtes magisches Erbe darstellen. Nur sind diese zusammen mit der LADY OF THE MIST vor der schottischen Küste im Meer versunken. Damit ist klar, wie es weitergeht, denn Lovecraft besteht darauf, so schnell wie möglich an den Ort des Unglücks zurückzukehren, um die Bücher zu bergen. Zusammenfassend lässt sich das Vermächtnis also wie folgt zusammenfassen: Geld, Fluch, Hexenkraft, Bücher.

Doch bevor die Abreise vorbereitet werden kann, dringen Schläger in Lovecrafts sicher geglaubtes Haus ein. Dies ist ein Ablenkungsmanöver der Hexe Lyssa, um Priscylla zu entführen. Damit hat sie ein Druckmittel gegen Robert in der Hand und zwingt ihn in ein verlassenes Hafenbecken, wo er dem urzeitlichen Dämon als endgültiges Opfer dienen soll. Hier offenbart sich das doppelte Spiel der Hexe, denn sie ist (wie oben bereits erwähnt) mit Priscylla identisch und hat Robert von Anfang an getäuscht. Im letzten Moment erscheinen Howard, Rowlf und Dr. Gray, die dem Ungeheuer zwar Wunden zufügen können, aber mehr auch nicht – bis sich die riesige Glocke vom Kirchturm löst und dem Ungeheuer den Kopf zerschmettert. (Hier greift erneut der Geist von Roderick Andara ein, der aber nur am Ende von Robert als Hauch wahrgenommen wird).

Howard droht Lyssa damit, sie töten zu wollen, aber unser verliebter Robert verhindert das und glaubt, dass er die Hexenkräfte der jungen Frau austreiben kann. Zunächst aber wird die bewusstlose Frau in ein Sanatorium gesteckt. (Es scheint ein beliebter Sport des Gruselromans gewesen zu sein, Frauen in eine Anstalt bringen zu müssen, wie es ja auch bei Dorian Hunter, dem Dämonenkiller geschehen ist, wenn auch aus anderen Gründen). Na dann, schauen wir mal, wie es weitergeht.

Yuggoth 23 – Das Trugbild

Yuggoth

Anmerkung des Übersetzers: Fungi from Yuggoth besteht aus 36 Sonetten, die Lovecraft zwischen dem 27. Dezember 1929 und dem 4. Januar 1930 verfasste. Ausgewählte Sonette wurden im Weird Tales Magazine veröffentlicht. Erstmals komplett erschien der Zyklus in Lovecrafts Sammlung “Beyond the Wall of Sleep”, die von August Derleth 1943 herausgegeben wurde, sowie 2001 in “The Ancient Track: The Complete Poetical Works of H. P. Lovecraft”. Die erste Publikation, die den Zyklus in der richtigen Reihenfolge brachte,  war “Fungi From Yuggoth & Other Poems”. Herausgegeben von Random House 1971. Lovecraft wählte für seinen Zyklus eine Mischform aus Sonetten-Stilen. Bei genauerem Hinsehen ist es schwierig, wirklich von Sonetten zu sprechen. Als Übersetzer habe ich mich dafür entschieden, auf die Endreime zu verzichten, um die von Lovecraft intendierte Erzählform beibehalten zu können. Wie immer bei Gedichten kann es sich nur um eine Nachdichtung handeln.

FUNGI FROM YUGGOTH (Übersetzt von Michael Perkampus)

Ich weiß nicht, ob es sie jemals gab –
Die verlorene Welt, die schwach auf dem Strom der Zeiten schwimmt –
Und doch sehe ich sie oft, violett vernebelt
Und schimmernd im Hintergrund eines vagen Traums.
Dort gab es seltsame Türme und merkwürdige, plätschernde Flüsse,
Labyrinthe voller Wunder und niedrige Gewölbe aus Licht,
Und Flammenhimmel, gekreuzt wie Äste, wie jener,
Der kurz vor einer Winternacht wehmütig bebt.

Große Moore führten unbewohnt zu seichten Ufern, an denen sich
Riesige Vögel auf Rollen bewegten, während auf einem windgepeitschten Hügel
Ein Dorf stand, alt und weiß getüncht,
Mit Abendglockenspielen, denen ich noch immer lausche.
Ich weiß nicht, welches Land es ist – oder wage zu fragen,
Wann und warum ich dort war oder sein werde.

Yuggoth 22 – Azathoth

Yuggoth

Anmerkung des Übersetzers: Fungi from Yuggoth besteht aus 36 Sonetten, die Lovecraft zwischen dem 27. Dezember 1929 und dem 4. Januar 1930 verfasste. Ausgewählte Sonette wurden im Weird Tales Magazine veröffentlicht. Erstmals komplett erschien der Zyklus in Lovecrafts Sammlung “Beyond the Wall of Sleep”, die von August Derleth 1943 herausgegeben wurde, sowie 2001 in “The Ancient Track: The Complete Poetical Works of H. P. Lovecraft”. Die erste Publikation, die den Zyklus in der richtigen Reihenfolge brachte,  war “Fungi From Yuggoth & Other Poems”. Herausgegeben von Random House 1971. Lovecraft wählte für seinen Zyklus eine Mischform aus Sonetten-Stilen. Bei genauerem Hinsehen ist es schwierig, wirklich von Sonetten zu sprechen. Als Übersetzer habe ich mich dafür entschieden, auf die Endreime zu verzichten, um die von Lovecraft intendierte Erzählform beibehalten zu können. Wie immer bei Gedichten kann es sich nur um eine Nachdichtung handeln.

FUNGI FROM YUGGOTH (Übersetzt von Michael Perkampus)

Draußen in der geistlosen Leere trug mich der Dämon
Vorbei an den hellen Sternhaufen des vermessenen Raums,
Bis sich weder Zeit noch Materie vor mir ausdehnte,
Sondern nur noch Chaos, ohne Form und Ort.
Hier murmelte der große Herr, von der Dunkelheit bedeckt,
Von Dingen, die ihm in seinen Träumen erschienen waren,
Die ihm jedoch versagt waren zu verstehen,
Während in seiner Nähe formlose Fledermaus-Dinge flatterten
Und in irrwitzigen Strudeln schwankten, die von Lichtströmen angefacht wurden.

Sie tanzten wie wild zu dem hohen, dünnen Wimmern
Einer zerbrochenen Flöte, die in einer monströsen Pfote steckte,
Von dort flossen die ziellosen Wellen, deren zufällige Verknüpfung
Jedem zerbrechlichen Kosmos sein ewiges Gesetz verleiht.
“Ich bin sein Gesandter”, sagte der Dämon,
Als er verächtlich auf den Kopf seines Meisters einschlug.

Yuggoth 21 – Nyarlathotep

Yuggoth

Anmerkung des Übersetzers: Fungi from Yuggoth besteht aus 36 Sonetten, die Lovecraft zwischen dem 27. Dezember 1929 und dem 4. Januar 1930 verfasste. Ausgewählte Sonette wurden im Weird Tales Magazine veröffentlicht. Erstmals komplett erschien der Zyklus in Lovecrafts Sammlung “Beyond the Wall of Sleep”, die von August Derleth 1943 herausgegeben wurde, sowie 2001 in “The Ancient Track: The Complete Poetical Works of H. P. Lovecraft”. Die erste Publikation, die den Zyklus in der richtigen Reihenfolge brachte,  war “Fungi From Yuggoth & Other Poems”. Herausgegeben von Random House 1971. Lovecraft wählte für seinen Zyklus eine Mischform aus Sonetten-Stilen. Bei genauerem Hinsehen ist es schwierig, wirklich von Sonetten zu sprechen. Als Übersetzer habe ich mich dafür entschieden, auf die Endreime zu verzichten, um die von Lovecraft intendierte Erzählform beibehalten zu können. Wie immer bei Gedichten kann es sich nur um eine Nachdichtung handeln.

FUNGI FROM YUGGOTH (Übersetzt von Michael Perkampus)

Und zum Schluss kam aus dem inneren Ägypten
Der seltsame Dunkle, vor dem sich die Fellachen verneigten;
Schweigend und hochgewachsen und hintergründig stolz,
Und in Stoffe gewandet, die rot wie die Flamme des Sonnenuntergangs sind.
Scharen von Menschen, die sich um ihn herumdrängten,
Verzweifelt auf seine Befehle warteten;
Aber als sie sich zerstreuten, konnten sie nicht sagen, was sie gehört hatten;
Während sich durch die Länder das ehrfürchtige Wort verbreitete,
Dass ihm wilde Bestien folgten und ihm die Hände leckten.

Bald begann vom Meer aus eine scheußliche Geburt;
Vergessene Länder mit verwilderten Goldtürmen;
Der Boden war zerklüftet, und irrsinnige Polarlichter rollten
Auf die bebenden Zitadellen der Menschen herab.
Und indem es das zermalmte, was er spielerisch zu formen wagte,
Blies das kriechende Chaos den Staub der Erde davon.

Jim Butcher: Blendwerk (Die dunklen Fälle des Harry Dresden 15)

Ich habe in den letzten Jahren eine wunderbare Zeit damit verbracht, mich durch Jim Butchers Kult-Reihe “Dresden Files” zu lesen. Die dunklen Fälle des Harry Dresden” ist die bekannteste und beeindruckendste Urban-Fantasy-Serie, in der wir den titelgebenden Magier Harry Dresden begleiten, der übernatürliche Verbrechen untersucht und Chicago vor ebensolchen Bedrohungen schützt. Diese Serie ist so verdammt gut, und ich liebe die einzigartige Kombination aus Mystery, großartigen Charakteren und intensivem Weltenbau, mit der Butcher ein brillantes, modernes Fantasy-Universum erschafft. Die letzten Bücher, darunter Wandel, Geistergeschichten und Eiskalt, zeigen Butcher auf seinem absoluten Höhepunkt, vor allem, weil er wirklich ausgefeilte und originelle Geschichten erzählt.

Harry Dresden, Chicagos einziger praktizierender Zauberer und neuer gesalbter Ritter des Winters, steckt in Schwierigkeiten. Mit einem magischen Parasiten im Kopf sitzt er auf einer Insel mitten im Lake Michigan fest und hat nur noch wenige Tage zu leben. Die Rettung naht, als seine Chefin, die Winterkönigin Mab, auf der Insel eintrifft und anbietet, ihn zu retten. Doch von Mab gibt es nichts umsonst, und die Bedingungen für ihre Hilfe könnten sich als ebenso tödlich erweisen.

Um eine alte Schuld zu begleichen, hat Mab Dresden einem seiner verhasstesten und gefährlichsten Feinde, dem gefallenen Engel Nicodemus Archleone, “ausgeliehen”. Um seine finsteren Absichten zu verwirklichen, plant Nicodemus, in die persönliche Schatzkammer des griechischen Gottes Hades einzudringen und mehrere wertvolle Artefakte zu stehlen. Doch Nicodemus kann dies nicht alleine bewerkstelligen und heuert eine Gruppe von Schurken, Dieben und Spezialisten sowie Dresden an, um den Auftrag auszuführen. Gelingt es ihnen, werden sie alle unermesslich reich, scheitern sie jedoch, sind ihre Seelen für immer in der Unterwelt gefangen.

Im Laufe der Mission wird schnell klar, dass Nicodemus nicht die Absicht hat, einen seiner Leute am Leben zu lassen, schon gar nicht Dresden und seine Verbündeten. Um zu überleben, muss Dresden die vielen Hindernisse überwinden, die zwischen ihnen und dem Schatz, den sie suchen, liegen, und gleichzeitig einen Weg finden, Nicodemus aufzuhalten, ohne die Vereinbarung zu brechen, die Mab mit ihm geschlossen hat.

Mögen die Spiele beginnen! Ich bin immer wieder beeindruckt, wie Butcher es schafft, in dieser Serie herausragende und epische Bücher zu schreiben, und fast jedes Dresden Files-Buch ist besser als das letzte. Blendwerk ist ein großartiges Beispiel dafür, denn Butcher liefert eine seiner bisher unterhaltsamsten Geschichten mit so vielen Wendungen, Verrat und fantastischen Enthüllungen, wie man es sich nur wünschen kann.

Was die Urban Fantasy betrifft, so ist der Markt voll von Anwärtern. Es gibt eine Fülle von Figuren, die in unserer modernen Welt den guten Kampf gegen fiese Kreaturen kämpfen. Warum ist Harry Dresden besser oder anders als diese anderen Figuren? Nun, weil es keinem Autor gelingt, seine Serie über einen längeren Zeitraum aufrechtzuerhalten. Bei den “dunklen Fällen des Harry Dresden” gibt es die Probleme des sinkenden Niveaus nicht.

Ich kann gar nicht genug betonen, wie gut der Plot von Blendwerk ist, vor allem, weil Butcher sich eine besonders clevere und spannende Räuberpistole ausgedacht hat, um die sich die Geschichte dreht. Nachdem der Leser die Geschehnisse des letzten Bandes verfolgt hat, wird er schnell in das neue Szenario hineingezogen, in dem Dresden gezwungen wird, für seinen alten Feind Nikodemus zu arbeiten. Dies führt zu einem klassischen Heist, in dem Dresden auf Nicodemus’ verwegene Crew trifft, neue Mitglieder rekrutiert und die nötigen Ressourcen sammelt, um in den Tresorraum einzubrechen, auch wenn das Ziel weitaus übernatürlicher ist als man das kennt. Butcher baut auch die fantastische Dynamik zwischen Dresden und Nikodemus ein, die gegeneinander intrigieren. Beide wissen, dass der andere sie irgendwann verraten wird, sind aber gezwungen, sich in der Öffentlichkeit an die Regeln zu halten, um den magischen Pakt zwischen Nicodemus und Mab zu bewahren. Dies führt zu einer Reihe von Verrat, Manipulation und Konfrontationen, bei denen sich Dresden auf einem schmalen Grat bewegt, während er versucht, Nikodemus aufzuhalten. Gleichzeitig kehren einige großartige Charaktere zurück, was zu einigen starken und persönlichen Handlungssträngen führt.

Es gibt so viele großartige Story-Elemente, die sich durch den Großteil der Erzählung von Blendwerk ziehen, dass man extrem gefesselt ist, wenn man zum Hauptereignis, dem Raub, kommt. Der zeigt dann auch alles, was man sich erhofft, denn Dresden und seine Gangsterbande unternehmen einige waghalsige Aktionen, um ihre Ziele zu erreichen. Es gibt brillante Wendungen, faszinierende Enthüllungen und mehrere brutale Szenen, einschließlich eines herzzerreißenden Moments, der den Hauptantagonisten betrifft. Alles führt zum unvermeidlichen Verrat, bei dem sich Dresden und Nikodemus endlich gegenüberstehen, nachdem sie sich das ganze Buch über um den Finger gewickelt haben.

Eines der Dinge, die bei der Lektüre der Dresden Files auffällt, ist die Art und Weise, wie Butcher jeden Roman zugänglich macht, denn jeder Eintrag in der Reihe kann mehr oder weniger unabhängig von den anderen gelesen werden. Je tiefer man jedoch in die Dresden Files eintaucht, desto mehr verweist das neue Buch auf Elemente aus früheren Romanen, während es gleichzeitig auf bestehenden Handlungssträngen und Charakterbögen aufbaut. Blendwerk ist dafür ein hervorragendes Beispiel, denn Neueinsteiger können sich wunderbar in das Buch einfinden, zumal Butcher alle wichtigen Handlungspunkte, die Neueinsteigern vielleicht noch nicht bekannt sind, gut erklärt. Aber auch Fans der Serie werden von diesem Buch profitieren, da Butcher hier einige überraschende Handlungsstränge fortsetzt oder abschließt. Insbesondere gibt es viele Bezüge zu den letzten beiden Büchern, in denen Nikodemus als Antagonist auftrat, Silberlinge und Kleine Gefallen, da Dresden seinen tödlichen Kampf gegen seinen alten Feind fortsetzt und sich an all die früheren Schlachten erinnert. In Blendwerk schließt sich auch der Kreis einiger großer Figuren, was besonders für die Leserinnen und Leser, die den Rest der Serie verfolgt haben und den Hauptfiguren bereits ans Herz gewachsen sind, sehr bewegend ist.

Daher würde ich wahrscheinlich empfehlen, den Rest der Serie zu lesen, bevor man Skin Game ausprobiert, vor allem, weil man dann eine viel beeindruckendere Zeit verbringt. Wer jedoch auf der Suche nach einem unterhaltsamen und bewegenden Fantasy-Räuberroman ist, kann sich ohne Probleme auf Blendwerk stürzen und eine tolle Zeit mit Verrat, Lügen und Betrug verbringen. Wie immer ist eines der besten Elemente dieses Dresden Files-Romans die außergewöhnliche Charakterarbeit. Butcher gelingt es immer wieder, komplexe und starke Charakterbögen zu entwickeln, die die vielen Facetten seiner hervorragenden Protagonisten und Bösewichte zum Vorschein bringen. Blendwerk ist eines der besten Bücher, die Butcher bisher veröffentlicht hat, mit einer interessanten Besetzung und einigen tiefgründigen und intensiven Charakterbögen, die zeigen, wie sehr sich viele der Protagonisten verändert haben.

Black Hammer 2: Das Ereignis

Black Hammer: Das Ereignis
Black Hammer: Das Ereignis
Splitter-Verlag

Abraham Slam und seine „Familie“ seltsamer Helden sind an einen ländlichen Ort gebunden, den sie nicht verlassen können. Die Abenteuer, die sie in Spiral City erlebten, scheinen in einer völlig anderen Dimension stattgefunden zu haben. Als aber Lucy, die Tochter Black Hammers, wie aus dem Nichts auftaucht, werden ihre Hoffnungen wieder geweckt, vielleicht doch entkommen zu können. Lucy beginnt jedoch damit, etwas viel Dunkleres aufzudecken, als sich alle vorgestellt haben, und die Hoffnungen und Träume der Helden scheinen sich endgültig zu zerschlagen.

Black Hammer gewann 2017 den Eisner-Award als beste neue Serie. Jeff Lemire spielt hier mit allem, was wir über Superhelden wissen und bereitet uns damit ein postmodernes Vergnügen. Hier geht es nicht um heldenhaften Ruhm, sondern um Streit, Wut und Trauer. Wir erfahren auch in diesem Band nicht, was eigentlich passiert ist, als man dem Anti-Gott gegenüberstand, Black Hammer ihn offensichtlich mit einem Schlag vernichtete und sie überhaupt erst in diese Situation brachte. Und wenn der erste Band das Setting vor uns ausbreitete wie eine Tischdecke, ruhig und in relativ langen Einstellungen, nimmt die Geschwindigkeit jetzt etwas zu. Durch Lucy kommt Bewegung ins Spiel, weil sie sich andere Fragen stellt als die Helden, die nach zehn Jahren in dieser scheinbaren Idylle bereits aufgegeben haben, daran zu denken, jemals von hier verschwinden zu können. Allein die Androidin Talkie-Walkie bastelt in regelmäßigen Abständen an Sonden, die den Weg nach draußen finden sollen. Ein Unterfangen, das jedes Mal aus den unterschiedlichsten Gründen scheitert.

Lucy; Splitter-Verlag

Im Kapitel “The Ballad of Talkie-Walkie” werden wir Zeuge der seltsamen Freundschaft zwischen der Androidin und Colonel Weird. Das erhöht den Fragenkomplex um ein Vielfaches, vor allem weil wir kurz vor diesem Kapitel erfahren müssen, dass der Colonel wohl etwas mehr zu wissen scheint als alle anderen. Das liegt natürlich daran, dass er durch die Para-Zone reisen kann. Ein Rettungsweg ist das allerdings nicht, denn außer dem Colonel würde jeder dort den Verstand verlieren. Selbst an Randall Weird geht der Aufenthalt dort nicht spurlos vorbei. Und dort muss er etwas in Erfahrung gebracht haben, das ihm wirklich zusetzt, so sehr, dass er sogar seine Freunde hintergeht.

Neben Lucys sehr beunruhigenden Entdeckungen, bekommen wir wieder genial in die Haupthandlung einfließende Rückblenden. Wir sehen, wie der Sozialarbeiter Joe Weber zu Black Hammer wird und wie er die ein oder andere falsche Entscheidung trifft, die schließlich zu all dem – und zu seinem Tod führen wird. Allerdings sind diese Entscheidungen keine leichtfertigen, sie rechtfertigen sich durch die Liebe zu seiner Tochter und seiner Familie. Das Interessante an Black Hammers Superkraft ist, dass es nicht um die Person geht – außer dass sie reinen Herzens zu sein hat. Sie überträgt sich durch den riesigen Hammer. Wie Thors Hammer verwandelt auch dieser den Träger zurück in eine menschliche Gestalt, wenn der Stil auf den Boden geschlagen wird.

Gail, die ihre Kraft von einem alten Zauberer bekam, kann ihre Kraft ebenfalls übertragen. Dadurch schaffte sie sich in ihrem Heldenleben eine kleine Gruppe namens “Golden Family”, um sich “zur Ruhe” zu setzen. Einerseits ist sie damit das Pastiche der Mary Marvel und die “Golden Family” nichts anderes als die “Marvel-” bzw. “Shazam-Family”, andererseits hat sie eine Schnoddrigkeit, die sie davon abhebt. Außerdem ist die die unglücklichste unter den Helden. Als 60jährige im Körper einer 9jährigen gefangen zu sein und sich nicht mehr zurückverwandeln zu können erklärt ihr überaus reizbares Wesen. Aber das ist nicht alles, was sie zu tragen hat, denn mit Sherlock Frankenstein hat sie die Liebe ihres Lebens zurücklassen müssen.

Jeff Lemire hatte vor, jedem der fünf Hauptcharaktere die Referenzen unterschiedlicher Zeitalter auf den Leib zu schreiben, begonnen mit Abraham Slam, der den Pulp-Magazinen der 30er Jahren entsprungen scheint. Eine ehrliche und raue Haut, einfach gestrickt, aber verlässlich.

Colonel Weird, der mehr über das angebliche Idyll zu wissen scheint, findet seine Vorlage in den Mystery in Space-Comics um Adam Strange. Barbalien, der seine Einsamkeit überwinden will und auf der Suche nach Nähe dazu neigt, kleine Gesten falsch zu interpretieren, was ihn gerade noch einsamer werden lässt, weil seine homoerotische Ausrichtung kein geeignetes Gegenüber findet, ist eher ein Held der Bronzezeit, und Madam Dragonfly erinnert an das House of Mystery und das frühe Vertigo-Material der 1980er.

Das Ereignis selbst – und damit der größte Storybogen – lehnt sich an das Crisis-of-Infinite-Earths-Event von DC an, das ein erstes postmodernes Beben in der Comicszene ausgelöst und Lemire ziemlich stark beeinflusst hat.

Und so führt uns dieser Band noch tiefer in die Psyche und Erlebniswelt der Charaktere hinein. Das ist sogar das Hauptanliegen. Lemire und Ormston öffnen nun endgültig den Füllkrug, den sie in Vergessene Helden vorskizziert haben (unterstützt von David Rubin, der in Sherlock Frankenstein die Zeichnungen ganz übernimmt). Gemütskrank sind sie alle, voller Trauer halten sie sich an kleinen Strohhalmen fest, die vielleicht gar nicht existieren.

Yuggoth 20 – Die von der Nacht versehrten

Yuggoth

Anmerkung des Übersetzers: Fungi from Yuggoth besteht aus 36 Sonetten, die Lovecraft zwischen dem 27. Dezember 1929 und dem 4. Januar 1930 verfasste. Ausgewählte Sonette wurden im Weird Tales Magazine veröffentlicht. Erstmals komplett erschien der Zyklus in Lovecrafts Sammlung “Beyond the Wall of Sleep”, die von August Derleth 1943 herausgegeben wurde, sowie 2001 in “The Ancient Track: The Complete Poetical Works of H. P. Lovecraft”. Die erste Publikation, die den Zyklus in der richtigen Reihenfolge brachte,  war “Fungi From Yuggoth & Other Poems”. Herausgegeben von Random House 1971. Lovecraft wählte für seinen Zyklus eine Mischform aus Sonetten-Stilen. Bei genauerem Hinsehen ist es schwierig, wirklich von Sonetten zu sprechen. Als Übersetzer habe ich mich dafür entschieden, auf die Endreime zu verzichten, um die von Lovecraft intendierte Erzählform beibehalten zu können. Wie immer bei Gedichten kann es sich nur um eine Nachdichtung handeln.

FUNGI FROM YUGGOTH (Übersetzt von Michael Perkampus)

Ich kann nicht sagen, aus welcher Gruft sie krochen,
Doch Nacht für Nacht erblickte ich die gummiartigen Wesen,
Schwarz und gehörnt und ausgezehrt, mit membranartigen Flügeln
Und Schwänzen, die den zweifachen Stachel der Hölle trugen.
Sie kamen in Heerscharen aus dem Wellengang des Nordwinds
Und verschleppten mich auf monströse Reisen in graue Welten
Die tief im Quell des Albtraums verborgen liegen,
Mit einer obszönen Umklammerung, stechend und brennend.

Unbeachtet aller Schreie, die aus mir brachen
Fegten sie über die zerklüfteten Gipfel von Thok
Und hinunter in die Niederungen bis zu jenem fauligen See,
Wo die aufgeblähten Shoggothen in ihrem zweifelhaften Schlaf treiben.
Aber ach! Wenn sie doch nur ein paar Geräusche machen
Oder ein Gesicht tragen würden, wo man Gesichter finden sollte!

Swamp Thing: Der Sämann

Alec Holland aka Swamp Thing ist eine der aufregendsten Figuren der ganzen Comicwelt. In der Geschichte dieses Comics gab es viele Höhen und Tiefen, sein letzter eigener Auftritt fand im neuen DC-Universum (New 52) statt, in „DC-Rebirth“ gibt es ihn nur als ein Nebenprodukt (früher war Constantine derjenige, der ihn in seiner eigenen Serie besuchte, jetzt ist es genau andersherum). Der letzte Run um das Swamp Thing stammte von Charles Soule, der damals noch ein recht unbekannter Autor war. Er übernahm die Serie des neuen DC-Universums von Scott Snyder, der hier allerdings weit unter seinem Können blieb und nur halbherzig bei der Sache war.

So menschlich, wie wir sein wollen

Und auch wenn Soule im ersten Sammelband „Der Sämann“ noch ein paar Startschwierigkeiten zu haben schien, lieferte er in der Folge einen atemberaubenden Run ab und stampfte fast alles ein, was zu dieser Zeit bei DC erschien. „Der Sämann“, der dann erst im nächsten Sammelband wirklich eine große Rolle spielt, ist hier noch eine Marginalie, und so scheint es, als sei der Titel bereits der Hinweis auf die Saat, die Soule hier loslässt. Sein erster Band strotzt vor Ideen und Anfängen und es mag auf den ersten Blick aussehen, als würde er sich verzetteln. Tut er aber nicht. Seine Saat geht eben erst etwas später auf. Und er zieht uns Leser ohnehin gleich in den Bann, denn Soule macht Swamp Thing dadurch zu einem überzeugenden Charakter, weil er uns das Herz eines Menschen und die Handlungen eines Monsters vorstellt. Swamp Thing scheint Held und Schurke zugleich zu sein, was ohnehin eine ungewöhnliche Art ist, einen Hauptprotagonisten zu präsentieren.

Soules Eröffnungsmonolog erinnert uns daran, dass sein Vorgänger eine Pflanze war, die dachte, sie sei menschlich, und dass er ein Mensch ist, der denkt, eine Pflanze zu sein. Swampy fühlt sich von Metropolis angezogen, weil er mit Menschen zusammen sein will, die ihn daran erinnern, wie es sich anfühlt, Mensch zu sein. Aber er geht auch in diese Stadt, weil er Superman sprechen und ihn fragen will, warum er mit so viel Macht, die er hat, beschließt, sich wie ein Mensch zu verhalten. Superman antwortet, dass er sich mit den Menschen verbindet, indem er ihnen hilft.

(c) DC

„Wir sind keine Monster – wir können so menschlich sein, wie wir sein wollen“, sagt Superman, und in diesem Satz liegt Soules ganzes Verständnis für diese Figur. Von Anfang an gelingt es Soule, die notwendige Nähe zwischen dem Leser und Swamp Thing zu erzeugen.

Der Sämann

Soule kontrastiert das, indem er Swamp Thing die Arbeit des Sämanns rückgängig machen lässt. Das Wenige, das wir bisher über ihn wissen, ist, dass er in Wüstenregionen reist, um die Erde fruchtbar zu machen. Das klingt nicht nach dem Werk eines Schurken. Swamp Thing – der Avatar des Grüns, die natürliche Lebenskraft des Planeten – tut, was ihm gesagt wird, wie ein gedankenloser Soldat, indem er die Arbeit des Sämanns zerstört, weil dessen Kraft vom Grün abfließt (eine Handlung, die fast derjenigen in Robert Vendittis Green Lantern entspircht, wo ein Wesen namens Relic versucht, die Lanterns zu stopppen, da ihre Ringe das Lichtreservoir des Universums verbrauchen); Soule schrieb zu dieser Zeit die Red Lantern-Serie, deren Handlung dann in die Green Lantern-Serie überging). Es ist verständlich, dass Swamp Thing die Arbeit des Sämanns rückgängig macht, da sonst die Ökologie dieses speziellen Bereichs gestört wird, aber es ändert nichts an der Tatsache, dass die Aktionen von Swamp Thing Tausende von Menschen das Leben kosten

Die Superman-Geschichte hat zwar seine Momente in der Begegnung der beiden Figuren, und sogar mit Scarecrow, dessen Angstgift Swamp Thing versehentlich die Metropole angreifen lässt. Aber trotz seiner Kürze ist es immer noch eine Geschichte, die nicht viel zu erzählen hat. Im Grunde genommen war das Treffen mit Superman der Grund für diese erste Erzählung, in der uns noch einmal die unglaubliche Kraft des Swamp Thing vor Augen geführt wird (auch wenn das gar nicht notwendig ist).

Später in Louisiana trifft Swamp Thing auf eine alte Kreatur namens Capucine, die ihn um Zuflucht bittet. Das ist eine faszinierende Figur, die ebenfalls erst später zur Entfaltung kommt. Hier bekommen wir zunächst eine Rückblende aus einer Vergangenheit, die Jahrhunderte zurückliegt und in der der Vorgänger des Swamp Thing die Regeln für zukünftige Avatare des Grüns festgelegt hat.

Der Whiskeybaum

Der erste Höhepunkt des ganzen Runs ist Der Whiskeybaum, ein Zweiteiler, in dem der Sämann in Fetters Hill aufgetaucht, einem abgelegenen schottischen Dorf, das früher ein florierendes Whiskygeschäft hatte, aber in schwere Zeiten geraten ist. Der Sämann schenkt der Stadt einen unnatürlichen Whiskeybaum, dessen Frucht eine berauschende Bernsteinflüssigkeit produziert, die den Trinker verrückt macht. Dies ist das erste Mal, dass die Handlungen des Sämanns eindeutig auf etwas Negatives hinweist. Während das Swamp Thing versucht, den Schaden wiedergutzumachen, zieht es auch Constantine aufgrund der magischen Präsenz in diese Gegend. Ganz untypisch für ihn, erkennt er nicht, dass der Whiskey, den er trinkt, verflucht und gefährlich ist, und wird selbst zu einer blutrünstigen Person. Leider endet diese Geschichte etwas zu abrupt in einem vierseitigen Finale durch ein Deus ex machina, in dem es dem stark geschwächten Swamp Thing irgendwie gelingt, das Grün zu kontaktieren und jeden, der von dem Whiskey getrunken hat, unschädlich zu machen.

Der Band schließt mit Anton Arcane, der noch im Snyder-Run als Avatar der Fäule eingesetzt wurde. Diese Rolle ist aber nun Abby Arcane zugefallen.In den folgenden Bänden werden wir mehr von ihr sehen. Diese letzte Kapitel erzählt Arcanes Lebensgeschichte in all seiner Grausamkeit.

Jene Charaktere, die schon lange erzählt werden, mögen im Laufe der Zeit inkonsistent wirken. Was bei Swamp Thing jedoch auffällt, ist, dass die Zeichnungen auf einem konstant hohen Level anzusiedeln sind. Angefangen von den frühen Künstlern Bernie Wrightson, Stephen Bissette und Rick Veitch bis hin zu Yanick Paquettes wunderschönem Werk produziert das Kunstteam von „Der Sämann“ (Kano, Alvaro Lopez, David Lapham, Jesus Saiz und Jock) in diesem Buch wunderbare Arbeiten.

Soule bringt Swamp Thing in viele ungleiche Regionen des Planeten – die Wüsten Afrikas, die städtische Metropole, Louisiana, Schottland – und da Swamp Thing aus den Pflanzen dieser Region besteht, ist er in jeder Inkarnation deutlich anders. In der Wüste ähnelt er einem Kaktus; in Louisiana ist er zähflüssiger, um die Sümpfe zu reflektieren; im ländlichen Schottland ist er grüner, um die Wälder zu reflektieren.

Swamp Thing verfügt überall auf der Welt über das Netzwerk des Grüns und seine Reise durch die Welt sieht aus wie eine Trip durch eine alternative Welt. Kano/Laphams Schottland ist besonders reizvoll, da wir hier mit einer erstaunlichen Splash-Seite von Swampy belohnt werden, der so groß ist wie ein Berg, der von einem Wald bedeckt ist, mit einem Wasserfall auf der Schulter. Im Vergleich zu einer früheren Szene, in der er sich auf die Größe eines Auges, das aus einem Baum linst, reduzieren kann, zeigen diese beiden wunderbar gezeichneten Beispiele die Bandbreite, mit der Swamp Thing agieren kann.

Bereits in diesem Band fühlte sich das Swamp Thing wieder frisch an, und in den Folgebänden gelang es Soul auch seine erzählerische Leistung derart zu festigen, dass sein Run zu etwas wirklich Großartigem wurde.

Dennis Etchison: Blut und Küsse

Dennis William Etchison gilt als einer der originellsten lebenden Horror-Autoren Amerikas, gewann dreimal den British Fantasy Award als Autor und einmal den World Fantasy Award als Herausgeber.

The Blood Kiss (dt. Blut und Küsse) war Etchisons dritte Sammlung von Stories, die doch tatsächlich (und man wundert sich) von Bastei/Lübbe 1990 als bisher einzige Veröffentlichung des Meisters psychologischen Horrors auf deutsch erschien. Vermutlich ein Zufall, denn mit der Klasse, mit der Etchison aufwartet, lässt sich kein goldener Bart finanzieren. Das erklärt auch, warum er in Deutschland nahezu unbekannt ist und es kaum einer unserer Verlage angehen wird, diesen großartigen Autor für das hiesige Lesepublikum zu erschließen.
Der Reiz von Etchisons Geschichten, die er selbst so beschreibt:

“… ziemlich dunkel, bedrückend, fast pathologisch nach innen gerichtete Fiktionen über den Einzelnen und sein Bezug zur Welt,”

wird von ihrer Skizzenhaftigkeit erzeugt. Geschehnisse werden anders beleuchtet als gemeinhin üblich. Hinter den Zeilen entsteht eine Menge dunkler Raum, der angereichert ist mit Unbenennbarkeiten. Er lädt ein, sich in ihm zu verlieren, es gibt keinen Weg zurück. In diese Texte dringt man ein oder man bleibt außerhalb stehen. Einen Mittelweg gibt es nicht. Die Sätze nehmen den Leser weder bei der Hand, noch lullen sie ihn ein. Am Ende bleibt das trockene Gefühl auf der Zunge, das Gefühl, etwas Verbotenes beobachtet zu haben, das man nicht ganz versteht, obwohl man es doch gesehen hat; wie ein Alptraum, an den man sich am Morgen nicht mehr erinnern kann. Roh liegen diese Texte vor uns, scheinen keinen Körper zu besitzen, keinerlei Oberfläche, bestechen durch ihre raffinierte Tiefe und einen einzigartigen Stil.

Yuggoth 19 – Die Glocken

Yuggoth

Anmerkung des Übersetzers: Fungi from Yuggoth besteht aus 36 Sonetten, die Lovecraft zwischen dem 27. Dezember 1929 und dem 4. Januar 1930 verfasste. Ausgewählte Sonette wurden im Weird Tales Magazine veröffentlicht. Erstmals komplett erschien der Zyklus in Lovecrafts Sammlung “Beyond the Wall of Sleep”, die von August Derleth 1943 herausgegeben wurde, sowie 2001 in “The Ancient Track: The Complete Poetical Works of H. P. Lovecraft”. Die erste Publikation, die den Zyklus in der richtigen Reihenfolge brachte,  war “Fungi From Yuggoth & Other Poems”. Herausgegeben von Random House 1971. Lovecraft wählte für seinen Zyklus eine Mischform aus Sonetten-Stilen. Bei genauerem Hinsehen ist es schwierig, wirklich von Sonetten zu sprechen. Als Übersetzer habe ich mich dafür entschieden, auf die Endreime zu verzichten, um die von Lovecraft intendierte Erzählform beibehalten zu können. Wie immer bei Gedichten kann es sich nur um eine Nachdichtung handeln.

FUNGI FROM YUGGOTH (Übersetzt von Michael Perkampus)

Jahr für Jahr hörte ich dieses dumpfe, weit entfernte
Läuten von tiefklingenden Glocken, getragen vom schwarzen Mitternachtswind;
Sie ertönten von keinem Kirchturm, den ich jemals finden konnte,
Aber sie klangen merkwürdig, wie durch eine große Leere getragen.
Ich suchte in meinen Träumen und Erinnerungen nach einem Anhaltspunkt
Und dachte an all die Glockentöne, die meine Visionen trugen;
An das stille Innsmouth, wo die weißen Möwen um einen
Alten Turm herum verweilten, den ich einst kannte.

Stets war ich verwirrt, wenn ich diese weit entfernten Töne fallen hörte,
Bis mich in einer Märznacht der düstere, klirrende Regen
Durch die Tore der älteren Türme zurückrief, dorthin,
Wo die bösartigen Schwingungen sich wie toll gebärdeten.
Die Glocken läutetet – aber sie sprachen von sonnenlosen Gezeiten,
Die sich durch versunkene Täler auf dem toten Meeresboden ergießen.

Yuggoth 18 – Die Gärten von Yin

Yuggoth

Anmerkung des Übersetzers: Fungi from Yuggoth besteht aus 36 Sonetten, die Lovecraft zwischen dem 27. Dezember 1929 und dem 4. Januar 1930 verfasste. Ausgewählte Sonette wurden im Weird Tales Magazine veröffentlicht. Erstmals komplett erschien der Zyklus in Lovecrafts Sammlung “Beyond the Wall of Sleep”, die von August Derleth 1943 herausgegeben wurde, sowie 2001 in “The Ancient Track: The Complete Poetical Works of H. P. Lovecraft”. Die erste Publikation, die den Zyklus in der richtigen Reihenfolge brachte,  war “Fungi From Yuggoth & Other Poems”. Herausgegeben von Random House 1971. Lovecraft wählte für seinen Zyklus eine Mischform aus Sonetten-Stilen. Bei genauerem Hinsehen ist es schwierig, wirklich von Sonetten zu sprechen. Als Übersetzer habe ich mich dafür entschieden, auf die Endreime zu verzichten, um die von Lovecraft intendierte Erzählform beibehalten zu können. Wie immer bei Gedichten kann es sich nur um eine Nachdichtung handeln.

FUNGI FROM YUGGOTH (Übersetzt von Michael Perkampus)

Jenseits dieser Mauer, deren altes Gefüge
In moosverdickten Türmen fast bis zum Himmel reichte
Könnte man terrassenförmige Gärten finden, reich an Blumen,
Und in denen Vögel, Schmetterlinge und Bienen schwirren.
Es gäbe Spazierwege und Brücken, die sich über warme
Lotosbecken wölben und die Dachtraufen des Tempels reflektieren,
Und Kirschbäume mit zarten Ästen und Blättern
Vor einem rosa Himmel gelegen, in dem die Reiher schweben.

Alles wäre da, denn hätten sonst alte Träume das Tor
Zu diesem steinernen Labyrinth geöffnet,
In dem sich schläfrige Ströme winden,
Begleitet von grünen Reben, die an gekrümmten Zweigen hängen?
Ich sputete mich – aber als sich die Mauer vor mir erhob, düster und groß,
Stellte ich fest, dass es keinen Zugang mehr gab.

Yuggoth 17 – Eine Erinnerung

Yuggoth

Anmerkung des Übersetzers: Fungi from Yuggoth besteht aus 36 Sonetten, die Lovecraft zwischen dem 27. Dezember 1929 und dem 4. Januar 1930 verfasste. Ausgewählte Sonette wurden im Weird Tales Magazine veröffentlicht. Erstmals komplett erschien der Zyklus in Lovecrafts Sammlung “Beyond the Wall of Sleep”, die von August Derleth 1943 herausgegeben wurde, sowie 2001 in “The Ancient Track: The Complete Poetical Works of H. P. Lovecraft”. Die erste Publikation, die den Zyklus in der richtigen Reihenfolge brachte,  war “Fungi From Yuggoth & Other Poems”. Herausgegeben von Random House 1971. Lovecraft wählte für seinen Zyklus eine Mischform aus Sonetten-Stilen. Bei genauerem Hinsehen ist es schwierig, wirklich von Sonetten zu sprechen. Als Übersetzer habe ich mich dafür entschieden, auf die Endreime zu verzichten, um die von Lovecraft intendierte Erzählform beibehalten zu können. Wie immer bei Gedichten kann es sich nur um eine Nachdichtung handeln.

FUNGI FROM YUGGOTH (Übersetzt von Michael Perkampus)

Hier gab es weite Steppen und felsige Tafellandschaften,
Die sich in sternenklarer Nacht fast grenzenlos entfalteten,
Durchwoben von fremdartigen Lagerfeuern, die ihr schwaches Licht
Auf Bestien mit klingenden Schellen an zottigen Bändern warfen.
Weit im Süden neigte sich die Ebene tief und breit
Hinab zu einer dunkel-irren Linie aus Mauern,
Die wie eine riesige Python eines urzeitlichen Tages warteten,
Dessen verlorene Zeit längst erkaltet und versteinert war.

Ich zitterte eigentümlich in der kalten, dünnen Luft
Und fragte mich, wo ich war und wie ich hierher gekommen bin,
Als sich eine verhüllte Gestalt gegen das grelle Licht
Eines Lagerfeuers abhob und sich näherte und mich bei meinem Namen rief.
Als ich auf das tote Gesicht unter der Kapuze starrte,
Ließ ich alle Hoffnung fahren, denn ich verstand.

Der Macbeth-Fluch

Macbeth, eines der populärsten Stücke Shakespeares, weist eine bizarre und gefährliche Vergangenheit auf, die bis zu seiner Uraufführung Anfang des 16. Jahrhunderts zurückreicht. Die Behauptung, dass es einen Macbeth-Fluch gebe, ist eine auffallende Anomalie. In dem Stück wird Macbeth von Schlaflosigkeit geplagt, und seine Frau, Lady Macbeth, neigt zum Schlafwandeln. Im Verlauf des Stücks manifestiert sich bei Macbeth zunehmend eine paranoide Symptomatik, die durch die Besorgnis motiviert ist, seine Verfehlungen könnten ans Licht gebracht werden. Der Geist Banquos, den Macbeth hat töten lassen, kehrt zurück, um ihn heimzusuchen und symbolisiert sein schlechtes Gewissen.

Die Legende besagt, dass der Junge, der die Rolle der Lady Macbeth spielte, während der ersten Aufführung erkrankte und kurz vor der Aufführung starb. Shakespeare selbst musste sich daraufhin verkleiden, um die Rolle zu spielen.

König Jakob I. soll von dem blutigen Geschehen auf der Bühne so angewidert gewesen sein, dass er die Wiederaufführung des Stücks für mehrere Jahre verbot. Das Stück wurde weiterhin von Tragödien heimgesucht. Besonders gefährlich war es, die Rolle der Lady Macbeth zu spielen. Schauspielerinnen, die diese Rolle spielten, wurden vom Publikum aus dem Theater gejagt, weil sie glaubten, die Schauspielerin sei eine echte Mörderin. Eine andere Schauspielerin stürzte während der berüchtigten Schlafwandlerszene fünf Meter tief von der Bühne. Und 1926 improvisierte ein kleiner Schauspieler seine Rolle und versuchte, Lady Macbeth auf der Bühne zu erwürgen. Bei einer Aufführung 1849 in New York geriet das Publikum so in Rage, dass ein Aufstand ausbrach, bei dem mehr als 30 Menschen starben.

Die Aufführungen des 20. Jahrhunderts waren besonders brutal. Als Laurence Olivier 1937 die Titelrolle spielte, löste sich auf mysteriöse Weise ein Schwergewicht über der Bühne und stürzte nur wenige Zentimeter neben dem Schauspieler zu Boden. In dieser Inszenierung wurden in den Kampfszenen leichtsinnigerweise echte Schwerter verwendet. In einem Fall brach die Spitze eines der Schwerter ab und flog in den Zuschauerraum. Sie traf einen Mann und verursachte bei ihm einen Herzinfarkt. Den Rekord für die meisten Unfälle hält eine Produktion von 1942 mit John Gielgud in der Hauptrolle. Drei Schauspieler starben während der Aufführung und der Kostümbildner beging unmittelbar nach der Premiere Selbstmord. 1953 spielte Charlton Heston die Hauptrolle und erlitt schwere Verbrennungen an den Beinen. Später stellte sich heraus, dass seine Strumpfhose auf mysteriöse Weise mit Kerosin getränkt worden war. Die Liste des Unglücks ist lang.

Theaterleute sind ein abergläubischer Haufen, und alles, was so viel Ärger macht wie Macbeth, hat eine ganze Reihe von Überlieferungen. Zum Beispiel spricht niemand den Namen “Macbeth” aus, es sei denn, es wird für das Stück geprobt oder es wird tatsächlich aufgeführt. Das Stück selbst wird in Theaterkreisen allgemein als “The Scottish Play” bezeichnet. Natürlich kommt es vor, dass Schauspieler den Titel des Stücks versehentlich aussprechen. Und es gibt zahlreiche Geschichten darüber, wie das Unglück abgewendet werden kann, wenn dies geschieht. Die meisten Varianten sehen vor, das Theater zu verlassen, sich dreimal umzudrehen, zu fluchen, über die linke Schulter zu spucken und darauf zu warten, dass man wieder ins Theater eingeladen wird. Die große Frage ist, was den Macbeth-Fluch ausgelöst hat. Dazu gibt es verschiedene Ansichten. Eine besagt, dass Shakespeare in seinem Stück eine Beschwörungsformel verwendet hat. Die Hexen, die der Aufführung beiwohnten, wurden so wütend, dass sie alle zukünftigen Aufführungen des Stücks verfluchten. Eine andere Version besagt, dass Shakespeare selbst das Stück verfluchte, nachdem König Jakob I. eine erneute Aufführung verboten hatte. Was auch immer der Grund sein mag, die Theatergruppen bleiben misstrauisch gegenüber dem Bühnenstück, auch wenn es sich als Publikumsliebling erweist.

Fallanalyse: Mörder aus dem Totenreich

Der zweite Fall in der frühen Karriere des Geisterjägers John Sinclair trägt den Titel Mörder aus dem Totenreich und zählt zu den grundlegenden Erzählungen, in denen sich das noch junge Sinclair-Universum formt. Die Geschichte verbindet urbane Kriminalität mit okkulten Elementen und entführt den Leser – beziehungsweise Hörer – in die mystisch aufgeladene Welt der mexikanischen Maya-Kultur. Als klassische Gruselgeschichte mit Abenteuereinschlag legt sie – ähnlich wie bereits Die Nacht des Hexers – den Grundstein für viele spätere Motive der Serie.

Die Handlung beginnt in London, wo ein scheinbar harmloser Mann in einem plötzlichen Wutanfall ein Massaker im Hyde Park anrichtet. Ähnliche Vorfälle ereignen sich fast zeitgleich in New York – auch hier verlieren bislang unauffällige Menschen plötzlich die Kontrolle über sich und werden zu brutalen Mördern. Der Reporter Bill Conolly erkennt erste Zusammenhänge und bittet seinen Freund John Sinclair um Hilfe. Dieser nimmt die Ermittlungen auf und findet bald heraus, dass alle Täter zuvor an einer archäologischen Exkursion nach Yucatán teilgenommen haben – ein Hinweis, der die Geschichte aus dem Herzen Europas direkt in den dichten Dschungel Mexikos führt.

Mit der Reise auf die Halbinsel Yucatán ändert sich nicht nur der Schauplatz, sondern auch der Ton der Geschichte. Wo sich zuvor das Grauen in vertrauten urbanen Räumen abspielte, dominiert nun eine fremde, unheimliche Atmosphäre. Inmitten von Ruinen und tiefem Dschungel stoßen John und Bill auf den sogenannten „Herrn der Toten“, eine dämonische Macht, die in alten Maya-Ritualen verwurzelt ist. Dieser Antagonist kontrolliert seine Opfer nicht durch rohe Gewalt, sondern durch geistige Manipulation. Seine Macht besteht darin, die Seelen der Menschen zu vergiften, sie willenlos zu machen und in Mordwerkzeuge zu verwandeln. Diese Bedrohung ist umso erschreckender, als sie die eigene Identität, die menschliche Freiheit und den freien Willen untergräbt.

Der „Herr der Toten“ wird in der Hörspielbearbeitung von Friedhelm Ptok mit ruhiger, fast väterlicher Stimme gesprochen. Diese nüchterne Darstellungsweise verleiht ihm eine unheimliche Präsenz, die sich nicht aus Lautstärke oder Aggressivität speist, sondern aus einer tiefen Unabwendbarkeit. Er wirkt nicht wie ein wütender Dämon, sondern wie ein kalter Strippenzieher aus dem Jenseits, der seine Opfer mit der Gewissheit des Unausweichlichen lenkt. Damit steht er exemplarisch für ein Böses, das nicht einfach zu bekämpfen ist – es lauert im Inneren der Menschen.

John Sinclair, noch ohne magisches Kreuz oder ein ganzes Team aus Mitstreitern ausgestattet, bleibt in diesem Fall auf sich allein gestellt. Er ist weniger der Actionheld, als vielmehr ein rational denkender Ermittler, der Hinweise kombiniert und Zusammenhänge erkennt. Die Figur ist in dieser frühen Phase noch nahbar, verletzlich und menschlich – was insbesondere in den Szenen deutlich wird, in denen er um seinen Freund Bill kämpft, der selbst beinahe dem Bann des Totenherrschers verfällt. Diese emotionale Komponente verleiht dem Fall zusätzliche Tiefe: Hier geht es nicht nur um das Aufhalten eines Bösewichts, sondern um Loyalität, Opferbereitschaft und die Frage, wie weit man gehen würde, um einen geliebten Menschen zu retten.

Atmosphärisch gelingt der Geschichte ein stimmiger Wechsel zwischen zwei gegensätzlichen Welten. Während der Schrecken in London und New York durch seine Plötzlichkeit und scheinbare Willkür beunruhigt, entfaltet die zweite Hälfte in Mexiko eine mythologische Dichte. Die alten Tempel, das Dickicht des Dschungels und das Gefühl, einer uralten Macht gegenüberzustehen, schaffen eine Umgebung, in der der rationale Verstand allmählich seine Deutungshoheit verliert – und genau darin liegt der Reiz dieser Erzählung. Das Abenteuerhafte wird nicht durch übermäßige Exotik trivialisiert, sondern bewusst als Kontrast zum modernen Alltag inszeniert.

Die Hörspielumsetzung unter der Regie von Oliver Döring verstärkt diese Wirkung durch eine hochqualitative Produktion. Geräuschkulissen, Musik und Sprecherleistungen arbeiten perfekt zusammen, um die Spannung zu halten. Besonders auffällig ist die Art, wie das Grauen inszeniert wird: Weniger durch direkte Schocks, sondern durch schleichendes Unbehagen und das beklemmende Gefühl, dass der Wahnsinn jederzeit ausbrechen könnte.

Thematisch behandelt „Mörder aus dem Totenreich“ zentrale Motive der Sinclair-Reihe: den Verlust der Kontrolle, die Bedrohung durch archaische Mächte und die Zerbrechlichkeit menschlicher Zivilisation. Der Horror ist dabei nicht nur äußerlich – er greift tief in die Psyche ein. Die Vorstellung, durch einen fremden Willen zum Mörder gemacht zu werden, ist erschreckender als so mancher Dämon mit Hörnern. Zudem stellt sich implizit die Frage, ob das Böse immer „außerhalb“ zu verorten ist – oder ob es in Momenten der Schwäche auch von innen heraus kommen kann.

Mörder aus dem Totenreich ist ein früher, aber wichtiger Fall in der Karriere John Sinclairs. Die Geschichte verbindet gekonnt klassische Horrorelemente mit exotischer Mythologie und liefert einen emotionalen wie atmosphärischen Höhepunkt, der durch die Hörspieladaption weiter verstärkt wird. Der Fall besticht weniger durch Spektakel als durch eine tief sitzende Unruhe – und bleibt gerade deshalb nachhaltig in Erinnerung.

Fallanalyse: Die Nacht des Hexers

Mit dem Roman Die Nacht des Hexers beginnt 1973 nicht nur die literarische Karriere John Sinclairs, sondern auch die Entwicklung eines einzigartigen Erzählkosmos innerhalb der deutschen Populärkultur. Als erster Band der Reihe »Gespenster-Krimi« führt der Text den Ermittler in eine Welt ein, die gleichermaßen von Kriminalität und Okkultismus durchdrungen ist. Bereits hier werden Motive etabliert, die sich durch die gesamte Reihe ziehen: das Spiel mit dem Übernatürlichen, der Kampf gegen das personifizierte Böse, die allmähliche Verwandlung des rationalen Ermittlers in eine mythisch überhöhte Figur, denn John Sinclair ist nichts weniger als der Sohn des Lichts.

Der Roman spielt in der fiktiven englischen Stadt Middlesbury, in der sich eine Reihe unerklärlicher Todesfälle ereignet. Die Opfer weisen Spuren auf, die auf übernatürliche Einflüsse schließen lassen. John Sinclair, damals noch ein klassischer Scotland-Yard-Ermittler ohne besondere Kenntnisse des Okkulten, wird mit dem Fall betraut. Seine Ermittlungen führen ihn zu Professor Ivan Orgow, einem brillanten, aber gefährlich abgedrifteten Wissenschaftler, der sich der Nekromantie verschrieben hat. Orgow experimentiert mit der Wiedererweckung von Toten und hat mit Hilfe eines Mediums eine Armee von Zombies erschaffen, mit deren Hilfe er seine Macht festigen will. Sinclair gelingt es schließlich, Orgow zu besiegen, doch der Roman endet mit dem unheilvollen Versprechen einer zukünftigen Rückkehr des Bösen.

Literarisch gesehen markiert »Die Nacht des Hexers« zwar nicht die Geburtsstunde eines neuen Genres im deutschsprachigen Heftroman, also einer Mischform aus Detektivroman und Horrorfiktion, wohl aber den Beginn einer der weltweit erfolgreichsten Serien. Zu Beginn ist Sinclair noch kein Geisterjäger, sondern ein Polizeibeamter, der durch die Konfrontation mit dem Übernatürlichen aus seiner rationalen Ordnung geworfen wird, obwohl es bereits eine Abteilung für paranormale Phänomene gibt. Sie wird von Superintendent James Powell geleitet. Dieser Moment der Destabilisierung bildet die Grundlage für seine weitere Charakterentwicklung. Seine Figur steht damit sinnbildlich für die Spannung zwischen Aufklärung und Aberglauben, zwischen Vernunft und Mythos, die die Serie durchzieht.

Die Figur Ivan Orgows steht exemplarisch für den Typus des „mad scientist“. Er ist nicht nur ein Antagonist, sondern zugleich eine Metapher für die Schattenseiten des wissenschaftlichen Fortschritts, die zum Ende der 60er Jahre bereits ziemlich beliebt war. Durch die Verbindung von Naturwissenschaft und Magie öffnet sich ein Raum des Kontrollverlusts, in dem Moral und Ethik ausgehebelt werden. Orgow wird so zum Spiegelbild einer Gesellschaft, die sich vor den Konsequenzen ihrer eigenen Wissbegierde fürchtet. Die erste Figur eines “verrückten Wissenschaftlers” in der Belletristik entstand in einem dunklen, kühlen Sommer des Jahres 1816, als die 19-jährige Mary Shelley die Figur des Doktor Victor Frankenstein schuf. Ivan Orgow ist nur eine der unzähligen Varianten davon.

Besonderes Augenmerk verdient die Topographie des Romans. Das alte Anwesen Manor Castle, Orgows Laboratorium und der Friedhof sind klassische Schauplätze der Gothic Fiction. Ihre räumliche Abgeschiedenheit steht sinnbildlich für die soziale und moralische Isolation der Figuren. Die dadurch erzeugte Atmosphäre des Unheimlichen ist nicht bloße Kulisse, sondern integraler Bestandteil der Erzählstruktur. Allerdings zeugt die Bezeichnung “Manor Castle” von völliger Unkenntnis des Englischen, denn ein Manor ist nichts anderes als ein Herrenhaus. Daraus dann ein Manor Castle zu machen, ist schon etwas abwegig, aber das dürfte damals niemandem aufgefallen sein.

Natürlich gibt es auch das später ikonische Kreuz hier noch nicht, das Sinclair in späteren Episoden als Waffe gegen das Böse dient und das noch unentdeckte Geheimnisse birgt. Diese Abwesenheit verweist auf seinen Status als Neuling in einer Welt, deren metaphysische Regeln er erst noch kennen lernen muss. Das Kreuz dient ihm später nicht nur als Werkzeug, sondern auch als Symbol einer neuen Identität – als Grenzgänger zwischen Diesseits und Jenseits.

Tatsächlich ist Die Nacht des Hexers bereits weit mehr als ein klassischer Auftaktband. Es ist ein Text, der bereits die DNA der gesamten Serie enthält. Die Grundspannung zwischen Logik und Mythos, zwischen Weltlichkeit und Transzendenz, wird hier angelegt und fortan variiert. Der Roman ist damit nicht nur der erste Fall John Sinclairs (tatsächlich ist es nicht einmal der erste), sondern auch ein programmatisches Manifest für alles, was noch folgen sollte, zu diesem Zeitpunkt aber noch gar nicht abzusehen war.