Jeder intelligente Mensch raucht, also raucht auch Brunswick. Chesterfield, wie Ricky damals, sieht sich um, folgt mit den Augenmuskeln dem Duktus der Skizze, die sich vor ihm ausbreitet. Wie aber kommt er dazu, sich diesen monumentalen Epen zu verschreiben? Gab es da nicht einen Traum, ein wenig hölzerne Romantik? Caspar David Friedrich aus dem Reagens, eine eigene Seelenqual? Verloren … und Verlust, das Tier ist schon tot, man muss es nicht noch durch kochen umbringen. In der Tat, es gibt diese verblassende Liebe, diesen hohlen Schmerz, den man sich ebenso einbildet wie das Begehren (am Ende begehrt man sich doch immer selbst, schaut sich im Spiegel dabei zu, wie man fickt, und wenn beide jetzt auf dieselbe Idee kommen, sieht man im Spiegel zwei glotzende nackte Kreaturen, man stellt die Uhr auf 25 Minuten, das entspricht etwa 5000 Metern), eine Trotzreaktion, Leib und Seele zu gefährden, in das dunkle Gemach der finsteren Zusammenhänge zu treten. Dort sitzt der Gevatter bereits Pfeife rauchend hinter seinem Knochentisch, im Bruyèrekopf nicht etwa ein abwegiges Kraut, nein, unser Lieblingsreiter raucht Asche, die dadurch zwar nicht, wie angenommen, zurück in einen Fleischklumpen revoziert wird, aber nichts desto trotz sein letztes uns bekanntes Leben ausgeschmaucht bekommt.
Die Veranda: 10 Die Begegnung mit dem Gevatter weiterlesenKategorie: Stories
direkt aus dem lateinischen „storia“ übernehme ich diesen begriff, der mir immer schon eine andere konnotation ausdrücken zu schien als das vermaledeite „geschichten“.
Die Veranda: 9 Spurenkunde
Die spurenkundliche Bearbeitung des engeren Tatorts ist bereits in vollem Gange, als Egon Brunswik mit Fiffi vorgefahren kommt und vor der Absperrung hält. Felix Gerritzen ist nicht gerade derjenige, der sich darum reißt, mit Brunswik unterwegs zu sein, das tut, soweit er weiß, niemand. Und ›Fiffi‹ ist dann gleich die erste Attacke, die er zu ertragen hat, als wisse der ehemalige Kunststudent von den Zusammenhängen des hündischen Kosenamens und Felix’ sehr komplizierten Schulaufenthalts in der dritten Klasse, wo ihn seine Kameraden vor Schulbeginn mit dem Klassenbesen, der stets griffbereit in der Ecke neben der Tür nur auf diesen Augenblick zu warten schien, auf allen Vieren durch das Zimmer scheuchten und ihn ganz genauso nannten.
Die Veranda: 9 Spurenkunde weiterlesenDie Veranda: 8 Auf leisen Sohlen
The Four Aliberts spielen ein Tschingerassa, das Requiem für ihren Bassisten und für Ella (Requiem für Bigband und Chor, zum Schluss das Gedicht ›Herbst‹ von Rilke), zumindest wäre das zu wünschen gewesen). Der gehörnte Lebensgefährte, der die ganze Zeit darüber Bescheid gewusst hatte, was die Gourdasse seiner Wahl während seiner Nachtschichten so trieb, verabschiedete sich eines Abends wie immer, ging hinüber ins Maxim und ließ sich zunächst einmal volllaufen, erst dort erwirtschaftete er sich die Tatwaffe, ein japanisches Küchenmesser, schmiedeverschweißt, und trat eine ganz besondere Nachtschicht an. Rail, der Tieftonzupfer (spielte einen Fender Jazz Bass von 1962, der mit einem extrem engen Hals versehen war) wurde ganz ordinär mit drei Messerstichen in den Rücken getötet, da war kein Groll dahinter, eher beiläufig und zufällig gehörte er an diesem Abend zur Szenerie. Ella jedoch wurde regelrecht filetiert, ihre Füße fand man ganz woanders als die Stümpfe, an denen sie einst befestigt waren. Die Chateustücke lagen neben einer Pfanne, sollten sie etwa mit Kräuterbutter …?
Die Veranda: 8 Auf leisen Sohlen weiterlesenDie Veranda: 7 Raum-Café
Sie putzen das Inventar, die Gläser, ein Schluck hiervon, ein Schluck davon, die Theke. Im Pissoir wechseln sie sich täglich ab, philosophieren gummibehandschuht über die Wahrheit, die der Beweisbarkeit überlegen ist. Über dem Egertal pennen die Vaganten der Wohngemeinschaft, die anorektische Journalistin, der drogenabhängige Pizzabäcker. Der seine alkoholischen Getränke mit Aspirin anreichert. Die Mafiatorten fielen ihm reihenweise vom Teller, er kratzte sie, vorsichtiger als er sie servierte, vom Boden zurück auf den Teller, rieb noch einmal Käse darüber, ließ das Ganze noch einmal zwei Minuten schmelzen, fertig.
Die Veranda: 7 Raum-Café weiterlesenDie Veranda: 6 Ich rippte in der Buck’s Row
Übersetzt man ›Veranda‹, ist eine mögliche Bedeutung: ›Der sehende Junge‹. Willi kommt zu seiner Veranda während des Vögelns. Diejenige, die da unter ihm zappelt – nicht weil es ihr gefällt, sondern weil sie keine Luft mehr bekommt (so fest hat er sich in sie gekrallt), heißt Ella. Ein wirkliches Abenteuer ist das nicht, sieht man einnmal davon ab, dass man der Dame in die Brustwarzen zu beißen hat, will man sie zum Klimax führen. Der kündigte sich mit einem »jetztjetztjetzt« an. Der so über ihren Leib Gestülpte, der nichts von ihrer erotischen Absonderlichkeit weiß, mag sich da bereits heroisch bestätigt fühlen, das Ziel ist erreicht, der Hengst gießt sich selbst aus und wälzte sich runter, um noch eine Mütze voll Schlaf zu erhaschen, bevor der Morgen wieder klingelt, der Leib zur niederen Tätigkeit geschunden wird. Die Mademoiselle macht Mathemusik, eine Muse der mathematischen Zufälle auf der Geige, die Pausen singen von dem, was die Materie auseinandertreibt.
Die Veranda: 6 Ich rippte in der Buck’s Row weiterlesenDie Veranda: 5 Die Drogen dein Honig
Heute sitzt Willi bei denkbar schönem Wetter auf seinem Balkon herum, der natürlich irgendwie auch Ilenes Balkon ist, trinkt Kaffee und blickt über den Eichenhain hinweg. Die leichte Betäubung seiner Nerven – durch das aufpeitschende, schwarze Gold kommt es ihm zumindest so vor, als sitze er auf seiner Veranda. Die Eichen zerlegen sich zu Dornensträuchern, was übrigbleibt zu einer Sukkulentenvegetation. Die überschaubare Ebene arrangiert sich zu sanft geschwungenen Berghängen und wie ein Hochofen gießt die Sonne ihr grüngeschmolzenes Blei vor die Augen. Selbst der nervus glossopharyngeus verändert unter diesen Voraussetzungen die Anzahl seiner Geschmacksknospen. Die Dendriten übermitteln: Sonne schmeckt nach Zitrone oder Apfelsine. Jonathan Levke hatte ihm das gesagt, damals an der Uni.
Die Veranda: 5 Die Drogen dein Honig weiterlesenDie Veranda: 4 Hypnose ist kein Schlaf
Die Hochzeit: Schlitten, die auf Rädern die Kufen nachstellten, schneelos den Asphalt berollten, klingelten herbei, schön geschmückt mit Glöckchen und Glocken und Bändchen, schöner gar als die Jungfern trugen. Hypnose ist kein Schlaf sondern ein Wachzustand. Achatne Kugeln pilgerten die künstlich angelegten Gartenwege entlang, die allein dem Zweck dienten, die Braut für fotodokumentarische Zwecke dort entlang schweben zu lassen, wenn sie denn eintrifft (sie scheint sich zu verspäten). Aus Wasserspeiern pinkelt goldeingefärbtes Wasser, das in reichverzierten Auffangbecken glitzert.
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