Schattentod

Was ich sagen will ist, dass Lyrik nicht gedacht werden kann – allenthalben die Formalisten taten sich daran gütlich, hatten aber zumindest mit ihrer Kritik Recht, die sich auf die Leugnung musikalischer Muster in Gedichten stützte; denn was lautet, ist grundsätzlich der Musik zuzurechnen, ob es den Vertretern der Musik oder den Vertretern der Poeterei nun passt oder nicht. Doch auch hier gilt das, was ich allenthalben für Europa sagen kann: dass die Verquickung aller Schulen ein Gespräch ergibt, dass der Bezug auf die eigene präferierte Leistung lahm erscheint, unergiebig; ein Schattentod, der die grellen Lichter das Objekt verunstalten lässt. Und damit will ich gar nicht an einer Verunstaltung rütteln, die eben gerade neu zu gestalten vermag. Mit neuen Erfahrungen das einst Aufgegebene noch einmal besehen, das Zeitlose daran filtern (und das meint immer das Rätsel unserer Existenz; es meint ausschließlich das Rätsel unserer Existenz) – das scheint mir jegliche Verunstaltung zu rechtfertigen. Ich könnte jetzt hinzufügen: Um zum Kern zu gelangen, aber es dürfte sich herumgesprochen haben, dass es keinen Kern gibt, dass wir in Feldern zu denken haben. Lyrik – hat man einst behauptet – umkreist seinen Gegenstand, aber in Wirklichkeit wird da gar nichts umkreist, weil das Gedicht schon der Gegenstand ist, und sei es ein Loch, das alles in sein Gegenteil verkehrt.

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Subversion

Ob das alles Öffentlichkeit braucht, weiß ich nicht, ich kann ganz gut für mich sein. Aber tatsächlich beschäftige ich mich mit dem Nachher meiner Arbeit, was konkret bedeutet, dass ich jetzt, wo ich dem Ende von GrammaTau zuneige (und auch die Sandsteinburg ausgeschrieben habe), konsequenterweise verstummen müsste oder eine neue Tür finden, die für mich gangbar ist. Natürlich weigere ich mich bis an mein Lebensende, verständlich zu sein, weil ich Verständlichkeit für Opportunismus halte, zumindest, was die Kunst betrifft (der Rest war mir jederzeit und alle Zeit vollkommen egal). Die Welt ist dann ein Kunstwerk, wenn sie unterschiedlich interpretiert werden kann. Da niemand die Welt versteht, ist das der Fall. In meiner Zurückgezogenheit gelingt es mir, subversiv zu sein, die Referenz meiner Arbeit bin nunmehr nur ich selbst. Es drängen sich Urlaute auf, Fragmente, die mit Lauten zu einem Rhythmus verbunden werden, der länger in der Luft schweben kann als ein Takt, als Nachbild, als Nach-Sonne. In meinen Gedichten kann es nicht mehr um die fremdartige Anwendung und Zusammensetzung von Sprache allein gehen; der Schwerpunkt könnte die Prosodie bilden, die ich bisher immer nur bis zu einem gewissen Grad berücksichtigt habe (wenn auch schon stark genug, um sie als Relevant zu bezeichnen). Da habe ich noch Forschungsgrund.

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Baunacht

Also kramte ich, weil ich wieder nicht schlafen konnte, den Apparat unter der Kommode hervor, den Staub wischte ich erst gestern von seiner Oberfläche, diese Patina der ruchlosen Umgebung hatte mir lange lange gefallen. Gestern störte sie mich. Die Nacht bietet der Stimme einen anderen Raum; das liegt nicht allein an der Stille, es liegt vielmehr an der Schwingung aller Gegenstände In den letzten Tagen bemerke ich sehr genau, wie die einzelnen Stücke der Sandsteinburg nie exakt mit einer einzigen Einstellung bearbeitet werden können. Bei GrammaTau ist das selbstverständlich der unterschiedlichen Interpretation geschuldet, die Sandsteinburg ist aber – zumindest in seinen längeren Ezählpassagen – als Einheit zu verstehen. Von Kapitel 3 : Es gab einen Sturm, habe ich die gewünschten 8 Teile, um beginnen zu können, nun fertig. Doch es trifft sich sehr gut, dass ich auch – eben in besagter letzter Nacht – noch weitere Gedichte „bespielt“ habe. Seit ich in der Schweiz „Die Gilde“ zusammenstellte, habe ich das nicht mehr in die Nacht gelegt. Nachts sind hier arabische Familien unterwegs, sie laufen mitten auf der dunklen Straße und grölen wie Ballermann-Jünger. Das tun sie aber nicht, weil sie die gleiche Gehirnschmelze aufweisen, sondern weil sie es so gewohnt sind. Vielleicht nehmen sie Tag und Nacht in ihrer Unterscheidung nicht wahr. Oder es ist ihnen schlicht egal. Wenn ich die Balkontüre schließe, ersticke ich nach etwa einer Viertelstunde, aber sie hält doch einen Großteil Lärm ab. Tagsüber, wenn gegenüber das „Höllenhaus“ entkernt wird, sieht die Sache anders aus, da muss ich dann die Musik in die Höhe treiben, um etwas anderes zu hören als das Treiben der Wanderarbeier aus dem Osten. Das mag sich alles nach einem grundgütigen Ghetto anhören, dabei verwandelt sich das Viertel um die alte Spinnerei doch in eine sanierte Prinzessin – so zumindest der Schein. Seit ich hier wohne, zeigt die Baubehörde, was sie so unter Leben versteht.

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Das U-förmige Gehege

Ich zeichne mich, da bin ich ganz wach, meist wie ich mich nie gesehen habe, wie ich strebe nach dem Berge, wie ich dort dann nach dem brausenden Wasser taste, das von den Hängen tönt, eingeschlossen von einem u-förmigen Gehege, ich schrieb dir, dass ich erkenne, was ich tue, aber das war, wie du dir nun denken kannst, erlogen, ich erkenne mich selbst nicht, nicht auf dem Gemälde, hingehastet mit zitternden Fingern, vermisse dich, nebenbei erwähnt, könntest du nicht hier sein, zumindest eine weitere Zeit, wir könnte nachholen, was wir nicht hatten, die Gespräche nachholen, wenn auch nur einen Tages

– Und ich schwebe

ja, du schwebst, und das erkenne ich wohl

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Hochdruckreiniger

Zuerst turnte der Mann in einem gelben Regenmantel mit einem Hochdruckreiniger über das Geländer des Balkons, um das Haus in neuem Glanz erstrahlen zu lassen. Wir zogen die schweren Vorhänge zu und das Geräusch, als führen wir in eine Autowaschanlage, war aushaltbar. Als wir so schön im schummrigen Dunkel saßen und Herbie Hancock hörten, brach plötzlich die Stromversorgung zusammen. Bis jetzt lässt sich der Hauptschalter auch nicht wieder nach oben arretieren. So musste ich sämtliche Dreifachsteckdosen zusammenstecken, um von der Steckdose im Flur Saft zu bekommen, denn Flur und Bad sind nicht betroffen. Selbstverständlich bekommen wir den zuständigen Elektriker am Freitag nicht mehr an die Muschel. Um später auch noch die Anlage und die Stehlampe zu versorgen, muss ich wohl auf die Schnelle eine Kabeltrommel organisieren. Es wird die Zeit kommen, da werden wir hier auf dem Boden ein Feuerchen machen müssen. Zumindest der Wasserkocher steht dort schon mal.

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Fangfrischer Meerrettich

Diesmal konnte ich mir für eine Reduktion zwei Tage Zeit nehmen. Freitags kochte ich stundenlang das Wurzelgemüse, Knochen und Fleisch I aus. Daraus wurde die samstägliche Gemüsesuppe. Mit der Hälfte der Reduktion kochte ich noch einmal ein neues Stück Fleisch aus. Daraus wurde am Sonntag das Kren. Leider hatte ich keinen fangfrischen Meerrettich. Diese Tiere sind sehr scheu und man erwischt sie meist nur, wenn man tagelang unter der Erde spazieren geht. Das tat der mörderischen Geschmacksästhetik jedoch keinen Abbruch. Für mich ist die deutsch-böhmisch-österreichische Küche die beste der Welt, dicht gefolgt von der mexikanischen, die allerdings oft an den Zutaten scheitert, obwohl ich hier zumindest schwarze Bohnen bekomme.

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Am alten Holzplatz

Wir hatten damals eine Art Sommer gesehen, er war kaum zu unterscheiden
von einem gedanklichen Licht. Immer dann, wenn ich alleine bin, erinnere
ich mich an Skulpturen von bleibendem Wert. Am ersten Kaugummiautomaten
zog ich einen Strawberry Stroke, der sich in einem ausgekauten Kaugummi
verfing. Er rollte einsam über die Straße. Ich befreite ihn aus seiner
Nervosität. Aber es gab – ein paar Schritte weiter – einen anderen –
Assorted Fruit Flavor – er zerbröselte im Mund und fügte sich schwer in
seine Kauform.

Es ist grün, wenn man es will.

In 1000 Jahren wird das 21. Jahrhundert das Mittelalter gewesen sein.

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