Die Bar am Ende der Welt

Wir lebten unter dem Dach eines Musikcafés, teilten uns die Zimmer mit amerikanischen Familien, die sich durch ein starkes, strammes Heck hervortaten, mit dem sie ihre Balance hielten, während sie durch das Fachwerk navigierten.

Am Abend saßen sie im Flur und sangen „Wish you were here“, wozu sie Jim Beam tranken, von unten herauf quoll der Blues wie Reisbrei aus einem Topf.

– Töpfchen koch
wir nannten sie der Einfachheit halber „Zupfer“, die Amis, das waren immer nur die Zupfer, die anorektische Journalistin, die neben mir ein Zimmer hatte, saß meistens bei ihnen
– Töpfchen steh
ich kam da lang, die Treppe, an ihnen vorbei, um noch mehr Schnaps zu besorgen
(ein Glasflaschenentwerter)
der Boden, der Kümmerling
(die Flaschen)
– Töpfchen koch
der Boden nicht mehr zu sehen
(wer den Boden nicht mehr sieht)
oh, ihr Gäste und ihr fremden Menschelgen, heute Abend schob ich keine Pizzableche in den Feuerschein, verzupfte nicht Salat, schlug keine Filets, kein angetrocknetes Mehl, heute versoff ich das Geld, das ich gestern verdiente, vor Feuerschein und Gurke
(ich wurde jeden Tag ausbezahlt)
mit Leuten, die ich nicht kannte, wie unbekannt mit mir zu feiern, setzt euch doch
– Setzen wir uns doch
auf die Stühle, die ich mir geborgt hatte, genauso wie den Tisch, den wir nicht brauchten, weil wir alles auf den Boden schmissen, oh Hasi Hasi, der feiste Baß
– Töpfchen koch
dann unten, alles voll, die lange Theke nur noch für mich der Platz, du unnahbares Objekt meiner Begierde, mit Augen wie Bambi
(Bam Bam Bambi)
du Körper der Lust, du Heizdecke
(ich widdere sie)
rauchiges Universum
(der Blues)
Now I left home this mornin‘, I swore I’ve stopped and think
Made my friends a promise, I wouldn’t even take a drink
Of that bad, bad Kümmerling
Woodstock-Anhänger, wie schön war’s damals, als wir noch alle völlig verblödet mit Drogen im Blut, Veganer, Fleischfresser, alles da, Hippies, Leary Leary hey, fickten, soffen, fraßen und am frühen Morgen vom Stuhl fielen, ich saß in meinem Rom, meinem Babylon, meinem Korinth, der sündige Heilige
(ich reinigte auch die Scheißhäuser)
Rabelais, Grimmelshausen, Villon, Ovid
(aber unterzeichnete mit Attila)
und es gab keine Tür hier, die ich noch nicht eingetreten hatte, war im weitesten Winkel der Welt versteckt und war doch zuhause, in der Welt, aus der Welt, in einem Sternbild, Lichtjahre entfernt von einem anderen Ort
(hinter den gelb melierten Fenstern und dem Vorder- und Hinterausgang)
die Gesichter vertraute Ballons, die an mir vorüberschwebten, bekifft, versoffen, planlos, du neue Welt, Stillstand im Rausch, ewiger Bacchos, Eddi spielt Billard, mit seinem flächendeckenden Gesicht glotz er die Kugeln ins Loch, der Queue nur Beiwerk, ein phallisches Instrument
(und da tat ich meins dazu)
– Hasi Hasi
dessen Fruchtbarkeit Siege bedeutet, die Säulengänge des alten Athen, wo statt Philosophie Billard gespielt wird, alles fließt, sagt Heraklit und steigt aus dem Wasser, hinter allem steckt die Idee, sagt Platon1 und zerlegt die Pferdheit zu Rouladen, Eddie zielt und trifft, er darf noch einmal, so will es das Gesetz, Hasi bringt mir noch ein Bier
(und bringt sich selbst gleich mit)
ich beobachte die Umluft, sie stellt einen Karton Kümmerling dazu, heute ganz Kelte, trunksüchtig statt wollüstig
(und wieder widdere ich)
kniete sie neben meinem Bett, während ich unter der Decke eine Belgerung vorbereitete, näher bin ich dir ja nie gekommen, in der Ecke
(ich im Bett)
diskutierte ihr Bettgestell mit Melchior über Physik, für Physik interessierte man sich hier, Lied von der Symbiontenstrategie, das Licht wechselt von Teilchen zu Wellen, ich begann Hasi ebenfalls in einer Heisenbergschen Unschärfe wahrzunehmen, sie akzeptierte meinen abgehackten Wörter
(während der Klimax bitte nicht sprechen)
und stand erst auf und ging zur Physik als meine Finger der Biologie wegen neue Wege ging
– Das Universum
eine Teilchenschleuder, du führtest doch meine Hand unsichtbar in Gedanken, du hattest mich doch erkannt, wußtest wer ich war
– Das Multiversum
oh, jetzt denkt sie an mich, hier entschied sich das Leben, hier wurde das Leben begründet
– Das Desasterversum
und der Hintereingang reißt sich auf, zwei fremde Wesen tanzen herein, stören die Dämmerung, die Gedanken, das Meer, augenblicklich reißt mich der Wahnsinn in seinen ausgezehrten Schlund
(Eddie zielt und trifft)
und pure Nüchternheit vertreibt jeglichen Nebel aus meinem Gehirn, ich erleide einen Schock und komme nicht dazu, die Beine hochzulegen, der Engel war erschienen und besuchte nun den Sündenpfuhl, um die Seelen aus dem dritten und vierten Kreis der Hölle zu retten
(Dante wo warst du)
blond, neckisch und reif wie ein überquellender Fruchtkorb, dem der Zucker austreibt
– Die Bar
die Schleusen meines Herzens, schon wieder verliebt, in jede, in jede, da oben warteten sie auf den Schnaps, den bring ich auch, den bring ich gleich, ich bin schließlich Attila, plane den Weltuntergang, plane die Wolke zu finden
– Sieh doch Mutter, ein Gesicht
stand auf und bohrte mich durch den archaischen Urdunst, hin zur Skulptur am Ischtar-Tor, eine Schlucht, zu beiden Seiten säumen hohe Mauern den Weg, riesige Ungeheuer starren von den Kacheln, spielen Pool, die graue Maus daneben
(Gold wird in dreckigen Truhen transportiert)
aus dem Seitenwinkel meiner glänzenden Augen, die Reaktion hinter dem Tresen, du Hasi weißt, was ich begehre, ein Tropfen rinnt durch die zitternde, pumpende und heimliche Hand, der Traum spricht von der Schuld der Ekstase, die vergessen hinter Herbstlaub lauert, das stampfende Weiß der Augen trägt sich durch die silberne Luft des nur schwarz sehenden Auges, welches sieht, wie die Gier und die Vibration des Körpers beständig schnaufen, dort sieht das Auge alles zucken
– Seit gegrüßt von einem einsamen Segler in notdürftigen Gewässern
ich wies meine Soldaten an, von ihren Feldzügen alle unbekannten Pflanzen mitzubringen, im Sommer, mit den Sklaven zusammen, schöpft also Wasser aus den Brunnen und pumpt es in viele kleinere Kanäle
(damals im Garten)
Semiramis reagierte und
– Wer ist der Sprecher
ein König der Holzbuden und Einmachgläser, aber ein König, sie stimmte voller Holz und Wurzelwerk, erzählte Nebensächlichkeiten, aber Semiramis, du bist kein Engel, wie war denn das, als du in das Ornament gekleidet die Hinrichtung befahlst, mein Sehnerv ist verändert und es bleibt ein Hokuspokus, bist du vielleicht doch ein Engel, dann rette mich, rette mich
– Vielleicht bin ich ein Engel
ich habe dich noch nie gesehen, du wurdest ja nicht gemalt, sie nahm mich so ernst wie ein vierjähriges Kind eine Fliege ernst nimmt, mit ausgerissenen Flügeln, die wie ein Brummkreisel auf dem Tisch rotiert, oben sitzen die Hunnen, warten auf den Schnaps, die Stimmen sangen, der Blues, Türen wurden geöffnet und geschlossen
(eine Eigenschaft, die man ihnen nachsagt)
die Atmosphäre eine Prothese meines Zustands, ich verwandelte mich in die Seele des Gebäudes, heiße Küsse im Treppenhaus, unter wummernden Bässen und verschwommene Figuren labten vorbei, erwachte irgendwo auf dem Boden liegend
(war es denn der nächste Tag)
eine Zahl im Kopf, eine Formel, ein Heureka, ein pythagoreisches Geheimnis, das sich unter meinen rhythmisierten Schädel schob, ich fasste nach einem Namen, nach einem beschrifteten Glas, in dem eine milchigweiße Sensation schwamm, die leeren Flaschen zerfetzten das Sonnenlicht, tausend Flüchtlinge verseuchten, durch meine Augen zu dringen, die Zugbrücken rasten herunter, links und rechts über meiner Nasenwurzel, praktischerweise lag ich direkt neben der Tür, ins Badezimmer
(die Reise beginnt)

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Zwei Faszinationen

Erinnern ist wie träumen, zumindest in Fällen, in denen erinnern nicht erinnern, sondern träumen ist, womit ich bei einem Schrank angekommen wäre, der in einer Zimmernische steht, eine Bausünde, den der hineingeschobene Schrank rettet (die Schubladen lassen sich nicht ganz herausziehen, aber Sperriges wirft man ohnehin obenauf oder verstaut es im Keller oder auf dem Boden, der kein Boden ist, sondern unter dem Dach). Aber das ist nicht alles: später schob ich dort das Bett hinein (kam nachts der Schwindel, war die baldige Wand äußerst praktisch). Ich träume, dass die Nische nicht so sehr Nische war, das Bett ragte etwas in den Raum, aber als der Schrank da noch stand, war es genau das. Erste Faszination: gut versteckt sein, um das eigene Volumen richtig einschätzen zu können, Augen hereinblicken lassen, wenn der Blick ohnehin vom Fenster aus erfolgt. Zweite Faszination: das Andere. Jegliches Andere, dessen Bewusstsein nicht dem eigenen entspricht. Ein von innen beobachteter Raum kann von außen leicht gefunden werden, weil Bewusstsein nun einmal nicht von einer Wand getrennt werden kann.

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Scheiterboden

Als er den Kühlschrank öffnete, fanden sich darin gut gekühlte Idiome und Speck. Ein Möbelhaus Franz rief an, wegen des Sarges. Dann nochmal. Wegen des Pferdchens. Musste geschliffen werden.

Die Hausbesichtigung verlief tugendhaft, allerdings gänzlich ohne Haus. Es war einfacher, den Shawl enger zu fassen und den Wind zu schelten.

Sie saß nahe am Kachelofen und versuchte, Stimmen zu erkennen. Vor Jahren hatte sie gepflanzt, was nun entlang der Kordel wuchs. Die Berichte vom Tage – auch die.

Eine Nacht wie Zement, durchdrungen von Theta-Wellen. Das panische Gewissen Arkadiens, dem Schlachtfeld des Gehörnten. Dort im Schaukelstuhl: eine Leiter, die in den Sand sinkt.

Die Arschseite des Mondes.

Wer weiß, was dieser Boden zu bedeuten hat; wie Splitter drängt er darauf, seine Mitteilungen zu evakuieren. Er scheitert an mir, scheitert, weil ich scheitere, jeder andere scheitert. Ein Scheiterboden.

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Elefantengroße Esser

wir sind auf die Vernichtung der Realität angewiesen, weil ein Grün kein Grün ist, weil nur der Beobachter zählt und jegliche Interpretation ein Fehler unseres Gehirns ist, was nicht sein müsste, gar nicht sein müsste, gäbe es nicht diese unsäglich leeren Zusammenhänge und Türen und Korridore im Sumpf unter dem Keller. Dort sind die Maden feine Gesellen und mampfen den Dreck unserer Ideen, was sie zu großen Viehhikeln der Erde macht, zu elefantengroßen Essern, die schlechte Erde in etwas Nutzbares verwandeln und es vor uns – besser so – verbergen

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Puder=Anschrot

der Pfeifer an den Toren der Dämmerung. Dieses flatternde Gewebe geistreicher Skizzen, schaukelnder Träume, zufälliger, freier Katenation, da gabʼs die Türe wie eine Säge gezahnt. Fürchte in der blinden Mauer einen Blick, der nach dir späht, der Puder=Anschrot und Spielraum des Zopfes hinten auf dem Rock

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Yuggoth 30 – Werdegang

Yuggoth

Anmerkung des Übersetzers: Fungi from Yuggoth besteht aus 36 Sonetten, die Lovecraft zwischen dem 27. Dezember 1929 und dem 4. Januar 1930 verfasste. Ausgewählte Sonette wurden im Weird Tales Magazine veröffentlicht. Erstmals komplett erschien der Zyklus in Lovecrafts Sammlung “Beyond the Wall of Sleep”, die von August Derleth 1943 herausgegeben wurde, sowie 2001 in “The Ancient Track: The Complete Poetical Works of H. P. Lovecraft”. Die erste Publikation, die den Zyklus in der richtigen Reihenfolge brachte,  war “Fungi From Yuggoth & Other Poems”. Herausgegeben von Random House 1971. Lovecraft wählte für seinen Zyklus eine Mischform aus Sonetten-Stilen. Bei genauerem Hinsehen ist es schwierig, wirklich von Sonetten zu sprechen. Als Übersetzer habe ich mich dafür entschieden, auf die Endreime zu verzichten, um die von Lovecraft intendierte Erzählform beibehalten zu können. Wie immer bei Gedichten kann es sich nur um eine Nachdichtung handeln.

FUNGI FROM YUGGOTH (Übersetzt von Michael Perkampus)

Nie kann ich beeindruckt sein von den rohen, neuen Dingen,
Denn mein Bewusstsein begann in einer alten Stadt,
Wo sich von meinem Fenster aus die Dächer
Zu einem malerischen Hafen voller Träume neigten.
Straßen mit geschnitzten Portalen, in denen die Strahlen
Des Sonnenuntergangs alte Oberlichter und kleine Fensterscheiben fluteten,
Und Sakralbauten mit vergoldeten Türmen –
Das war das Schauspiel, das meine Kindheitsträume prägte.

Solche Schätze, übrig aus Zeiten der ersten tastenden Gärung,
Kommen nicht umhin, von schwächeren Geistern vergessen zu werden,
Die auf wechselnden Wegen und mit verworrenen Ansichten
Über die unveränderlichen Mauern von Erde und Himmel jagen.
Sie zerschneiden die Bande des Augenblicks und überlassen es mir,
Allein im Angesicht der Ewigkeit zu stehen.

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Yuggoth 29 – Nostalgie

Yuggoth

Anmerkung des Übersetzers: Fungi from Yuggoth besteht aus 36 Sonetten, die Lovecraft zwischen dem 27. Dezember 1929 und dem 4. Januar 1930 verfasste. Ausgewählte Sonette wurden im Weird Tales Magazine veröffentlicht. Erstmals komplett erschien der Zyklus in Lovecrafts Sammlung “Beyond the Wall of Sleep”, die von August Derleth 1943 herausgegeben wurde, sowie 2001 in “The Ancient Track: The Complete Poetical Works of H. P. Lovecraft”. Die erste Publikation, die den Zyklus in der richtigen Reihenfolge brachte,  war “Fungi From Yuggoth & Other Poems”. Herausgegeben von Random House 1971. Lovecraft wählte für seinen Zyklus eine Mischform aus Sonetten-Stilen. Bei genauerem Hinsehen ist es schwierig, wirklich von Sonetten zu sprechen. Als Übersetzer habe ich mich dafür entschieden, auf die Endreime zu verzichten, um die von Lovecraft intendierte Erzählform beibehalten zu können. Wie immer bei Gedichten kann es sich nur um eine Nachdichtung handeln.

FUNGI FROM YUGGOTH (Übersetzt von Michael Perkampus)

Einmal im Jahr, im Glühen des wehmütigen Herbstes,
Fliegen die Vögel über die Weite des Ozeans hinaus,
Sie rufen und plaudern in freudiger Erwartung,
Ein Land zu erreichen, das ihre verborgensten Erinnerungen kennt.
Große terrassenförmige Gärten, in denen helle Blüten stehen,
Und Reihen von Mangos, die jeden Geschmack veredeln,
Und Tempelhaine mit ineinander verschlungenen Bäumen
Auf kühlen Pfaden – all dies sind ihre vagen Träume.

Sie suchen über dem Meer nach Spuren des alten Ufers –
Nach der großen Stadt, weiß und mit mächtigen Türmen –
Aber nur leere Gewässer ziehen vor ihnen dahin,
So dass sie sich schließlich wieder abwenden.
Doch in den Tiefen versunken, wo sich außerweltliche Kraken drängen,
Vermissen die alten Türme ihren verlorenen, noch lebhaften Gesang.

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