Die Veranda

Kult!

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Viehmarkt

In erster Linie mochte ich es gar nicht glauben. So leicht wäre es über die Jahre bereits gewesen, die Reiseschreibmaschinen gegen eine zünftige Büromaschine (ein Arbeitspferd) einzutauschen. Ich hätte wohl nicht eine derartige Leidensstrecke zurücklegen müssen. Die Monikas waren mir aufgrund ihrer Robustheit bereits mehr an die Finger gewachsen als die anderen, dennoch gab es Makel, über die ich immer wieder berichtete. Jetzt ist der Koloss Olympia SG vor Ort, eingeritten und für tragfähig befunden. Zudem habe ich, sollte einmal etwas im Argen liegen, einen Mechaniker dazugewonnen, der auch mein zukünftiges Schreiben mit der Maschine gewährleisten kann. Drama beendet? Es sieht leicht danach aus.

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Das Portal zu einem alternativen Universum in “Stadt ohne Namen”

Vertraut ist dem Leser und Maniac des Kosmischen Grauens der Typus des Forschers, den Lovecraft uns vorausschickt, eine Welt zu erschließen, die gehörig an unserem inneren Wahrnehmungskosmos rüttelt. Eine, die nicht vom Menschen ausgeht. So lese ich zumeist. Die uns unser Dasein auf dem Erdball, unser Erleben und die Empfindungen, die wir daraus ableiten, mächtig dunkel einfärbt. Schon früh als „literarischer Kopernikus“ von seinen Schriftstellerkollegen eingestuft, gibt er uns den neugierigen, besonders empfänglichen Typus an die Hand. Der über so viel Wissen verfügt, dass ihm mindestens klar sein muss, oder spätestens während seiner Erkundungsodyssee absolut klar werden wird, dass er im Grunde nichts weiß. Dass er mehr und mehr erfährt, was ihm widerfährt, je weiter er sich wagt, während er die Zeit gewissermaßen hinabkriecht. Eine Figur aus sich, aus Lovecraft selbst genommen, die ihm als Schablone diente, sich seinen Yog-Sothoth-Mythenzyklus (oder, wie es dem Gros der Leser und Fans durch August Derleth, den man auch den Erdgucker schimpft, in den Mund gelegt wurde: Cthulhu-Mythos) zu erschreiben. Eine Figur, wie wir sie immer wieder in seinen Erzählungen finden. Der kosmische Archäologe. -Klar! Bedeutet ἀρχαῖος (archaios) zu deutsch nichts anderes als alt. Die Lehre vom Alten, den Altertümern. Oder: den “Großen Alten”. Also richtig alt. Fossiler als fossil. Urur sozusagen. The Beginning … vielleicht …

Stadt ohne Namen

Ohne dass wir in der Erzählung Stadt ohne Namen erfahren, wie es dazu kam, sind wir, wie auch der Ich-Erzähler, direkt konfrontiert mit einer Stadt ohne Namen, einer Stadt in der Arabischen Wüste, die er schaurig aus den Dünen ragen sieht, so, wie Leichenteile aus einem hastig geschaufelten Grab ragen mögen. Wir erfahren nur, dass er von ihr durch andere Wissende, die über sie am Feuer flüsterten, oder von greisen Frauen in den Zelten der Scheichs bereits gehört hatte. Wichtigster „Zeuge“, der ihm die Existenz dieser Stadt ohne Namen annehmen lässt, ist der wahnsinnige Dichter Abdul Alhazred, der von dieser in den Nächten träumte, ehe er seinen rätselvollen Zweizeiler sang:

That is not dead which can eternal lie, And with strange aeons even death may die.

Nicht weniger eine Erfindung Lovecrafts wie auch Arkham, die Miskatonic-University oder das Necronomicon, das von jenem wahnsinnigen Dichter Alhazred geschrieben wurde und das seinen eigenen Mythos erlangte.

Die Stadt selbst wird hier teilweise als Wesen begriffen, das sich in der unendlichen Weite der Wüste, dem Ich-Erzähler gegenüber Wahrnahme verschafft. In einer unwirtlichen Umgebung, die dem Menschen seit jeher, seit der Verweisung aus dem Paradiese, einiges abverlangt. Ihre wie aus einem Grab ragenden Leichenteile, das Aufkommen jener zu Sonnenunter- und -aufgang immer wiederkehrenden Windstöße (bzw. Sandstürme), die mit einem schaurigen Seufzen oder dämonischen Stöhnen einhergehen, all das lässt sie von ihr künden, ihrer Zeit, die sie einmal hatte, deren Blüte, wie im Text benannt, 10 Millionen Jahre andauerte. Noch ehe der Grundstein zu Memphis gelegt wurde, … als die Ziegel Babylons noch nicht gebrannt waren.

Doch wovon kündet sie? Oder besser: Was verkündet sie?

Das erhofft sich der Ich-Erzähler durch ihre Architektur, ihre Relikte, die er in ihr zu finden vermutet, zu erfahren. Dass sie verflucht ist, weiß er sofort. Das erfahren wir schon im ersten Satz. Untermauert wird dies kurze Zeit später durch weitere Angaben: … eine unsichtbare Aura stieß mich ab und gebot mir, vor diesen uralten und unheildrohenden Geheimnissen zu fliehen, die kein Mensch je erschauen sollte, und die auch kein Mensch außer mir jemals zu erschauen wagte. – Etwas, das mich sehr an das Bilder- bzw. Abbildungsverbot vornehmlich monotheistischer Religionen erinnert:

Sollst dir kein Bild machen!

Und doch! Trotz all der Angst und Furcht, die ihn erfasst, tut er es, vom Stachel der Neugier getrieben, mit all seinen ihm zur Verfügung stehenden Sinnen und dem Wissen, an dem er das Fremde / Unbekannte abzugleichen versucht. Was er vorfindet ist eine Architektur der Angst bzw. eine Urarchitektur der Urängste. Der Leser lernt mit ihm zu kriechen, sie sich mit ihm und durch ihn zu erschließen. Gebückt und geduckt durch wahnsinnig enge Räume, die, trotz der teilweise extrem erdrückenden Niedrigkeit der Decken, doch teilweise auch durch ihre Weite bestechen. Die er, entgegen aller inneren Gegenwehr, erforscht, ganz gleich wie dunkel es ist, oder ob ihm seine Fackel, die er bei sich trägt, erlischt. So kann er in den meisten der ‘Tempel’ kaum aufrecht knien, muss kauern, ähnlich einem Embryo. Tunnel sind sie ihm, Schlünde, in die er hineinkriechen, vor allem aber hinabkriechen muss. Also fernab von dem, was wir uns unter dem Begriff ‘Tempel’ vorstellen, in denen wir uns doch eher durch ein umgekehrtes Größenverhältnis, als es hier gegeben ist, verlieren, uns den Gottheiten, für die wir sie erbauten, gegenüber als klein empfinden. Aber auch hier ist es ein Sich-verlieren. Nur eben ein gewaltig massives. Da für den Protagonisten kaum mehr als nur die Hand vor Augen sichtbar ist. Tunnel für Tunnel ihre Ausdehnung, ihre Konstruktion von ihm erkundschaftet wird, die mich unweigerlich an die innere Struktur der Pyramiden der alten Ägypter denken lässt. Nichts für Menschen, die unter Raumangst leiden. Eigentlich für niemanden was, sich mutterseelenallein in diesen ‘Schächten’ und Schlünden fortzubewegen. Zumal er das teilweise rücklings tun muss. Mit den Füßen voran, immer tiefer hinab. Keine Haltung, die man gerne und vertrauensselig einnehmen würde. Es ist eine, ganz gleich aus welcher Kultur wir stammen, in der wir uns ausgeliefert empfinden. Der von der Architektur absolut in die Mangel genommene Körper wird zum Psychosoma. Während die Räume und Schächte der Pyramiden darauf ausgelegt sind, dass die Seele nach dem Tode und der Einbalsamierung der Verstorbenen ihren Weg ins All finden kann, indem sie durch die Anordnung der Räume durch die Anlage gelotst wird und zum Schluss gen Himmel schießt, droht der Seele hier der ultimative Wahnsinn.

Altäre, sargähnliche, an den Wänden angebrachte, kleine Holzkästen mit verglaster Front findet er vor. In denen mumifizierte groteske Geschöpfe liegen, die er der reptilischen Gattung zuschreibt, da ihre Körperform ihn an Krokodile erinnert. Dann aber wieder an einen Seehund, häufiger jedoch an nichts, wovon der Zoologe wie auch der Paläontologe jemals gehört haben. So groß wie ein kleiner Mensch sind sie. … ihre Vorderbeine liefen in zartgliedrige und offenkundige Füße aus, die den menschlichen Händen und Fingern eigentümlich ähnelten. Doch am sonderbarsten von allem waren ihre Köpfe … – blitzartig schossen mir so verschiedenartige Vergleiche wie zur Katze, zur Bulldogge, zum sagenhaften Satyr und zum Menschen durch den Sinn. Sogar Jupiter selbst besaß keine solch mächtige, vorspringende Stirn, zugleich jedoch verwiesen die Hörner, die fehlenden Nasen und die alligatorartigen Kiefer diese Organismen jenseits aller anerkannten Kategorien. Er hegt den Verdacht, dass es sich bei diesen Geschöpfen um künstliche Götzenbilder handeln könnte, ist aber dann wieder von ihrer Echtheit überzeugt. Auch die Wandmalereien und Deckenfresken, die er findet, die die Geschichte dieser Geschöpfe abbilden, sie in ihren Städten und Gärten zeigen, ist er versucht zunächst als Allegorie zu lesen. Einzig eine Abschlussszene zeigt einen primitiv aussehenden Mann, vielleicht einen Pionier des vorzeitlichen Irem, der Stadt der Säulen, wie er von Angehörigen der älteren Rasse in Stücke gerissen wird. (Anm.: Irem, die im Koran erwähnte untergegangene Stadt, die gewissermaßen als Atlantis der Wüste / des Sandes gilt.) Und je mehr er entdeckt, je tiefer er in diese Räume / die Kultur dieser Wesen vordringt, dabei allein auf seine Sinne und Vorstellungskraft zurückgeworfen ist, umso mehr wird er durch ein Licht, eine Art Phosphoreszenz, die aus diesen Tiefen hervorgeht, denen er entgegenkrabbelt, obwohl es ihm wie ein Zurückkriechen in der Zeit ist, sehend. Im letzten ‘Raum’, in den Lovecraft ihn schickt, wurde alles von den leuchtenden Schwaden verhüllt.

Das Unbekannte, das Fremde wird zum Unkennbaren. Zum absoluten Horror:

Fremd, fremder: Alien.

Ich bin gewillt zu schreiben: in der Hölle angekommen, ward ihm Licht. Eines, das ihm Kreaturen ins Pupillne wirft, die selbst Lucifer vielleicht erschrecken würden, bevor ihn die Dunkelheit endgültig schluckt:

Als ich mich umdrehte, sah ich … eine Albtraumhorde heranspringender Teufel; hassverzerrte, grotesk herausgeputzte, halb durchsichtige Teufel einer Rasse, die kein Mensch verwechseln kann – die kriechenden Reptilwesen der Stadt ohne Namen. Und als der Wind erstarb, wurden die Eingeweide der Erde um mich herum in ghoulische Finsternis getaucht; denn hinter der letzten der Kreaturen schlug die mächtige Messingtür mit einem ohrenbetäubenden Donnern metallischer Musik zu und ihr schallendes Echo dröhnte hinaus in die ferne Welt, um die aufgehende Morgensonne zu grüßen, so wie Memnon sie von den Ufern des Nils aus begrüßt.

Wir wissen nun also, dass es bereits Zwölf geschlagen hat, um meine eingangs gestellte Frage: was sie, die Stadt, verkündet, an dieser Stelle zu beantworten. Wir wissen jedoch nicht, ob es sich bei dieser Stadt ohne Namen, ihren Resten, um ein Zeugnis einer untergegangenen Kultur handelt, die es so auf diesem Erdball einmal gab, oder ob sie ein Portal darstellt, das den Ich-Erzähler in eine andere kosmische Dimension / Welt hinein nimmt, ihn sich einverleibt. Und es scheint mir, als hätten wir Erdenkinder, die den Blick auch immer wieder gen Himmel richten, eine zweite, nicht sichtbare Fontanelle, in die Dunkles strömt, die sich niemals schließt, solange wir noch einen Körper, Sinne haben.

Carmilla, der Vampir (Hörspiel)

Carmilla

Viel prämiert ist sie mittlerweile, die Gruselkabinett-Hörspielserie aus der Hörschmiede der Titania Medien, die zu ihrem Einstand 2004 die 1872 erschienene Novelle Carmilla des irischen Autors Joseph Sheridan Le Fanu adaptierte und bis dato unzählige veröffentlichte Hörspiele vorgelegt hat. Von der Schauerromantik bis zur Science-Fiction. Meisterwerke der Phantastik. Brilliant vertont?

– Das will ich herausfinden. Und steige seit langem wieder, seit meiner Kindheit, in die Tiefen meiner Gehörgänge hinab, die mich einst in die üppigen Märchenlande und -wälder der Gebrüder Grimm oder eines Hans Christian Andersen führten.

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Honey Baby

Von der Backfront : noch gestern (dunkel war’s, kein Mond schien helle) in den Herbstduft gestiegen, mich hingetastet (obwohl ich doch ein Elektrokleingerät zum Kneten) an den perfekten Honigbatzen, von dreien zwei nach Rachen=Erkenntnis genuß=gut, für die nächsten hellen Tage : noch mehr Honig, noch mehr Zimmet, etwas weniger Nelkenpulver; ach : und Hirschhornsalz fehlte auch diesmal. (Ob ich da mal selbst im Wald?)

Gestern die Milch, heute der Keller

Wir bleiben uns vor allem wahr. Und wenn du liegst, so beuge
ich mich stochastisch über dein weißes Rauschen, vermute nur,
und irre nicht. Du bist mir alle Erde dann, und alle Wärme dann.
Gestern hast du gesagt, du hast gesagt: Milch. Die ich von dir nahm,
die ich in dich leerte, die sich mit dir verband, die roch wie später dein Kleid.
Dein Fassen eine Zierart des weißen Trunks aus allen offenbarten Öffnungen.
Doch die Annahme des Gemolkenen. Der Lohensteinsche Himmelschlüssel,
und heute der Keller, in dem ich dich offenbarte, in dem du mir
zugeneigt zuneigtest dein Haupt, dein Haar, dein Angesicht. Und
in deiner Augen Glanz war’s mir, als sähe ich Erkennen strahlen,
durch allerlei Brimborium das Püppchen geknetet und zugerichtet,
doch sah ich’s nur und fühlte anders, denn fühlte –
und ich fühlte wie gestern die Milch, dich.

Durch die Rabenscheiße ins Glück

Zwischen dem Wort “Toilette” und dem Wort “Leute” gibt es eine ungemeine Verwechslungsgefahr. Doch der ähnliche Klang kommt nicht von ungefähr. Immer, wenn ich “auf die Toilette muss”, dann mache ich das, was Raben tun, wenn sie “auf die Leute …”, nämlich: scheißen.
“Ich muss mal kurz auf die Leute”, ist dann das Ergebnis einer gepflegt realistischen Wortwahl.

Faunlaub & Löwenstöckel

Es ist Montag, der neunundzwanzigste August. Der Tag, an dem der Turm sich, der sich uns beiden weissagte, durch unser Aufeinandertreffen in Mannheim, den Lüften zu durch Erde brach. Monate, seit Mitte 2015, hatten wir unzählige Worte, so viele lange Briefe aus dem Wasser der Mondin geschöpft. Uns ausgiebig ausgegossen. Oil mit einem Krug. Waterlily mit einem Krug. Aus einer Pfütze entstand ein Rinnsal : aus einem Rinnsal ein Bach : aus einem Bach ein Fluss : aus einem Fluss ein reißender Strom, der unaufhaltsam das Land unter unseren Füßen abtrug, Meer zu werden. Wir strömten uns zu, tasteten bald in allen Elementen nach uns. Wir siezten, duzten, kollidierten und fusionierten … kollidierten wieder, ließen ab, stoben auseinander, hoben wieder an …, wir gaben uns Namen. Nannten unsere Kinder bei den ihren. Sie spielten uns durch (wie wir sie durchspielten), entdeckten und blößten uns. Bangten bis zu diesem Tag:

Noch früher Morgen, wir telefonieren miteinander, soeben erst aus den Federn gestiegen, fühle ich mich pelzig von dem Zwölfstundendienst, der nun hinter mir liegt. Du hast dich bereits vom Nacken bis zu den Fußknöcheln in dein Weinlaub geworfen (da Kempten, wie du mir erzählst, offenbar eine Stadt ist, die ohne gelbe Hemden auszukommen gedenkt). Ich begleite dich zur Tür hinaus, gen Bahnhof zu gehen, die Tschu Tschu zu nehmen, in der ein Junge sitzen wird, der dich die ganze Fahrt zu mir hin unterhält. Ich springe unter die Dusche, weiß noch nicht, was ich anziehen werde, entscheide mich für mein braunes Wollklaid, packe meinen Rucksack, packe meine Tasche, und noch eine, habe viel zu viel dabei. Schwer beladen in beeschfarbenen Samtpömps, vergesse ich den olfaktorischen Handkuss nicht, tauche meine Finger der rechten Hand noch ins Becken meiner Nymphe und versuche von nun ab als linkshändige Packeselin durchzukommen. Ich stöckele los, mit offener Mähne. Denke an mein Sternbild, dass ich an einem meiner letzten Arbeitstage, vor dem Kuckucksnest gefunden hatte als ich, mit einer Kollegin sprechend, zu Boden blickte, und weiß noch nicht, dass der ausgemachte Handkuss der Umarmung eines Wesens weichen wird, auf das ich keinen Einfluss habe.

Befreiung von Zweck

„Wenn nun ein höherer Mensch über das geheime Wirken und Walten der Natur eine Ahnung und Einsicht gewinnt, so reicht seine ihm überlieferte Sprache nicht hin, um ein solches von menschlichen Dingen durchaus Fernliegendes auszudrücken. Es müsste ihm die Sprache der Geister zu Gebote stehen …“ (Goethe)

Als ich ansetzen wollte zu einem Hohelied der Geistersprache, gerate ich an Heinz Schlaffers ebenso benanntes Buch, 2012 bei Hanser, gerate dann wieder in die Situation, erst einmal widersprechen zu wollen, mäßige mich aber, weil dem Lyriker bewusst sein muss, dass er sich einer archaischen und vollkommen autonomen Form anheimgibt, indem er auf Kommunikation mit seiner Umwelt pfeift und pfeifen muss, indem er davon profitiert, was ein jahrhundertelanger Kampf war, Herr (und Dame) über sein Kunstwerk zu sein, zum ersten Mal wirklich frei (nun jetzt schon etwas länger), aber auch nicht zu lang, wo messen wir schließlich, wir messen 1 am Kosmos, wir messen 2 dann erst am pille-palle-existierenden Menschen(ge)schlecht. & wenn die Götter das hören, werden sie dachsteufelslustig, denn sie haben’s ja schon immer gesagt, wo sind denn ihre Schamanen hin, ihr Joghurtesser und Baumhöhlenbewohner, wo sind die denn hin in ihren Betongsiedlungen. & wem hören sie da zu. & wollen zu allem Abfluss auch noch gelesen werden. Das Sangesfeuer ist die Inspiration, Begeisterung hört sich da nicht schön an, Besessenheit ist besser, herausgefallen aus dem Geniekult, der aber im Kleinen weiterschlüpft, herausschlüpft aus dem Kescher, dämonisches Werden, ganz anders sein, weil da zu trennen ist zwischen dem wie ich sein könnte und dem wie ich werde. Befreiung von Zweck, aufatmen : sooooog; ausatmen : faaaach!

Wir preschen die Spuren

Nur die Lyrik ist dazu imstande, uns zu befreien. Dass wir überhaupt befreit werden müssen, daran ist ein Phänomen schuld, das wir “modern” nennen. In Wirklichkeit meinen wir jedes Mal, wenn wir dieses Wort benutzen “Entfremdung”, und doch lässt sich mit dieser Entfremdung hervorragend arbeiten, vor allem, wenn wir akzeptieren, dass wir niemals irgendwohin zurückkehren können. Wir alle sind den Orten unserer Vergangenheit fremd. Indem wir über Vergangenes nachdenken, verfremden wir die Vergangenheit, bedienen uns eines Stilmittels, das im Gedicht sein Königreich erfährt. Das ist ein Vorgang der Evokation, unser Gedächtnis ist ein Schuttgedächtnis, und wir rufen uns in Erinnerung, was wir längst nicht mehr parat haben, das aber unsere Träume beeinflusst, die wiederum ein Gefühl in uns zurücklassen, als hätten wir etwas Bedeutsames vergessen. Wir erinnern uns an die Lücken des Gewesenen, treffen also mit der Gabel nie das Fleisch, das uns stets entwischt, obwohl der Teller endlich scheint. Natürlich: auch das ist immer nur Schein. Wir preschen in die Spuren, die wir selbst nicht angelegt haben.

Elizabeth Kostova: Der Historiker

Dracula

Der in Schäßburg (wo man heute noch sein Geburtshaus besichtigen kann) geborene Vlad Tepes war bereits zu seinen Lebzeiten eine Legende. Über seine Grausamkeiten kursieren im Westen die unterschiedlichsten Geschichten (während im Osten ganz andere Variationen kursieren), und nicht zuletzt lieferte er einen Teil der Blaupause zu Bram Stokers “Dracula”. Aufzeichnungen vermuten sein erstes Grab in der Kirche des Klosters einer Insel im Snagov-See. Als man es öffnete, fand man es allerdings leer. Das passt als Grundlage für den Vampirmythos recht gut ins Bild, denn wenn er nicht in seinem Grab liegt, könnte das durchaus bedeuten, dass er noch lebt. In Elizabeth Kostovas vielgerühmten Roman tut er das tatsächlich.

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Vashti Bunyan: Train Song

Tatsächlich ist die Frühe ein Schauspiel Eiter-entzündlicher Wolken, tiefliegender Bewässerung, die gestern begann und mit einem rasanten Trommelfeuer eisiger Kleinbrocken die Straße kurz in einen Bach verwandelte. Nichts gegenüber den überschwemmten Tälern, die es im Sommer in anderen Regionen gab, aber ich dachte kurz an meine Bücher im Keller. Der ist über der Waschküche jedoch höher gelegen, ungefährlich, so lange nicht das völlige Szenario einer Kapitalisten=(statt “Sint=”)Flut ausbricht. Der Sommer, der dieses Jahr ekelhaft war, neigt sich dem Ende, das ist bereits anhand von Kleinigkeiten zu spüren. Kein Freund der klimatischen Massenunterhaltung bin ich. Wollte mir um 6 nur das Wasser abschlagen, da war Albera schon auf die Gleise konzentriert -gen Klondike in der Falz – Goldmeuble abzuholen. Blieb dann aber wach, nachdem ich gestern vor lauter Hitzemigräne nicht an die Sandsteinburg konnte. Nun, es wird spät in den letzten Wochen, spät wie jahrelang nicht (ich bin doch meist zwischen 8 und 9 gestartet; jetzt wird es öfter auch 10 oder 11 weil nachts 2 oder 3). Nachher aber Flohmarkt (und Paket vom DHL, der gestern wieder mal nur einen Zettel hinterließ … ich brauche dem Post=Diener wohl zu lange, bis ich aus meiner Kemenate heruntergestiegen komme).
Zum Sandsteinburg-Soundtrack:

Die Kraft einer an sich einfachen Aussage, die ihre Wucht durch die Repetitio bekommt, wie sie ja in solchen Beispielen nicht gerade selten ist. Der Text aber wäre banal, wenn ihn nicht dieser ferne Gesang zu einem atmosphärischen Ungeheuer machen würde, ihm einen emotionalen Schub verpassen würde. Der Vortrag gibt perfekt das wieder, was der Text bedeutet, und zwar in seiner nackten Vollendung.

Travelling north, travelling north to find you
Train wheels beating, the wind in my eyes
Don’t even know what I’ll say when I find you
Call out your name, love, don’t be surprised

It’s so many miles and so long since I’ve met you
Don’t even know what I’ll find when I get to you
But suddenly now, I know where I belong
It’s many hundred miles and it won’t be long

Nothing at all in my head, to say to you
Only the beat of the train I’m on
Nothing I’ve learned all my life on my way to you
One day our love it’s over and gone

It’s so many miles and so long since I’ve met you
Don’t even know what I’ll find when I get to you
But suddenly now, I know where I belong
It’s many hundred miles and it won’t be long

Unübersehn

O Umzug. O nein. (Es musste so kommen.)

So kam es. Und nun ist es soweit. Weiß ich doch seit Wochen. Mit der Tschu Tschu geht’s in die Pfalz. Mit nem großen grünen Stegosaurier zurück. Den Stego vermute ich mal, da ich nur die ‘kleinen’ Busse kenne, von dem, der ihn mir zur Verfügung stellt und wohl auch fährt. Obwohl ich das auch machen würde. Ich fahre ja hin und wieder der Arbeit wegen einen Bus. Hey Busfahrerin! Aber eben einen ‘kleinen’, der maximal 10-15 Personen fasst. Das wollte ich mal zu meinem Beruf machen. Ist noch gar nicht so lange her, da stand das zur Debatte.

Hab’ uns heute auf dem Viehmarkt nen 2-kg-Sack Zwetschgen gekauft. Zum Frühstück gab’s Debreziner mit Kaisersemmeln und Senf. Die Zwetschgen brauchen noch, sind noch recht fest und sauer. Bis sie zart und süß sind, bin ich wieder da. Mit Fahrrad. Um in irgendeiner Weise wieder mobil zu sein. Das Fahrrad, mit dem ich, bevor ich zu dir kam, die letzten Tage zu meiner alten Arbeitsstelle geradelt bin, vorbei an Felder, Felder und noch mehr Felder. Du hast mich zu dir geholt. Bist Tschu Tschu gefahrn. Kamst an auf Gleis 2. Mich am Ohr.

Wir übernachteten im Mannheimer Maritim-Hotel, in dessen Korridore wir uns immer wieder verliefen, das uns stark an das Overlook-Hotel erinnerte. Es schien auch genauso leer, wir beide waren um kurz vor Mitternacht die einzigen, die noch die Bar aufsuchten. Es war uns ein Haus mit einem ganz eigenem Willen, das einen vergessen macht, in welcher Stadt man ist, zu welcher Jahreszeit, zu welcher Zeit überhaupt. Solche Häuser wirken auf mich wie Uterushäuser. Die Welt herum versinkt ins Dunkel, ist nicht mehr existent, wandelt man durch solche Gänge, schläft und isst in ihnen. Abnabelung durch eine totale In-sich-Aufnahme. Wir spürten, dass wir absorbiert wurden. Waren wie in einer dickwandig ausgekleideten Blase, die die Welt nur als ein Innen kennt. Keine Sinne der Gewohnheit. Es war mir als ob ich ständig meinen eigenen Puls schlagen hörte. Meine Ohren waren wie nach innen gestülpt. Die Farben teilten sich in einer ganz anderen somatischen Sprache mit. Die Klänge hatten etwas Gedämpftes. Ähnlich: sich in eine Badewanne zu legen und die Ohren unter Wasser zu halten. Noch immer hört man etwas, aber es scheint ein Klang, eine Akkustik einer anderen Welt zu sein. Und wie Wasser mir hierfür ein Medium ist, war es auch dieses Haus, das wir beide vielleicht irgendwann in der Zukunft noch einmal besuchen werden. Doch dann mit einer Kamera.

Manusprickt

Noch habe ich den Katarrh und bin im Verzug mit den Sandsteinburg-Lesungen, das Manusprickt bearbeite ich jedoch ausgiebig. Der Beiname “Possenspiel” ist jetzt das offizielle Element dieser multiplen Dampframme. Ich muss gestehen, dass ich die Sandsteinburg nie fertig zu machen beabsichtigt hätte, wenn nicht Albera seit einem Jahr die Weichen stellte. Oft hatte ich den Text in seine nahezu 1000 Einzelteile zerlegt, selbst überzeugt von der Unmöglichkeit dieses “absoluten Buches”, manchmal ertappte ich mich dabei, dass ich an einen idealen Leser dachte, überhaupt an Leser, was ich mir jedoch erfolgreich wieder austreiben konnte. Es geht um Kunst und nicht um Leser. Zwei Begriffe also, die sich beißen. Man darf nicht feige sein, wenn man sein Leben ausschließlich der Literatur widmet, wenn man selbst ein Kunstwerk ist und man jegliche Grenzen schon vor Jahrzehnten überschritten hat. Aber es ist die Eger mein Rubikon. Und es ist die Sandsteinburg meine Nemesis.

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