Der Weg nach Raha: 10 Die alte Bahnstation

»Siehʼ an, ich hatte Sie bereits vermisst! Waren Sie nicht verschollen mitsamt ihrem Geiger?«

Ich kletterte in den Bus hinein unter den Blicken wachsweicher Figuren, die unter der Hitze litten, eine Welt ohne Wetter ist schwül. Aus dem sich öffnenden Loch einer Bahnhofswand heraus war schließlich der Bus erschienen, von dem der letzte Zugpassagier gesprochen hatte. Am Steuer saß Madame Blandot.

»Werden Sie mich zum Leuchtmoos bringen?«

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Mahlmaschinen

Was kann man in einer derart dämonischen Zeit, in der alle Tore der Hölle sperrangelweit aufstehen, noch tun, um sich zu retten? Vertrieben aus der Stille des Nichtverstehens, in den Lärm der Mahlmaschinen geschickt, die gar nicht mehr aussenden, verstanden werden zu können. Der umnachtete Geist ist der umlärmte Geist, der unauslösbar an den Ketten des Geschehens festgemacht. Jeder einzelne Augenblick ist voller schäbigem Glanz und es umgeben uns die Zotteln gleichgültiger Auswüchse, die wie künstliche Wisente von oben auf uns herabbrunsen.

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Der Weg nach Raha: 9 Adam und der Schatten (2)

Dem Dante gleich wurde ich durch die Asche geführt, durch die Ringe höllischer Täler. Wir spazierten an schreiendem Morast vorbei und passierten Ruinen, die im Dunst der ewigen Dämmerung aufragten wie Steingebisse. Aber an meiner Seite befand sich nicht Vergil sondern ein Schatten. Deshalb zieht es mich zu den Höhlen hin, zu den moosbewachsenen Steinen, zum Sicker, den variskischen Falten, schmeicheln den Wollsackverwitterungen will ich da, gespreiztes Gestein, durch dich hindurchgleiten, phallischer Fels, mich von dir abkünftig wähnen.

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Der Weg nach Raha: 8 Adam und der Reisende

Jemand (ich kenne ihn nicht) kam mit einer grauen Tasche unter der rechten Achsel an, stand stumm wartend unter dem Wellblechdach der Wartefront am Bahnsteig.

Stellen Sie sich einen Mann vor, der einen schwarzen gebürsteten Anzug trägt, die Hose geschnürt mit einem baskischen Gürtel, einen Hut (unbekanntes Fabrikat) auf dem länglichen Schädel, ebenfalls schwarz, darunter, im Schatten, ein mehlweißes Gesicht; die Augen liegen sehr tief, zudem vom Schattenschlag des Huts verhangen, ansonsten ganz und gar eine bürgerliche Gestalt, die elefantengraue Tasche jedoch eine unbegreifliche Wahl.

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Der Abgrund (SSB-Version)

Ich konnte mich zunächst ja kaum erinnern, zerschunden wie ich war, aber woher nur? Meine Augen kugelten in einem Sandlager herum, von dem aus gesehen das tränende Meer nicht weit entfernt liegt. Lichtspiele pochten hinter meiner Stirn gegen die Augäpfel, das boxende Känguru der Brüder Sklandanowsky, der einfahrende Zug in den Bahnhof von La Ciotat, die Umwelt klarte aus einem roten Nebel und ich stellte fest, dass ich lag und nicht etwa schwebte, wie ich es mir zunächst eingebildet hatte. Denn zu oft erwachte ich orientierungslos, noch eingenommen von einem Traum, an den ich mich genausowenig erinnern konnte wie an meinen Aufenthaltsort. Nur der reflexartige Schwung meiner Hand zum Wecker hin brachte mich dann zurück in mein Haus, in mein Bett, in dem ich schwer und heftig atmend wach lag, ohne mich wach zu fühlen. So wie ich lag, konnte mit meinen Händen gerade noch den Wecker erreichen, der durch die gleichmäßig vorherrschende Dunkelheit in Zahnradzungen zu mir sprach; ein Freund im Einklang mit meiner eigenen präzisen Unruhe. Ich zog ihn stets mit sieben Umdrehungen auf, nie bis zum Anschlag, jeden Tag, um in der Nacht, wenn ich wirklich nichts mehr sehen konnte, weil das Rouleau jeden Schimmer fern hielt, dem Funktionieren der Uhr zu lauschen. Ich wollte kaum atmen, weil ich ängstlich wurde, wenn ich nicht genau hören konnte, was mein einziger Fixpunkt im Gewirr der Unendlichkeit zu sagen hatte. So ähnlich waren sich die Töne, dass man sie leicht für das immer gleiche Auf und Ab halten mochte – ich aber hörte das Hin- und Herschwingen wie das Murmeln eines Geschichtenerzählers. Es erschien mir tröstlich, dass all die Erzählungen, denen ich lauschte, mit dem Vergehen der Zeit zusammenhingen. Ich wollte ja, dass die Zeit verging, wollte aber nicht, dass ein neuer Tag anbrach, denn der forderte neue Entscheidungen, die den einen Fluss ebneten, den anderen aber rasend werden ließen. Der Naturgewalt der eigenen Willkür war nicht beizukommen.

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Nachtwach unter Himmels Schwärze

Ich entsinne mich noch – die trübe Gassensuppe kann mein Schweifen nicht verhindern – an den tragischen Fall des Gerulphus Bulwer. Der Vater des Burschen war ein ächter Seemann gewesen, der genügend Sächelchen gehortet hatte, die dem, der die Welt nicht kannte und der diese Utensilien unbedacht schaute, die Haare gegen den Strich bürstete.

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Im Innern des Zyklopen

Die Uhr mit den bereits verblassenden gilbroten Zeigern saß in der Mitte unter den über die Frontscheibe gebogenen Blechdach. Im Innern des Zyklopen zeigte das Auge jeden Tag fünf nach sieben, die Nachrichten waren wieder der Musik gewichen, der Tag begann mit Alan Parsons‘ Lucifer und gab die Stimmung vor, die bis zum Nachmittag anhalten sollte. Die Fahrt zur Schule, einst ein Hilfslazarett für Amputierte, die wie ein altes Schloss mit ihren 5 Meter hohen Portalen auf uns wartete, war auch die Fahrt zu einem Friedhof, an den der Schulhof grenzte. Die karge Mauer hielt die Toten nicht davon ab, am Unterricht teilzunehmen; ich zählte nicht, wie oft die Totenglocke in die Unterrichtsstunden einbrach. Das Gewusel in den Pausen blieb abstrakt, das Gemäuer furchteinflößend, der Friedhof die eigentliche Lektion.

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