Die Engelmacherin

Oben am Kriegerdenkmal; erste Liaison mit einer, die im Damensattel ritt. Aufgespartes Pfläumchen, Wald und Pavillon zum tratschen, Hirsche zum schießen, alles kräftig begatten, jedes zweite Kind stirbt, alle Damen ran an den Halm, den Born aufgesperrt! Das kleine Ding durchlaucht.
»Ich sehe, Ihr seid gekommen!«
(Ja, was sonst, der einzige Spaß, etwas Verpothenes & Empörendes zu tun!) Wie würde das edle Ding auf eine Tüte Gummibären reagieren?
»Ich habe Euch Blumen mitgebracht!«
Dafür gibt sie nicht ihre Hand.

Das ungewaschene Bein hinaufschnuppern, mit der Nase in den Röcken verheddert verenden –
(Der Galan sieht aus wie ein Räuber!)
»Euch wächst noch nicht einmal Gesichtshaar!« Aber er hat einen feisten Händedruck, man merkt’s, wenn er rund herum die abgebundenen Taille tastet. Die Romanze beginnt mit der Neugier, das Aufsatteln ist ein Akt der Wonne, bei dem sie schreit wie ein abgestochenes Ferkel. (Wer braucht schon Hände!) Die Blumen fest in der Hand, Knöchel blank, der Rohling hechelt den Gestank des rohen Fleisches in ihr rosafarbenes Loch, garniert mit kleinen weißen Zähnchen, und zwischen den Beinen brennt der Scheiterhaufen und riecht auch noch nach Brandbeschleuniger.
Da geht sie : Au!, den Hain und Au!, das Pferd, flennt wie ein Rohrspatz, wie mit dem Kleid, den Röcken einen Stallboden aufgewischt. Die Kloaken der Jungstuten, das werden die urbanen Verhältnisse später notwendig machen, müssten betreut werden, hier ist nicht jeder Edelmann, da wird sich schon mal bedient, da wird sich hergegeben, wer soll’s denn richten, wenn nicht der Pfiffikus des Waldes?
»Ich habe Euch nun ein für allemal durchlaucht!«
(Das büßt er, der Knecht!)
Am Heuschuppen schnuppern; getraut er sich denn zurück nach dieser Szenerie? Das Hubertusrudel wird’s verbreiten, flüsternd : Das kleinste Dämelchen ist vom Pferd gefallen, hat sich an seltener Stelle verwundet, wie der Zufall es will. Rumtreiben, rumtreiben; da sind doch nur Holzfäller und kaiserliche Pilzpflücker am Werk! (– und Pferde Auf- und Absattler!)
Gar nicht so wie in den getürkten Geschichtsbüchern, wer von wem abstammt, Blickwinkel der Heraldik, so manch einer unter schöner Ornamentik dahingerafft, Blutleer, aber die Zeit war wer im Gegensatz zu allen Blödeleien der Moderne. Sowas wie Hosenbeine kaufen, keinen Rock tragen, etepeteten (anstatt trompeten), höfeln oder dienern, kratzbuckeln, und dann im Heu die dreckigen Gedanken der Mahlzeit der Pferde beigemischt!
»Das will ich jetzt aber genau wissen, dir läuft die Ehre die Beine runter, versickert in Fetzen! Im Grunde müsste man dich ersäufen oder alles verschweigen; doch das würfe Fragen auf, wenn du mit gespreizten Beinen die Decke anstarrtest, die Hecksen dir die Frucht aus dem Leib pellten. Da soll jemand auf den Umfang achten, die Zofen alles abschnüren!« – das enge Ding noch enger, die Libertines am gaffen, die Engelmacherin mit der brüllenden Kutsche eingefahren und begastet, als wäre sie nicht die, die dann ihre Tränke aus dem Tuch pult, von Welt gewandet, wie eine Schirmherrin schwarzer Künste.
Ersäufen oder verschweigen!
Während sie tatsächlich Risse und Speckflecke zählt, Stricknadeln in ihr pfuschen. Die berechtigte Frage, »Wieso denn?«, auf den bebenden Lippen. Hubertuston!
Der Hirsch, der ihr zwinkert, tot oder anderweitig beschäftigt, die Leber in einem Zwack herausgedampft und redlich getilgt, je nach Stand, frisches Blut, Organ aus dem Leib, die Frucht in der Kälte ein Klumpen blutiger Dotter, dampfend der Geist an der Speckdecke haftet, Formen choreografiert. Jemand betritt den Raum und ahnt es nicht, da kniet doch tatsächlich eine Vettel?
»Ich habe Euch Blumen mitgebracht!« (– oder allerlei Beeren, die ich fand.)
»Stellen Sie’s ab, und sagen Sie mal, tickt die Uhr da?«

Die Henker auf dem Galgenhügel

Die Zeit ist oft auch nur ein architektonisches Wunder, und manchmal scheint es, als sei die Pest noch nicht lange fort. Die Platten der Epochen haben sich ineinander geschoben. In diesem Falle kann ich sehr nah an ein Haus herantreten, bis die Moose in den Ritzen ganz groß vor meinen Augen erscheinen. Während dann hinter mir die Zeit, in der ich lebe, in die fremde Ewigkeit hinaus rast, überbrückt das Gesims, das ich betrachte, Jahrhunderte. Manchmal fand sich kein Mensch auf der Straße, und es war dann leicht, darüber nachzudenken, dass dieses Dorf völlig ausgestorben war. Nur ein letztes Glimmen im Kamin. Oft wehte ein staubiger Wind den Geruch toter Nagetiere durch die winkligen Gassen. Viele Familien klagten über ein unbestimmtes Unglück, das die Frauen spüren wollten und die Männer, seltsam berührt von derartigen Äußerungen, wegzulächeln gelernt hatten. Die Bäume der Alleen waren bis zur Hüfte eines erwachsenen Mannes kahlgefressen, aber die Ernte auf den Feldern war stets reich und auch die übliche Heuchelei hielt sich in Grenzen.

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The Tigress of Cachtice

German

In the evening light, the vaguely recognizable building curved into the distance. The foggy estate itself was lost in the nothingness of the Carpathian Mountains. The horizon was dominated by a looming, ponderous mass of indeterminate shapes, barely penetrated by a futile sun. Millions of years old, the mountains bit into the soft, pale flesh of the sky, forming a lump of concentrated malevolence.

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Komposita über das Sterben im Gemäuer

Die möglicherweise bekannteste Daguerreotypie von Edgar Poe ist die Ultima Thule genannte vom 9. November 1848, entstanden vier Tage nach seinem Selbstmordversuch. Dieses Portrait wurde nach einem Zitat aus Poe’s Gedicht Traumland (orig. ›Dream-Land‹) so bezeichnet, weil man in ihm einen Ausdruck trotziger Verzweiflung am Rande des Todes gesehen haben will. Für die meisten Poe-Liebhaber ist dies das Bildnis, das am ehesten zum Charakter seines Werkes zu passen scheint.

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Jack (Arbeitstitel)

Als ich erwachte, wusste ich, dass es sich um denselben Albtraum gehandelt hatte, der mich bereits seit vielen Jahren nicht aus seinen Klauen ließ. Er begann bereits zu bröseln, kaum öffnete ich die Augen, blähte sich noch einmal auf und zerfiel schließlich in seine körperlosen Bestandteile. Zurück blieben wilde Farben und das klamme Herz in meiner Brust. Oft vergas ich in den ersten Sekunden eines neuen Tages zu atmen, wähnte mich nicht am Leben, bis mein Kopf den Druck des Sauerstoffmangels kaum mehr aushielt und den Mund öffnete, um den ersten Schritt zum Überleben in Betrieb zu nehmen. Erst dann setzte die Routine wieder ein. Ich keuchte und schwitzte und sprang viel zu schnell aus dem Bett. Der Fluchtgedanke war ein nicht zu kontrollierender Impuls, mein Kreislauf aber keine fünf Pfennige wert. Und so sackte ich jedes mal auf die Knie, um mich blind zu übergeben. Nach wenigen Minuten hatte sich mein Zustand wieder hergestellt. Ich fühlte mich miserabel. Dieses unfreiwillige Ritual sorgte für ein völliges Vergessen. Nie gelang es mir, Bedeutung, Sinn und Hergang des bösen Traums zu greifen. Wie ein Geschwür breitete er sich in mir aus, während ich wehrlos schlief. Livia hatte nicht unrecht, wenn sie auf einen Arztbesuch drängte. Vielleicht schob ich den Albtraum vor eine ernsthafte Erkrankung. Meiner Ansicht nach traten diese Anfälle zwar heftig, aber unregelmäßig auf. Wochen und Monate lang schlief ich wie ein Engel.

Es gab noch eine andere Theorie, die sich auf mein „böses Blut“ fokussierte und die ich vorsorglich für mich behielt. Ich war ein Erbe der okkulten Detektive, die viele für die Erfindung überspannter Literaten hielten. Das böse Blut hatte ich natürlich nicht von ihnen, wohl aber den Hang zur Sensibilität, ein empflindlich gestörtes Gemüt, das sich in unserer Familie durch mich bereits in der fünften Generation manifestierte. Geisteskrankeit ist ein zu starkes und unspezifisches Wort, deshalb möchte ich es an dieser Stelle nicht verwenden. Früher hatte man diesbezüglich weniger Skrupel, auch nicht hinsichtlich der Gerüchte, von denen eines andeutete, ich sei ein direkter Nachfahre jenes unbekannten Schreckens, der im Jahre 1888 ganz London in Atem gehalten hatte. Mein Verstand spricht von der Unmöglichkeit dieser Abkunft, aber mein Blut behauptet etwas anderes. geht man der Sache auf den Grund, so wird man leicht feststellen, dass mindestens eines der Opfer von Jack the Ripper zur Zeit ihrer Ermordung schwanger gewesen sein soll. Mary Jane Kelly war ihr Name. Sie war zwar nicht das letzte Opfer des Rippers, aber das letzte, das ihm zugeschrieben wurde. Von dieser Schwangerschaft kann ich nur berichten, dass Jack sie beendet hatte, doch auch das mag nur eine Legende sein. Nicht aber, dass sie im Jahre 1881 einen Sohn gebar, der zum Zeitpunkt ihres Todes sieben Jahre alt war. Sein Name verliert sich in der Dunkelheit, aber von Robert Kelly, der 1901 den Nebel der Welt erblickte, führt eine direkte Linie zu mir. Mein dunkles Blut ist ein Mythos der Geschichte und mehr als ein Fluch, der durch die Reihen meiner Familie schritt. Auf ein glaubhaftes Argument muss ich verzichten, wenn auch einer meiner ersten Träume mir zeigen wollte, wie sehr die Bande der Generationen gerade im Unglück geeinigt sind.

Natürlich würde das bedeuten, dass zumindest ein Teil meiner Herkunft in Irland zu verorten wäre, denn Mary Jane wurde in der Stadt Limerick, in der Provinz Munster geboren. Besonders scherzhaft war ihr Leben trotz ihrer Herkunft jedoch nicht. Aber welch Wunden lädt man sich im steten Flug durch die Jahrhunderte auf? Man würde wahnsinnig werden, wenn jede im Suff getroffene Entscheidung das Leben eines Nachkommen zerstören würde.

Spreche ich von mir als von einem okkulten Detektiv, so begann aufgrund der Gerüchte um meine Familiengeschichte mein Interesse an den Whitechapel-Morden. Ich bildete mir, wie viele andere ein, den wahren Jack entlarven zu können, durch nichts anderes als meine erstaunlich Intuition. Eine Annahme, die nichts anderes zeitigte als meine Albträume. Ich musste zu dem Schluss kommen, dass es diesen Mörder niemals gegeben hatte, dass er für alle Zeiten ein Phantom bleiben würde und nichts mit einem realen Menschen zu tun haben konnte. Es schien, als sei er nur die Personifikation einer gesellschaftlichen Tendenz gewesen, die im viktorianischen London gemeinsam mit dem Nebel durch die Stadt und das ganze Land wanderte.

Es sind stets die Phantome, die alles so interessant machen, die steten Ungewissheiten. Nichts ist je sicher, nicht für einen Moment. Eine Menge rätselhafter Raum liegt hinter uns – und vor uns vielleicht auch. Für die Geisterwelt mögen wir die Phantome sein. Während ich durch die vollgepackte Innenstadt von M. schlenderte, fühlte ich mich verfolgt. Das Gefühl hatte ich schon öfter gehabt, es verflog aber schneller als ich darüber nachdenken konnte. Schlafentzug, oder zumindest mehrere wirklich schlechte Nächte hintereinander, konnte durchaus Paranoia auslösen, aber man leidet nicht unter Verfolgungswahn, wenn man wirklich verfolgt wird. Unter all den Leuten, die ihren Geschäften nachgingen, wirkte das Gefühl völlig fehl am Platz. Als ob man unter all dem Höllenlärm einer Stadt einen Ton wahrnimmt, der eine ganz besondere Färbung besitzt, der gerade dadurch auffällt, weil man ihn nicht zuordnen kann. Die Gesichter, die mir begegnen, sind leer, es könnten geradewegs Attrappen sein, einzig dazu geschaffen, mich anzurempeln oder mich zu missachten. Aber unter all diesen Leuten musste es jemanden geben, der mich anstarrte. Die Nadel im Heuhaufen mit einem energiegeladenen Blick.

Das Kriegspferd

Erschienen im Blitz-Verlag

Ich sah bei der Nacht, und siehe, ein Mann saß auf einem roten Pferde, und er hielt unter den Myrten in der Aue, und hinter ihm waren rote, braune und weiße Pferde. Und ich sprach: Mein HERR, wer sind diese? Und der Engel, der mit mir redete, sprach zu mir: Ich will dir zeigen, wer diese sind. – Sacharja 1:8

Während ich das hier niederschreibe, scheine ich in Sicherheit zu sein. Ich habe die Bilder nummeriert, auf deren Rückseite ich zwar nur wenig Platz finde, aber ich habe nichts anderes zur Verfügung.

Das Land, das ich beinahe ein ganzes Jahr mit einem Kriegspferd an meiner Seite durchstreifte, wurde zu einer verbotenen Zone erklärt; nicht weil man jemanden vor den dortigen Gefahren schützen wollte, sondern weil man den wissenschaftlichen Nutzen noch nicht gänzlich erfasst hatte.

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Seelen am Ufer des Acheron

Ich schreibe dies hier nieder, bevor ich endgültig Aufgabe übernehme, die Schatten über den Fluss zu geleiten, die den Fährmann nicht bezahlen können.

Vorher muss ich jedoch um Nachsicht bitten, denn im Schreiben bin ich nicht geübt, und so darf es nicht verwunderlich scheinen, dass ich dies als Bericht begriffen haben will, der keine literarischen Ambitionen hegt, auch wenn meine Worte noch so phantastisch anmuten mögen. Eine Moral habe ich euch nicht zu geben, denn die Dunkelheit in meinem Herzen macht mich für diese charakterliche Eignung blind. Ich kann nur sagen, dass ich außer diesem Schriftstück – ein Fragment meines Erblühens – nichts hinterlassen werde, doch die Möglichkeit besteht, dass wir uns eines Tages kennen lernen. Nämlich dann, wenn das Silberstück vergessen wurde. Diese Vertraulichkeit nehme ich mir heraus. Ich schlummere in den Schatten einer alten Mythologie.

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