Lungengrill

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Arbeitsatmosphäre (Lorebuch)

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Der Menschenfresser

Eine Insel wie Madagaskar, voller biologischer Wunder wie
der satanische Blattschwanzgecko, das nachtaktive Aye-Aye,
riesige Springratten und eigentümliche Blattkäfernymphen
nimmt sich den Platz, den es vorher nicht gab, um die zentrale
Bedeutung des Lebens zu feiern, als wäre das Universum
ein ausgedachtes Ressort, das uns immer wieder verspottet.
Fremd sind die Welten auch ohne den Klang des Nimmermüden,
die Ranken eines Gewächses, das sich um ein Opfer schlingt
und die Bewegung in den Rhythmus des kaum merklichen Windes
einstimmt.

Dünne, empfindliche Gaumen bebten einen Moment lang,
als würden sie von hungrigen Stricken umschlungen,
und legen sich dann, wie von einem Instinkt geleitet und
mit teuflischer Raffinesse, in plötzlichen Windungen
um ihren Hals und ihre Arme. Dann, während ihre
schrecklichen Schreie und ihr noch schrecklicheres Lachen
immer wilder wurden, um augenblicklich wieder
in einem gurgelnden Mittelmaß zu ersticken, erhoben sich die Ranken,
eine nach der anderen, wie große grüne Schlangen, mit brutaler Kraft
und höllischer Schnelligkeit, zogen sich zurück
und umklammerten sie immer fester, mit der grausamen Schnelligkeit
und wilden Hartnäckigkeit von Anakondas, die sich an ihre Beute sichern.

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Der Geschirrbeobachter

Hier habe ich zumindest ein paar Töpfe, sagte sie. Fürs Erste
müsste das reichen; ich stelle sie hier vor die Tür,
dann muss ich nicht reinkommen.
Ich nickte. Wie lange wird das vorhalten?
Das ist schwer zu sagen … Sie schielte die Töpfe an,
als habe sie sie noch nie richtig betrachtet. Ich würde
auf zwei Tage tippen, die Teller sind dagegen
nur Stunden, aber zusammen mit dem Besteck
nähert sich das wieder an. Das bekommen Sie dann alles morgen,
bevor die Zeit abgelaufen ist.
Ich suchte in ihrem ausgefallenen Gesicht nach einer Antwort,
fand aber nichts. Glichen ihre Augenbrauen nicht dem Futhark?
Bildeten die haarigen Runen nicht die eigentliche Botschaft für mich?
Mehr müssen Sie nicht wissen, sagte sie robust und kompakt,
sie war schließlich in der Überzahl
und konnte sich ihre Rindviehhaftigkeit leisten.

Nachdem sie wieder nach nebenan verschwunden war,
holte ich einen Stuhl, um die Töpfe zu beobachten. Die Tür
ließ ich geöffnet, eine andere Lösung hatte ich nicht,
ärgerte mich aber darüber, sie nicht darum gebeten zu haben,
die Töpfe in die Küche zu stellen. Jetzt würde es
die ganze Nacht Durchzug geben, weil man mir
noch keine Fenster eingebaut hatte. In der Probezeit
war das natürlich unüblich, man wollte erst sehen,
ob ich imstande war, die mir zugeteilten Aufgaben
zufriedenstellend zu erledigen. Gegen Abend
hörte ich meine Nachbarin eine Arie anstimmen und
war dankbar für das Gekreische, denn ich war
gerade mit der Innenfläche der Töpfe beschäftigt,
als ich kurz wegnickte. Mein Ziel war es, ein
für mich bestimmtes Muster zu finden,
die Beobachtung des Geschirrs etwas angenehmer zu gestalten,
sicher, dass mir das in den folgenden Tagen, wenn mir Teller,
Schüsseln und Besteck gebracht wurden, aufgrund
der unterschiedlichen Formen, leichter fallen würde.

Ich konzentrierte mich vor allem auf die ungleichmäßige Verarbeitung,
stellte mir vor, wie man in den Töpfen
die verschiedensten Gerichte zubereitete und ging
im Geiste die Rezepte durch. Zu jeder Delle
dachte ich mir eine weitere Geschichte aus und sah
die knetige Masse der Hände, die diese Töpfe
gegen die Kugelgestalt ihres Kopfes donnerte
so lebhaft vor mir, dass ich unter den Wogen
der hysterischen Musik
aufgrund der Eindrücklichkeit der Vision erschrak.

Aus den Fingerklumpen der Nachbarin
wurden meine eigenen, dagegen zarten, Dirigentenstäbe.
Ich hieb so fest auf ihr gebirgiges Gesicht ein,
dass mir sogleich ein gänzlich neuartiges Rezept in den Sinn kam,
das ich mir versprach, aufzuschreiben, sobald die Töpfe wieder
verschwunden waren. So weit ich das zu beurteilen imstande war,
gab es im Treppenhaus außer mir niemanden, der sich
mit der Beobachtung fremden Geschirrs beschäftigte,
aber es gab noch andere Tricks, die Miete zu begleichen. Ich
hatte von Wäscheschindern gehört, von Wandstreichlern
und Rundläufern, gesehen hatte ich das nie. Gleich fragte ich mich,
ob ich meine Arbeit mit meinen Brotzeitpausen verknüpfen könnte,
ob ich nicht die Wurst auf dem fremden Geschirr aufschneiden sollte,
denn es ging ja vor allem darum, das mir anvertraute Service
nicht aus den Augen zu lassen. Nur wie sollte ich anschließend
alles wieder sauber bekommen? Du könntest den Teller sauberlecken
und mit deinem Hemd polieren! Morgen war der Tag, an dem ich
das ausprobieren wollte.

Sie erschien recht früh, bückte sich und
nahm die Töpfe wieder an sich, ohne ein freundliches
Wort an mich zu richten.
Es wird heute schlimm werden, sagte sie
ohne Mitleid in der Stimme. Ich habe mehr Geschirr, als ich dachte.
Wann werden Sie es mir bringen?
Machen Sie sich jede Sekunde darauf gefasst.
Sie ging davon, und ich konnte endlich meine Türe schließen.
Todmüde setzte ich mich in den Gartenstuhl,
den ich am Straßenrand gefunden hatte.

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Nachgast-Omen

Mimi spielte den Ball, aber der Regen überfuhr ihn.
Es war nicht sonderlich hell, als es zu donnern begann,
danach aber klärten sich die alten Gespräche, die
sich in Baumkronen versteckten. Die Sicht war von
weißem Schmelz getrübt, aber es zählten ohnehin nur
die ersten Schritte. Später würde man darauf
zurückkommen, denn wir wussten von nichts. Die
mit den Sommersprossen hätte uns wohl am ehesten
an die hohen Ohren eines Esels verraten, aber bis
dieser ankam, waren die Steine bereits alle umgelegt.

Unterhalb der Erde konnte es kein Licht geben, ein
Grund mehr, genau da auf die Suche zu gehen.
Nichts ist fest, alles löst sich auf in zitternden Händen,
hingestellt wo die Wacht endet, wo sich die Kreuzung
nicht entscheidet oder wo der Horizont steil abfällt.
Die Wege waren Schorf an den Schuhen, der
schlanke Ton gebrochenen Eisens berührt die Wunde,
die im Schlaf gerissen wurde. Doch langsam kamen wir der
Sache näher. Ein unbewusster Tanz kann ein ganzes
Dorf zur Weißglut treiben. Es entsteht eine Geisterstadt.

Es ist Zauberwerk, dem du hier begegnest, alle
Schneisen führen in eine Art Rom, von Kloaken bekränzt,
mit ungeheurem Stuck aufwärts gefahren. Es ist nicht
zu viel Abstand zwischen den Gezeiten, ein Pantomime
zog langsam einen Kübel über den Trampelpfad, und
schon war der Moment vorbei. Einfache Laute wurden kristallin
und barsten hinter dem Kofferraum, der handgemachte
Pfirsiche aus Stoff enthielt. Was derzeit aus dem Wald
drang, war durchaus merkwürdig und würde wohl nie

wieder von Dannen ziehen, nicht in einer Regennacht,
geschweige denn mit diesem grobkörnigen Schutt beladen.
Alle schliefen im Ringelreihen, also stellten wir uns
dazu, die Arme ausgestreckt wie um Rinderhälften zu
empfangen. Jemand hatte in all dieser Aufregung seinen
Schlüssel unter denkbar ungünstigen Umständen verloren,
durch eine Art Auflösung, die dem Verschwinden zwar gleicht,
aber doch mehr und mehr zum Nachtvogel wird. Einiges
hatten wir mithilfe von Ketten auszuräumen, und wenn
es nicht zu spät wird, können wir den Tauziehenden endlich
erklären, woher wir wirklich kommen, bevor es ein anderer tut.

Alles besitzt ein rhetorisches Gewicht, außer der Bedeutung selbst.
So entflieht sie uns auf einem Pferderücken; und ob wir sie auch
reiten sehen – weder unser Auge, noch unser Huf
wird da sein, wenn sie anlangt. Noch
einmal ist’s mir als sähe ich die Kreuzung unter Flutlicht
und rings herum um alles läge Glas, zerschmettert von den
Händen, die Gedanken bilden können und daran scheitern,
ein kleines Gefäß sich selbst zu überlassen. Zur Vermählung
im Mai hat diese Tradition für immer ihre Bedeutung erworben, ob man
höre, staune oder nicht. Die Scheiben radieren die Mitte der Luft.

 

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Das Unheimliche: Im Garten ist was faul

Gut zwanzig Minuten nach Beginn des Films Schloss des Schreckens, basierend auf Henry James‘ verstörender Geistergeschichte Das Durchdrehen der Schraube (auch „Die Drehung der Schraube“), steht die Gouvernante, die ihr Glück, in diesem großen Landhaus arbeiten zu dürfen, nicht fassen kann, im Garten, ganz in Weiß gekleidet, und schneidet weiße Rosen. Die Kamera ruht in der Nähe ihrer voluminösen Röcke, auf einer kleinen Gartenstatue, die sich in die Sträucher schmiegt. Es ist ein Cherub, aber er sieht irgendwie deformiert aus, und sein Lächeln hat etwas Schreckliches an sich. Das wird spätestens dadurch bestätigt, als ein praller schwarzer Käfer aus seinem Mund krabbelt. Der Käfer baumelt kurz an der Lippe des Cherub, vibriert mit seinen kleinen Beinchen und fällt aus dem Blickfeld.

Ein merkwürdiges, krankhaftes Gefühl schleicht sich in die Brust des unbedarften Zuschauers, sowohl schrecklich als auch aufregend. Es ist dieses Insekt, das aus einer scheinbar festen Gipsstatue herauskommt. Es gibt ein Wort dafür: unheimlich. Schlagen Sie es in einem Standardwörterbuch nach, und Sie erhalten eine kurze, wenig hilfreiche Definition:

Ein unbestimmtes Gefühl der Angst, das Grauens hervorruft.

Gelehrte haben das Wort bis ins 15. Jahrhundert zurückverfolgt, wo es sich aus dem „verdunkeln“ heraus entwickelte. Nicht etwa von „unheimisch“ und „ungeheim“ leitet es sich her, sondern von „ungetüm“, „ungeheuer“ – was heute dazu führt, dass es umgangssprachlich „Volumen“ („unheimlich“ groß, viel) meint. Im Grunde ist es ein Schattenwort, das nur darauf gewartet hat, aufzutauchen. Die Grimms führen in ihrem Wörterbuch die Synonyme: nicht vertraut, fremd, entfremdet, unfreundlich, ungnädig; feindlich, schädigend, beunruhigend, unzuträglich, unbequem; unfriedlich, bösartig, unerfreulich, gefährlich, bedenklich u.ä.

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Zustandskolorierung

Ich komme aus einer dunklen Ecke, eigentlich aus dem Nichts,
mindestens aber von weit außerhalb einer brummenden Kirmes,
die mit Zuckervögeln lockt. Das ist kein Tier das auffällt,
aber als Süßigkeit allerliebst bunt und natürlich weniger wert
als eine Mehlspeise. Diese Ecke ist ein Kipppunkt, die alte
Brücke hätte sich ins Fäustchen gelacht, aber abgerissen bleibt
abgerissen, auch wenn ihr Geist noch über dem Bach
herumspuken soll. So wurde sie etwa gesehen, wie sie
andere Geister über das sprudelnde Nass gehen ließ, denn
wie sonst sollte ein Omen im Mond zu denken sein?

Ich fror, aber ich bekam davon nichts mit, versteckte
mich noch in den Zellen – eine Einheit mit der grundsoliden
Schwärze, die eigentlich keine Farbe repräsentiert, die man
sich denken kann. Eine Zustandskolorierung, die sich bei
Abwesenheit besonders hervortut. Aber als die Störche begannen,
die Schorne abzuklappern, waren die verkannten Kleinode von
oben zu betrachten. Der Zenit stand aus und auch die Mägen
rumorten in ihrem eigenen Saft. Ein wirklich großes Lächeln
erschien auf Stangen wie ein Rotstift im Zölibat.

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