Michael Perkampus ist ein Solitär der deutschen Literatur. Am Surrealismus und der Dekadenzliteratur geschult, wird die Sprache hier zu einem Instrument der Wahrnehmung. Seine Ausflüge in die Weird Fiction sind ebenso Programm wie das Zerschmettern jeglicher Realität.
Täglich Texte und Betrachtungen.
Esset nicht davon
byPerkampus
Vom christlichen Satan über den islamischen Iblis und den hinduistischen Ravana bis hin zum zoroastrischen Angra Mainyu taucht die Idee eines singulären Wesens, dass das Böse repräsentiert, als kulturelle Allgegenwart immer wieder in den Annalen der Menschheit auf. Eine gegnerische Kraft, die sich im Kontext bestimmter Traditionen und Gesellschaften auf einzigartige Weise als Archetyp manifestiert.
Stell dir vor, du fährst spät in der Nacht allein auf einer einspurigen, hinterwäldlerischen Straße entlang. Deine Scheinwerfer streifen die Bäume, die sich dicht an die Straße schmiegen, das Brummen Ihrer Reifen dröhnt leise unter der Musik aus dem Radio. Die Monotonie der scheinbar endlosen Straße bringt dich zum Träumen – doch deine Gedanken werden durch die beiden Scheinwerferpunkte, die plötzlich in deinem Rückspiegel auftauchen, unterbrochen. Das Auto muss gerade einen Hügel erklommen haben oder um eine Kurve gebogen sein, denn es ist das erste Mal, dass du heute Abend jemand anderen auf der Straße siehst. Das Auto fährt mit beängstigender Geschwindigkeit, und als es langsamer wird, um neben dir anzuhalten, siehst du, dass es ein seltsames schwarzes Auto ist. Das Fenster wird heruntergekurbelt…
Wenn du mit den Legenden über unheimliche Fahrzeuge nicht vertraut bist, dann bin ich da, um dich zu informieren. Es gibt sie in vielen verschiedenen Formen, eine so beunruhigend wie die andere.
Die Todeskutsche
Die Todeskutsche hat ihre stärksten Wurzeln in Irland, wo sie Cóiste Bodhar (koe-shta bower) genannt wird, was so viel wie „taube Kutsche“ oder „stumme Kutsche“ bedeutet. Die Cóiste Bodhar ist ein Omen für den Tod, und wenn man sie sieht oder hört, bedeutet das, dass jemand sterben wird. Die irische Version der Todeskutsche sieht ziemlich unheimlich aus und ist oft mit Kerzen und menschlichen Überresten geschmückt.
Noch furchteinflößender als die Kutsche selbst ist ihr Fahrer, eine Fee namens Dullahan. Sein Kopf, der unter einem Arm getragen wird, hat kleine, schwarze Augen und ein breites Grinsen, das bis zu den Ohren reicht. Er trägt eine Peitsche, die aus einem menschlichen Rückgrat besteht. Wenn man den Dullahan einen Namen rufen hört, ist es sicher, dass der Angesprochene als nächstes stirbt. Während der Cóiste Bodhar durch jedes verschlossene Tor gehen kann, fürchtet sich der Dullahan vor Gold, und wer es in der Nähe hat, vertreibt ihn. Der Cóiste Bodhar taucht in dem Disney-Film Das Geheimnis der verwunschenen Höhle aus dem Jahr 1959 auf (ein Lieblingsfilm aus meiner Kindheit).
Der revolutionäre schwedische Film mit Spezialeffekten, Der Fuhrmann des Todes (1921), handelt von einer ähnlichen Legende. In dem Film muss die letzte Person, die stirbt, bevor die Uhr in der Silvesternacht zwölf schlägt, vorne in der Todeskutsche Platz nehmen und die Seelen der Toten für das nächste Jahr einsammeln.
In Robert W. Chambers kultiger Kurzgeschichte Das Gelbe Zeichen kommt die Todeskutsche durch einen ominösen Traum, dessen Fahrer ein Mann mit blassem, geschwollenem Fleisch ist, der den Erzähler an einen „plumpen, weißen Grabwurm“ erinnert.
Auch ich habe mich von der Legende der Todeskutsche inspirieren lassen und darüber in meiner Geschichte „Crossroad“ geschrieben, die in der vierten Ausgabe des Sanitarium Magazine veröffentlicht wurde.
Der Leichenwagen
„Lache nie, wenn der Leichenwagen vorbeifährt, denn du könntest der Nächste sein, der stirbt“, heißt es im „Hearse Song“, der in Scary Stories to Tell in the Dark dokumentiert ist. Als ob Leichenwagen nicht schon bedrohlich genug wären, gibt es auch noch eine Reihe von Aberglauben, der mit den Leichentransportfahrzeugen verbunden ist. So bringt es beispielsweise Unglück, wenn ein Leichenwagen vor dem Haus eines Menschen hält, da dies ein Zeichen dafür ist, dass ein Bewohner bald sterben wird.
Das von mir erwähnte Lied stammt aus dem Ersten Weltkrieg, wurde von amerikanischen und britischen Soldaten gesungen und als Kinderreim populär gemacht. Häufig wird es auch als „Die Würmer kriechen rein, die Würmer kriechen raus“ bezeichnet, und es sind mehrere verschiedene Versionen überliefert – im Folgenden habe ich den Text von nur einer Version aufgeschrieben.
„Lache nie, wenn der Leichenwagen vorbeifährt, denn du könntest der nächste sein, der stirbt. Sie wickeln dich in ein großes weißes Laken Von deinem Kopf bis zu deinen Füßen. Sie stecken dich in eine große schwarze Kiste Und bedecken dich mit Erde und Steinen. Etwa eine Woche lang geht alles gut, bis dein Sarg anfängt undicht zu werden. Die Würmer krabbeln rein, die Würmer krabbeln raus, Die Würmer spielen Karten auf deiner Kopfhaut, Sie fressen deine Augen, sie fressen deine Nase, Sie fressen das Gelee zwischen deinen Zehen. Ein großer grüner Wurm mit rollenden Augen krabbelt in deinen Bauch und an den Seiten wieder raus. Dein Magen wird schleimig grün, und Eiter fließt heraus wie Schlagsahne. Du streichst ihn auf eine Scheibe Brot, Und das isst du, wenn du tot bist.“
Der schwarze Volga
(c) Lions Gate Entertainment, Filmposter
Eine meiner liebsten urbanen Legenden ist die vom schwarzen Volga. Diese Sage wurde in den 60er Jahren in Osteuropa populär; das Auto, ein schwarzer Volga, entführt angeblich Kinder und benutzt sie für grausame Schwarzmarktgeschäfte. Das Auto der Legende kann eine Vielzahl von Fahrern haben, wie Nonnen, Vampire oder sogar den Teufel. Manchmal wird das Auto von niemandem gefahren und erschreckt die Insassen anderer Wagen so sehr, dass sie von der Straße abkommen.
Der Autor Joe R. Lansdale hat für die von urbanen Legenden inspirierte Anthologie Haunted Legends eine Geschichte mit dem Titel „The Folding Man“ verfasst. In seiner Geschichte, die von der Legende des schwarzen Volga inspiriert ist, geht es um eine Gruppe Jugendlicher, die an Halloween von einem Auto voller Nonnen gequält werden.
Das unheilvolle schwarze Auto spielt auch eine Schlüsselrolle in dem Film Dead End aus dem Jahr 2003, in dem eine Familie eine Nebenstraße nimmt, um dem Verkehr zu entgehen, und sich an einem bösen, heimgesuchten Ort wiederfindet, an dem das einzige andere Auto der schwarze Volga ist, der kommt, um seine Opfer zu holen.
Wenn du also das nächste Mal auf einer einsamen Straße unterwegs bist und ein anderes Paar Scheinwerfer siehst, hüte dich vor dem schwarzen Volga.
Michael Perkampus ist ein Solitär der deutschen Literatur. Am Surrealismus und der Dekadenzliteratur geschult, wird die Sprache hier zu einem Instrument der Wahrnehmung. Seine Ausflüge in die Weird Fiction sind ebenso Programm wie das Zerschmettern jeglicher Realität.
Täglich Texte und Betrachtungen.
Es ist der Botanische Garten, der nach dem Erbe der Erdgeschichte riecht, und wo sich 300 Millionen alte Farne über die Köpfe schwingen. Ein großer Kaffee vor Ort kostete nur 3 Euro und war zudem… Botanischer Garten und Schloss Nymphenburg weiterlesen
Dem Tod so nah ist kein Pageturner im klassischen Sinne, sondern ein Noir-Horror über das Sehen: über den Blick, das Bild, das Begehren – und den ethischen Preis der Kunst. Der Roman besticht durch eine… Generation Loss (Dem Tod so nah) – Elizabeth Hand weiterlesen
Der viktorianische Krimi, oder die Gothic Mystery, hat mittlerweile eine Vielzahl an Ablegern, so dass man sich wundert, wenn ein neuer Autor für sich beschließt, seine Geschichte ebenfalls in dieser Zeit anzusiedeln. Man fragt sich,… Die Schatten von Edinburgh / Oscar deMuriel weiterlesen
Es ist nur eine kleine Geschichte in einem großen Buch. „Nichts Besonderes“, könnte man meinen, und gleich zur nächsten weiterziehen. Doch es lohnt sich, hier kurz innezuhalten und genauer hinzusehen. Robert Arthur war ein Schriftsteller,… Glauben Sie an Gespenster? / Robert Arthur weiterlesen
In M. R. James‘ literarischem Universum ist Latein die Sprache der Gelehrten – wer etwas auf sich hält, beherrscht sie fließend. Dies gilt nicht nur für James, sondern erinnert auch an Umberto Eco. Folgerichtig beginnt… Der Schatz des Abtes Thomas / M. R. James weiterlesen
Edgar Allan Poe wird häufig als der Erfinder der Detektivgeschichte bezeichnet. Tatsächlich war er nicht der erste, der eine Kriminalgeschichte schrieb (wie ich bereits in einem anderen Artikel dargelegt habe), aber als Vater der modernen… Die Morde in der Rue Morgue weiterlesen
In einer Welt, die vom Alltagstrott gefangen gehalten wird, gibt es ein Getränk, das seit Jahrhunderten unsere Sinne erweckt und die Flamme unserer Leidenschaften entfacht. Dieses geheimnisvolle Elixier, kein geringeres als der Kaffee, hat Revolutionen… Wie Ziegen den Kaffee erfanden weiterlesen
Durch die Gassen des Todes, durch den Abfall der Zivilisation torkelt er auf der Suche nach seiner Herkunft, einem Ziel, an das er sich klammern kann. Der Druck in seinem Kopf wird ihn töten, aber… Fragment einer Nacht weiterlesen
Im Deutschland des 16. Jahrhunderts hatte man es als Bauer nicht leicht. Noch schwieriger war es, wenn man beschuldigt wurde, ein Werwolf zu sein, der einen Pakt mit dem Teufel geschlossen hatte. In einer Zeit,… Der Werwolf von Bedburg weiterlesen
Eva García Sáenz de Urturi entführt uns mit „Die Stille des Todes“ in die mystische Atmosphäre der baskischen Stadt Vitoria und in einen komplexen, vielschichtigen Kriminalfall, der Vergangenheit und Gegenwart miteinander verwebt. Ein Serienmörder kehrt… Die Stille des Todes / Eva García Sáenz de Urturi weiterlesen
Die Geschichte „Das verräterische Herz“ wurde erstmals 1843 im Pioneer, einem Bostoner Magazin, veröffentlicht. Mord ohne Motiv In dieser Erzählung finden sich alle Elemente der Schauerliteratur auf engstem Raum: das unterschwellige Geheimnis, das unheimliche Gebäude… Mord ohne Motiv in Edgar Allan Poes „Das verräterische Herz“ weiterlesen
Ein Mann mit durchtrennter Kehle wird in seinem Haus in einem geschlossenen Viertel (Barrio Cerrado) in Buenos Aires von seiner Haushälterin aufgefunden. Hat er Selbstmord begangen? Wurde er getötet? Und wenn ja, warum? Hat sein… Betibú / Claudia Piñeiro weiterlesen
Sehr guter Zusatz. Bereichert das ganze enorm. Danke!