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Etwas auf die Chaiselongue

Diane, ich werde mich vor Übermüdung etwas auf die Chaiselongue begeben, vorher natürlich noch einen Kaffee. Ich möchte betonen, dass ich den Sandsteinburg OST Part 1 auch schon bald kompiliert habe. Es war dabei – wie so meist – von der Schwierigkeit besessen, auszulaben. Ich denke, es bleibt dabei: Beginnend mit Dr. John’s Gumbo (daraus Iko) – und endend mit Eric Burdon’s genialistischer Version der “Tabacco Road”.

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Tropen und Töne

Diane, von der Sandsteinburg geht ein unheimlicher Sog aus, dem ich mich als Dichter dieses Romans nicht entziehen kann. Ich bin der Ideal-Leser dieses Werkes. Aber das besagt nur, dass ich der Ideal-Leber meines Lebens bin. Es gibt keine historische formale Vorlage, inhaltlich kann man alles, wenn man möchte, auf die Queste reduzieren, die Urform schlecht- oder besserhin. Mir ist kaum etwas bekannt, das seine Tropen und Töne so rasend schnell kaleidoskopiert. Ich habe merkwürdig wenig Verständnis für Verschnaufpausen. Ich habe Lust am Spiel und wenn ich das Werk entlasse, ist nichts mehr wie es vorher war. Ist es ein Rätsel? kann man dann fragen – und nahezu alles in der Sandsteinburg ist rätselhaft.

Eine alte Dame geht aus

Dieser Artikel ist Teil 7 von 21 der Reihe Guckkasten

Manchmal stellte sie das Radio an. Es kam ihr dann so vor, als wäre jemand bei ihr im Raum und spräche sie an. Antworten müsste sie ja nicht, aber sie tat es trotzdem. Oft sagte sie: »Ihnen auch!« Oder: »Das haben Sie wieder einmal fein ausgedrückt!« Sie ging in der ganzen Wohnung umher und betrachtete die Wände, die Figuren auf manchen Regalen, die Teller in der Vitrine. Manchmal gab es im Radio ein Lied, das sie kannte. Das akustische Fenster, das sie davon überzeugte, dass es eine Welt außerhalb ihrer Küche gab. Lange war sie nicht mehr raus gekommen, woher sollte sie also wissen, ob die Straße vor ihrer Haustür überhaupt noch existierte? Vielleicht war da schon längst eine Autobahn entstanden. Sie hätte televisionieren können, damit kannte sie sich allerdings nicht besonders gut aus; sie wusste nicht, wie man zuschaut, und deshalb gab es für sie nie ein Bild, dem sie hätte folgen können.
Das Radio war die Lebendigkeit in Person, darin war die ganze Welt vertreten, sogar das ›Weiße Rauschen‹, das sie sich manchmal ebenfalls einstellte. Und heute – heute wollte sie wieder einmal ausgehen. Dafür hatte sie ihr einziges bestes Kleid im Bügelofen bügeln lassen. Manchmal aber wollte sie Stille. Es kam ihr dann so vor, als sei sie die letzte Überlebende eines großen Irrtums. Dann sagte sie in die Stille hinein: »Ich habe es schließlich gewusst!« Oder: »Es ist schon merkwürdig!« In der Stille hörte sie den Boden an manchen Stellen knarzen. Ab und zu, wenn ihr danach war, küsste sie eine der Wände, anstatt sie nur anzusehen, die Figuren in manchen Regalen. Jetzt aber nahm sie ihr Kleid, zog es an – und auch ihre einzigen besten Schuhe vergaß sie nicht, bevor sie sich ins Bett legte. Im Radio lief ein altes Lied.

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Nachtmüdigkeit

Heute war mir das Arbeiten eine riesengroße Anstrengung, wie ich sie für gewöhnlich nicht kenne. Es begann aber bereits heute Nacht, die Kaffeezeremonie vorüber, es begann also bereits heute Nacht, beschwerlich zu werden, Möglichst wenig Witterung und ein paar fremdklingende Gedanken. Der Schlafentzug liegt mir nicht, aber ich muss da unterscheiden zwischen in die Nachtmüdigkeit hineinschreiben oder aber ein bereits müdes Dahinquälen, das sich durch den Tag zieht. Ich bin immer sehr darauf bedacht, ein gewisses System zu wahren, jegliche Art einer Betäubung stört mich. So könnte ich niemals unter Alkoholeinfluss schreiben. Es befremdet mich doch sehr, wenn ich an die großen Säufer, wie etwa Faulkner, denke. Der Spaß ist ja gerade, dass ich früher gerne mit diesem Image liebäugelte.

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Faszination der Protagonisten

Ich muss anmerken, dass nicht Faktenlegung der Grund dieser Fußnote ist, sondern diese eine dem Text immanente Faszination der Protagonisten für die Analogie zeigt.

Abgesehen davon glaube auch ich nicht, dass Baudelaire eine universelle Weltsicht besaß, um den Kosmos zu beschreiben, das verbietet sich dem Dichter, er “ist” seine Erfahrungen, da wird es nicht viel zu beschreiben geben.

Weiter glaube ich, dass kein Mensch zu keiner Zeit den Kosmos umfassend zu beschreiben vermag. Auch hier: deshalb Dichtung.

Die Strümpfe bei Hofe

Dieser Artikel ist Teil 5 von 21 der Reihe Guckkasten

Nick ertappte sich selbst dabei, wie er im Regen saß, und das Schauspiel der fallenden Tropfen beobachtete. Nichts hätte ihn heute Abend zurück in seine Kammer gebracht, denn er wollte nicht etwas hören, was nicht gleichzeitig zu beobachten war.

Wärst du unsichtbar, mein lieber Regen, ja, auch dann müsste ich mir eine Gestalt für dich ausdenken. Vermutlich würde ich Fingerknöchel nehmen, ich wüsste ja nicht, dass du Wasser bist.
Infernalisches Prasseln. Das Prasseln von Geisterfingern auf den armseligen Behausungen und … auf dem etwas weniger armseligen Dachstuhl des Schlosses. Was die wohl den ganzen Tag dort treiben? Aufhübschen, abhübschen, hinaus zur Jagd, zurück zur Tafel!

›Lustschloss‹ – dieses Wort gefiel Nick außerordentlich, aber: ob die jetzt auch im Regen hockten? Zeitlos schienen die Herrschaften nie zu sein, alles wirkte geplant und gewichtig, selbst wenn eine der Damen den Strumpf verlor. Das geschah auf merkwürdige Weise. Das Textil löste sich noch im Schuh bereits vom Fuß, krabbelte aus den geschnürten Stiefeln ins Freie, und ließ sich einfach fallen. Meistens verendete der Strumpf im Gehuf der galoppierenden Pferde, so manches Mal aber stürzte sich ein Jüngling gleich hintendrein und brachte das Kunststück fertig, vor dem freiheitlich denkenden Strumpf im Matsch zu landen. Das nützte weder Fuß noch Reiter, aber es gefiel dem Strumpf, denn jetzt durfte er sicher sein, daß er mit Stroh ausgestopft dort aufgehangen wurde, wo die wirklich wichtigen Strümpfe hingen. Das war eine etwas seltsame Galanterie, die womöglich gar nicht so oft vorkam. Aber wenn man, wie Nick, überall Geheimnis und Rätselraunen erblickt, und sei es in einer lächerlichen Pfütze, dann wird die Frage, warum so ein gut umsorgter Strumpf sich selbst entleiben sollte, zur Nebensache; die Hauptfrage blieb: Was ist hier eigentlich los? Hier ist die Welt, und da bin ich – ständig ist alles in Bewegung!

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Von Baudelaire

Einwirken der Fußnoten (neben dem Ausformulieren des dritten Buches). Das ist der Kontrapunkt zum Ozean der aufgebotenen Sprache. Heute nichts sonst.

.. wir nahmen Platz auf Knochenstühlen, auf dem Boden lümmelte verstreuter Reis, noch im eigenen Korn verpackt, eine Elevin stolperte hastend ein paar Figuren vor uns hin, gerüschte Haut
– Meine Tochter
die Tochter also, nervös zipfelnd, dünn
– Das liebe Kind, und wie sie tanzt!
– Sie kann sonst nichts
bestätigte man, Baudelaire 7, Gesammelte Schriften, ich seh’s von hier: Ich liebe die Wolken – Die eilenden Wolken – Dort Draußen – Die wunderbaren Wolken –
– Große Dichtung, muß man schon sagen
sie, allwissend
– Nach Baudelaire ist die Verblüffung eine der feinsten Formen des Vergnügens, warum nur ist sie’s
– Der Dichter wird sich rächen wollen, dafür, dass er unverstanden und allein durchs Leben gehen muss, damit wird die richtige Lösung schon berührt sein, die, um ganz gefunden zu werden, zuvor wohl eine Psychologie des Dandyism nötig macht, denn – sollte dieser Hang zur Mystifikation nicht ein Zug sein, der in direkter Korrespondenz mit des Dandys oberstem Grundsatz steht, nihil admirari

7 Baudelaire sah 1851, ein Jahr vor Erscheinen des zweiten Hauptsatzes der Thermodynamik auf seine Art die Entropie der Welt voraus: »Die Welt geht ihrem Untergang entgegen. Der einzige Grund für ihren Fortbestand ist ihr tatsächliches Vorhandensein.« Wir werden an dem zugrunde gehen, von dem wir uns Leben versprachen. Der Fortschritt wird die Verkümmerung unserer geistigen Existenz so vollkommen gemacht haben, dass auch der blutrünstigste, ruchloseste und widernatürlichste aller Träume der Utopisten harmlos erscheinen wird.

  • Sind Sie eigentlich noch ganz Geisteskrank?!” anstelle von “Sind Sie eigentlich noch normal?!”

Hörte gestern davon, dass manch Politiker Deutschland eine Bildungsrepublik nennt, wäre fast erstickt vor Lachen.

Feston

Dieser Artikel ist Teil 6 von 21 der Reihe Guckkasten

Die Stille, mit der hier alles rumort, mit der die ganze Einrichtung – aufwendig geschnitztes Hartholz, mit hier und da durchbrochen geschnitzter Zarge, vornehmlich Efeuranken und Festondekor – umgestellt wird (man weiß es ja nicht, hört nur durch Blicke sich beschäftigen), ist in einem solchen Maße unerträglich, dass man sich wünscht, ein Fenster möge gleich schlagen, oder der Kuckuck aus seiner abgetuckerten Uhr herausschnellen, die Flügel spreizen und im Raum umhersausen. Holz hin, Schnitzerei her, weiß er doch auch nicht für das erste, wo er Land nehmen soll. So derart durcheinander gerät das ganze Zimmer, ja, das ganze Haus. Man hört also nichts von unten herauf tönen, hört nicht, dass die Stühle sich drehen, der Tisch sich verkehrt in einen HCSIT, Teppiche, in sich gerollt, wanken und dann aufrecht stehen, womöglich die Treppe in den ersten Stock benutzen, mit dem Geländer ringen, das doch eigentlich den ziemlichen Halt für die Damen des Hauses bringen, sie nicht in die schmatzende Tiefe fallen lassen soll. Itzo aber – das sei am Rande erwähnt – das gewendelte Gestengel für einen Wiener Walzer (vielleicht einen “Linken Wischer”) ausführt, welches die Teppiche mit ihrem Klöppelfransen sogleich fassen. Hört nichts dergleichen und hört auch gleich wieder weg, weil man ja mit dem Kuckuck, der weiterhin in den Lüften um den Leuchter herum kreist, auf das äußerste beschäftigt ist. Wer so einen schon Mal ins Auge bekam, wird wissen, wovon hier die Rede geht. Das Erlebnis führt – so stand es vor kurzem in der Zeitung – nicht selten zu einer merkwürdigen Form des Erblindens, und man sei in diesem Falle – so fabulierte die Gazette weiter – den außer Rand und Band geratenen Dingen ausgeliefert wie die nackte Haut einem Brennball.

Die wütende Stimme

Dieser Artikel ist Teil 4 von 21 der Reihe Guckkasten

Der Mann am Nebentisch fiel ihm auf. Er paßte überhaupt nicht in das Bild, das er von diesem Restaurant hatte. Verrückte sollten hier keinen Zutritt bekommen. Aber Verrückte bekamen Zutritt. Der Beweis saß an diesem Tisch, eine große Schüssel Austern vor sich, sie er so laut schlürfte, daß sich auch andere Blicke auf ihn setzten. Ein austernschlürfendes Schwein. Was soll’s. Was geht es dich überhaupt an?

Die Stimme in seinem Inneren wurde lauter, rabiater: Was geht es dich eigentlich an! Seit wann sind wir unter sie Spießer gegangen?! Ein feiner Mensch mit einem noch feineren Urteil bist du, was?! Etwas Besseres! Etwas ganz Besonderes!

Laut sagte er: »Moment mal!«

Und auch ihn taxierten jetzt die Blicke der Gäste, denn: Mit wem redet der da eigentlich? Das Schwein mit den Austern? Okay. Man gewöhnt sich an das Geräusch. Ein ordinärer Mensch, zugegeben – aber vielleicht hat er ja ein Problem mit seinem Rachen. Da sollte man nicht zu schnell mit einem Urteil sein. Aber der da … der hört Stimmen. Sieht man ihm an, unabhängig von seinem kleinen Ausrutscher eben.

Die Stimme in Jarolin jedoch steigerte sich bis zum nackten Zorn. Sie beschimpfte ihn jetzt in einer Lautstärke, dass er die Austern nicht mehr schlotzend in dieser tintenfischartigen Höhle verschwinden hörte. Sie brüllte ihn an, dass er ein Versager sei, schon immer gewesen; ein armseliger Wicht, ein Gnomus, ein Einzeller, ein Wirbeltier! Aber damit begnügte sich die Stimme nicht, war jetzt in Rage, zerriß sein Hemd und schlug auf ihn ein, erwischte ihn hart am Unterkiefer. Jarolin glaubte für einen Augenblick, ohnmächtig zu werden, bevor der nächste Schlag ihm die Nase zertrümmerte. Das Blut spritzte in Zeitlupe, dicke Rotzklumpen klatschten auf den Boden.

Erst nachdem Jarolin mit eingeschlagenem Schädel dalag, stand der Austernschlürfer auf, beugte sich mit einem Taschenmesser zu ihm hinunter und schnitt ihm die Leber heraus. Wäre die Kamera geblieben, würden wir Zeuge eines weiteren Festmahls.

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Frametales

Es wurde dann gestern doch etwas spät. Die Musik: ein wertiges Easy Listening mit einigen Jazz-Standards, die wie Perlen von der Bühne tropften. Das Klecks hat eben auch die Atmosphäre dafür, die mich auch wieder auf die Idee zubewegt, die mich nicht loslässt: hier auch ein Literaturfestival zu inszenieren. Ich bin, wie ich das überschauen kann, der einzige Autor in Kempten. Aber es gibt hier eine kunstinteressierte Sozietät.

Zweiter Stützpunkt wäre das Künstlerhaus, zu dessen Eröffnung ich vor Jahren eingeladen war. Ich weiß nicht, was aus den ganzen Installationen geworden ist, und so liegt es nahe, mich rückzuversichern. An Ideen fehlt es hier, alles wirkt träge.

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Jazztage

Gestern nicht das typische Wetter für erfreuliche Nachrichten war. Heute das Wetter auch nicht. Es gibt (er kommt rein, öffnet die Tür, pfützt auf den Boden und Hossa! – entkernt sich selbst) Fisch in Begleitung grünen Spargels. Hängt heute Nachmittag wirklich auch nur ein Baumwollpflücker in der Innenstadt?

Das Konzert, das ich mir wie die wilden Shreds von Bill Pullman in Lost Highway wünsche (aber wohl nicht bekomme) wird vorgetragen. 

Im Studio wird es zwei Rauchstationen geben. Eine neben dem Regieraum, vor dem Fenster, das hinauf zur Oberfläche (also zur Erdscheibe) führt – und eine hinter dem Aufnahmeraum (man muss da durch eine Schleuse wandeln), in einer schön mit Stein ausgeschmückten Grube.

“Sie! : Wenn Sie einen Dom Pérignon wollen, machen Sie einfach einen auf. Spült die Nase von innen. Müssen nur aufpassen, dass Sie nicht das zweite Wort vor dem ersten sagen, oder gar das fünfte vor dem dritten.”

“Heißt das nicht: ‘DIE Dritten?’

Doofgesichtiges Leuchten.

21.46

Schnell die Veranstaltung der Gruppe Netto verlassen (die uns immerhin zwölf Öre gekostet hat). Die Musik war kaum aufdringlich, gut zu Tieren. Nachher dann doch lieber in den Jazz Club (Klecks).

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Präambel zur Sandsteinburg

Ausgesprochene Worte sind Musik; die Musik Ursprung und Vollendung aller Kunst (die visuellen Künste haben nur Berechtigung, wenn sie, angerührt vom Klang (die Klangfarbe) in der Fantasie als solche erscheinen (Bilder); Musik charakterisiert den vormundanen Zustand). Das Wort hat gegenüber dem tatsächlichen Ton den Vorteil, keines Instrumentes zu bedürfen. Bilder tauchen auf, sind aber dem Klang geschuldet Das meint Poesie. Ein Symposium der Urkraft. Das Seelenspiel des Seins.

Die Geschichte meint : erinnern; oder auf von Anderen Erinnertes zurückgreifen (Inbesitznahme ist eindeutige Fantasie). Ein Blick in den umgerührten Kaffee erinnert uns an die Milchstraße, Badewasser, eine Stimme reißt uns aus dem kognitiven Vorgang, jemand setzt sich uns gegenüber : eine Frau; ihre Augen erinnern uns an eine andere Frau : wir haben die ersten zwei Minuten Roman, eine offene Partitur, wie das Leben : zeitlos : ein Traum.