Die Veranda

Kult!

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Das Necronomicon

Zunächst müssen wir uns fragen, wer Abdul Alhazred war und ob er überhaupt existiert hat. Es gibt keine Alles lag an diesem Buch, das, einmal aufgeschlagen, alles verschlang, was es zu verschlingen gab. Hatte ihn das Buch dermaßen in seinen Bann gezogen, dass er eingeschlafen war und jetzt mit den letzten Eindrücken der Zeilen in seinem eigenen Traumgebilde umherirrte?

Er hatte den alten Folianten zunächst in einem Antiquariat für seltene Bücher entdeckt und dieses wiederum nur durch einen Zufall ausfindig gemacht. Das war an einem dieser frühen Abende bei einem seiner Spaziergänge gewesen. Jetzt erinnerte er sich, wie er sich gewundert hatte, denn er kannte alle Buchläden in der Stadt, doch diesen kannte er nicht.

Necronomicon
Inspiriert von den Werken Lovecrafts fertigt der Künstler Zorano fiktive Seiten aus dem Necronomicon an, die in seinem Shop auf Etsy gekauft werden können.

Das Antiquariat lag in einem Kellergewölbe verborgen, gemieden von den Bewohnern der behaglichen Umgebung, ihren trügerischen Schatten, fern von den Schritten des möglichen Willens, immer in der Nacht, denn tief unten, wo es sich ausdehnte und dem Erdmittelpunkt entgegenwankte, schien nur die Dunkelheit zu Hause zu sein, auch dann, wenn die Sonne ihre Pranken ausstreckte und sich demütig und schmerzlich zurückzog, sobald die Finsternis ihr Gebiss zeigte.

Beim Durchblättern der Seiten beschleicht einen ein beklemmendes Gefühl. Es ist, als strahle das Necronomicon eine böse Aura aus und flöße denen, die es wagen, seine Geheimnisse zu ergründen, Respekt und Schrecken ein. Man spürt das Erbe des Wahnsinns und der Verzweiflung, als wäre jedes Wort und jedes Bild mit der dunklen Geschichte seiner früheren Besitzer belastet. Das Necronomicon zu berühren ist nicht nur eine visuelle oder taktile Erfahrung, es ist eine Konfrontation mit einer uralten und unheilvollen Macht, ein Überbleibsel aus längst vergangenen Zeiten, als der Mensch noch nicht alleiniger Herrscher der Welt war. Das Schließen des Buches hinterlässt ein Gefühl der Flucht, aber auch eine beunruhigende Neugier, was passieren könnte, wenn sein Wissen genutzt wird. Es ist ein verbotenes Objekt des Wissens, dessen bloße Existenz Vernunft und Moral herausfordert, ein Testament der dunklen Abgründe, die sich unter der Oberfläche unserer Realität verbergen.

Das Necronomicon, auch “Buch der Toten” genannt, taucht zum ersten Mal in Lovecrafts Kurzgeschichte “The Hound” aus dem Jahr 1922 auf. Lovecraft zufolge kam ihm die Idee zum Necronomicon in einem Traum. In seiner Übersetzung bedeutet Necronomicon “Ein Bildnis des Gesetzes der Toten”, eine bessere Etymologie wäre jedoch “Ein Buch zur Klassifizierung der Toten”.Seitdem ist es ein wiederkehrendes Motiv in Lovecrafts Erzählungen und in der Phantastik im Allgemeinen. Obwohl es sich um eine Zusammenfassung von Lovecrafts Gedanken handelt, hat es durch seine detaillierte Beschreibung, die erzählte Geschichte und die wiederkehrenden Anspielungen eine außergewöhnliche Wirkung entfaltet. Viele Menschen glaubten und glauben noch heute, dass dieses unheimliche Werk tatsächlich existiert.

Der ursprüngliche Verfasser des Necronomicon war Abdul Alhazred, ein arabischer Dichter, der um das Jahr 700 lebte. Alhazred, der in Damaskus lebte, wird in den Geschichten als “verrückter Araber” beschrieben, der nach dem Verfassen der schrecklichen Verse des Buches den Verstand verlor. Die Legende besagt, dass das Necronomicon nicht nur die Geheimnisse des Universums enthält, sondern auch Schlüssel zur Beschwörung uralter Götter und Wesen wie Cthulhu, Nyarlathotep und Yog-Sothoth – sowie Rituale, die den Kontakt mit ihnen ermöglichen sollen. Alhazred soll dieses Wissen in Blut auf Seiten aus menschlicher Haut niedergeschrieben haben.

Das Buch trägt ursprünglich den Titel “Al Azif”, was sich auf das summende Geräusch von Insekten bezieht, das in der arabischen Folklore mit den Stimmen von Dschinn und anderen übernatürlichen Wesen assoziiert wird. Lovecraft behauptete, dass der Autor durch seine Reisen und die Erkundung von Ruinen in der arabischen Wüste Zugang zu verborgenen Geheimnissen erhielt. Alhazred soll dort Erkenntnisse über uralte, kosmische Entitäten gewonnen haben, die weit über das menschliche Verständnis hinausgehen. Laut Lovecraft wurde es in verschiedene Sprachen übersetzt, darunter Griechisch und Latein. Übersetzer wie Theodorus Philetas und Olaus Wormius trugen zur Verbreitung bei, doch das arabische Original ging angeblich verloren. Besonders die lateinische Version, die als verflucht gilt, wird in Lovecrafts Geschichten immer wieder erwähnt. Sie ist leichter zugänglich, doch das Lesen soll den Verstand des Lesers gefährden. Lovecraft fügte später sogar eine fiktive englische Übersetzung durch den elisabethanischen Okkultisten John Dee hinzu, was die Geschichte des Buches mit der europäischen Geistesgeschichte verknüpft.

Necronomicon
Das gefährlichste Buch der Welt

Die detaillierte Geschichte des Necronomicons ist eine Synthese vieler Einflüsse. Lovecraft ließ sich unter anderem von der Gothic-Literatur inspirieren, die oft geheimnisvolle, schimmlige Bücher mit verbotenen Überlieferungen thematisiert. Auch die arabische Erzähltradition, insbesondere die Märchen aus “Tausendundeiner Nacht”, prägten seine Vorstellung. Lovecraft liebte die farbenfrohen und mystischen Geschichten der mittelalterlichen muslimischen Welt. Hinzu kommt der zeitgenössische Einfluss des Fluchs von Tutanchamun, der in den 1920er Jahren durch die Entdeckung des Grabes weltweite Aufmerksamkeit erregte. Von diesem Fluch soll in einem alten arabischen Folianten berichtet worden sein, so überliefert es die exzentrische Schriftstellerin Marie Corelli, die einen Brief in den Zeitungen veröffentlichte, nachdem Lord Carnarvon kurz nach der Öffnung des Grabes von Tutanchamun auf mysteriöse Weise an einer Blutvergiftung gestorben war:

“Als jemand, der sich sein ganzes Leben lang mit der ägyptischen Mystik beschäftigt hat, kann ich sagen, dass es mich nicht überrascht, wenn den wagemutigen Forschern, die die Gräber der toten Monarchen des Landes ausgraben wollen, ein Unfall passiert. So steht es in der Bibel, ein seltsames Wort mit einer seltsamen Bedeutung dahinter.  In einem seltenen Buch, das ich besitze und das nicht im Britischen Museum zu finden ist, mit dem Titel “Die ägyptische Geschichte der Pyramiden”, übersetzt aus dem arabischen Original von Vattie, dem Arabischlehrer Ludwigs XVI. von Frankreich, heißt es, dass jedem unvorsichtigen Eindringling in ein versiegeltes Grab die schlimmste Strafe folgt. Dieses Buch enthält lange und detaillierte Listen der Schätze, die mit einigen der Könige begraben wurden, und unter diesen werden “verschiedene geheime Tränke genannt, die in Kästchen eingeschlossen sind, damit diejenigen, die sie berühren, wissen, wie sie leiden werden”. Ich frage also: War es ein Mückenstich, der Lord Carnarvon so schwer getroffen hat? Könnte es sein, dass er etwas Giftiges unter dem Gewand oder den Juwelen des begrabenen Königs berührt hat? Jedenfalls empfinde ich das Eindringen des modernen Menschen in die dreitausendjährige Ruhe und den Todesschlaf der ägyptischen Könige als eine Art Entweihung und Sakrileg, und das wird und kann nicht gut gehen.”

Dieses Buch, das später als “Das Ägypten des Murtadi” identifiziert wurde, enthielt Legenden über Flüche und magische Geheimnisse des alten Ägyptens. Obwohl es keinen Beweis dafür gibt, dass Lovecraft Corellis Brief kannte, weist seine Beschreibung des Necronomicon bemerkenswerte Parallelen zu diesem Text auf.

Das Necronomicon selbst wird in den Erzählungen als ein Buch beschrieben, das sowohl Schrecken als auch Faszination auslöst. Schon die Berührung der Seiten, “die unter den Fingern knistern”, wird als unheimlich beschrieben. Die Tinte, schwarz wie die tiefste Nacht, formt unverständliche Worte und schreckliche Bilder. Jedes Umblättern setzt ein kaum wahrnehmbares Flüstern frei, so wie das Buch selbst atmet, durchdrungen von unheilvollem Leben.

Obwohl Lovecraft zu Lebzeiten betonte, dass das Necronomicon eine reine Erfindung sei, hat sich das Buch in der Popkultur verselbstständigt. Viele Leser nahmen die fiktionale Darstellung als Hinweis auf ein tatsächliches Buch, und bereits im 20. Jahrhundert erschienen vermeintliche „Übersetzungen“ dieses mysteriösen Buches.

Es wurde erstmals 1977 von Magickal Childe, einem der bekanntesten okkulten Läden in New York, in einer luxuriösen, in Leder gebundenen Ausgabe herausgegeben. Später wurde es als Taschenbuch veröffentlicht und erreichte so eine viel breitere Leserschaft.

Die bekannteste Version wurde 1977 von Magickal Childe, einem der bekanntesten okkulten Läden in New York, in einer luxuriösen, in Leder gebundenen Ausgabe herausgegeben. Später wurde es auch als Taschenbuch veröffentlicht und erreichte so eine viel breitere Leserschaft. Der anonyme Autor, der sich Simon nannte, behauptete, dass seine Übersetzung auf alten sumerischen Texten basiert, sie weist jedoch wenig Gemeinsamkeiten mit Lovecrafts Originalbeschreibung auf. Trotzdem fand es eine breite Leserschaft, insbesondere unter Anhängern des Okkultismus.

Nach Lovecrafts Tod 1937 führte sein Freund August Derleth sein literarisches Erbe fort. Derleth erweiterte den Cthulhu-Mythos und erwähnte das Necronomicon in seinen eigenen Geschichten. So bleibt das Buch ein Symbol für das Unaussprechliche und Verbotene. Es verkörpert Lovecrafts Grundgedanken, dass hinter der sichtbaren Realität Abgründe lauern, die das menschliche Verständnis übersteigen. Die Mischung aus fiktiver Geschichte, poetischer Beschreibung und kosmischem Schrecken macht das Necronomicon zu einem der eindrucksvollsten Werke der modernen Literatur.

Quellen:

  • Harms, Daniel and Gonce III, John Wisdom (1998). The Necronomicon Files: The Truth Behind Lovecraft’s Legend. Red Wheel/Weiser.
  • Tyson, Donald (2004). Necronomicon: The Wanderings of Alhazred. Llewellyn Publications.
  • Lovecraft, Howard Phillips (1984). The History of the Necronomicon. Necronomicon Press.

Die Legende des Roten Mannes

Napoleon und der Rote Mann waren zwei Figuren, die in der französischen Geschichte eine wichtige Rolle spielten. Napoleon war ein berühmter Kaiser, der viele Kriege führte und versuchte, ganz Europa zu erobern. Der rote Mann war ein mysteriöser Charakter, der Napoleon in seinen Träumen erschien und ihm Ratschläge gab. Manche glauben, dass der rote Mann ein Schutzgeist oder ein Dämon war, der Napoleon beeinflusste. Andere denken, dass er nur eine Einbildung Napoleons war, die seine Ängste und Hoffnungen widerspiegelte. Was auch immer die Wahrheit ist, Napoleon und der rote Mann hatten eine enge und geheimnisvolle Beziehung, die die Geschichte Frankreichs prägte.

Die Legende soll im Paris des 16. Jahrhunderts während der Herrschaft von König Heinrich II. entstanden sein. Heinrich II. heiratete Katharina von Medici, eine italienische Adlige aus einer sehr mächtigen Familie, die dann Königin von Frankreich wurde.

Es gibt zwei Versionen über den Ursprung des roten Mannes und in beiden steht Katharina dem Medici im Mittelpunkt. Die erste Version geht davon aus, dass sich die Ereignisse nach dem Tode Heinrichs zugetragen haben.

Nachdem ihr Mann gestorben war, wurde Katharina wohl ein wenig zu Machthungrig und heuerte einen Gefolgsmann an, um ihre politischen Gegner zu ermorden. Der Name des Attentäters war Jean L’écorcheur, was übersetzt Jean der Häuter oder Jean der Schlächter bedeutet.

Nachdem er jahrelang für Katharina gearbeitet hatte, erfuhr Jean jedoch einige unschmeichelhafte Geheimnisse über die Königin, was ihr allerdings nicht entging. Aus Angst, dass er ihre Verfehlungen aufdecken könnte, beauftragte Katharina einen Mann namens Neville damit, Jean zu ermorden.
Neville gelang es, Jean in den Gärten der Tuilerien zu töten, als Neville jedoch später zurück kam, um den Leichnam zu beseitigen, war er verschwunden. Nach diesem seltsamen Vorfall konsultierte Katharina einen Astrologen, der ihr sagte, dass Jean für immer in den Tuilerien spuken würde. Berichten zufolge, erschien der rote Mann den Bewohnern des Palastes jedes Mal bevor etwas Schreckliches basierte.

Die zweite Geschichte ist ein wenig zahmer.

Demnach soll Katharina der gnomenartigen Kreatur während der Bauarbeiten an den Tuilerien im Jahre 1564 begegnet sein. Der hochmütigen Katharina wurde bald klar, dass ihr unangekündigter Begleiter, kein Mensch aus Fleisch und Blut war, und sie deutete den seltsamen Besuch als Unglücksbringer.

Da Katharina bereits begonnen hatte, Unruhe zwischen Katholiken und Protestanten in Frankreich zu stiften und sie den König dazu veranlasste, das schreckliche Massaker an den Hugenotten namens Bartholomäus-Tag anzuordnen, war Scharlach wohl die passende Farbe für den Geist, der ihr außerdem Prophezeite, dass ihr Tod etwas mit Saint Germain zu tun haben würde.

Da der Tuilerien-Palast in der Gemeinde Saint Germain stand, verließ sie dieses Anwesen und kehrte nie dorthin zurück. Trotz ihres Versuches dem Schicksal zu entgehen, erfuhr sie auf dem Sterbebett, dass der Mönch, der ihr die letzte Ölung gab, Laurent de Saint Germain hieß

Wer ist der Rote Mann?

Unabhängig davon, ob es sich bei dem roten Mann um einen ehemaligen Gefolgsmann handelte, gegen den sich Katharina von Medici wandte oder um einen uralten Geist, der seit Jahrtausenden auf dem Gelände der Tuilerien haust, ähneln sich die meisten Berichte über das Aussehen des Gespenstes. Natürlich soll es ganz in Rot gekleidet sein.

Einige glauben, dass es sich bei diesem Wesen um einen Teufel handelt und dass er eine Hakennase, einen unförmigen Mund und sogar gespaltene Füße hat. Andere berichten, dass er einen Buckel hat oder sogar nur ein einziges Auge.

Dieses eine Auge soll jedoch so durchdringend und verschwommen sein, dass nicht einmal die tapfersten Menschen dessen Blick ertragen können. Der Legende nach erschien das Gespenst mehr als 260 Jahre lang einigen der bedeutendsten Persönlichkeiten des Landes und erwarb sich den Ruf eines Vorboten der Tragödie.

Das Gespenst schien seine Aktivitäten auf Paris zu konzentrieren, auf den Louvre und den Tuilerien-Palast. Es wird in zahlreichen Büchern, offiziellen Aufzeichnungen und sogar in den Tagebüchern Napoleons erwähnt.

Im Jahr 1610 erschien der kleine rote Mann Heinrich IV. kurz vor dessen Ermordung durch einen verrückten Schullehrer. 1792 entdeckten aufgeschreckte Zimmermädchen den Scharlachroten Gnom im Bett von Ludwig dem XVI., als der bedrohte König vergeblich versuchte, den Machenschaften der französischen Revolutionäre zu entkommen. Einige Monate später behaupteten Wärter, das kleine rote Gespenst in dem Gefängnis gesehen zu haben, in dem Ludwig und Marie Antoinette auf ihre Hinrichtung durch die Guillotine wartet.

1798 erschien das rot gefärbte Wesen zum ersten Mal Napoleon während des Ägyptenfeldzugs des Feldherren. Der Geist soll sich vor Napoleon materialisiert haben und mit dem ehrgeizigen Offizier einen Handel abgeschlossen haben. Der Vertrag sah vor, dass Napoleon ein Jahrzehnt lang den Sieg und Triumph auf den Schlachtwäldern Europas genießen sollte. Nach der Schlacht von Wagram bezog Napoleon sein Hauptquartier in Schönbrunn und sein geheimnisvoller Berater erschien ihm erneut.
Napoleon hatte zehn Jahre lang erfolgreiche Feldzüge geführt und bat seinen übernatürlichen Berater um fünf weitere Jahre garantierten Triumphs. Der Geist bewilligte seine Bitte mit der Ermahnung, dass der gierige Eroberer keinen Feldzug starten sollte, der ihn auf russischen Boden führen würde. Napoleon ignorierte die Warnung und erlebte eine Katastrophe, die sich als bedeutsamer erwies als die Niederlage, die er bei Waterloo erlitt.

Der rote Geist erschien Napoleon zum dritten und letzten Mal am Morgen des ersten Januar 1814, kurz bevor der Kaiser zur Abdankung gezwungen wurde. Zuerst erschien der Gnom dem Staatsrat Molè und verlangte den Kaiser in dringendem Angelegenheiten sehen zu dürfen.

Molé hatte den strikten Befehl erhalten, den Kaiser nicht zu stören, doch als er Napoleon mitteilte, dass ein rote Mann ihn zu sprechen wünsche, bat der Kaiser darum, dem geheimnisvollen Fremden sofort Einlass zu gewähren.

Es heißt, dass Napoleon den Geist um Zeit bat, um die Ausführungen bestimmter Vorschläge zu vollenden, aber der prophetische Boote gab ihm nur drei Monate, um einen allgemeinen Frieden zu erreichen, sonst wäre alles vorbei. Anstatt zu versuchen, Europa in Frieden zu bringen, versucht, den Napoleon verzweifelt, einen neuen Ostfeldzug zu starten. Damit fiel Paris in die Hände der Alliierten. Drei Monate nach dem letzten Besuch des Rote Mannes beim Kaiser, forderte der Senat die Abdankung Napoleons.

1824 erschien der Geist noch einmal, als Ludwig der XVIII. im Tuilerien-Palast im Sterben lag. Das letzte Mal wurde das Wesen im Mai 1871 geschichtet, kurz bevor der Tuilerien-Palast niedergebrannt wurde. Dies geschah während der Niederschlagung der Pariser Kommune, als ein Mann namens Jules-Henri-Marius Bergeret, zwölf Männern befahl, den Palast mit Petroleum, flüssigem Teer und Terpentin zu überziehen. Der Palast entzündete sich, wie ein Haufen trockener Blätter und wurde bald in Schutt und Asche gelegt. Die mysteriöse gnomenartige Erscheinung hat sich also einen seltsamen, aber sicheren Platz in der französischen Geschichte verdient.


Das Ungeheuer von Loch Ness als paranormales Ereignis

Schottlands Loch Ness ist annähernd 1000 Meter tief und 35 Kilometer lang. Von vielen wird der See als Heimat eines unbekannten Lebewesens angesehen, das man weltweit unter dem Namen „Nessie“ kennt. Die Öffentlichkeit wurde 1933 auf das Monster aufmerksam, seitdem ist das Phänomen zu einem regelmäßigen Medienereignis avanciert, zu einem regelrechten Wahrzeichen Schottlands geworden. Dutzende von Spielfilmen, Bücher, Zeitungsartikel und Dokumentationen haben Nessie zum Thema, so dass sich leicht behaupten lässt: sie ist die bekannteste kryptozoologische Kreatur der Welt.

Es gibt immer wieder Rückschläge auf der Suche nach Seeungeheuern ganz allgemein. Trotz vieler glaubwürdiger Augenzeugen, die die Monster gesehen haben wollen, wurden nach unzähligen Versuchen in den jeweiligen Seen noch keine lebenden Monster gefangen. Es wurden niemals irgendwo Kadaver gefunden, die etwas anderes als bereits bekannte Tiere sein könnten. Es ist eine Tatsache, dass gigantische Netze, U-Boote, Unterwasserkameras, Sonar- und Taucher es bislang versäumt haben, soliden Beweise dafür zu finden, dass es ein Monster von Loch Ness gibt.

Auf der anderen Seite macht es die große Anzahl von Augenzeugen, bei denen es kein Anzeichen eines Nachlassens gibt, schwer, Nessie, die Königin aller Seeungeheuer einfach zu ignorieren.

Die Sichtungen

Am 22. Juli 1933 fuhr das Ehepaar Spicer aus London die Loch Ness Lakeshore Road entlang, als sie gerade von einem Urlaub in Nordschottland zurückkehrten. Aufgehalten wurden sie von einer riesigen, schwarzen, langhalsigen Kreatur. Das “prähistorische Tier”, wie Georg Spicer es beschreibt, schlängelte sich durch das Unterholz und verschwand im trüben Wasser des Sees. Hatten die Spicers eine seltene Landbegegnung mit dem Monster von Loch Ness erlebt?

Bis heute gibt es laut dem Kryptozoologen Roy Mackal über 3000 aufgezeichnete Sichtungen des berühmten Monsters. Das mag eine nach oben korrigierte Zahl sein, aber es gibt keinen Zweifel, dass Nessie  eines der am meisten gesichteten Monster der Welt ist.

Britische Zeitungen berichteten, dass am 17. Juni 1993 eine junge Mutter, Edna MacInnes, und ihr Freund David Mackay, beide aus Inverness, Schottland, behaupteten, das Monster von Loch Ness 10 Minuten lang beobachtet zu haben. MacInnes erzählte dem BBC Radio, dass das 40-Fuß-Monster herum schwamm, seinen langen giraffenartigen Hals schwenkte und dann in den trüben Wassern des Sees verschwand, was die erste größere Sichtung des Jahres war.

“Es war von einem sehr hellen Braun. Man konnte es sehr deutlich sehen”, erinnerte sich Edna MacInnes. Die Kreatur war schätzungsweise eine Meile entfernt, schien ihr aber riesig zu sein. Berichten zufolge lief MacInnes an der Küste entlang, um mit Nessie Schritt zu halten.

“Ich hatte Angst, als die Wellen ihres Kielwassers ans Ufer schwappten, aber ich rannte einfach weiter. Als es unter die Oberfläche tauchte, rannte ich so schnell ich konnte”, erzählte sie. Sie und ihr Freund holten eine Kamera und ein Fernglas aus dem Haus eines Angehörigen in der Nähe, und kehrten zum See zurück. Kurz darauf hatten sie eine weitere Sichtung. Diesmal war die Kreatur nur wenige Meter vom Ufer entfernt und David versuchte, Nessie zu fotografieren. Unglücklicherweise zeigten die Fotos eine farbige Schliere, aber kein Monster.

Am 12. November 1933 beobachtete ein britischer Aluminiumarbeiter namens Hugh Gray, dass “ein Gegenstand von beträchtlicher Größe” aus den trüben Wassern des Loch aufstieg, und als er sich aus dem Wasser hob, fotografierte Grey das unbekannte Ding. Grays unklares Foto wurde von der internationalen Presse freudig aufgenommen. Im Jahr nach der Veröffentlichung der Gray-Fotografie gab es über fünfzig Nessie-Sichtungen.

Was ist Nessie?

Die meisten Nessie-Zeugen beschreiben eine Kreatur mit zwei Buckeln, einem Schwanz und einem schlangenartigen Kopf. Oft wurde auch eine V-förmige Flosse erwähnt, und manchmal wurden Details wie ein “klaffender roter Mund” und Hörner oder Antennen oberhalb des Kopfes beobachtet. Nessies Bewegungen wurden studiert und die Filme und Fotos analysiert, um herauszufinden, was Nessie sein könnte, wenn sie denn existiert.

Es gibt zahlreiche Theorien über Nessies Identität, darunter: ein schlangenartiger primitiver Wal, der als Zeuglodon bekannt ist, eine Art Langhalsrobbe, Riesenaale, Walrosse, dahintreibende Pflanzenreste, riesige Weichtiere, Otter, eine “paraphysische” Entität, Luftspiegelungen und Tauchvögel, aber viele Seemonsterforscher scheinen die Plesiosaurier-Theorie zu bevorzugen. Die meisten Wissenschaftler glauben, dass diese Meeresreptilien seit 60-70 Millionen Jahren ausgestorben sind, andere halten es jedoch für möglich, dass der See nach der letzten Eiszeit mit dem Meer verbunden gewesen und einige dieser Dinosaurier gestrandet sein könnten.

Nur eines ist bei Nessie sicher: Es gibt so viele Theorien über ihre Identität wie es Theoretiker gibt.

Es gibt jedoch einen Aspekt des Rätsels um das Monster von Loch Ness, über den nicht so viel berichtet wird. Nämlich den paranormalen Aspekt des ganzen Rätsels. Es ist ein Bereich der Geschichte, den viele Nessie-Sucher (eigentlich die meisten) ignorieren. Es geht um die Möglichkeit, dass die Bestien von Loch Ness übernatürliche Ursprünge haben könnte. Klingt seltsam? Sicherlich! Aber sehen wir uns doch einmal die verfügbaren Daten an. St. Adomnáns Vita Columbae an. Das ist eine faszinierende gälische Chronik über das Leben des Heiligen Columba. Er war ein irischer Abt aus dem 6. Jahrhundert, der einen Großteil seines Lebens damit verbrachte, die Pikten aus der Eisenzeit zum Christentum zu bekehren, und der Abt von Iona war. Im Jahr 563 segelte Columba nach Schottland und besuchte zwei Jahre später zufällig Loch Ness, als er mit einigen Kameraden unterwegs war, um König Brude von den Pikten zu treffen. Es war eine erstaunliche und bemerkenswerte Erfahrung, wie die Vita Columbae beweist. Adomnán begann seine Geschichte so:

“… als der selige Mann einige Tage in der Provinz der Pikten verweilte, fand er es notwendig, den Fluss Ness zu überqueren; und als er an dessen Ufer kam, sah er, wie einige der Einwohner einen armen, unglücklichen kleinen Burschen begruben, den, wie diejenigen, die ihn begruben, selbst berichteten, ein Wassermonster kurz zuvor beim Schwimmen geschnappt und mit einem äußerst wilden Biss getötet hatte, und dessen unglücklichen Leichnam einige Männer, die in einem Boot kamen, um Hilfe zu leisten, obwohl es zu spät war, durch das Auswerfen von Haken aus dem Wasser fischten. “

Wenn es sich bei den Worten Adomnáns nicht um eine Übertreibung oder Verzerrung handelt, dann war dieser Fall nicht nur der älteste, der überliefert ist, sondern er ist auch einer der wenigen Berichte, die wir haben, in denen eine der Kreaturen einen Menschen gewaltsam angegriffen und getötet hat. Angeblich rief der legendäre Heilige den christlichen Gott an, um sicherzustellen, dass niemand mehr von einer solch gewalttätigen Bestie getötet würde. Mit anderen Worten: Das Übernatürliche wurde ins Spiel gebracht.

Nach der Columba-Affäre gab es lange Zeit so gut wie keine Berichte über seltsame Kreatur im Loch Ness. Das heißt, bis das Phänomen des Kelpie auftauchte. In der Folklore von Loch Ness und weiten Teilen Schottlands gibt es jahrhundertealte Legenden und Mythen über übernatürliche, gewalttätige, gestaltwandelnde Kreaturen, die als Kelpies oder Wasserpferde bekannt sind. Obwohl man davon ausgeht, dass es sich um ein und dieselbe Kreatur handelt, gibt es einen bemerkenswerten Unterschied zwischen den Sagen, die sich speziell auf Kelpies beziehen, und denen, die von Wasserpferden handeln. In der Regel sind Wasserpferde eher in tiefen, weitläufigen Seen zu Hause, während Kelpies Tümpel, Flüsse, Sümpfe und Seen der besonders kompakten Art bevorzugen. Dann gibt es noch eine Variante der Kelpies, die als Each-Uisge bekannt ist, ein weitaus mörderischeres Ungeheuer als der Kelpie, das aber eindeutig aus demselben übernatürlichen Bestand stammt.

Die Herkunft des Begriffs Kelpie ist unklar; die wahrscheinlichste Erklärung ist jedoch, dass es sich um eine Verzerrung des gälischen calpa handelt, was übersetzt Färse bedeutet. Kelpies sind furchterregende, mörderische Kreaturen, die in den Tiefen der schottischen Seen, Kanäle und Flüsse lauern – und nicht wenige von ihnen sollen im Loch Ness hausen. Und nicht nur das: Ähnlich wie Werwölfe sind Kelpies definitiv Gestaltwandler; Kreaturen, die eine Vielzahl von Gestalten annehmen können, darunter scheußliche Schlangenmonster, behaarte Humanoide, schöne Meerjungfrauen und pferdeähnliche Kreaturen. Der Kelpie wird einzig und allein von dem verrückten Ziel angetrieben, die Unvorsichtigen zu ertränken, indem er sie in die Tiefe lockt. Der Glaube an die Kelpies hielt sich bis in die jüngste Zeit – ein weiterer Beweis dafür, wie sehr das Übernatürliche des Mysteriums die Oberhand behielt. Wenden wir uns nun den 1960er Jahren zu.

Es war 1962, als ein Mann namens Frederick “Ted” Holiday, ein erfahrener Angler, die Reise seines Lebens machte. Er tat dies in einem alten Lieferwagen, vollgepackt mit allem, was man für eine Nessie-Jagd braucht, wie Kameras, einen Schlafsack und sogar Angelruten. Obwohl man vermuten kann, dass eine Angelrute wohl kaum das geeignete Werkzeug gewesen wäre, um einen riesigen, marodierenden Leviathan der Tiefe an Land zu ziehen, der möglicherweise übernatürliche, tödliche Ausmaße hat. In seiner allerersten Nacht am See, als er unter dem Sternenhimmel kampierte, erlebte Holiday etwas, das ihn bei fast jedem weiteren Besuch am Loch Ness plagen sollte. Es war ein dunkles Gefühl der Vorahnung. Ein geisterhaftes Frösteln in der Luft. Ein Gefühl, dass die Dinge nicht ganz richtig sind. Etwas Verdorbenes und Bösartiges lauerte direkt vor seiner Nase. Er konnte es praktisch schmecken – was immer es auch war. Holiday gab gegenüber Freunden und Kollegen zu, dass er dies rätselhaft fand. Schließlich hatte er die Tierwelt im Irak, in Indien und in Afrika studiert – und manchmal auch ziemlich gefährliche Tiere. Aber am Loch Ness war irgendetwas anders, etwas, das Holiday beunruhigte und einen Beigeschmack des Paranormalen hatte. Holiday sagte über diese seltsame Situation:

“Nach Sonnenuntergang ist Loch Ness kein Ort, an dem man sich gerne aufhält. Das Gefühl ist schwer zu definieren und unmöglich zu erklären… Nach Einbruch der Dunkelheit hatte ich das Gefühl, dass Loch Ness besser in Ruhe gelassen werden sollte.”

Für Ted Holiday waren die Theorien über Plesiosaurier, Riesenaale und Salamander fehlerhaft und entbehrten jeder Grundlage. Er kam zu dem etwas ungewöhnlichen und sicherlich einzigartigen Schluss, dass die Nessies gigantische Versionen von gewöhnlichen Schnecken waren. Das größte Problem an Holidays Theorie war, dass sie höchstwahrscheinlich nicht besonders stichhaltig war. Zum Beispiel wird die spezielle Art von Wirbellosen, die Holiday im Sinn hatte – Tullimonstrum – nur bis zu einer Länge von etwa dreißig Zentimetern groß. Außerdem lebte sie ausschließlich in den schlammigen Landschaften von Pennsylvania, USA. Ach ja, und noch etwas ist zu beachten: Das Tier ist vor etwa 300 Millionen Jahren ausgestorben. Keiner dieser scheinbar wichtigen Punkte schien Holiday im Geringsten zu stören, der seine Theorie mit großem Enthusiasmus weiter verfolgte.

Es sollte jedoch nicht lange dauern, bis Holiday seine Ansichten über die Natur des Ungeheuers von Loch Ness änderte – und zwar radikal. Er stellte fest, dass bei mehr als nur ein paar Gelegenheiten am Loch Ness Leute berichteten, dass ihre Kameras klemmten oder die Fotos vernebelt herauskamen. Auch der Zeitpunkt war verdächtig – alles ging gerade dann schief, wenn die Leute das Foto ihres Lebens machen wollten. 1969 wurde Holidays Leben von seltsamen Synchronizitäten beherrscht – sinnvolle Zufälle, um es einfach auszudrücken – etwas, das Holiday dazu brachte, sowohl seinen Verstand als auch das Wesen der Realität selbst in Frage zu stellen. Was als aufregende Jagd nach einem unbekannten Tier begonnen hatte, mutierte nun schnell zu etwas ganz anderem. Etwas Gefährlichem und Übernatürlichem. Und etwas, das Holiday in das Herz von Aleister Crowleys altem Wohnsitz Boleskine House führte.

Im Juni 1969 stieß ein Trio amerikanischer Studenten, die das Gelände des alten Friedhofs neben Aleister Crowleys Boleskine untersuchten, auf ein uraltes Stück Wandteppich, das um ein Muschelgehäuse gewickelt war. Er war etwa einen Meter mal einen Meter groß und mit schlangenähnlichen Motiven und türkischen Worten verziert, die übersetzt Schlange bedeuten. Einer derjenigen, die die Gelegenheit hatten, den Wandteppich persönlich zu sehen und anzufassen, nachdem er gefunden worden war, war Ted Holiday, der eingeladen worden war, ihn zu untersuchen. Dies war ein weiteres Beispiel für die zunehmende und beunruhigende Seltsamkeit in Holidays Leben. Ihm fiel auf, dass der Wandteppich mit Goldfäden verziert war, und zwar in Form von dicken, wurmartigen Wesen mit langen Hälsen. In dieser Zeit begann Ted Holiday zu vermuten, dass die Entdeckung des Wandteppichs mit den Schlangenmotiven in Verbindung mit Boleskine House und Aleister Crowley auf einen streng geheimen, sehr mächtigen und vielleicht sogar tödlichen “Drachenkult” hindeutete, der in der Gegend von Loch Ness lebendig war. Ein Kult, der nachts die übernatürlichen Nessies anbetete und den Bestien vielleicht sogar Opfer unter einem sternenklaren, kalten Himmel darbrachte. Möglicherweise sogar Menschenopfer – obwohl es zugegebenermaßen nur Hörensagen war, was diese letzte Behauptung untermauerte, was die Kontroverse allerdings anheizte.

In der Nacht des 2. Juni 1973 war Loch Ness Schauplatz von etwas wirklich Außergewöhnlichem. Es war nichts Geringeres als ein regelrechter Exorzismus, der die bösartigen Monster für immer aus den tiefen und dunklen Gewässern verbannen sollte. Es war das Werk von Donald Omand, einem Arzt und Geistlichen. Er war ein Mann, der über umfangreiche Kenntnisse und Erfahrungen im Bereich des Übernatürlichen verfügte. Und Omand war sich sicher, dass auch die Kreaturen des Sees übernatürlich waren. Dieser besondere Exorzismus hatte eine tiefgreifende Wirkung auf Ted Holiday:

“Ich spürte, wie sich eine deutliche Spannung in die Atmosphäre einschlich… Es war, als hätten wir einige unsichtbare Hebel umgelegt und warteten auf das Ergebnis.”

Es ist sicher kein Zufall, dass Holiday am nächsten Tag mit einem eindeutig paranormalen “Schwarzen Mann” konfrontiert wurde – einer unheimlichen Gestalt, die sich vor dem schockierten Holiday buchstäblich entmaterialisierte. Im April 1974 – und in einer privaten Antwort auf einen Brief, den Holiday an ihn geschickt hatte und in dem er die jüngsten seltsamen Vorkommnisse am See beschrieb, einschließlich des Exorzismus und der unheimlichen “Man in Black”-Affäre – hatte der anerkannte Monstersucher Tim Dinsdale einige bemerkenswerte Dinge zu sagen. Er räumte gegenüber Holiday ein, dass er auf etwas gestoßen sei, das eine paranormale Komponente des Mysteriums der Monster von Loch Ness zu sein schien, aber er blieb ratlos, wie etwas Übernatürliches solche Dinge wie Wellen im Wasser, Fotos und Sonaraufzeichnungen hervorrufen konnte.

Es besteht kein Zweifel, dass die übernatürliche Seite des Phänomens von Loch Ness in den 1970er Jahren ihren Höhepunkt erreichte. In der Tat haben heute nur noch wenige Forscher Zeit für die paranormale Theorie.

London After Midnight

Lon Chaney war nicht nur ein Schauspieler, sondern auch ein Meister des Make-up. Er revolutionierte dessen Verwendung im Film, indem er komplizierte und transformative Looks kreierte, die es ihm ermöglichten, eine breite Palette von grotesken Charakteren darzustellen, vor allem in Filmen wie Der Glöckner von Notre Dame, Das Phantom der Oper und Die unheiligen Drei. Sein Koffer, gefüllt mit Schminke, Werkzeugen und Schnüren, wurde legendär.

Lon Chaney
Lon Chaney in London After Midnight

In London After Midnight schlüpfte Chaney gleich in mehrere Rollen; in einem Stummfilm aus dem Jahr 1927, geschrieben und inszeniert von Tod Browning, mit Lon Chaney in der Hauptrolle. Die Geschichte handelt von Inspektor Edward Burke (gespielt von Chaney), der in London den Mord an Sir Roger Balfour untersucht. Nachdem er einen Abschiedsbrief gefunden hat, wird der Fall zu den Akten gelegt und scheint vergessen zu sein, doch fünf Jahre später wird Balfours Haus von einem Mann mit Biberfellmütze, dunklen, eingefallenen Augen und Reißzähnen wieder bewohnt. Die Leute fragen sich, ob es sich dabei um den von den Toten auferstandenen Balfour handelt, aber in Wirklichkeit ist es Inspektor Burke selbst, der sich verkleidet hat, um den Mörder zu fassen.

Der Film zeigt einen der besten Make-up-Looks von Lon Chaney, mit einem Mund voller Haifischzähne und Drähten, die seinen Augen einen hypnotischen, aber versunkenen Blick verleihen.

Die wahre Macht des Films wird wohl ein Rätsel bleiben, denn die letzte bekannte Kopie wurde 1967 bei einem Brand in den Metro-Goldwyn-Mayer-Gewölben zerstört. Doch eine aus Fotografien rekonstruierte Fassung ist noch zu sehen. Einer der Gründe für ein Wiederaufkeimen des Interesses an diesem Films ist auch, dass Chaney die Rolle des Dracula in dem Film von 1931 spielen sollte, aber vor Beginn der Dreharbeiten starb und Bela Lugosi dadurch seinen großen Auftritt bekam.

Die ersten Jahrzehnte des Kinos waren im Wesentlichen der Wilde Westen. Es war eine Zeit des Experimentierens und wenig bis gar keiner Reglementierung, die Filmfans bis heute fasziniert – vor allem, wenn man bedenkt, wie viele dieser frühen Stummfilme durch Vernachlässigung oder Feuer verloren gegangen sind. Der Horror-Mystery-Film galt schon bei seiner Veröffentlichung als umstritten. Berühmt wurde der Film jedoch durch einen Mord im Jahr 1928, bei dem der Mörder behauptete, er habe Visionen von Lon Chaneys Figur gesehen, die ihm angeblich befohlen habe, eine Frau mit einem Rasiermesser zu zerstückeln. Dieser Mord sorgte für Schlagzeilen und trug zum düsteren Charme des Films bei. War in London After Midnight eine böse Macht am Werk? War es ein verfluchter Film oder nur eine bequeme Ausrede für einen geistesgestörten Verbrecher?

Am 23. Oktober 1928 wurde im Londoner Hyde Park ein blutbesudelter, verwirrter Mann namens Robert Williams gefunden. Neben ihm lag ein blutverschmiertes Rasiermesser und der leblose Körper einer Frau, Julia Mangan. Als die Polizei eintraf, zeigte Williams auf Mangan und schrie: “Ich war’s, sie hat mich geärgert.” Williams wurde verhaftet und später im Old Bailey vor Gericht gestellt. Er behauptete, er und Mangan seien Freunde gewesen und er habe sie heiraten wollen, aber sie habe abgelehnt. Williams sagte, das Letzte, woran er sich in jener Nacht erinnere, sei, dass er Mangan pfeifen hörte:

“Dann fühlte ich mich, als würde mein Kopf explodieren, als käme Dampf aus beiden Seiten. Alles Mögliche ging mir durch den Kopf. Ich dachte, ein Mann hätte mich in die Enge getrieben und schnitt Grimassen. Er drohte mir und schrie mich an, und sagte mir, was ich tun sollte!”

Wer war dieser Mann? Kein anderer als der Schauspieler Lon Chaney, den Williams kürzlich in London After Midnight gesehen hatte. Williams behauptete, Chaneys unheimlicher Charakter habe irgendwie von ihm Besitz ergriffen und ihn zum Mord getrieben. Die Geschworenen konnten kein Urteil fällen, aber in einem Wiederaufnahmeverfahren 1929 wurde Williams für schuldig befunden und zum Tode verurteilt. Im letzten Moment wurde er jedoch dazu verurteilt, den Rest seines Lebens in einer psychiatrischen Anstalt zu verbringen.

Schon vor dem Mord von 1928 erregte London After Midnight Aufsehen. Denn darin ging es auch um Selbstmord, ein Thema, das in der höheren Gesellschaft im Allgemeinen nicht erwähnt wurde. Nachdem Williams sein Verbrechen begangen hatte, wurde der Film mit unaussprechlicher Gewalt assoziiert.

London After Midnight war dann auch nicht gerade ein Kritikerliebling. Es wurde bemängelt, dass die Zusammenarbeit zwischen Lon Chaney und Regisseur Tod Browning nicht ihre beste war. Außerdem ergebe die Handlung einfach keinen Sinn. Warum sollten schaurige Freaks plötzlich ein Haus bewohnen, in dem ein Mann ermordet worden war? Das Kinopublikum war, wie so oft, ganz anderer Meinung als die Kritiker. Der Film spielte fast 1 Million Dollar an den Kinokassen ein, eine beeindruckende Zahl für die damalige Zeit. Es war der erfolgreichste gemeinsame Film von Chaney und Browning.

Aus der Stummfilmzeit sind nicht viele Filme erhalten; die Library of Congress schätzt, dass nur 14 % dieser Filme in ihrem Originalformat erhalten sind. Ein Teil davon ist auf die Praktiken der Studios zurückzuführen, die die Filme nach ihrem kurzen Kinostart oft zerstörten. Und dann gab es da noch die unglücklichen Unfälle – Zelluloid ist leicht entflammbar, und Brände vernichteten häufig die gelagerten Filmrollen. So auch das Schicksal von London After Midnight. Die Popularität von London After Midnight stieg noch weiter an und wird heute von einigen als der “Heilige Gral” der verlorenen Filme angesehen.

Mord ohne Motiv in Edgar Allan Poes “Das verräterische Herz”

Die Geschichte “Das verräterische Herz” wurde erstmals 1843 im Pioneer, einem Bostoner Magazin, veröffentlicht.

Mord ohne Motiv

In dieser Erzählung finden sich alle Elemente der Schauerliteratur auf engstem Raum: das unterschwellige Geheimnis, das unheimliche Gebäude (hier wird ein ganzes Schloss in einen einzigen Raum verwandelt, wir haben das schreckliche Verbrechen und das Oszillieren zwischen dem Übernatürlichen und dem Psychologischen). Auf nur fünf Seiten scheint es, als habe Edgar Allan Poe den Schauerroman des achtzehnten Jahrhunderts zu einer Geschichte von nur wenigen tausend Wörtern verdichtet. Doch was macht diese Geschichte so beunruhigend? Eine genauere Analyse zeigt, dass sich “Das verräterische Herz” auf das Beunruhigendste überhaupt konzentriert: den Mord ohne Motiv.

Der Herzschlag eines Toten

Ein namenloser Erzähler gesteht, dass er einen alten Mann ermordet hat, offensichtlich wegen des “bösen Auges” des alten Mannes, das den Erzähler dazu brachte, ihn zu töten. Dann beschreibt er, wie er sich in das Schlafzimmer des schlafenden alten Mannes geschlichen, ihn erstochen, die Leiche weggeschleift und zerstückelt hat, um sein Verbrechen zu vertuschen. Er unternimmt einige Anstrengungen, um alle Spuren des Mordes zu verwischen – er fängt sogar das Blut seines Opfers in einer Wanne auf, damit nirgendwo Blut verspritzt wird -, dann nimmt er drei der Bodenbretter des Zimmers und versteckt die Leiche seines Opfers darunter. Kaum hat er die Leiche versteckt, klopft es an der Tür: Es ist die Polizei, die von einem Nachbarn gerufen wurde, der in der Nacht einen Schrei gehört hatte. Der Erzähler lässt die Polizisten herein, um das Haus zu durchsuchen, und erzählt ihnen die Lüge, der alte Mann sei auf dem Land. Er bleibt ruhig, während er sie herumführt, bis sie sich in den Raum setzen, unter dem die Leiche des Opfers versteckt ist. Der Erzähler und die Polizisten unterhalten sich, doch nach und nach hört der Erzähler ein Geräusch in seinen Ohren, das immer lauter und eindringlicher wird. Er glaubt, es sei der Herzschlag des Toten, der ihn von jenseits des Grabes aus verspottet. Irgendwann hält er es nicht mehr aus und fordert die Polizei auf, die Dielen herauszureißen, denn der Herzschlag des alten Mannes drängt ihn, sein Verbrechen zu gestehen.

The Tell Tale Heart
(c) theemptykissofdeath

Der labile Erzähler

Der Erzähler von “Das verräterische Herz” ist eindeutig labil, wie das Ende der Geschichte zeigt, sein psychischer Zustand ist von Anfang an fragwürdig, wie die ruckartige Syntax seiner Erzählung vermuten lässt:

“Es stimmt! – nervös – ich war und bin sehr schrecklich nervös; aber warum wollen Sie mich verrückt nennen? Die Krankheit hatte meine Sinne geschärft – nicht zerstört – nicht abgestumpft. Vor allem war der Hörsinn geschärft worden. Ich hörte alle Dinge im Himmel und auf der Erde. Ich hörte viele Dinge in der Hölle. Wie kann ich deshalb verrückt sein? Hören Sie zu! und beurteilen Sie, wie gesund – wie ruhig ich Ihnen die ganze Geschichte erzählen kann.”

Die mehrfachen Bindestriche, die ungewöhnliche syntaktische Anordnung, die Ausrufe- und Fragezeichen: Alles deutet auf jemanden hin, der zumindest leicht erregbar ist. Seine wiederholten Beteuerungen, er sei zurechnungsfähig und leide nur an einer “übermäßigen Schärfung der Sinne”, überzeugen nicht ganz: Zu viel in seinem Verhalten (ganz zu schweigen von dem grundlosen Mord an dem alten Mann) lässt auf das Gegenteil schließen.

Ich glaube, es war sein Auge!

Und in der Tat, was “Das verräterische Herz” besonders erschreckend macht – und hier könnte man eine Parallele zu einer anderen von Poes bekanntesten Erzählungen, “Die schwarze Katze”, ziehen – ist, dass der Mörder offen zugibt, dass sein Mord an dem alten Mann ein Verbrechen ohne Motiv war:

“Ich liebte den alten Mann. Er hatte mir nie Unrecht getan. Er hatte mich nie beleidigt. Nach seinem Gold hatte ich kein Verlangen. Ich glaube, es war sein Auge! Ja, das war es! Er hatte das Auge eines Geiers – ein hellblaues Auge, mit einem Film darüber. Immer, wenn es auf mich fiel, wurde mein Blut kalt; und so entschied ich mich nach und nach – ganz allmählich -, dem alten Mann das Leben zu nehmen und mich so für immer von dem Auge zu befreien.”

Mord ist niemals zu rechtfertigen, aber manchmal ist es verständlich, wenn ein Mensch zu Extremen getrieben wird und nicht mehr klar denken kann. Aber Poes Erzähler tötet den alten Mann nicht einmal für etwas so Zynisches wie materiellen Gewinn. Selbst das Motiv, das er anbietet – das “böse Auge” des Alten – ist eher schwach. Er muss sich selbst davon überzeugen, dass er es deshalb getan hat, indem er sagt: “Ich glaube, es war sein Auge, ja, das war es!”

Othello und Macbeth winken aus der Ferne

Das allein macht schon deutlich, dass wir es mit einem gestörten Geist zu tun haben, mit jemandem, der “ohne Grund getötet hat”. Motivlose Mörder sind oft die beunruhigendsten. Man denke nur an die “motivlose Bösartigkeit” von Jago, Shakespeares vielleicht schlimmstem Bösewicht, der eine Reihe möglicher Motive für seinen Wunsch, das Leben von Othello und Desdemona zu zerstören, anführt und dabei offenbart, dass er höchstwahrscheinlich kein wirkliches Motiv hat – außer dem Wunsch, einfach nur Ärger zu machen.

Doch Othello ist nicht Poes wichtigste Inspirationsquelle für “Das verräterische Herz”. Betrachtet man die Geschichte genauer, wird der Einfluss von Shakespeares Macbeth deutlich.

In beiden Texten geht es um die Ermordung eines “alten Mannes”; in beiden Fällen wird der Mörder dazu gebracht, sich für sein Verbrechen schuldig zu fühlen, indem er von seinem Opfer aus dem Jenseits “heimgesucht” wird (Banquos Geist in Macbeth, das schlagende Herz des alten Mannes in Poes Geschichte); sowohl Macbeth als auch Poes Erzähler zeigen Anzeichen, dass sie zumindest psychisch labil sind; in beiden Texten folgt auf die Ermordung des Opfers ein Klopfen an der Tür.

Das verräterische Herz
(c) Alex Kupczyk

Was Poes Erzählung jedoch besonders eindringlich macht, ist die Art und Weise, wie er die Verdoppelung einsetzt, um anzudeuten, dass es nur natürlich ist, dass der Erzähler paranoid wird, wenn das Geräusch von den Dielen kommt. Bevor er den alten Mann ermordete, hatte sich der Erzähler nämlich vorgestellt, dass sein Opfer “versuchte, sich zu trösten”, als er ein Geräusch vor seinem Schlafzimmer hörte:

“Ich wusste, dass er seit dem ersten leichten Geräusch, als er sich im Bett umgedreht hatte, wach gelegen hatte. Seine Ängste hatten ihn seither immer mehr übermannt. Er hatte versucht, sie sich grundlos vorzustellen, konnte es aber nicht. Er hatte sich gesagt: “Es ist nichts als der Wind im Schornstein – es ist nur eine Maus, die den Boden überquert”, oder “Es ist nur eine Grille, die ein einziges Zwitschern gemacht hat”, ja, er hatte versucht, sich mit diesen Vermutungen zu trösten: aber er hatte alles vergeblich gefunden. Alles vergeblich, denn der Tod hatte sich mit seinem schwarzen Schatten vor ihm herangeschlichen und das Opfer eingehüllt, als er sich ihm näherte.”

Aber natürlich ist es in Wirklichkeit der Erzähler, der sein eigenes Unbehagen anhand von Geräuschen projiziert; und so deutet sich seine spätere Paranoia vor dem vermeintlichen Geräusch an, das unter dem Dielenboden hervordringt – das Geräusch, das ihn dazu bringen wird, sein Verbrechen zu gestehen.

Eine neue Art Geistergeschichte

Tell Tale Heart 1

Neben der “Motivlosigkeit” des Verbrechens des Erzählers ist der andere Aspekt von “Das verräterische Herz”, der es zu einer so eindringlichen Analyse des Wesens von Verbrechen und Schuld macht, die leichte Zweideutigkeit, die über dem Geräusch schwebt, das den Erzähler am Ende der Geschichte verspottet. Es ist sehr wahrscheinlich, dass dieses Geräusch nur in seinem Kopf existiert, denn die Polizisten scheinen es nicht wahrzunehmen, während sie sich ruhig weiter mit dem Erzähler unterhalten. (Dies ist der einzige wirkliche Schwachpunkt in Poes Geschichte: Nachdem sie das Haus durchsucht haben, scheinen sie herumzuhängen und sich mit dem Erzähler zu unterhalten. Haben sie nicht Wichtigeres zu tun? Es sei denn, der Erzähler ist an diesem Punkt nicht so ruhig, wie er glaubt, und sie vermuten ein falsches Spiel und versuchen, ihn dazu zu bringen, etwas Belastendes zu enthüllen…). Aber wir können nicht sicher sein. Selbst wenn die Geräusche übernatürlichen Ursprungs sind – und Poe war offensichtlich ein Meister des Übernatürlichen, wie einige seiner anderen besten Erzählungen beweisen -, kann es sein, dass das Opfer den geisterhaften Herzschlag nur dem Erzähler zu Gehör bringt und er sich tief in dessen Geist eingegraben hat. Aber alles in allem sind wir versucht zu glauben, dass Poe, zusammen mit Dickens, etwa zur gleichen Zeit (vgl. die Analyse des Geistes des Mörders Jonas Chuzzlewit, als er vom Tatort flieht), hier eine neue Art der Annäherung an die “Geistergeschichte” entwickelt – eine Annäherung, in der der “Geist” nicht mehr als eine Halluzination oder ein Phantom des Geistes der Figur ist. Obwohl diese Mehrdeutigkeit von Shakespeare mit großem Erfolg eingesetzt wurde, ist es Poe, der in Erzählungen wie “Das verräterische Herz” die Mehrdeutigkeit der Handlung nutzt, um eine tiefere und beunruhigendere Analyse der Natur des Bewusstseins zu liefern.

Walden

Die Idylle in Puddingfarben. Hier leben die, die sich die Hände mit Schnaps waschen, den Kuhstall abschwemmen, das Spiel beobachten, Lust gewinnen, begehren, was sie sehen, sprechen : »Komm rein und bring die Wäsche mit!«; als ob ein Hammer auf die Bergkämme schlägt, ein Meister der Skulpturen, dieser trampelnde Gott; doch wer hat so ein Antlitz je mit eigenen Augen gesehen, vom Feuerrot umzingelt wie die wunderliche Walküre, die dem Einen harrt? Der Wind bläst die Laken vom Gestänge, das Hanfseil pfeift polyphon auf allen Flöten des Pan das Lied einer Begegnung, die Mädchen holen Wäsche ein und decken Töpfe zu, die Gärten werden abgesperrt, die Läden schon geschlossen.

Eingepfercht in die Freiheit mit Balkon, ausgesetzt der Stadt und deren ameisenartigen Bewohnern, observiert durch die Klänge dünner Wände, hingegeben der Evolution, Vielfalt der Skelette, atemlose Wunderwelt, Wirtschaftsertragsanimationen, Honigkerzen.

Etwas ungeplant macht sich das Dorf lang und länger, wird, von Thierstein kommend, zu nahezu vier Ortsteilen, wird zweimal von der Autobahn gestreift, was für so ein kleines Idyll eine große Schweinerei ist; man hört das Rauschen der Blechlawinen bis zum Rondell, die Vögel überlagern nicht mehr den entsetzlichen Wirbel, die Zeit reißt auf, aus einer Welt, die vorher nicht existierte, quillt Blut, das ziemlich nach Eiter stinkt.

Aber damals, wenn er mit Carlos zum Rondell ging, um dort vielleicht zu rasten, um dann womöglich noch ein Stück weiter in einem obskuren Gasthaus zu verschwinden (wenn es zum Beispiel Milchbrätlinge und Steinpilze gab), vergaß er nie, zu den Ameisen hinüberzuschlendern, die hier ihre Version von einem Tal der Könige hingestellt hatten, um sie zu grüßen und eine Weile beobachtend im Duft des Waldes zu stehen; die Lupinen reckten in die Höhe und Adam ertrank beinahe in ihrem Violett, weil er nicht größer war als die aufgeschossensten der Blumen. Da war nichts, was die Stille störte, die Vogelstille; die alte Bundesstraße hatte nichts von einer verfluchten Naht (zwei Welten, die sich niemals friedlich begegnen werden); Pandoras Büchse ist geladen : sie hat Scheiße und Verrecken mitgebracht (etwas ungeplant), aber sie ist schön und würde lieber Anesidora sein, denn mit ihrem Bauhelm sieht sie wirklich etwas lächerlich aus.

Stell dir vor, du gingst spazieren und sähest dich selber mit angstverzerrtem Gesicht auf dich zulaufen.

In all den Nächten gab es keine ausgelassene Stimmung, nicht die Heiterkeit, wie eine Sau durchs Dorf getrieben, in den zynischen Ursprung des Gelächters hinein. Die Zeit schrumpfte zu einer festen Kapsel zusammen. Ein Meuchelmorgen lässt uns waten in finsterem Gemäuer.

Der Solomensch von Java

Ein Ort, in Länge und Breite begrenzt, nach oben unendlich. Die Abende schossen aufs Dach, also setzten sich die Schindeln auf die Fensterbank, um Goldvögel zu beobachten, von oben nach unten.

Auf diesen Straßen führen die Löcher an einen Platz, der verborgen im Herzen des Wahrnehmenden liegt, ums Bezaubernde, Zaubern, um Allmagie um uns herum.

Movemento: bewegt im Raum, Zeitketten anorganisch, Urgesichter, Uhrengesichter, Wildwechselmimik, die schönsten Regenschauer auf einen Blick. Ich bin jetzt niemand mehr und das ist die Knute der Vergeltung.

Aufgepelltes Rosenrot, die tonnenschwere Last des unbeachteten Geschirrs, die molesten Stufen; kein Stock wird mich führen, kein Geländer mich hangeln.

Auf und Ab ekstatischer seelischer Zustände, Gleichnisse, Traumgesichte in einem absoluten Tanz.

Aussehen: wie der Solomensch von Java.

The Solo Man Of Java

A place, limited in length and width, infinite upwards. The evenings shot up to the roof, so the shingles sat on the windowsill to watch golden birds, from top to bottom.

On these streets, the holes lead to a place hidden in the heart of the perceiver, around enchantment, sorcery, all-magic around us.

Movemento: moving in space, inorganic time chains, primordial faces, clock faces, changing facial expressions, the most beautiful rain showers at a glance. I am nobody now and this is the rod of retribution.

Peeled rose-red, the heavy weight of the unheeded crockery, the molest steps; no stick will guide me, no railing will shimmy me.

Up and down of ecstatic mental states, parables, dream visions in an absolute dance.

Appearance: like the solo man of Java.

Die Boten

Immer dann, wenn die Luft einen Hauch von Johannisbeermarmelade über dem Dorf verströmte, ahnten wir, dass sich die Schatten bald wieder zeigen würden. Sie tauchten hinter den Stämmen starker Bäume auf, an den Fenstern leerstehender Häuser, an denen der Farn und der Efeu emporrankten. Sogar unter den Arkaden mancher Hauseingänge standen sie, unentdeckt, weil ja die Sonne ohnehin allerlei dunkle Gespinste produzierte, die jedermann kannte und für alltäglich erachtete. Diese Schatten aber, von denen hier die Rede ist, waren in strengem Sinne gar keine. Sie besaßen kein Objekt, zu dem sie einen unmissverständlichen Teil beitragen hätten können, wenn sie das Licht streifte. Wir nannten sie bald ›Die Boten‹, obwohl sie keine Nachricht überbrachten und auch nicht anzeigten, was sie eigentlich wollten. Das mussten wir selbst herausfinden. Allein deshalb nannten wir sie so. Sie boten uns die Möglichkeit, die merkwürdigsten Ereignisse aufzuspüren. dass wir damit etymologisch sogar auf der richtigen Fährte waren, wussten wir natürlich nicht; dass nur wir sie sehen konnten? Durchaus.

Eines Tages werden wir Knochen in der Grube sein, Asche in einer Vase. Die Pflanzen, die auf deinem Balkon die Schönheit des Augenblicks bezeugen, warm von der Sonne betastet, die es dir mit stehender Blüte danken, sind dann längst graues Gehölz. Wer erinnert sich daran, wie es war, als wir dort saßen, lachten? Wer erinnert sich an die Laute, den Geruch, an die in der Luft hängenden Fetzen anderer Leben? Die Momente sind nur Momente, weil sie einen Pakt mit der Vergänglichkeit geschlossen haben. Die Erinnerung ist nur der furchtbare Augenblick der Wiederkehr der Geschehnisse als Abklatsch. Kein Blut pumpt in ihren Adern, und selbst intensivste Ereignisse locken nur verworren aus einem Jenseits.

Hüfthoch im Korngarten; je länger du stehst, wird auch die Erde weich. Wie lange es braucht, zeigt das verhangene Gesicht. Viele letzte Male. Das Haus hinter dir verkleinert sich und darf nur noch die Größe eines Daumennagels haben, schwer zu erkennen durch Ähren und dieses Etwas, das wir Raum nennen. Zwischen dir und diesem Haus liegt nun die Ewigkeit. Du kannst nie wieder zum Haus zurück, kannst Ewigkeit nicht überbrücken. Versuchst du es, gelangst du zu Ruinen. Aber hier, hüfthoch im Korngarten, kannst du die Fassade betrachten, solange du willst. Dafür sorgen die Schatten, die Boten.

The Messengers

Whenever the air exuded a hint of blackcurrant jam over the village, we suspected that the shadows would soon appear again. They appeared behind the trunks of strong trees, on the windows of empty houses, where the ferns and ivy were climbing up. They even stood under the arcades of some house entrances, undetected, because the sun produced all kinds of dark webs that everyone knew and considered commonplace.

But these shadows we are talking about here were, in a strict sense, not shadows at all. They had no object to which they could have made an unmistakable contribution when the light touched them. We soon called them ‘the messengers’, even though they did not deliver a message or indicate what they actually wanted. We had to find that out for ourselves. That was the only reason we called them that. They gave us the opportunity to track down the strangest events. Of course, we didn’t realise that we were on the right track etymologically; that only we could see them? Absolutely.

One day we will be bones in a pit, ashes in a vase. The plants on your balcony that bear witness to the beauty of the moment, warmly touched by the sun, that thank you with standing blossom, will long since be grey wood. Who remembers what it was like when we sat there and laughed? Who remembers the sounds, the smell, the scraps of other lives hanging in the air? The moments are only moments because they have made a pact with transience. The memory is only the terrible moment of the return of the events as a copy. No blood pumps in their veins, and even the most intense events only lure them confusedly from an afterlife.

Waist-high in the corn garden; the longer you stand, the softer the earth becomes. The cloudy face shows how long it takes. Many last times. The house behind you is shrinking and may only be the size of a thumbnail, difficult to recognise through ears of corn and this something we call space. Eternity now lies between you and this house. You can never go back to the house, you cannot bridge eternity. If you try, you will end up in ruins. But here, waist-high in the corn garden, you can look at the facade for as long as you want. The shadows, the messengers, make sure of that.

Vom Verschwinden

Das Verschwinden um uns herum ist bizarr. Es beginnt mit Kleinigkeiten: ein Café wird aufgegeben, die Adresse eines Freundes stimmt nicht mehr, oder die Erinnerung verblasst und reiht sich ein in die Prozession toter Clowns, die von der anderen Seite winken. Sie tun das nur in einer Stadt mit Fluss, wo sich das Rechts vom Links trennt, oder das Nord vom Süd. Gemeinhin nennt man das Verschwinden auch Veränderung. Die Worte sind jedoch nicht dasselbe; die Veränderung kann ohne Verschwinden auskommen, auch wenn trotzdem ein bestimmter Teil nicht mehr vorhanden ist, das Verschwinden aber hat etwas Geisterhaftes in seiner veränderten Form und bedeutet einen völligen Verlust. Ich kenne das Verschwinden sehr gut, es widerfährt mir in so vielen Gesichtern.

Lass uns anfangen, die Nacht war schrecklich

Gut. Im Wald. Es beginnt immer im Wald.
Eine junge Frau im Nachtkleid flüchtet
Die Schienen entlang, fällt zwischen Bärenfallen,
Ich will nicht im Vorfeld schon alles erzählen,
Aber es ist wahrscheinlich Nacht, ein Dorf,
Schwer zu finden ohne Taschenlampe, nicht
Einmal im Mondlicht, Zauber hin oder her.

Versteck dich!, will man ihr zurufen,
Zieh dein Kleid aus und versteck dich dahinter!
In ihr lodern Fackeln, ihre Haut ist
Unbeschriebenes Pergament, ein Kuss hinterließ
Einst eine Rose zwischen ihren Brüsten, den
Bergen, die sie simulieren. Stromschnellen zwischen
Den Schulterblättern, dort verirrt sich das Dickicht selbst.

Die Stunden ihrer Flucht sind ihr ins Haar
Geflochten, aus ihren Ohren quillt Musik,
Verträumt sich im Ginster. Nichtgefallener Regen
Lauert in ihren Augen, der nächste Schritt
Löst das Bedauern aus. Etwas Luftiges
Fällt zu Boden und ihre Hand ist ganz nass.
Sie spricht : “Was wäre ich ohne jedes Hindernis?”

Wenn also ein Fluch in der Wiege sitzt,
Mit Stemmeisen bewehrt, und hohen Zoll verlangt,
Zieht man sich besser in die Stadt zurück,
Die jede Verrücktheit kennt und alle Wunder
Ignoriert. Die Erscheinungen sind hier nur Spiel
Der Lichter, roter Wein, die Gespenster nur
Laken, mit denen man sich vor Kälte schützt.

Transformiert durch Mauerwerk

Ich hatte lange nicht gewusst, wie sehr sich die Stufen nach unten auflösten, während ich ihnen folgte. Einmal zählte ich sie sogar, aber ihre Zahl ist mir nicht in Erinnerung geblieben. Irgendwo in meinem Echoraum ist sie gespeichert, aber sie hat wohl keine numerologische Bedeutung. Könnte es nicht möglich sein, dass sich die Gebäude, in denen man gelebt hat, auflösen, bevor sie sich für einen neuen Bewohner zusammensetzen? Dass man sie auch von außen nicht mehr erkennt, obwohl man all ihre Poren studierte, um niemals zu vergessen, was sich anschickte, von drinnen nach draußen zu gelangen, transformiert durch die Dunkelheit innerhalb des Mauerwerks? Sicher bleiben Sätze hängen, die man mit einer speziellen Röhre abhören kann; die aber immer schwächer werden und irgendwann nur noch in ein allgemeines Summen übergehen, in ein Hintergrundrauschen des eigenen Urknalls. Ich höre mich sagen: “Bin unten!”, und beginne mit dem Zählen der grauen Stufen.

Dorfstraßen sind mächtige Wege; das heißt, sie waren es früher einmal. Heute gibt es nur noch Straßen, Wege aber sind kaum mehr zu finden. Der Unterschied besteht darin, dass Straßen irgendwo hin führen müssen, deshalb bewegt man sich auf ihnen, man will die Strecke schnell bewältigen. Ein Weg hingegen ist zum Flanieren gedacht, nicht allein, um anzukommen. Wo auch sollte man ankommen wollen?

Früher war alles besser; aber nur, wenn man heute lebt. Fortschritt ist doch nur das Fortschreiten – das sich-entfernen – vom Guten. Vergessen wir dabei nicht, dass ein Gutes kein Paradies ist, kein endgültiger Zustand des Bestmöglichen; das Bestmögliche nämlich meint keine Existenz. Im Leben kann die Grausamkeit nicht ausgeblendet werden, sie kann nur durch etwas Gutes gemildert erscheinen. In anderen Fällen erreichen wir das Gute überhaupt erst jetzt. Dabei gibt es allerdings kein Wir. Wer spricht, ist entscheidend. Früher war alles besser, weil die Illusion noch funktionierte und weil es etwas Natürliches gab – und das Analoge.

Tollhaus

almosengumpig hatte der italienische bischof Goffredo de Prefetti den plan, hinunterzusteigen ins Heilige Land, um dort die schwerter so singen zu lassen, dass ihre kehlen mit angedicktem blut geölt nie gekannte befriedung erfuhren und so tat er ein haus auf dort zu London und baute es über einer kloake, wo der strom der elenden hinterteile nie versiegte. Vorm wahnsinn fürchtet man sich noch am besten, die tänzer können nicht für ein verbrechen baumeln, die schwarzgalligen nicht für treulosigkeit verbrannt werden, dummes huhn, was krähst du in die ferne, schau putt putt da hast du tupp tupp

leider leider was schöner rauch das wäre neben den ungeliebten weibern, die milch bereits im euter quarken, brotleiber auf den hinterbacken kneten und den schlendrian im wald in ein loch purzeln lassen, dass er lande bei den elven

die finsterei wurde geflüstert, dämonisches ringen kuriert, schwefel- und zundermasken im feuer gesehen

wir sind der sache nicht gewachsen
wir wachsen nicht aus stahl heraus

Ich wusste nicht dem Hunger zu begegnen, also nahm ich mir einen Sessel, den ich aß. Sein Polster war mir rotes Trockenfleisch in einer dunklen Ecke voller Morasch. Dort spie auch ich danach, und spielte, “eine fliehende Ratte zu benetzen”, doch ich traf nur meinen Schuh. Das Holz war feiner Sensenstaub, von Wurmverwandschaften vorbereitet, ein Brot daraus zu backen schien mir fremd, zumal der nächste Ofen im Keller gerade Knochen verbrannte. Ich hatte keine Magie in meinen Adern, nur absonderliches Blut, abgestanden wie die Luft in den Gängen des alten Bedlam.

Ein Irrenhaus ist eine gute Wahl, wenn nicht irgendwo ein Krieg tobt, in dem man sich zermalmen lassen kann. Ich sehe sie noch vor mir, die duftenden Damen, die Besucher durch das Haus navigierten, damit sie nicht in ein Loch im maroden Boden fielen, sondern der peinlichen Therapie ihr vollgepumptes Gewissen übertragen können, ein Theater wie sonst nirgendwo zu sehen. Das bizarre Regelwerk der Spiele.

so viel war es nicht, das wir wussten
so viel war es nicht, das wir verloren

Wir setzten uns auf die ausgehärtete rostige Spucke und zählten die vergangenen Tage durch. Es waren immer gleich viele. aber ihre Zahnspangen hatten sich jedes Mal verändert. Die kühle Luft, früher undurchdringlich aufgrund abweisender Partikel, hatte sich in Gang gesetzt und schob uns die Karten für den Eintritt zu. Es war ein großes grabschen und nehmen, und am Ende folgten wir dem Parfüm in einen großen Blechraum, von dessen Decke ein Stuhl in der Mitte baumelte. Wer darauf festgebunden war konnte das nackte Auge nicht erkennen, so schnell wie er sich drehte, wie in einem Nebel verwischte die Gestalt und bald musste sie im Nichts verschwunden sein, in 43 Teile zerfallen und hinter ihr ein Schlosshof zu sehen sein. Wo war das noch? Ich kannte das Bild, merkte es mir jedoch nicht, weil sich die Wunde augenblicklich schloss und alles wieder Blech und Wahnsinn war.

Geschichte der Fantasy -8- Auflösung

In den ersten sieben Teilen haben wir uns die Frage gestellt, wer denn der erste Autor war, der eine von unserer Welt unabhängige Geschichte präsentierte und was das überhaupt bedeutet. Wir haben vier Merkmale gefunden, anhand denen wir so eine Geschichte identifizieren können. Außerdem haben wir uns verschiedene Modelle innerhalb der Literaturgeschichte angesehen, um zu erkennen, warum gerade sie nicht infrage kommen. Heute lösen wir unsere Suche auf.

Der Gebrauch des Rahmens eines Märchenerzählers kann – wie wir im letzten Teil gesehen haben – dazu dienen, einen gewissen Realismus zu erzielen, wenn nämlich dadurch die Realität abgesichert werden soll. Es geht nicht allein darum, sich zu fragen, weshalb eine Geschichte überhaupt erzählt werden sollte, sondern viel mehr um den Anspruch auf Authentizität. Denken wir nur an die Briefe, die im Mittelalter im Umlauf waren, und die angeblich von dem mysteriösen Priesterkönig Johannes geschrieben wurden. Darin wird von allen möglichen Wundern gesprochen, die man angeblich in seinem nichtexistierenden Land finden könnte. Gleiches gilt für die „Reisebeschreibungen“ des Jehan de Mandeville, der im 14. Jahrhundert Fantasien darüber verfasste, wie es hinter den Grenzen der im Mittelalter bekannten Welt aussehen sollte. Er schrieb seine Geschichten mit dem Vorwand, dass er all das mit eigenen Augen gesehen hätte (und bestätigte sogar das mystische Land des Priesterkönigs Johannes). Die Leute glaubten viele Jahrhunderte lang, was darin stand.

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Die Geschichte der Fantasy -7- Mythen

Zunächst sollten wir uns fragen: Was wäre, wenn diese Verschiebung gar nicht stattgefunden hätte? Was wäre, wenn eine reale Welt anders dargestellt werden sollte, wenn sie also ein Ort wäre, an dem nicht nur phantastische Ereignisse stattfinden, sondern an dem phantastische Ereignisse grundsätzlich dominieren, aber mit dem gleichen Anspruch auf Wahrheit und Plausibilität, wie ihn auch die Weltkonstruktion einer realistischen oder engagierten Literatur erhebt?

Das klingt natürlich auf den ersten Blick paradox. Tatsächlich spreche ich hier von Mythen. Mythen beschreiben Ereignisse (auch historische), die jenseits der gewöhnlichen Erfahrung liegen. Tatsache ist aber, dass sie auch dazu dienen (sollen), die reale Welt zu erhellen.

Ein Mythos, der erklärt, wie die Welt entstanden ist, beinhaltet notwendigerweise auch die reale Welt. Ein Mythos, der erklärt, wie die Jahreszeiten entstanden sind, hat den Zweck, uns zu erklären, wie sich die Welt, wie wir sie kennen, ausgebildet hat. Die Entwicklung der Mythen geht also in erster Linie den Weg vom Phantastischen zum Realistischen. Und Mythen beinhalten stets die uns bekannte Welt, erklären sie, geben ihr Sinn, beschreiben ihre Geschichte.

Gleichzeitig geben uns Mythen zu verstehen, dass unsere Welt in ihrem Ursprung und in ihrem Sein bereits überaus phantastisch ist. Ein Geschichtenerzähler, der einen Mythos nacherzählt, besitzt daher bereits genügend phantastisches Material. Aber die Struktur des Mythos begreift sich dahingehend, dass seine phantastischen Elemente stets darauf bedacht sind, die reale Welt und  das in ihr Bekannte abzubilden.

Betrachten wir das anhand des Gilgamesh-Epos oder der Odyssee. In beiden Epen geht es um die Reise in alle möglichen Gebiete einer unbekannten – und dann um die Fahrt zurück in die reale Welt. Hier gibt es eine eigene Logik, die abhängig ist von den Gesellschaftsformen und den kulturellen Normen ihrer Protagonisten. Hier wird uns von wunderlichen und unglaublichen Dingen erzählt; und es gibt eine eigenständige Geographie. Außerdem gibt es eine abweichende geschichtliche Entwicklung, die mit dieser Geographie Hand in Hand geht. Gilgamesh trifft den Überlebenden der Sintflut am Ende der Zeit, und Odysseus wird vom Trojanischen Krieg heimgesucht, der bereits zu Ende war, als seine eigentliche Geschichte begann. Beide Geschichten erzählen uns jedoch mehr darüber, was nach ihrer Rückkehr geschah, als über das, was sie in der Ferne vorfanden.

Man kann also sagen, dass Mythen in sich geschlossen erscheinen. Die Geschichte des Kampfes von Marduk gegen Tiamat erscheint ziemlich weit hergeholt, um einen Bezug zur Realität zu haben. Aber die Schlussfolgerung der Geschichte, nämlich dass Marduk die Welt aus Tiamats Leichnam geschaffen hat, zeigt, dass dieser Kampf die Existenz der realen Welt zum Ziel hatte. Es scheint so, als ob die menschliche Erfahrung durch einen Mythos mit phantastische Elementen dargestellt und subsumiert werden soll, immer aber sind diese Fantasien mit der realen Welt verbunden.

An dieser Stelle sollten wir ebenfalls über jene Werke reden, die keine traditionellen Mythen sind, allerdings die Aufgaben von Mythen übernehmen. “Die göttliche Komödie” (Dante) oder “Das verlorene Paradies” (John Milton). Insbesondere auch (oder gerade) die Arbeit von William Blake, der über Götter schrieb. Auch hier wird der Versuch unternommen, die Welt zu erklären und wie sie entstanden ist. Obwohl er eine phantastische Geographie entwarf, blieben seine Geschichten literarisch wie symbolisch  auf der Plattform dieser Welt.

Es geht hier nicht darum, den erwähnten Arbeiten ihre Qualität abzusprechen, oder das damit verbundene Wunderbare zu schmälern, es geht lediglich darum, zu betonen, dass Mythen keine vollständigen Fantasy-Gebilde sind, weil sie keine völlig eigenständige Welt zu bieten haben. Im Gegenteil, sie wollen die unsrige sogar damit erklären. Die Struktur des Mythos ist jedoch dazu geschaffen, mit Fantasy-Elementen zu arbeiten. Wie ich oben bereits sagte, ist hier eine Verschiebung zu erkennen, die im Grunde nicht stattfindet. Das ist die erste Technik, um eine phantastische Anderswelt an unsere reale Welt zu binden. Gibt es noch andere?

Die einleuchtende Strategie der Verlagerung (oder Verschiebung) von Schauplätzen ist eine wörtliche: es geht darum, eine phantastische Welt in einem unbekannten Teil der realen Welt anzusiedeln, über den niemand etwas weiß. Mit anderen Worten, hier wird etwas erfunden (meist eine Geographie), die überhaupt erst erfunden werden kann, weil sie unbekannt ist. Das war zu einer Zeit, als es auf der Welt tatsächlich noch mehr als genug unbekannte Territorien gab, natürlich nützlich. Die Menschen hatten so wenig wissen über ihre Welt, dass dies allein schon ausreichte, ihre Fantasie anzuregen. Es gab zum Beispiel Wolfram von Eschenbach, der in seinem Parzival behauptete, man könne von der Bretagne nach England reiten, oder Shakespeare, der behauptete, Böhmen besäße eine Küste.

Oft wurden phantastische Welten an isolierte Orte verfrachtet, Inseln zum Beispiel sind diesbezüglich ein Dauerbrenner. Aber unterirdische Reiche haben ebenfalls nie an Popularität verloren.

Den letzten richtigen Gebrauch von dieser Strategie machten wohl die Autoren der Sword and Planet-Fraktion – in der Art von Burroughs’ Mars-Abenteuer, C.S. Lewis’ Perelandra-Trilogie, oder E.R. Eddisons Merkurien. Die phantastische Anderswelt wird hier zu einer SciFi-Anderswelt, die Idee dahinter ist jedoch immer noch jene, über die wir bereits gesprochen haben.

Wenn das Versetzen einer Anderswelt traditionell geographisch vonstatten geht, dann steht dem die historische Verschiebung in nichts nach. Gerade in der traditionellen Fantasy spielt sich die Geschichte meist in einer Epoche ab, die anfällig war für Magie und Legendenbildung. Denken wir dabei an die Tafelrunde des König Artus, oder an die Legenden um Karl den Großen.

Die wildesten dieser Fantasien wurden – und das ist auffällig – von Autoren geschrieben, die nicht dem Kulturkreis der jeweiligen Legenden angehörten. Französische und deutsche Autoren schrieben viele der seltsamsten Artus-Geschichten (vor allem über die Suche nach dem Heiligen Gral), während italienische Autoren bevorzugt über die Abenteuer Karls des Großen und seiner Ritter fabulierten, die zum Mond aufbrachen oder gegen Riesen und Zauberer kämpften.

Diese Autoren interessierten sich nicht für Geschichte; sie schrieben Fantasy und benutzten die Figuren bereits bekannter Abenteuer, um sie so zu erzählen, wie sie es wollten. Möglicherweise hatten die dabei weniger Skrupel, sich in anderen Kulturkreisen umzusehen, weil dadurch die Flickschusterei weniger ins Gewicht fiel, als hätten sie ihre eigenen Sagen derart verwurstet.

Die Nachahmungen der Arabischen Nächte sind ein gutes Beispiel. Relativ wenige englische Schriftsteller haben sich davon beeinflussen lassen, aber einer davon, William Beckford, schrieb seinen “Vathek” 1782 in französischer Sprache nieder. Allerdings schrieben nicht wenige französische Phantasten arabische Geschichten, vor allem im 18. Jahrhundert. Man fragt sich, ob für diese Autoren das ferne Arabien nicht die gleiche Funktion erfüllte, wie für uns eine Anderswelt.

So viel zu Zeit und Raum. Gibt es noch weitere Techniken der Verlagerung? Sicher. Die vielleicht einfachste Art, eine Fantasywelt mit unserer Realität zu verknüpfen, ist der Traum. In einem Traum kann naturgemäß alles geschehen, vor allem Phantastisches. Es ist gar nicht so sehr überraschend, dass traditionelle Arbeiten der Fantasy, die den Rahmen eines Traumes für sich nutzen, sich nicht wie Träume verhalten – sie weisen nicht den surrealen, chaotischen Sinn eines Traumes auf, sondern bemühen sich um eine narrative Struktur.

Der Traum war ein sehr beliebter Rahmen für allegorische Arbeiten für Schriftsteller, die etwas über die Welt aussagen wollten, indem sie einer Figur durch eine symbolische Erzählung führten. Diese Figur wirkte dadurch nicht selten wie eine überdimensionierte Karikatur. Jedes Detail einer solchen Erzählung, jeder Charakter präsentiert ein spezielles Thema oder verkörpert eine bestimmte Idee. Die Folge war oft ein surreales Bild, das entstand, weil ein Element der Erzählung für etwas ganz anderes stehen konnte; durch diese Dualität schoben sich zwei Dinge, die eigentlich nicht zusammen gehörten, wie ein Teleskop ineinander, eine Vorgehensweise also, die den Traum imitiert.

Die besten Allegorien funktionieren trotz dieser ganz speziellen Logik trotzdem wie eine Erzählung. Eines der beste Beispiele ist die bereits erwähnte “Pilgerreise” vom John Bunyan, eine symbolische Geschichte über eine Seele, die einer Versuchung widersteht, um in den Himmel zu gelangen. Das Buch folgt dem Hauptcharakter (im Original Christian) auf dem Weg in die himmlische Stadt. Dabei kommt er an Orte wie den Sumpf der Verzagtheit, oder dem Palast Prachtvoll, kämpft gegen Monster wie den Riesen Verzweiflung. Seiner Form nach handelt es sich hier um eine Abenteuergeschichte in einer phantastischen Welt – aber das Unternehmen ist ganz klar als Traum kenntlich gemacht.

Eine andere Möglichkeit der Realitätsverschiebung ist die Geschichte in einer Geschichte, wo eine erfundene Figur die Geschichte einer anderen erfundenen Figur erzählt. Auf diese Weise gelingt es, eine phantastische Welt als reale Fiktion in Erscheinung treten zu lassen.

Das hört sich nach einer sehr modernen strukturalistischen Technik an, aber einige der großen mittelalterlichen Sammlungen, wie die “Canterbury Tales “oder “Das Dekameron” tun genau das. Hier gibt es eine Rahmenerzählung, die den Eindruck erwecken soll, dass eine einzelne Person die Geschichte einer anderen Person erzählt.

Im Englischen gibt es etwas, das „Club-Story“ genannt wird, die angeblich auf Lord Dunsany zurückzuführen ist. Das Konzept ist einfach: ein Gentleman in einem Gentleman’s Club erzählt eine Geschichte, die ihm angeblich selbst widerfahren ist, oder von der er gehört hat, einem anderen Club-Mitglied. Auf diese Weise lässt sich ein phantastisches Erlebnis als etwas wiedergeben, das man von jemanden gehört hat, um die offensichtliche Lüge zu umgehen. Es gibt sehr viele frühere Phantasten, die diese Technik angewandt haben, um Unerhörtes in aller Glaubhaftigkeit zu erzählen.

Das ist also eine wirksame und umfassende Art, ein Fantasy-Setting zu verschleiern, wie immer es auch geartet sein mag.

Im 19. Jahrhundert scheinen die Ideen von einer phantastischen Anderswelt zu einem literarischen Konzept zu werden. Die Methode, die dabei gerne angewandt wird, ist, einer Figur ein Portal zur Verfügung zu stellen, durch das sie in eine andere Welt gelangen kann. Denken wir an das Kaninchenloch bei Alice usw. George McDonalds Roman Lilith von 1895 beschreibt, wie die Hauptfigur durch einen Spiegel in eine andere Welt gelangt.

Natürlich können auch alle erwähnten Techniken zusammen angewendet werden, um einen interessanten Effekt zu erzielen. Ein Schriftsteller kann mit der Realität spielen, ungewöhnliche Perspektiven einnehmen, und zwischen Traum, Erzählung und Anderswelt balancieren.

Betrachten wir einmal E.T.A. Hoffmanns kompliziertes Märchen “Nussknacker und Mausekönig”. Ein kleines Mädchen beobachtet einige seltsame Ereignisse und fällt in Ohnmacht; sie erwacht und denkt, dass alles nur ein Traum gewesen sei. Dann erzählt ihr Patenonkel ihr eine Geschichte, die eine Verbindung zu dem, was sie gesehen hat, aufweist. Das führt zu immer weiteren merkwürdigen Ereignissen; am Ende schläft sie ein, wacht wieder auf, und diesmal sind es die Eltern, die ihr erklären, dass alles nur ein Traum gewesen sei. Am Ende taucht der Neffe des Patenonkels, dem sie im Traum begegnet ist, in ihrem wirklichen Leben auf. Sie heiraten, und die Geschichte schließt, indem wir davon unterrichtet werden, dass Marie die Königin eines Puppenreichs ist, das nur von jenen gesehen werden kann, die auch die Augen dafür haben.

Hier wird die Fantasie erstens dadurch verschleiert, dass sie ins Reich der Träume verwiesen wird, dann ist sie plötzlich Fiktion geworden, am Ende wird sie zu einer Realität. Gleichzeitig nimmt Hoffmann diese „Realität“ wieder zurück, indem er sagt, dass diese Anderswelt nur von jenen gesehen werden kann, die auch Augen dafür haben. Damit deutet er an, dass alles nur eine Frage der Perspektive ist.

Im Allgemeinen wäre es ein Fehler anzunehmen, ein Werk müsse nur eine Strategie der Verlagerung anwenden, um die Realität von einer Fantasywelt zu unterscheiden. Denken wir an die Filmversion von “Der Zauberer von Oz”; in dieser Geschichte wird Dorothy nicht einfach nur von einem Wirbelsturm aus Kansas heraustransportiert, sie erwacht und hält außerdem alles für einen Traum. Auch Alice, die in ein tiefes Loch fällt, erwacht am Ende und denkt, sie habe geträumt.

Sind wir damit schon am Ende angelangt? Sind wir unserer Eingangsfrage etwas näher gekommen? Möglich, aber am Ende sind wir dennoch nicht.

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