Das schnepfige Murxen

Der Mond sieht Adam, wie er sich unter fetten Daunen noch einmal den Tag in einer Art Wiederholung ansieht. Sein Blick schwappte am Nachmittag aus dem Küchenfenster, wo Simone und Katjanka an der ollen Ulme herumschaukelten, bis sie nahezu in den Horizont davonflogen. Das Seil knirschte, als wolle es zerfasern und sich in Luft auflösen, das Hinterteil mit allerhand kinetischer Energie aufgeladen. Die Ulme hält sich wacker, Jahresminuten verschwinden. Hätte er doch nur gewusst, dass Zeit auch vergeht (und nicht nur die Tage), Adam hätte die Minuten seines Stillstands noch intensiver genutzt. Aber auch so prägte er sich ein, wie sich die Sandalenpaare über sein Haupt schwangen und den Höhepunkt erreichten (als schaukelten die Mädchen über ihn hinweg statt nur davon). Die Seile knirschten und knirschten und der Tag schmeckte nach kandierter Tamarinde – oder nach erhitztem Stein – so genau ließ sich das nicht sagen.

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L´amour gout

Es kränkt sich Stufen aufwärts, es kränkt sich Stufen abwärts. Es schlurft in einer Tour, schlappt halbfüßig, zu faul, ganz bar zu gehen auf kaltem, abgewetztem Stein. Der soll sagen, dass sich Stein nicht wandelt, der das meint. Der ewig gleiche Schritt nutzt die Mitte ab, drückt seine Dauer hinein und schreibt der Zeit ein kosmisches Epos. Ein Loch ist im Eimer, eine Scharte im Getrepp.

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Zu spät gekommen

Wie schön der Ort war, an dem du einst gesessen bist; Fliegen gab es kaum – überhaupt hatten sich die Insekten zurückgezogen, obwohl doch alles in fetter Blüte vegetierte. Die Bank stand noch, sonst wüsste ich es nicht. Man hat wohl vergessen, sie abzumontieren, denn den Weg zu ihr hat sich die Natur – sie benötigt dazu ja niemals lange – zurückgeholt (wie man diese Tatkraft bezeichnet), macht aber, ich möchte es nicht Wunder nennen und lasse die Sache als denkwürdig stehen, vor den Rippen, den Querstreben, vor den beiden Zementsockeln bereits halt, sendet dorthin nur kümmerliche Brennesseln, die sich erst noch zu beweisen haben, und denen man es innerhalb der Familie der Rosiden nicht übelnahm, dass sie hier versagten oder noch nicht wussten, wie denn vorzugehen sei, um das menschgemachte Bauwerklein in Besitz zu nehmen, als hätten sie Furcht davor, denn der Sichler besäße dann einen Grund, sie hinzumähen, gäbe es dort noch Wanderer, die nicht hierher kämen, weil sie sich verirrt hatten, sondern weil sie ganz gezielt – sei es ihrer täglichen Runde geschuldet oder ein sonnachmittäglicher Spaziergang – diese Bank für einen Ruheposten nähmen.

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Der Gänsehüter

Der Umstand des Geheimnisvollen führte mich im Angesicht der verschwundenen Welt durch Orte, die diesen Namen kaum verdienten, von denen noch nie eine Menschenseele je gehört. Und sie hießen, hießen alle wie alles heißt. Alle strahlten sie unheimliche Fremdheit aus. Ich starrte hinaus, und ich saß am Bullauge, froh darüber, auf der anderen Seite zu wesen, während draußen, wo der Bus zum Stocken kam, diese gefräßige Fassade einer scheinbaren Idylle nur auf jemanden wartete, der bereit war, sich dem Unbekannten zu stellen. Die Einsamkeit schlich sich in das Herz, ich blickte ins Nirgendwo; die Zweige der Bäume bewegten sich tückisch, auf den Straßen war kein fester Halt zu finden. Fiele nun die Heizung aus, erfröre man, weil es einen Sommer dort nicht gab, so wie überhaupt keine Jahreszeiten existierten.

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Nachtkrapp: 1 Der Falle entkommen

Erschrockener Brief mit folgendem Aufatmen, der Falle entkommen zu sein

Ich kann Ihnen sagen, dass ich sehr neugierig war auf die Umgebung, die Sie in Ihren Briefen stets sehr sonderlich schilderten, dass einem das Herz übergehen mochte. Was wir allerdings vorfanden, als wir vor zwei Tagen den beschwerlichen Weg hinnahmen, Ihre grünen Auen erwartend – mit einem Apfelbaum in jedem Garten, dessen Früchte einen Wurm beherbergen, der sogar einen Namen hat und der von den Obstbauern nicht nur geduldet, sondern als Glücksbringer geradezu gemästet wird (Sie sprachen ja auch davon, dass es verboten sei, den Wurm in die Marmelade hineinzukochen) – war ein stinkender, dunkler, nebliger, ätzender, morastiger, sonnenloser, glitschiger und verderbter Pfuhl, und kein Weg schien in die wie gilbe Zahnstummel aus einem alten Kiefer reckenden Häuser hineinzuführen, so dass wir das Panorama augenblicklich wieder verließen, ohne überhaupt noch den Mut aufzubringen, Sie zu kontaktieren. Nun ahnen wir, dass Sie uns nur in eine Falle locken wollten, zu welchem Vorzug auch immer. Dass es dort, wo Sie leben, nicht wenig nach Blut stinkt, fällt mir eben jetzt gerade wieder ein; aber da ist noch etwas anderes. Mir trifft’s kein anderes Wort: es riecht nach Vogelmist.

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Die Gasse der sprechenden Häuser (SSB-Version)

Zur Druckversion (Mummenschanz in großen Hallen)

Die Häuser in dieser Gasse, deren letztes Gehöft einst eine Milchwirtschaft beherbergte (der Wind nimmt dort nicht selten langgezogene Kuhlaute an) waren alt und längst mit ihren Flanken, Gärten und Erkern aneinander gewachsen. Windschief darbten sie in der Sonne oder ergaben sich der flink wechselnden Witterung, die selbst Bestandteil ihrer kühlen Außenmauern war. Ihre Zeit des Beobachtens und Speicherns war seit Jahren vorbei, jetzt sonderten sie all die Eigenheiten wieder ab, derer sie in Jahrhunderten Zeuge geworden waren. Kein Tun und keine Verwicklung war ihnen fremd geblieben, noch öfter aber war ihnen das Animalische begegnet. Was geschehen konnte, war in ihrer Obhut geschehen. Und so fanden die Häuser zu ihrer Sprache, die aus dem Knarren ächzender Dielenbretter, aus rumpelnden Balken, die sich in ihrem Dachbett dehnten, Windkanälen, die um Giebel herum zürnten, Fugen, Luken, Brechungen, dem Zischen in alten Rohrleitungen, und dem Resonanzraum des ganzen Gebäudes mit seinen besonderen Eigenheiten bestand. Vorgesehen zum Abriss waren sie längst, entsprachen nicht mehr der Vorstellung einer von der Moderne degenerierten Gesellschaft, die sich körperlos und körperfremd von allem distanzierte, was sie an das Leben erinnerte, wie es wirklich war : schmutzig und echt, einst aus dem Ozean gespien, von dem keiner mehr etwas weiß und der sich selbst nur noch vage an uns erinnert, obwohl sein Gedächtnis zeitlos ist, denn das Gedächtnis des Ozeans ist ein Schmerzgedächtnis.

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Schlafmähre

Landschaft verschwimmt mitsamt unseren Körpern zu einem ununterscheidbaren Gewimmel. An der Oberfläche blendet uns das Licht, in der Tiefe verwirrt uns die Fülle, die wir uns nur zu ertasten wissen. Etwas steht uns bevor: wir werden uns von Raupen in Schmetterlinge und Falter verwandeln, von Milch- in Reißzähne.

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