Kult!

Autor: M.E.P. (Seite 3 von 93)

Warum nicht?

Black Hammer 2: Das Ereignis

Black Hammer: Das Ereignis
Splitter-Verlag

Abraham Slam und seine „Familie“ seltsamer Helden sind an einen ländlichen Ort gebunden, den sie nicht verlassen können. Die Abenteuer, die sie in Spiral City erlebten, scheinen in einer völlig anderen Dimension stattgefunden zu haben. Als aber Lucy, die Tochter Black Hammers, wie aus dem Nichts auftaucht, werden ihre Hoffnungen wieder geweckt, vielleicht doch entkommen zu können. Lucy beginnt jedoch damit, etwas viel Dunkleres aufzudecken, als sich alle vorgestellt haben, und die Hoffnungen und Träume der Helden scheinen sich endgültig zu zerschlagen.

Black Hammer gewann 2017 den Eisner-Award als beste neue Serie. Jeff Lemire spielt hier mit allem, was wir über Superhelden wissen und bereitet uns damit ein postmodernes Vergnügen. Hier geht es nicht um heldenhaften Ruhm, sondern um Streit, Wut und Trauer. Wir erfahren auch in diesem Band nicht, was eigentlich passiert ist, als man dem Anti-Gott gegenüberstand, Black Hammer ihn offensichtlich mit einem Schlag vernichtete und sie überhaupt erst in diese Situation brachte. Und wenn der erste Band das Setting vor uns ausbreitete wie eine Tischdecke, ruhig und in relativ langen Einstellungen, nimmt die Geschwindigkeit jetzt etwas zu. Durch Lucy kommt Bewegung ins Spiel, weil sie sich andere Fragen stellt als die Helden, die nach zehn Jahren in dieser scheinbaren Idylle bereits aufgegeben haben, daran zu denken, jemals von hier verschwinden zu können. Allein die Androidin Talkie-Walkie bastelt in regelmäßigen Abständen an Sonden, die den Weg nach draußen finden sollen. Ein Unterfangen, das jedes Mal aus den unterschiedlichsten Gründen scheitert.

Lucy; Splitter-Verlag

Im Kapitel “The Ballad of Talkie-Walkie” werden wir Zeuge der seltsamen Freundschaft zwischen der Androidin und Colonel Weird. Das erhöht den Fragenkomplex um ein Vielfaches, vor allem weil wir kurz vor diesem Kapitel erfahren müssen, dass der Colonel wohl etwas mehr zu wissen scheint als alle anderen. Das liegt natürlich daran, dass er durch die Para-Zone reisen kann. Ein Rettungsweg ist das allerdings nicht, denn außer dem Colonel würde jeder dort den Verstand verlieren. Selbst an Randall Weird geht der Aufenthalt dort nicht spurlos vorbei. Und dort muss er etwas in Erfahrung gebracht haben, das ihm wirklich zusetzt, so sehr, dass er sogar seine Freunde hintergeht.

Neben Lucys sehr beunruhigenden Entdeckungen, bekommen wir wieder genial in die Haupthandlung einfließende Rückblenden. Wir sehen, wie der Sozialarbeiter Joe Weber zu Black Hammer wird und wie er die ein oder andere falsche Entscheidung trifft, die schließlich zu all dem – und zu seinem Tod führen wird. Allerdings sind diese Entscheidungen keine leichtfertigen, sie rechtfertigen sich durch die Liebe zu seiner Tochter und seiner Familie. Das Interessante an Black Hammers Superkraft ist, dass es nicht um die Person geht – außer dass sie reinen Herzens zu sein hat. Sie überträgt sich durch den riesigen Hammer. Wie Thors Hammer verwandelt auch dieser den Träger zurück in eine menschliche Gestalt, wenn der Stil auf den Boden geschlagen wird.

Gail, die ihre Kraft von einem alten Zauberer bekam, kann ihre Kraft ebenfalls übertragen. Dadurch schaffte sie sich in ihrem Heldenleben eine kleine Gruppe namens “Golden Family”, um sich “zur Ruhe” zu setzen. Einerseits ist sie damit das Pastiche der Mary Marvel und die “Golden Family” nichts anderes als die “Marvel-” bzw. “Shazam-Family”, andererseits hat sie eine Schnoddrigkeit, die sie davon abhebt. Außerdem ist die die unglücklichste unter den Helden. Als 60jährige im Körper einer 9jährigen gefangen zu sein und sich nicht mehr zurückverwandeln zu können erklärt ihr überaus reizbares Wesen. Aber das ist nicht alles, was sie zu tragen hat, denn mit Sherlock Frankenstein hat sie die Liebe ihres Lebens zurücklassen müssen.

Jeff Lemire hatte vor, jedem der fünf Hauptcharaktere die Referenzen unterschiedlicher Zeitalter auf den Leib zu schreiben, begonnen mit Abraham Slam, der den Pulp-Magazinen der 30er Jahren entsprungen scheint. Eine ehrliche und raue Haut, einfach gestrickt, aber verlässlich.

Colonel Weird, der mehr über das angebliche Idyll zu wissen scheint, findet seine Vorlage in den Mystery in Space-Comics um Adam Strange. Barbalien, der seine Einsamkeit überwinden will und auf der Suche nach Nähe dazu neigt, kleine Gesten falsch zu interpretieren, was ihn gerade noch einsamer werden lässt, weil seine homoerotische Ausrichtung kein geeignetes Gegenüber findet, ist eher ein Held der Bronzezeit, und Madam Dragonfly erinnert an das House of Mystery und das frühe Vertigo-Material der 1980er.

Das Ereignis selbst – und damit der größte Storybogen – lehnt sich an das Crisis-of-Infinite-Earths-Event von DC an, das ein erstes postmodernes Beben in der Comicszene ausgelöst und Lemire ziemlich stark beeinflusst hat.

Und so führt uns dieser Band noch tiefer in die Psyche und Erlebniswelt der Charaktere hinein. Das ist sogar das Hauptanliegen. Lemire und Ormston öffnen nun endgültig den Füllkrug, den sie in Vergessene Helden vorskizziert haben (unterstützt von David Rubin, der in Sherlock Frankenstein die Zeichnungen ganz übernimmt). Gemütskrank sind sie alle, voller Trauer halten sie sich an kleinen Strohhalmen fest, die vielleicht gar nicht existieren.

Comics und Philosophie

Comics offenbaren tiefe Wahrheiten über die menschliche Natur. Durch sie ist einiges über Metaphysik zu lernen und selbstverständlich über Ethik. Eine Sache, die Comics also können, ist, anschauliche Gedankenexperimente aufzustellen. Einige Gedankenexperimente aus philosophischen Texten klingen bereits so, als wären sie direkt aus Comics entsprungen. Rene Descartes stellt sich vor, dass seine Wahrnehmungen von einem bösen Genie kontrolliert werden – eine Prämisse, die auch in der Miracleman-Serie von Alan Moore auftaucht! Donald Davidson stellt sich eine Kreatur namens Swampman vor, die ein Cousin von Moores Swamp Thing sein könnte. (Moores Swamp Thing wird aus einem gewöhnlichen Mann namens Alec Holland erschaffen, als Kräfte eine ungewollte Verwandlung an seinem Körper vornehmen, während Davidsons Swampman eine exakte Kopie von Davidson selbst ist, der entsteht, als ein Blitzschlag die Moleküle eines toten Baumes neu anordnet).

Diese philosophischen Gedankenexperimente mögen weit hergeholt erscheinen, aber sie sollen uns etwas über die reale Welt sagen. Das böse Genie von Descartes soll unser Wissen über alltägliche Wahrheiten in Frage stellen. (Wenn ich nicht mit Sicherheit ausschließen kann, dass ein böses Genie mir vorgaukelt, der Himmel sei blau, obwohl er rot ist, weiß ich dann wirklich, dass der Himmel blau ist?) Und Davidsons Swampman soll uns helfen, über die Natur des Glaubens, des Verlangens und anderer geistiger Zustände nachzudenken. (Kann man ein Verlangen nach Kartoffelchips haben, wenn man noch nie einen Kartoffelchip, eine Kartoffel oder ein physisches Objekt gesehen hat? Davidson meint nein – und kommt zu dem Schluss, dass Swampman überhaupt keine mentalen Zustände hat.) Aber Gedankenexperimente in Comics unterscheiden sich von Gedankenexperimenten in der Philosophie. Sie zielen nicht darauf ab, den Leser von irgendetwas zu überzeugen; stattdessen handelt es sich um anhaltende Phantasieübungen, die sowohl die visuelle Vorstellungskraft als auch die Erzählung mit einbeziehen und die der Leser eher zum Spaß als zum Zweck der Untersuchung betreibt. Diese Besonderheit ist tatsächlich ihre Stärke.

Yuggoth 20 – Die von der Nacht versehrten

Yuggoth

Anmerkung des Übersetzers: Fungi from Yuggoth besteht aus 36 Sonetten, die Lovecraft zwischen dem 27. Dezember 1929 und dem 4. Januar 1930 verfasste. Ausgewählte Sonette wurden im Weird Tales Magazine veröffentlicht. Erstmals komplett erschien der Zyklus in Lovecrafts Sammlung “Beyond the Wall of Sleep”, die von August Derleth 1943 herausgegeben wurde, sowie 2001 in “The Ancient Track: The Complete Poetical Works of H. P. Lovecraft”. Die erste Publikation, die den Zyklus in der richtigen Reihenfolge brachte,  war “Fungi From Yuggoth & Other Poems”. Herausgegeben von Random House 1971. Lovecraft wählte für seinen Zyklus eine Mischform aus Sonetten-Stilen. Bei genauerem Hinsehen ist es schwierig, wirklich von Sonetten zu sprechen. Als Übersetzer habe ich mich dafür entschieden, auf die Endreime zu verzichten, um die von Lovecraft intendierte Erzählform beibehalten zu können. Wie immer bei Gedichten kann es sich nur um eine Nachdichtung handeln.

FUNGI FROM YUGGOTH (Übersetzt von Michael Perkampus)

Ich kann nicht sagen, aus welcher Gruft sie krochen,
Doch Nacht für Nacht erblickte ich die gummiartigen Wesen,
Schwarz und gehörnt und ausgezehrt, mit membranartigen Flügeln
Und Schwänzen, die den zweifachen Stachel der Hölle trugen.
Sie kamen in Heerscharen aus dem Wellengang des Nordwinds
Und verschleppten mich auf monströse Reisen in graue Welten
Die tief im Quell des Albtraums verborgen liegen,
Mit einer obszönen Umklammerung, stechend und brennend.

Unbeachtet aller Schreie, die aus mir brachen
Fegten sie über die zerklüfteten Gipfel von Thok
Und hinunter in die Niederungen bis zu jenem fauligen See,
Wo die aufgeblähten Shoggothen in ihrem zweifelhaften Schlaf treiben.
Aber ach! Wenn sie doch nur ein paar Geräusche machen
Oder ein Gesicht tragen würden, wo man Gesichter finden sollte!

Black Hammer 1: Vergessene Helden

Dass Black Hammer in fast jeder Rezension mit Alan Moores Watchmen verglichen wird, dürfte sich mittlerweile herumgesprochen haben. Liest man den Comic, wird auch schnell klar, warum das so ist. Und doch ist es falsch. Black Hammer hat mit Watchmen nicht viel zu tun, auch wenn hier ebenfalls auf einer Metaebene die Geschichte der Superheldencomics kommentiert wird. Vergleiche sind in diesem Medium oft unerlässlich und nicht zuletzt eine Last, die zu Missverständnissen führen kann. Aber Black Hammer kann tatsächlich neben Watchmen im Regal stehen.

(c) Splitter

Jeff Lemire liebt seine Superheldencomics, und wer weiß, wie Black Hammer ausgesehen hätte, wenn es 2008 erschienen wäre, als er die ersten Skizzen dafür anfertigte. Es ist eben ein Unterschied, ob man sich in der Superhelden-Timeline befindet oder ob man einen Kommentar zum Genre schreibt. Ich bin mir nicht sicher, ob die Metaebene jemals eine größere Rolle gespielt hat als heute, wo Referenzen das Salz in der Suppe sind. Man kann keine neuen Geschichten erzählen, heißt es. Aber was sich immer ändern wird, ist die Art, wie wir sie erzählen. Ja, es wird immer eine Heldenreise geben, und wir haben auch schon die letzte Intrige aufgedeckt, aber die Tatsache, dass überhaupt eine Geschichte erzählt wird, ist ein Zeichen dafür, dass wir ohne Geschichten nicht überleben können.

Auf dem Lande

In diesem Buch treffen wir auf eine Gruppe von Charakteren, die weder ein echtes Team noch eindeutig Superhelden sind. Die Figuren von Jeff Lemire und Dean Ormston wurden vor zehn Jahren aus unbekannten Gründen aus ihrem eigenen Universum verbannt und kämpfen nun mit dem Alltag in einer ländlichen amerikanischen Kleinstadt, buchstäblich mitten im Nirgendwo. Dort sind sie gefangen, und das ist ihr Leben geworden. Einst waren sie Helden, Abenteurer, Mystiker – vor allem aber Ausgestoßene. Da ist die Frau, die ihre Superkräfte nur nutzen kann, wenn sie sich in ein kleines Mädchen verwandelt. Nun ist sie in diesem jungen Körper gefangen, trinkt, raucht und flucht – was nicht gerade wenig Probleme mit sich bringt, wenn es darum geht, unerkannt zu bleiben. Denn das müssen sie neben Haushalt und Landwirtschaft irgendwie schaffen.

(c) Splitter

Dann haben wir Barbalien, einen Außerirdischen von einem kriegerischen Planeten, der zur Erde geschickt wurde, um ihm seine eigene Schwäche vor Augen zu führen.

Sie alle waren Helden und haben ihr Leben geopfert, um die Welt zu retten. Nun sind sie in einer Welt gefangen, in der es keine Helden mehr gibt, sondern nur noch die Kleinstadt und die Farm. Während Abraham Slam nur allzu bereit ist, sich niederzulassen und ein normales Leben zu führen, scheinen andere ehemalige Helden einen aussichtslosen Kampf zu führen – um ihre geistige Gesundheit oder um einen Sinn in ihrem neuen Leben zu finden.

Noch seltsamer ist, dass sie aus unerfindlichen Gründen nicht in der Lage sind, die äußeren Grenzen der Kleinstadt zu überschreiten. Sie sitzen fest. Alle anderen Bewohner der Stadt können kommen und gehen, wie sie wollen. Aber die Helden sind gezwungen zu bleiben und in diesem fremden Land zu leben. Sie haben ihre Grenzen abgesteckt, mit einem tragischen Ergebnis, das wir erst im nächsten Band erfahren werden.

Jeff Lemire ist ein Meister der ländlichen Darstellung. Seine viel beachtete Essex-County-Trilogie spielt in etwa auf derselben ländlichen Ebene. Nur die Hockeyspieler wurden durch Superhelden ersetzt. In ihrer Welt trugen sie Namen wie Golden Gail, Barbalien und Colonel Weird, bei sich zu Hause heißen sie seit zehn Jahren nur noch Gail, Mark und Randall. Lemire nimmt hier den Faden auf, Geschichten über Superhelden zu erzählen, und verbindet ihn mit seiner Gabe, Geschichten über Menschen zu erzählen, die müde und enttäuscht sind von dem, was aus ihrem Leben geworden ist.

Lemire und Ormston zollen der Geschichte des Genres, seiner Vielfalt und sogar den Schöpfern dieser großartigen Geschichten in ihren Erinnerungen an bessere Zeiten, die aus Rückblenden bestehen und diese Frauen und Männer in der Blüte ihres Lebens zeigen, einen liebevollen Tribut. Von der Science-Fiction à la Adam Strange bis hin zu den Horrorgeschichten, an denen Len Wein und Bernie Wrightson gemeinsam gearbeitet haben, ist alles vertreten. Dieser Genre-Mix schafft eine reiche Auswahl an klassischer Atmosphäre. Ormston und Kolorist Dave Stewart bewegen sich hier zwischen Vergangenheit und Gegenwart, zwischen Abenteuer, Horror und Science Fiction, ohne die tonalen Veränderungen in diesen Momenten wirklich spürbar werden zu lassen. Stilistisch gibt es keine großen Veränderungen. Dies ist keine Sammlung von Pastiches und Hommagen; Lemire und Ormston nutzen diese verschiedenen Genres und Referenzen, um ihre eigene originelle Geschichte zu erschaffen.

Während die ehemaligen Helden versuchen, sich in das Bild der Kleinstadt einzufügen, haben sie das äußere Bild einer Familie mit mehreren Generationen angenommen. Sie streiten und zanken sich, aber der bunt zusammengewürfelte Haufen ist auch füreinander da, wenn es darauf ankommt. Die dysfunktionale Familie mag ein wenig klischeehaft erscheinen, aber Lemires Erzählung funktioniert, weil sie sich nicht auf die Dysfunktionalität konzentriert, sondern auf den Preis, den alle für die Trägheit des Landlebens zahlen.

Diese Verschmelzung des Fantastischen mit dem Ländlichen erzeugt die faszinierende Spannung dieses ersten Bandes. Die Bilder, die Ormston zeichnet – von den vielen Facetten des Multiversums bis hin zu einem Diner, in dem sich die Einheimischen nach einem Tag ehrlicher Arbeit treffen – zeigen die verschiedenen Lebensabschnitte dieser Figuren, und es ist schwer zu verstehen, warum sie sich nach der Vergangenheit zurücksehnen. In ihrem früheren Leben war nicht alles eitel Sonnenschein. Sie haben ein Leben für ein anderes geopfert; es ist nicht besser oder schlechter, nur anders.

Splitter-Verlag
ISBN:978-3-96219-081-1
Autor: Jeff Lemire
Zeichner: Dean Ormston
Übersetzer: Katrin Aust
Hardcover, 184 Seiten
Preis: 19,80.-

Swamp Thing: Der Sämann

Alec Holland aka Swamp Thing ist eine der aufregendsten Figuren der ganzen Comicwelt. In der Geschichte dieses Comics gab es viele Höhen und Tiefen, sein letzter eigener Auftritt fand im neuen DC-Universum (New 52) statt, in „DC-Rebirth“ gibt es ihn nur als ein Nebenprodukt (früher war Constantine derjenige, der ihn in seiner eigenen Serie besuchte, jetzt ist es genau andersherum). Der letzte Run um das Swamp Thing stammte von Charles Soule, der damals noch ein recht unbekannter Autor war. Er übernahm die Serie des neuen DC-Universums von Scott Snyder, der hier allerdings weit unter seinem Können blieb und nur halbherzig bei der Sache war.

So menschlich, wie wir sein wollen

Und auch wenn Soule im ersten Sammelband „Der Sämann“ noch ein paar Startschwierigkeiten zu haben schien, lieferte er in der Folge einen atemberaubenden Run ab und stampfte fast alles ein, was zu dieser Zeit bei DC erschien. „Der Sämann“, der dann erst im nächsten Sammelband wirklich eine große Rolle spielt, ist hier noch eine Marginalie, und so scheint es, als sei der Titel bereits der Hinweis auf die Saat, die Soule hier loslässt. Sein erster Band strotzt vor Ideen und Anfängen und es mag auf den ersten Blick aussehen, als würde er sich verzetteln. Tut er aber nicht. Seine Saat geht eben erst etwas später auf. Und er zieht uns Leser ohnehin gleich in den Bann, denn Soule macht Swamp Thing dadurch zu einem überzeugenden Charakter, weil er uns das Herz eines Menschen und die Handlungen eines Monsters vorstellt. Swamp Thing scheint Held und Schurke zugleich zu sein, was ohnehin eine ungewöhnliche Art ist, einen Hauptprotagonisten zu präsentieren.

Soules Eröffnungsmonolog erinnert uns daran, dass sein Vorgänger eine Pflanze war, die dachte, sie sei menschlich, und dass er ein Mensch ist, der denkt, eine Pflanze zu sein. Swampy fühlt sich von Metropolis angezogen, weil er mit Menschen zusammen sein will, die ihn daran erinnern, wie es sich anfühlt, Mensch zu sein. Aber er geht auch in diese Stadt, weil er Superman sprechen und ihn fragen will, warum er mit so viel Macht, die er hat, beschließt, sich wie ein Mensch zu verhalten. Superman antwortet, dass er sich mit den Menschen verbindet, indem er ihnen hilft.

(c) DC

„Wir sind keine Monster – wir können so menschlich sein, wie wir sein wollen“, sagt Superman, und in diesem Satz liegt Soules ganzes Verständnis für diese Figur. Von Anfang an gelingt es Soule, die notwendige Nähe zwischen dem Leser und Swamp Thing zu erzeugen.

Der Sämann

Soule kontrastiert das, indem er Swamp Thing die Arbeit des Sämanns rückgängig machen lässt. Das Wenige, das wir bisher über ihn wissen, ist, dass er in Wüstenregionen reist, um die Erde fruchtbar zu machen. Das klingt nicht nach dem Werk eines Schurken. Swamp Thing – der Avatar des Grüns, die natürliche Lebenskraft des Planeten – tut, was ihm gesagt wird, wie ein gedankenloser Soldat, indem er die Arbeit des Sämanns zerstört, weil dessen Kraft vom Grün abfließt (eine Handlung, die fast derjenigen in Robert Vendittis Green Lantern entspircht, wo ein Wesen namens Relic versucht, die Lanterns zu stopppen, da ihre Ringe das Lichtreservoir des Universums verbrauchen); Soule schrieb zu dieser Zeit die Red Lantern-Serie, deren Handlung dann in die Green Lantern-Serie überging). Es ist verständlich, dass Swamp Thing die Arbeit des Sämanns rückgängig macht, da sonst die Ökologie dieses speziellen Bereichs gestört wird, aber es ändert nichts an der Tatsache, dass die Aktionen von Swamp Thing Tausende von Menschen das Leben kosten

Die Superman-Geschichte hat zwar seine Momente in der Begegnung der beiden Figuren, und sogar mit Scarecrow, dessen Angstgift Swamp Thing versehentlich die Metropole angreifen lässt. Aber trotz seiner Kürze ist es immer noch eine Geschichte, die nicht viel zu erzählen hat. Im Grunde genommen war das Treffen mit Superman der Grund für diese erste Erzählung, in der uns noch einmal die unglaubliche Kraft des Swamp Thing vor Augen geführt wird (auch wenn das gar nicht notwendig ist).

Später in Louisiana trifft Swamp Thing auf eine alte Kreatur namens Capucine, die ihn um Zuflucht bittet. Das ist eine faszinierende Figur, die ebenfalls erst später zur Entfaltung kommt. Hier bekommen wir zunächst eine Rückblende aus einer Vergangenheit, die Jahrhunderte zurückliegt und in der der Vorgänger des Swamp Thing die Regeln für zukünftige Avatare des Grüns festgelegt hat.

Der Whiskeybaum

Der erste Höhepunkt des ganzen Runs ist Der Whiskeybaum, ein Zweiteiler, in dem der Sämann in Fetters Hill aufgetaucht, einem abgelegenen schottischen Dorf, das früher ein florierendes Whiskygeschäft hatte, aber in schwere Zeiten geraten ist. Der Sämann schenkt der Stadt einen unnatürlichen Whiskeybaum, dessen Frucht eine berauschende Bernsteinflüssigkeit produziert, die den Trinker verrückt macht. Dies ist das erste Mal, dass die Handlungen des Sämanns eindeutig auf etwas Negatives hinweist. Während das Swamp Thing versucht, den Schaden wiedergutzumachen, zieht es auch Constantine aufgrund der magischen Präsenz in diese Gegend. Ganz untypisch für ihn, erkennt er nicht, dass der Whiskey, den er trinkt, verflucht und gefährlich ist, und wird selbst zu einer blutrünstigen Person. Leider endet diese Geschichte etwas zu abrupt in einem vierseitigen Finale durch ein Deus ex machina, in dem es dem stark geschwächten Swamp Thing irgendwie gelingt, das Grün zu kontaktieren und jeden, der von dem Whiskey getrunken hat, unschädlich zu machen.

Der Band schließt mit Anton Arcane, der noch im Snyder-Run als Avatar der Fäule eingesetzt wurde. Diese Rolle ist aber nun Abby Arcane zugefallen.In den folgenden Bänden werden wir mehr von ihr sehen. Diese letzte Kapitel erzählt Arcanes Lebensgeschichte in all seiner Grausamkeit.

Jene Charaktere, die schon lange erzählt werden, mögen im Laufe der Zeit inkonsistent wirken. Was bei Swamp Thing jedoch auffällt, ist, dass die Zeichnungen auf einem konstant hohen Level anzusiedeln sind. Angefangen von den frühen Künstlern Bernie Wrightson, Stephen Bissette und Rick Veitch bis hin zu Yanick Paquettes wunderschönem Werk produziert das Kunstteam von „Der Sämann“ (Kano, Alvaro Lopez, David Lapham, Jesus Saiz und Jock) in diesem Buch wunderbare Arbeiten.

Soule bringt Swamp Thing in viele ungleiche Regionen des Planeten – die Wüsten Afrikas, die städtische Metropole, Louisiana, Schottland – und da Swamp Thing aus den Pflanzen dieser Region besteht, ist er in jeder Inkarnation deutlich anders. In der Wüste ähnelt er einem Kaktus; in Louisiana ist er zähflüssiger, um die Sümpfe zu reflektieren; im ländlichen Schottland ist er grüner, um die Wälder zu reflektieren.

Swamp Thing verfügt überall auf der Welt über das Netzwerk des Grüns und seine Reise durch die Welt sieht aus wie eine Trip durch eine alternative Welt. Kano/Laphams Schottland ist besonders reizvoll, da wir hier mit einer erstaunlichen Splash-Seite von Swampy belohnt werden, der so groß ist wie ein Berg, der von einem Wald bedeckt ist, mit einem Wasserfall auf der Schulter. Im Vergleich zu einer früheren Szene, in der er sich auf die Größe eines Auges, das aus einem Baum linst, reduzieren kann, zeigen diese beiden wunderbar gezeichneten Beispiele die Bandbreite, mit der Swamp Thing agieren kann.

Bereits in diesem Band fühlte sich das Swamp Thing wieder frisch an, und in den Folgebänden gelang es Soul auch seine erzählerische Leistung derart zu festigen, dass sein Run zu etwas wirklich Großartigem wurde.

Dennis Etchison: Blut und Küsse

Dennis William Etchison gilt als einer der originellsten lebenden Horror-Autoren Amerikas, gewann dreimal den British Fantasy Award als Autor und einmal den World Fantasy Award als Herausgeber.

The Blood Kiss (dt. Blut und Küsse) war Etchisons dritte Sammlung von Stories, die doch tatsächlich (und man wundert sich) von Bastei/Lübbe 1990 als bisher einzige Veröffentlichung des Meisters psychologischen Horrors auf deutsch erschien. Vermutlich ein Zufall, denn mit der Klasse, mit der Etchison aufwartet, lässt sich kein goldener Bart finanzieren. Das erklärt auch, warum er in Deutschland nahezu unbekannt ist und es kaum einer unserer Verlage angehen wird, diesen großartigen Autor für das hiesige Lesepublikum zu erschließen.
Der Reiz von Etchisons Geschichten, die er selbst so beschreibt:

“… ziemlich dunkel, bedrückend, fast pathologisch nach innen gerichtete Fiktionen über den Einzelnen und sein Bezug zur Welt,”

wird von ihrer Skizzenhaftigkeit erzeugt. Geschehnisse werden anders beleuchtet als gemeinhin üblich. Hinter den Zeilen entsteht eine Menge dunkler Raum, der angereichert ist mit Unbenennbarkeiten. Er lädt ein, sich in ihm zu verlieren, es gibt keinen Weg zurück. In diese Texte dringt man ein oder man bleibt außerhalb stehen. Einen Mittelweg gibt es nicht. Die Sätze nehmen den Leser weder bei der Hand, noch lullen sie ihn ein. Am Ende bleibt das trockene Gefühl auf der Zunge, das Gefühl, etwas Verbotenes beobachtet zu haben, das man nicht ganz versteht, obwohl man es doch gesehen hat; wie ein Alptraum, an den man sich am Morgen nicht mehr erinnern kann. Roh liegen diese Texte vor uns, scheinen keinen Körper zu besitzen, keinerlei Oberfläche, bestechen durch ihre raffinierte Tiefe und einen einzigartigen Stil.

Yuggoth 19 – Die Glocken

Yuggoth

Anmerkung des Übersetzers: Fungi from Yuggoth besteht aus 36 Sonetten, die Lovecraft zwischen dem 27. Dezember 1929 und dem 4. Januar 1930 verfasste. Ausgewählte Sonette wurden im Weird Tales Magazine veröffentlicht. Erstmals komplett erschien der Zyklus in Lovecrafts Sammlung “Beyond the Wall of Sleep”, die von August Derleth 1943 herausgegeben wurde, sowie 2001 in “The Ancient Track: The Complete Poetical Works of H. P. Lovecraft”. Die erste Publikation, die den Zyklus in der richtigen Reihenfolge brachte,  war “Fungi From Yuggoth & Other Poems”. Herausgegeben von Random House 1971. Lovecraft wählte für seinen Zyklus eine Mischform aus Sonetten-Stilen. Bei genauerem Hinsehen ist es schwierig, wirklich von Sonetten zu sprechen. Als Übersetzer habe ich mich dafür entschieden, auf die Endreime zu verzichten, um die von Lovecraft intendierte Erzählform beibehalten zu können. Wie immer bei Gedichten kann es sich nur um eine Nachdichtung handeln.

FUNGI FROM YUGGOTH (Übersetzt von Michael Perkampus)

Jahr für Jahr hörte ich dieses dumpfe, weit entfernte
Läuten von tiefklingenden Glocken, getragen vom schwarzen Mitternachtswind;
Sie ertönten von keinem Kirchturm, den ich jemals finden konnte,
Aber sie klangen merkwürdig, wie durch eine große Leere getragen.
Ich suchte in meinen Träumen und Erinnerungen nach einem Anhaltspunkt
Und dachte an all die Glockentöne, die meine Visionen trugen;
An das stille Innsmouth, wo die weißen Möwen um einen
Alten Turm herum verweilten, den ich einst kannte.

Stets war ich verwirrt, wenn ich diese weit entfernten Töne fallen hörte,
Bis mich in einer Märznacht der düstere, klirrende Regen
Durch die Tore der älteren Türme zurückrief, dorthin,
Wo die bösartigen Schwingungen sich wie toll gebärdeten.
Die Glocken läutetet – aber sie sprachen von sonnenlosen Gezeiten,
Die sich durch versunkene Täler auf dem toten Meeresboden ergießen.

Yuggoth 18 – Die Gärten von Yin

Yuggoth

Anmerkung des Übersetzers: Fungi from Yuggoth besteht aus 36 Sonetten, die Lovecraft zwischen dem 27. Dezember 1929 und dem 4. Januar 1930 verfasste. Ausgewählte Sonette wurden im Weird Tales Magazine veröffentlicht. Erstmals komplett erschien der Zyklus in Lovecrafts Sammlung “Beyond the Wall of Sleep”, die von August Derleth 1943 herausgegeben wurde, sowie 2001 in “The Ancient Track: The Complete Poetical Works of H. P. Lovecraft”. Die erste Publikation, die den Zyklus in der richtigen Reihenfolge brachte,  war “Fungi From Yuggoth & Other Poems”. Herausgegeben von Random House 1971. Lovecraft wählte für seinen Zyklus eine Mischform aus Sonetten-Stilen. Bei genauerem Hinsehen ist es schwierig, wirklich von Sonetten zu sprechen. Als Übersetzer habe ich mich dafür entschieden, auf die Endreime zu verzichten, um die von Lovecraft intendierte Erzählform beibehalten zu können. Wie immer bei Gedichten kann es sich nur um eine Nachdichtung handeln.

FUNGI FROM YUGGOTH (Übersetzt von Michael Perkampus)

Jenseits dieser Mauer, deren altes Gefüge
In moosverdickten Türmen fast bis zum Himmel reichte
Könnte man terrassenförmige Gärten finden, reich an Blumen,
Und in denen Vögel, Schmetterlinge und Bienen schwirren.
Es gäbe Spazierwege und Brücken, die sich über warme
Lotosbecken wölben und die Dachtraufen des Tempels reflektieren,
Und Kirschbäume mit zarten Ästen und Blättern
Vor einem rosa Himmel gelegen, in dem die Reiher schweben.

Alles wäre da, denn hätten sonst alte Träume das Tor
Zu diesem steinernen Labyrinth geöffnet,
In dem sich schläfrige Ströme winden,
Begleitet von grünen Reben, die an gekrümmten Zweigen hängen?
Ich sputete mich – aber als sich die Mauer vor mir erhob, düster und groß,
Stellte ich fest, dass es keinen Zugang mehr gab.

Yuggoth 17 – Eine Erinnerung

Yuggoth

Anmerkung des Übersetzers: Fungi from Yuggoth besteht aus 36 Sonetten, die Lovecraft zwischen dem 27. Dezember 1929 und dem 4. Januar 1930 verfasste. Ausgewählte Sonette wurden im Weird Tales Magazine veröffentlicht. Erstmals komplett erschien der Zyklus in Lovecrafts Sammlung “Beyond the Wall of Sleep”, die von August Derleth 1943 herausgegeben wurde, sowie 2001 in “The Ancient Track: The Complete Poetical Works of H. P. Lovecraft”. Die erste Publikation, die den Zyklus in der richtigen Reihenfolge brachte,  war “Fungi From Yuggoth & Other Poems”. Herausgegeben von Random House 1971. Lovecraft wählte für seinen Zyklus eine Mischform aus Sonetten-Stilen. Bei genauerem Hinsehen ist es schwierig, wirklich von Sonetten zu sprechen. Als Übersetzer habe ich mich dafür entschieden, auf die Endreime zu verzichten, um die von Lovecraft intendierte Erzählform beibehalten zu können. Wie immer bei Gedichten kann es sich nur um eine Nachdichtung handeln.

FUNGI FROM YUGGOTH (Übersetzt von Michael Perkampus)

Hier gab es weite Steppen und felsige Tafellandschaften,
Die sich in sternenklarer Nacht fast grenzenlos entfalteten,
Durchwoben von fremdartigen Lagerfeuern, die ihr schwaches Licht
Auf Bestien mit klingenden Schellen an zottigen Bändern warfen.
Weit im Süden neigte sich die Ebene tief und breit
Hinab zu einer dunkel-irren Linie aus Mauern,
Die wie eine riesige Python eines urzeitlichen Tages warteten,
Dessen verlorene Zeit längst erkaltet und versteinert war.

Ich zitterte eigentümlich in der kalten, dünnen Luft
Und fragte mich, wo ich war und wie ich hierher gekommen bin,
Als sich eine verhüllte Gestalt gegen das grelle Licht
Eines Lagerfeuers abhob und sich näherte und mich bei meinem Namen rief.
Als ich auf das tote Gesicht unter der Kapuze starrte,
Ließ ich alle Hoffnung fahren, denn ich verstand.

Batman: Der Rat der Eulen (New 52)

Beim erneuten Lesen von “Der Rat der Eulen” war ich wieder einmal beeindruckt von der schieren Brillanz dieser Batman-Geschichte, die Autor Scott Snyder und Zeichner Greg Capullo geschaffen haben. Auch fast ein Jahr, nachdem ich sie zum ersten Mal gelesen habe, hat die Geschichte nichts von ihrer Energie, ihren Intrigen und ihrer kraftvollen Erzählweise eingebüßt, die mich von der ersten bis zur letzten Seite gefesselt und in ihren Bann gezogen haben. Für diejenigen, die die Geschichte noch nicht kennen: Es geht um eine mythische Illuminatengruppe, den Rat der Eulen, die Gotham City seit Jahrhunderten im Verborgenen regiert. So geheim, dass selbst Bruce Wayne nichts von ihnen wusste und sie wie alle anderen als Spukgeschichte für Kinder abtat. Doch als Bruce beginnt, Pläne für eine komplette Erneuerung der Infrastruktur von Gotham City vorzulegen, beginnen sie, ihre Herrschaft über die Stadt durch untote Meisterkiller, die Talons, wieder geltend zu machen.

Nun ist der Dunkle Ritter das Ziel der Eulen, und Bruce entdeckt, dass die Stadt, die er so gut zu kennen glaubte, etwas ganz anderes ist, ein völlig fremder und unbekannter Ort voller böser Überraschungen.

Rat der Eulen
(c) DC

Obwohl Batman einer der wenigen Charaktere ist, die wirklich keine Einführung brauchen, liefert Snyder sie dennoch, indem er sich die Zeit nimmt, die Figuren vorzustellen und dieses Buch auch für Batman-Neulinge zugänglich zu machen. Das ist der erste Hinweis darauf, dass Snyder wirklich weiß, was er tut. Snyder stattet Bruce mit einer computergesteuerten Kontaktlinse und einem In-Ear-Mikrofon aus, das ihm die Namen und Hintergründe aller Personen verrät, denen er begegnet, so dass er in der Eröffnungsszene auf unerklärliche Weise alle Personen zu kennen scheint, denen er vorgestellt wird. Die Einführungen mit Untertiteln machen den neuen Leser auch mit den Akteuren vertraut, ohne dass diese Informationen umständlich in die Dialoge gepackt werden müssen.

Die hochmoderne Technologie ist ein Grundpfeiler dieses Buches, denn wir sehen Batman, wie er immer ausgeklügeltere Gadgets benutzt, wie den Laserschneider, den Mikromagneten und den photogrammetrischen Scanner, der in der Leichenhalle der Stadt installiert ist und es ihm ermöglicht, holografische Projektionen von Mordopfern zu sehen, während er sich in der Batcave aufhält. Natürlich muss Batman über eine fortschrittliche Ausrüstung verfügen, schließlich ist er der Besitzer von Wayne Tech, und wer keine Superkräfte hat, muss sich auf Gadgets verlassen, die ihm einen Vorteil gegenüber denen verschaffen, die sie haben. Der Fokus auf futuristische Technologie ist ein schöner Kontrapunkt zu dem, wofür der Rat der Eulen steht – das ewige Vertrauen in die Vergangenheit. Ihre Talons sind längst verstorbene Elite-Attentäter, die durch eine chemische Verbindung wiederbelebt werden können, als wären sie nie gestorben. Diese Verbindung ermöglicht es ihnen auch, Schäden an ihren Körpern fast augenblicklich zu regenerieren, was sie selbst für Batman zu gefährlichen Gegnern macht.

Batman
Credit: DC

Ihre Outfits sehen auch sehr steampunkig aus, irgendwie technisch, aber im Stil des 19. Jahrhunderts und definitiv nicht so glatt und raffiniert wie der Stil. Aber sie sind perfekt gemacht, vor allem, wenn man darüber nachdenkt, wie um alles in der Welt man Menschen in Eulenkostümen unheimlich aussehen lassen kann, und dann das fertige Produkt sieht – das Outfit deutet Eulenmerkmale an, ohne sie zu offensichtlich zu machen, und das funktioniert wirklich gut. Man muss sich nur diese leuchtenden Augen ohne Pupillen ansehen.

Was mir an diesem Buch am besten gefällt, ist die Art und Weise, wie Snyder und Capullo den Horror – den echten Horror – zu Batman zurückbringen. Batmans ganzes Auftreten basiert auf Angst, und seine Geschichten sind oft düster, aber es ist lange her, dass eine Batman-Geschichte wirklich beunruhigend war, eine Eigenschaft, die nicht für jede Batman-Geschichte wesentlich ist, die aber nicht ganz weggelassen werden sollte. Snyders Rat wird zunächst durch alte Fotografien aus dem 19. Jahrhundert illustriert, auf denen Capullo sie als wohlhabende Leute mit gesichtslosen Eulenmasken darstellt – eine starke und abschreckende Wirkung. Snyder schreibt die Batman-Mythologie aktiv um, damit sie zu seiner Geschichte passt, so dass die Eule nicht nur ein weiterer neuer Feind ist, gegen den Batman kämpfen muss, sondern etwas, das schon immer Teil seines Lebens war, ohne dass er es wusste.

Rat der Eulen
(c) DC

Von der Andeutung, dass Joe Chill nicht nur ein einfacher Straßenräuber war, bis zur Neuinterpretation von Halys Zirkus als Brutstätte für die Rekrutierung neuer Talons, was die erste Begegnung von Bruce und Dick Grayson in einem völlig neuen Licht erscheinen lässt (Dick war dazu bestimmt, ein Talon zu werden, bis Bruce ihn aufnahm), erschafft Snyder die Welt von Batman im Alleingang neu. Ein hervorragendes Gegenstück zu diesem Buch ist The Gates of Gotham (Die Tore von Gotham), das zu den Anfängen von Gotham City zurückkehrt, als die Stadt von den herrschenden Familien, den Waynes, den Cobblepots, den Kanes und den Elliotts, aufgebaut wurde. In diesem Buch verbindet Snyder die Vergangenheit Gothams mit dem Rat von Bruce’ Vorfahren Alan Wayne, der unter mysteriösen Umständen ums Leben kam. Es ist eine meisterhafte Verbindung, und obwohl man Gates nicht lesen muss, um dieses Buch zu verstehen, zeigt es doch, wie reich Snyders Geschichte ist und wie gut er diesen Handlungsbogen geplant hat. Der seltsame Tod von Alan Wayne veranlasst Bruce, die Stelle zu untersuchen, an der die Leiche seines Vorfahren gefunden wurde, und führt uns zu dem Teil des Buches, der zu Recht am meisten besprochen wird – das Labyrinth der Eulen..

Bis zu diesem Punkt gibt es viele Momente, in denen Capullos enormes Talent zum Vorschein kommt, wie z.B. die Art und Weise, wie er das zerbrechende Glas zeichnet, als Bruce aus dem obersten Stockwerk des Old Wayne Towers geworfen wird, oder wie Batman durch ein Fenster in Arkham geschleudert wird, und nicht zu vergessen sein Talon-Design. Aber so gut seine Zeichnungen auch waren, ich hatte das Gefühl, dass Snyders Skript im Mittelpunkt des Buches stand – bis zur Labyrinth-Sequenz. In diesem Teil des Buches ist Snyders Skript sparsam mit Dialogen und enthält kurze, abgehackte Aussagen von Batmans innerem Monolog. Batman irrt tagelang durch das schattenhafte Labyrinth, völlig verloren in dieser Konstruktion, deren Komplexität er noch nie zuvor erlebt hat, und weiß nicht einmal, wo in Gotham er sich befindet.

Als wir ihn sehen, ist das linke Auge seiner Maske zerbrochen und wir sehen sein menschliches Auge, durch das seine wachsende Angst deutlich sichtbar ist. Seit wer weiß wie langer Zeit hat er weder Nahrung noch Wasser zu sich genommen. Von den dunklen ersten Seiten dieser Sequenz werden Batman und der Leser plötzlich in einen Raum gestoßen, der von einer albtraumhaft hellen, weißen, riesigen Eulenstatue beherrscht wird, die klares, blaues Wasser aus ihrem Schnabel spuckt. Das Bild ist so verblüffend und kraftvoll – es ist perfekt gezeichnet und gibt sehr effektiv den Ton an. Das Wasser ist wahrscheinlich mit Drogen versetzt, aber Batman nimmt verzweifelt einen Schluck… Von nun an wechseln Capullos Panels vom vorherrschenden Schwarz zum strahlenden Weiß, wenn Batman von einer beunruhigenden Situation in die nächste gerät. Von der Eulenstatue bis zum Raum mit den Fotos der früheren Bewohner des Labyrinths – Bruce’ Vorfahren -, die, je länger sie im Labyrinth gefangen waren, immer verwirrter wurden, bis sie schließlich verrückt wurden und starben.

Und hier beginnen Snyder und Capullo mit dem Comicformat zu spielen, indem sie die Panels seitlich anordnen, so dass man das Buch seitlich drehen muss, bis man es auf den Kopf stellt und rückwärts liest! Das ist eine geniale Art, Batmans Orientierungslosigkeit darzustellen. Batman beginnt zu halluzinieren, und wir werden mit fantastischen und eindringlichen Bildern konfrontiert, wenn das Gericht physisch als Teil einer Eule erscheint. Batman beginnt sogar, sich in eine Vogelgestalt zu verwandeln, wie eine Figur aus Roald Dahls Der magische Finger, bevor er sich in eine monströse Fledermaus verwandelt. Es ist eine erstaunliche Sequenz, die man wirklich gesehen haben muss, um sie zu glauben.

Das Buch ist fast makellos. Die charakterstarke Geschichte, die tolle Atmosphäre aus Horror und Action, die unglaublichen Zeichnungen, das Tempo – all das fügt sich wunderbar zu einem der besten Bücher der DC-Neuauflage zusammen. Der Rat der Eulen ist ein großartiges Batman-Buch, das jeder Batman-Fan lesen sollte, und wer es noch nicht gelesen hat, sollte es ganz oben auf seine Leseliste setzen.

Grant Morrison übernimmt erneut Batman

Der legendäre Comic-Zauberer Grant Morrison hat schon seit einiger Zeit ein neues Superhelden-Projekt der großen Zwei (das sind Marvel und DC) angedeutet. Obwohl nur wenige Details bekannt sind, hat Morrison nun endlich verraten, dass es sich um ein DC-Projekt handelt – und darüber hinaus wird der Comic die Rückkehr des Autors zu Batman markieren, einer Figur, die er in den 00er Jahren zu neuen psychedelischen Höhen geführt hat.

“Ich muss diese Dinge nicht mehr machen, ich mache es nur, wenn es etwas Interessantes ist”,

sagt Morrison im Podcast Comic Book Couples Counseling (via AiPT). “Es ist nicht Superman, sondern ein Batman-Ding.” Morrisons Batman revolutionierte die moderne Darstellung des Charakters, indem er seinen Sohn Damian einführte, längst vergessene Sci-Fi-Stil-Elemente aus Batmans Silver-Age-Ära wieder aufgriff und Batman in der Geschichte Batman RIP sogar scheinbar tötete (technisch gesehen wurde er allerdings nur in andere Zeitschienen verschoben).

Während Bruce Wayne von der Bildfläche verschwunden war, erhob Morrison Dick Grayson aka Nightwing in die Rolle des Batman. Er brachte auch Bruces Sohn Damian Wayne als Graysons eigenen Robin ins Spiel und führten damit eine aufregende neue Dynamik ein, bei der Grayson, selbst ein ehemaliger Robin, ein optimistischerer Batman mit Damian Wayne als grüblerischen Wunderknaben im Schlepptau war. Obwohl Morrisons Batman einen der populärsten Superhelden-Runs der Welt ist, war er auch eines der esoterischsten Werke, das sich mit Konzepten wie Gehirnwäsche, ritueller Magie, Zeitreisen und lange verschollenen bösen Gespenstern aus Bruce Waynes Vergangenheit beschäftigte. In den mehr als zehn Jahren, in denen er Batman hinter sich gelassen hat, ist Morrison nicht weniger mystisch oder achtsam geworden, so dass es besonders spannend ist, zu sehen, wie seine Herangehensweise an den Caped Crusader in der modernen Ära aussehen wird.

Der Macbeth-Fluch

Macbeth, eines der populärsten Stücke Shakespeares, weist eine bizarre und gefährliche Vergangenheit auf, die bis zu seiner Uraufführung Anfang des 16. Jahrhunderts zurückreicht. Die Behauptung, dass es einen Macbeth-Fluch gebe, ist eine auffallende Anomalie. In dem Stück wird Macbeth von Schlaflosigkeit geplagt, und seine Frau, Lady Macbeth, neigt zum Schlafwandeln. Im Verlauf des Stücks manifestiert sich bei Macbeth zunehmend eine paranoide Symptomatik, die durch die Besorgnis motiviert ist, seine Verfehlungen könnten ans Licht gebracht werden. Der Geist Banquos, den Macbeth hat töten lassen, kehrt zurück, um ihn heimzusuchen und symbolisiert sein schlechtes Gewissen.

Die Legende besagt, dass der Junge, der die Rolle der Lady Macbeth spielte, während der ersten Aufführung erkrankte und kurz vor der Aufführung starb. Shakespeare selbst musste sich daraufhin verkleiden, um die Rolle zu spielen.

König Jakob I. soll von dem blutigen Geschehen auf der Bühne so angewidert gewesen sein, dass er die Wiederaufführung des Stücks für mehrere Jahre verbot. Das Stück wurde weiterhin von Tragödien heimgesucht. Besonders gefährlich war es, die Rolle der Lady Macbeth zu spielen. Schauspielerinnen, die diese Rolle spielten, wurden vom Publikum aus dem Theater gejagt, weil sie glaubten, die Schauspielerin sei eine echte Mörderin. Eine andere Schauspielerin stürzte während der berüchtigten Schlafwandlerszene fünf Meter tief von der Bühne. Und 1926 improvisierte ein kleiner Schauspieler seine Rolle und versuchte, Lady Macbeth auf der Bühne zu erwürgen. Bei einer Aufführung 1849 in New York geriet das Publikum so in Rage, dass ein Aufstand ausbrach, bei dem mehr als 30 Menschen starben.

Die Aufführungen des 20. Jahrhunderts waren besonders brutal. Als Laurence Olivier 1937 die Titelrolle spielte, löste sich auf mysteriöse Weise ein Schwergewicht über der Bühne und stürzte nur wenige Zentimeter neben dem Schauspieler zu Boden. In dieser Inszenierung wurden in den Kampfszenen leichtsinnigerweise echte Schwerter verwendet. In einem Fall brach die Spitze eines der Schwerter ab und flog in den Zuschauerraum. Sie traf einen Mann und verursachte bei ihm einen Herzinfarkt. Den Rekord für die meisten Unfälle hält eine Produktion von 1942 mit John Gielgud in der Hauptrolle. Drei Schauspieler starben während der Aufführung und der Kostümbildner beging unmittelbar nach der Premiere Selbstmord. 1953 spielte Charlton Heston die Hauptrolle und erlitt schwere Verbrennungen an den Beinen. Später stellte sich heraus, dass seine Strumpfhose auf mysteriöse Weise mit Kerosin getränkt worden war. Die Liste des Unglücks ist lang.

Theaterleute sind ein abergläubischer Haufen, und alles, was so viel Ärger macht wie Macbeth, hat eine ganze Reihe von Überlieferungen. Zum Beispiel spricht niemand den Namen “Macbeth” aus, es sei denn, es wird für das Stück geprobt oder es wird tatsächlich aufgeführt. Das Stück selbst wird in Theaterkreisen allgemein als “The Scottish Play” bezeichnet. Natürlich kommt es vor, dass Schauspieler den Titel des Stücks versehentlich aussprechen. Und es gibt zahlreiche Geschichten darüber, wie das Unglück abgewendet werden kann, wenn dies geschieht. Die meisten Varianten sehen vor, das Theater zu verlassen, sich dreimal umzudrehen, zu fluchen, über die linke Schulter zu spucken und darauf zu warten, dass man wieder ins Theater eingeladen wird. Die große Frage ist, was den Macbeth-Fluch ausgelöst hat. Dazu gibt es verschiedene Ansichten. Eine besagt, dass Shakespeare in seinem Stück eine Beschwörungsformel verwendet hat. Die Hexen, die der Aufführung beiwohnten, wurden so wütend, dass sie alle zukünftigen Aufführungen des Stücks verfluchten. Eine andere Version besagt, dass Shakespeare selbst das Stück verfluchte, nachdem König Jakob I. eine erneute Aufführung verboten hatte. Was auch immer der Grund sein mag, die Theatergruppen bleiben misstrauisch gegenüber dem Bühnenstück, auch wenn es sich als Publikumsliebling erweist.

Yuggoth 16 – Das Fenster

Yuggoth

Anmerkung des Übersetzers: Fungi from Yuggoth besteht aus 36 Sonetten, die Lovecraft zwischen dem 27. Dezember 1929 und dem 4. Januar 1930 verfasste. Ausgewählte Sonette wurden im Weird Tales Magazine veröffentlicht. Erstmals komplett erschien der Zyklus in Lovecrafts Sammlung “Beyond the Wall of Sleep”, die von August Derleth 1943 herausgegeben wurde, sowie 2001 in “The Ancient Track: The Complete Poetical Works of H. P. Lovecraft”. Die erste Publikation, die den Zyklus in der richtigen Reihenfolge brachte,  war “Fungi From Yuggoth & Other Poems”. Herausgegeben von Random House 1971. Lovecraft wählte für seinen Zyklus eine Mischform aus Sonetten-Stilen. Bei genauerem Hinsehen ist es schwierig, wirklich von Sonetten zu sprechen. Als Übersetzer habe ich mich dafür entschieden, auf die Endreime zu verzichten, um die von Lovecraft intendierte Erzählform beibehalten zu können. Wie immer bei Gedichten kann es sich nur um eine Nachdichtung handeln.

FUNGI FROM YUGGOTH (Übersetzt von Michael Perkampus)

Das Haus war alt und zeigte seine abgetragenen, verschlungen Flügel
Auf eine Weise, die niemand jemals auch nur zur Hälfte zu fassen vermochte,
Und in einem kleinen Raum etwas weiter hinten befand sich
Ein seltsames, mit altem Stein versiegeltes Fenster.
Dort ging ich ganz allein in einer traumgeplagten Kindheit,
Wo die Nacht undeutlich und schwarz regierte;
Durchtrennte die Spinnweben mit einer seltsamen Furchtlosigkeit
Und mit einem jedes Mal wachsenden Staunen.

Einen Tag später brachte ich die Maurer dorthin, um herauszufinden,
Welche Aussicht meine düsteren Vorfahren gemieden hatten,
Aber als sie den Stein durchbohrten, brach ein Luftstrom
Aus den fremdartigen Hohlräumen, die jenseits des Steines gähnten.
Sie flohen, aber ich schaute hindurch und fand entfaltet all
Die wilden Welten vor, die auch in meinen Träumen tobten.

Ein Medium im Aufstieg

Comics verfügen seit jeher über spezifische Vorteile gegenüber anderen Medienformen – etwa ihre jahrhundertealte Tradition sowie ihre beinahe universelle Verbreitung. Die Annahme, dass Comics das kommende Jahrhundert dominieren könnten, lässt sich nur dann angemessen verstehen, wenn man anerkennt, dass sie bereits in früheren Jahrhunderten eine bedeutende Rolle gespielt haben – insbesondere in jenen Epochen, die vor der weitverbreiteten Alphabetisierung lagen. Bildhafte Ausdrucksformen wie Glasfenster, Mosaike, politische Karikaturen oder Graffiti lassen sich ebenso der Welt der Comics zurechnen wie heutige digitale Phänomene, etwa Memes oder animierte GIFs in sozialen Netzwerken. Auch wenn diese Artefakte nicht immer auf Originalzeichnungen basieren oder sich strikt sequentiell entfalten, eint sie doch die grundsätzliche Verbindung von Bild und Text – jene radikale Fusion, die das Medium Comic im Kern definiert. In diesem weiten Sinne sind Comics eine universelle kulturelle Ausdrucksform, die in nahezu allen Gesellschaften zu finden ist – historisch wie gegenwärtig. Selbst im hypothetischen Fall des Verschwindens anderer Medienformen würden Comics fortbestehen – als widerständiges und zugleich flexibles künstlerisches Ausdrucksmittel.

Ein zentraler Vorzug von Comics ist dann auch ihre ökonomische Zugänglichkeit. Im Vergleich zu aufwendig produzierten Medien wie Film und Fernsehen sind Comics nicht nur kostengünstig in der Herstellung, sondern auch relativ preiswert in der Rezeption. Diese niedrige ökonomische Schwelle eröffnet dem Medium eine außergewöhnlich große Bandbreite an möglichen Erzählformen. Anders als im Film, wo die Notwendigkeit besteht, oftmals erhebliche Produktionskosten zu amortisieren, erlaubt der Comic individuelle Ausdrucksformen, die unabhängig von institutionellen Zwängen entstehen können. Ein prominentes Beispiel hierfür ist Art Spiegelman, der aus Skizzen, Notizbüchern sowie einfachen Bastelmaterialien das Werk Maus schuf – ein Meilenstein der Comicgeschichte, der mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet wurde. Orson Welles, der zeitlebens unter dem Druck von Filmproduzenten stand, hätte sich eine derartige künstlerische Autonomie vermutlich gewünscht. Seine Vorstellung vom Film als einer Art Roman, den er in seiner „eigenen verdammten Zeitvorstellung“ vollenden könne, bleibt im Filmbereich ein Wunschtraum – im Comic jedoch gelebte Realität. (Nebenbei bemerkt: Welles selbst war ein talentierter Zeichner im Stil von Terry Gilliam und hätte durchaus eine Karriere als Comiczeichner verfolgen können.)

Die digitale Revolution hat diesem kreativen Potenzial zusätzlichen Auftrieb verliehen: Noch nie war es so einfach, unabhängig produzierte Comics zu erstellen, zu verbreiten und zu konsumieren. Zwar existierte eine lebendige Indie-Comic-Szene bereits vor dem Internetzeitalter, doch heute ermöglicht die Online-Verfügbarkeit eine Distribution in Farbe und globalem Maßstab – weit über die früheren schwarzweißen Fotokopien hinaus, die dennoch in ihrer nostalgischen Ästhetik weiterhin Bestand haben.

Im Verlauf der letzten Jahrzehnte hat sich zudem die gesellschaftliche Wahrnehmung des Mediums grundlegend gewandelt. Comics werden zunehmend als legitime kulturelle Ausdrucksform anerkannt – und das nicht mehr nur innerhalb von Subkulturen, sondern auch im breiten gesellschaftlichen Diskurs. Selbst diejenigen, die sich einst abfällig gegenüber dem Medium äußerten – darunter etwa konservative Lehrkräfte oder Schulbehörden –, greifen mittlerweile auf Begriffe wie Graphic Novel zurück, um die intellektuelle Legitimität des Lesens von Comics zu unterstreichen. Auch wenn diese begriffliche Distanzierung weiterhin elitäre Abgrenzung erkennen lässt, wird doch implizit anerkannt, dass es sich bei Comics um ein ausgereiftes, narratives Medium mit historischer Tiefe und kultureller Relevanz handelt. Mit dem fortschreitenden Generationswechsel dürfte sich diese Haltung weiter abschwächen – zugunsten einer umfassenderen gesellschaftlichen Akzeptanz.

Parallel zu dieser kulturellen Neubewertung lässt sich auch ein qualitativer Aufschwung des Mediums beobachten. Zwar wurden bereits in den 1980er Jahren mit Werken wie Maus, American Splendor, Watchmen oder The Dark Knight Returns künstlerische Maßstäbe gesetzt, doch handelte es sich hierbei um singuläre Ausnahmen innerhalb einer eher durchwachsenen Produktionslandschaft. Heute hingegen erscheinen regelmäßig Werke von ähnlich hoher künstlerischer Qualität. Die kontinuierliche Weiterentwicklung spiegelt sich in der wachsenden Zahl ausgezeichneter Publikationen wider – sichtbar etwa an der zunehmenden Bedeutung von Auszeichnungen wie den Eisner Awards. Autoren und Zeichner wagen sich an immer komplexere Themen heran, Verlage zeigen eine größere Risikobereitschaft, und das Publikum ist offener denn je. Der digitale Vertrieb trägt dazu bei, dass ein globales Publikum Zugang zu einer enormen Vielfalt an Werken erhält – und dass wirklich für jeden etwas dabei ist.

Zweifellos werden Film und Fernsehen auch im 21. Jahrhundert ihren festen Platz im medialen Gefüge behalten – sei es im klassischen Kinosaal oder auf digitalen Plattformen. Doch die strukturellen Hürden dieser Medien bleiben hoch: Sie erfordern umfangreiche technische Ressourcen, große Teams und erhebliche finanzielle Mittel. Im Gegensatz dazu genügen im Comic häufig ein Blatt Papier, ein Stift und eine Idee – um Geschichten zu erzählen, die ebenso berühren, herausfordern und unterhalten können. Solange es Menschen gibt, die ihre Gedanken in Wort und Bild fassen wollen, wird es Comics geben. Und vieles spricht dafür, dass die besten Zeiten dieses Mediums noch vor ihm liegen.

Yuggoth 15 – Antarktos

Yuggoth

Anmerkung des Übersetzers: Fungi from Yuggoth besteht aus 36 Sonetten, die Lovecraft zwischen dem 27. Dezember 1929 und dem 4. Januar 1930 verfasste. Ausgewählte Sonette wurden im Weird Tales Magazine veröffentlicht. Erstmals komplett erschien der Zyklus in Lovecrafts Sammlung “Beyond the Wall of Sleep”, die von August Derleth 1943 herausgegeben wurde, sowie 2001 in “The Ancient Track: The Complete Poetical Works of H. P. Lovecraft”. Die erste Publikation, die den Zyklus in der richtigen Reihenfolge brachte,  war “Fungi From Yuggoth & Other Poems”. Herausgegeben von Random House 1971. Lovecraft wählte für seinen Zyklus eine Mischform aus Sonetten-Stilen. Bei genauerem Hinsehen ist es schwierig, wirklich von Sonetten zu sprechen. Als Übersetzer habe ich mich dafür entschieden, auf die Endreime zu verzichten, um die von Lovecraft intendierte Erzählform beibehalten zu können. Wie immer bei Gedichten kann es sich nur um eine Nachdichtung handeln.

FUNGI FROM YUGGOTH (Übersetzt von Michael Perkampus)

Tief in meinem Traum flüsterte der große Vogel Sonderbares
Von einem schwarzen Kegel inmitten der polaren Ödnis;
Einsam und trostlos, von sturmgepeitschten Äonen zerschlagen
Und verunstaltet über die Eisdecke gedrängt.
Bis hierher drang keine lebendige Erdform je vor,
Und nur blasse Polarlichter und schwache Sonnen
Glühen auf diesem zerklüfteten Felsen, dessen Ursprünge
Von den Älteren Göttern nur schwach erahnt werden.

Wenn Menschen je einen Blick darauf werfen sollten, würden sie sich
Lediglich fragen, welch komplexen Aufwurf der Natur sie da erspähten.
Aber der Vogel erzählte von ausgedehnteren Gebieten, die unter
Dem kilometerlangen Eisschleier kauern und brüten und abwarten.
Gott helfe dem Träumer, dessen wahnsinnige Visionen
Die toten Augen in den Kristallgraben dort unten entdecken!

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