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Schlagwort: Albera Anders

Was ihr schwarzes Unwesen nach sich zieht

Geschrieben von A. Anders

Hieß zu Lebzeiten einer anders als Hans Christian,
haben sie ihm das Schafott mit Airbrush verschönert
und geraten, doch ein wenig konsequenter als bisher
ins vor ihm entfachte Feuer zu starren.

Verschluckt hatte man sich ohnehin nur
nach Aufforderung von ganz oben,
um im Nachhinein
so etwas wie Bettwäschedruck zu verspüren.

Vielleicht fiele einem dann auch die Frau mit dem Kopf einer Eselin ein,
die einen auf der anderen Seite des Flusses zu sich gewunken hatte,
um einem ins Ohr zu flüstern:

Stehen zwei Türme nah beieinander,
sind sie kaum mehr zu unterscheiden.

Aus den Brunnen

Geschrieben von A. Anders

Wir haben verwahrt, aufgebahrt und hergerichtet.
Die Tische. Die Stühle. Auf den Tellern
die Masken. Die gelösten
Zungen im Glas. Nun ist dieser Raum
offenen Mundes
für immer zu schließen.

Nackt und uneingeladen
steigt aus den Brunnen
die Wahrheit mit ihrem Reisigbesen.

Teichbestandteile

Geschrieben von A. Anders

Es ist warm. Schwalben tauchen in die verspiegelten Fenster des großen schweren Hauses hinter mir. Während ich Nachtblätter mit leuchtend grünen Adern sammele, löst sich das Tuch, das ich mir um mein Haar geschlungen, auf meinem Kopf zu einem Dutt gebunden hatte. An meinem Hals, über meine Brust lassen sich Nattern in alle Himmelsrichtungen in meinen Garten herab. Ich werde schwarz und werde warten, bis die Schwalben das schwere Haus wieder verlassen. Als sie dann irgendwann aus den offenen Augen schwärmen, dringen die Nattern, nunmehr verjüngt, aus den umstehenden Büschen hervor. Sie lachen mit Stimmen noch sehr junger Kinder, die, während sie an meinem Körper hochschlängeln, meinen Körper tasten. Eine von ihnen hält an meinem Rücken auf Höhe meiner rechten Niere und sagt: „Teichbestandteile“. Die anderen unterdessen zischeln: „Es sind Kinder, die einen Lotos zerpflücken!“

Lethe

Geschrieben von A. Anders

Sie wuschen ihn,
kleideten ihn ein,
drapierten seine Arme
verschränkt auf seinem Brustkorb.

Sie schlossen ihre Augen
und legten sich neben ihn,
um ihn ein Stück
seines Weges begleiten zu können.

Nach einer Weile
waren seine Hände und Füße
kaum mehr sichtbar,
sein Gesicht fiel ein
zu einer dunklen Höhle,
in die sie sich hinabbeugten
und Steine fallen ließen,
um zu hören, wie tief es in ihm ist.

Doch das könnten sie nur ermessen,
indem sie sich, mit dem Gesicht
dem Himmel zugewandt, selbst
in ihn hineinfallen ließen.

Sie erinnerten sich,
dass man ihnen gesagt hatte:
die Natur gebiert
auf dem Bauch liegend blind.

Sie erhoben sich,
tastend in ihren Gesichtern,

nicht wissend,
ob es noch dieselben waren,
die sie sonst
in den Spiegeln erblicken konnten.

Hagazussa

Geschrieben von A. Anders

Wir hatten nie wirklich zueinander gefunden. Ich konnte weder mit ihr, noch ohne sie leben. Ihrer jedoch mir mittlerweile schmerzhaften Abwesenheit wegen, hatte ich versucht, sie mir lebendig zu erhalten: Ich schnitt aus den Bildern ihrer Ahnen, die ich längst auf den Dachboden gebracht hatte, um sie dort zu lagern, Teile ihrer rosigen Gesichter, die, sobald ich sie befeuchtet hatte, sich wie feine Hauttücher Schicht für Schicht auf den von mir zu diesem Zwecke geschnitzten und geschliffenen Puppenkopf aus Holz modellieren ließen. Für ihre Wimpern verwendete ich die Beine der unzähligen toten Fliegen, die sich im Laufe der Jahre auf meinem Fensterbrettern gesammelt hatten und die ich in leeren Streichholzschachteln verwahrte. Ihre Augen aber ließ ich geschlossen. Denn keines der Inkarnate der Iriden ihrer Ahnen schien die Farbe ihrer Iriden zu haben. Wie nahe oder fern ich ihrem Antlitz dabei kam, konnte ich nicht sagen, zu starr und unbewegt bot es sich mir dar. Weshalb ich die Inkarnate immer mal wieder vorsichtig löste und sie auf dem Gesicht der Puppe neu anzuordnen versuchte. Ihr Körper sollte noch folgen.

Ich verließ nur noch selten das Haus. Wollte mich schützen, vor dem, was man über sie erzählte. Man berichtete sich, sie hätte schon als junges Mädchen, als sie noch in einem der Ställe gearbeitet hatte, die Pferde verrückt gemacht. Weshalb man es ihr zuschrieb, als am 13. August sämtliche Pferde, die die Bauern des Dorfes auf ihren Gehöften beherbergten, wild, mit einem weißen Schleier, der in ihre Mähnen gebunden war, die Hauptstraße hinunter schossen, um in alle Himmelsrichtungen zu fliehen. Es hatte mehrere Tage gedauert, sie wieder einzufangen. Sie, deretwegen man nun Grund hatte, sich die Mäuler zu wässern, um zu fabulieren, lebte, allein mit ihren Hühnern, in einer kleinen modrigen Holzhütte am Rande des Birkenhains. Ihr Alter vermochte niemand zu schätzen. Viele Jahre schon hatte sie niemand mehr gesehen. Eine der häufigsten Verwünschungen, die in den Stuben des Dorfes ausgesprochen wurde, war diese: Den Eiern ihrer Hühner solle der Dotter fehlen, statt der Schalen sollen sie schlangenartige, verdrehte Häute haben. Kinder unterdessen flüsterten anderen Kindern zu, sie hätten sie, als sie am Randes des Birkenhains spielten und in der Erde nach Stinkmorcheln suchten, von einem Schleier verhängt, an einem ihrer Fenster stehen sehen. Man hatte ihnen erklärt, dass die Leichenfinger, die aus der Erde über manchen Gräbern des hiesigen Friedhofs wuchsen, eben diese Stinkmorcheln waren, die die Kinder zum Platzen bringen wollten, um die schwarzgrünen Sporenwolken aufsteigen zu lassen. Nur dass die Alten sie als Hexeneier bezeichneten. Doch noch bevor sie sich zu weißen schlaffen Leichenfingern wandelten, deren Kuppen recht bald zur Erde hin zeigten, ragten die Fruchtkörper, aus dem Ei hervorkommend, wie Phalli mit schwarzgrünen Hüten, die von Myriaden von Fliegen umschwärmt wurden. „Unzüchtiges Teufelszeug“, hatte man gerufen, als man sie das erste Mal auf den Gräbern erblickte. „Das ist ihr Werk! Wo Fliegen sind, da ist der Teufel nicht weit!“

Ich hatte es damals gehört. Weshalb ich mich endgültig entschieden hatte, in das verlassene Haus meines verstorbenen Mannes, den ich am 13. August 1947 geheiratet hatte, am Eingang des Dorfes zu ziehen und meine kleine Hütte am Rande des Birkenhains zu verlassen. Ihren fertig modellierten Körper jedoch hatte ich in mein zurückgelassenes Heim gebracht. Meinen Schleier behielt sie bei sich.

ritu

Geschrieben von A. Anders

Ich musste, in jener Nacht, in der der Mond meinem Haus sehr nahe stand, wohl etwas von ihr mitgenommen haben, als ich schlafend in meinem Bette lag und zum ersten Mal, mittels eines Stuhls, durch ihre vielen verborgenen Räume geflogen war. Denn seither stand sie jedes Mal, wenn ich in den Spiegel blickte, hinter mir. Tat sie einen Schritt zurück, verschwand sie in tiefer Schwärze. Tat sie einen vor, war mein Gesicht für mich im Spiegel nicht mehr erkennbar. Ich war rastlos seitdem. Blies Nacht für Nacht die fast heruntergebrannte Kerze auf meinem Fensterbrett aus, öffnete das Fenster und hob mit meinem Atem davon.

Lilith

Geschrieben von A. Anders

Ich bin, von dir genommen,
in den kleinsten Winkeln deines Raumes daheim.
Meine schwarzen Augäpfel
sind die Dunkelheit der Welt gewöhnt.
Kein Augenweiß. Nichts Irisierendes,
das isoliert betrachtet werden kann und will.
So hocke ich einfach da
und nehme wahr,
wie ein Haus Zeit konserviert.
Mein Mund, eine Melasse, die Fliegen fängt.
Denn das, was sie nicht fängt, wirft
sie auf Wunden. Ins hypnotische
Meer der Mütter greift meine Seele fingerlang.
Das immer Kleinste der Kleider
ist ins Nichts geweht, an den Rändern
verwoben mit mir. Ich wringe,
stehend im weißen Sand,
mein Kleid, dein rotes Meer.

Abyss

Geschrieben von A. Anders

Der klamme hölzerne Raum, in dem sie saßen, hob und senkte sich an seinen beiden Enden abwechselnd auf und ab. Dunkelgrüne leere Flaschen rollten über dem Boden hin und her. In den blauen Bärten der grobschlächtigen Männer hatten sich kleine Fische verfangen, die gleichmäßig zappelten als würden sie durch ihr gewohntes Habitat schwimmen. Das flackernde Licht der Kerzen auf dem Tisch ließ sie für Bruchteile von Sekunden verschwinden, als seien sie im Dickicht der Bärte in Deckung gegangen. Filigrane Neptungräser, die sich nachgiebig der vorherrschenden Strömung hingaben. Sprachen die Männer, kam nichts als Wasser aus ihren dunklen Mündern. Rülpsten oder gähnten sie, fuhren imposante Flaggschiffe aus ihren nassen Schlünden von Zeit zu Zeit, die sich, sobald sie sich entschieden hatten, in eine Richtung abzubiegen, verflüchtigten. Die Schlacke, die sie dabei jedes Mal mitspülten, jedoch blieb, nahm zu, nahm nach und nach, von den Wellenbewegungen modelliert, die Gestalt eines dunklen Geschöpfes an, das sich vor den Bärtigen aufbaute. Muränen schwammen aus ihrem wässernden, sich wandelnden Leib, der mal jung, mal alt erschien, jedoch immer ungefähr und fließend blieb. Neben Seesternen, die am Boden aus ihr hervorkrochen, lösten sich Muscheln aus ihr, als hätte man den Boden des Meeres aufgewirbelt. Einer der Bärtigen holte aus seinen Ohrmuscheln zwei unförmige fahle Perlen. Die anderen taten es ihm nach. Blitze zuckten durch die Augen der Muränen und die Augen der Männer. Schnell rollten die leeren Flaschen in die Tiefe zur Seite des Bugs. Das Licht der Kerzen auf dem Tisch erlosch.

Eins: Nacht ohne Morgen

Geschrieben von A. Anders

Es gab Erste. Diese Ersten waren viele. Sie hatten sich daran gewöhnt, ihre Hände verschollen zu wissen. Ihr Mund von einem weißen Band fortgetragen, das vor ihren blass marmorierten Stirnen davonwehte, während sie sich ins Dunkel drehten ohne jemals wiederzukehren und für immer dort stehen blieben, von wo aus sie gerufen worden waren. Unbewusst streifen die, deren Namen noch unausgesprochen nicht zu Asche zerfallen sind, sie in den Straßen und auf den Feldern. Das Einzige, was sie von ihnen wahrnehmen, so sie wach und vermöge sind, ist allenfalls ein eisiger Luftzug, der rückwärts in der Zeit all die Türen verschließt, die jene sich zeit ihres verbleibenden Lebens offenzuhalten gedenken.