Kult!

Monat: Juli 2006

Unter Huf & Egge

Alle Gewässer fallen zusammen und alle Städte fallen zusammen, am Strom, am großen Knoten, Zeitenkelch; der Brunnen gibt und nimmt das Wasser. Die Tropfen in den Kelchen, Pfannen, Augen, sie kochen hoch und regnen davon. Ich suche dich und finde mich, ich brenne aller Feuer mit. Willst du mich wiedersehen, dann reise in das Gestern Zug um Zug, nur langsam mit den Stunden. Erschüttert von den Jahren, die nicht wiederkehren, die neu geträumte Erde jeder Nacht, die heißen Rätsel ihrer Mitte. Als ich die Schatten sehe, spreche ich sie an: »Was tut ihr dort im Morgenrot?«
»Wir ernten«, sagen sie. »Wie weit willst du noch wandern?«
Die tausend Wege haben tausend Köpfe, nichts habe ich für mich getan. Ich will den Blick nach innen wagen, wie viele das schon vor mir taten, wie so viele, die sich ins Feld gesetzt und sangen für den Mais. Die große Schlange ist Ernährer und fordert ihre Opfer ein. Wenn der Sänger das Symbol erforscht, wird er hinter den Verstand geführt, hinter die Spiegel und Pfützen.
»Hier erschaffen wir neues Ackerland«, sagen sie. »Unsere Erde ist unter Huf und Egge.«

Simon Tinkerbell

Sie sah mich an. Anderen war sie versprochen. Anderen. Und weil in mir alle sind, kann sie mit mir allein nicht ihr großes Haus bewohnen.

Ich erinnere mich an eine Geschichte. Wieder ist es eine Liebesgeschichte – vielleicht ist es sogar eine moralische Geschichte, aber das war mir zum Zeitpunkt der Lektüre noch nicht klar:

Ein Mann und eine Frau verlieben sich ineinander. Das ist an sich keine Sensation. Sie verbringen eine Woche wie im Fieber miteinander. Es ist ein sicheres Zeichen des Wahnsinns, daß für sie keine Außenwelt mehr existiert. Sie sind ein Wesen geworden, das einzige Wesen in der Auflösung aller Begrenztheit.

Nach dieser Woche will ein kurzes “Ernüchtern” die Planungsgespräche aufnehmen lassen.

Es ist immer wieder erstaunlich (obwohl man es für selbstverständlich halten wird), daß Liebende glauben, eine Zukunft zu haben und diese planen zu können. Aber weiter: Sie sagt ihm, daß sie ihm sofort ihr Leben für immer schenken wolle, doch sie habe eine Bedingung. Sie dürften sich von heute an ein Jahr lang weder sehen, noch sich schreiben, noch anderweitig Kontakt miteinander aufnehmen. Danach wolle sie ihm also ihr Jawort geben.

Ich gehe jetzt nicht näher auf die Gefühlsregungen ein; sagen wir, dieser Liebestest wurde so vereinbart und schließlich angenommen.

Das Jahr vergeht (auch hier erspare ich mir Einzelheiten und die Beschreibung nervöser Zustände – die Geschichte wechselt von ihr zu ihm) und der Tag des Wiedersehens naht. Aber siehe da: Die Dame will den Herrn nicht mehr, nämlich gerade, weil er es ausgehalten hat und sich an die Vereinbarung hielt, obwohl es ihn beinahe verzehrte. Sie sagte: wenn nämlich die Glut in ihm tatsächlich schwächer war als seine Kontrolle, wäre die Leidenschaft nicht in der Form ausgebrochen, die sie sich für ein Leben mit ihm gewünscht hätte.

Simon Tinkerbell – Liebestest; aus: Katastrophen der Leidenschaft

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