Kult!

Monat: September 2009

Das knappe Wunderhorn

Soweit das Plündern: Worte sind im Alfa-Bett; zu Wildern kam ich auf die Welt. An einem Tisch (rechts saß das Radio: Siemens – 2SB460GW – auf einem Sockel mit Gamaschen, wartete, bis es sprechen durfte: der Ton kam erste 40 Sek. nach dem Einschalten!) In der Küche: Die Welt lag zugedeckt vorm Herd herum; Form in Schultüten, die bald ihre Zauberwerke, ihr Russisches Brot, ihr Stelldichein/Stelldichan, ihr – : wie viele Augen zeigt der Würfel?, wie nennt man die Karte mit der Muttersau? ›Herr Klebe‹ hieß der Lehrer, viel jünger als ich heute bin, der mich und all die Vielen be-, unter- überrichtete; bespitzelte das Verhalten: Betragen war kein Lernfach. Es gab keine Tafel an der Wand neben Moritz von Schwind; ein Haus gab es mit ABC: Alraun, Bergahorn, Chrysanthemum – dahinter eins mit DEF: Douglasie, Eisenhut, Flammenröschen. Mochte die Sprache (ich) & die Mengenlehre (über der man schön verrückt wird, Herr Cantor, recht hübsch mit bunter Fliege!). So viele Mädchen (in der Menge), dass ich nicht alle auf einmal heiraten konnte, sie mich nicht / wir noch besser in der Mengenlehre aufpassen mussten {} das La-Ladio am Nachmittag – zur Wiederholung kotzerbärmliche Dinge, die auch mit Rohrreiniger nicht aus den Ohren zu bekommen waren, spielte auf vor ›Onkel Tucas‹ leeren Kisten auf dem Schrank (im Schlafzimmer mit dem weiß melierten Schrank) das erste Lesebuch schrieb ich ganz ab und bekam nie wieder Strafarbeit, musste statt dessen das Morgenlied singen – mit eingequetschten Fingern ganz hoch zur Uhr geblickt: da war es 8 Uhr 5 und blieb es 8 Uhr 5 bis ich mich setzte, sang aus ›Des Knaben Wunderhorn‹: ›Das bucklige Männlein‹, ›Es ist ein Schnitter‹, ›Will ich in mein Gärtlein gehen‹.

Standort : Marktleuthen 1975, das Schulgebäude wurde 1915 errichtet, ein Traum wie ein Schloß, daneben der Friedhof.

In der Gesellschaft von Bildern

Wenn ich Bilder vorgesetzt bekomme und mich nicht gleich sehen kann, weil ich so erschreckend verzaubert dreinsehe, so als wäre ich gar nicht vorhanden, durscheinend, obwohl alle Glieder vorhanden sind.
Ich verschmelze mit den Hintergründen, die Hintergründe haften nahezu an mir, ich könnte selbst ein Hintergrund für etwas sein (und bin es auch, bin der Hintergrund für so manchen Blick, der nicht auf dem Bild haftenbleibt).
Man erkennt neuerdings alles in seinem eigenen Gesicht, was noch vor einem liegt. Wie eine geheimnisvolle Schrift ragen die Augen aus dem Kopf (woher stammt diese Lebendigkeit?), so als wäre das nicht nur ein Bild, sondern eine Begegnung.
Hallo!
und ich auch:
Hallo!
Kennst du mich?
Und ich muss ehrlich sagen : nein, ich kenne dich nicht mehr, du bist schon weit entschwunden, ich kann dich nicht erreichen, nicht so, wie du mich erreichen kannst, das steht fest. Aber wenn du mich jetzt sehen kannst, wie ich dieses Bild betrachte, du mehr siehst, als ich sehen kann, dann kann ich mich vielleicht an den Tag erinnern, als mir plötzlich einfiel, dass es dich da draußen gibt und dass du einen weiten Weg gegangen bist.

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