Hallowe’en, auch bekannt als All Hallows’ Eve, ist ein Feiertag, der sich an jedem 31. Oktober fast vollständig in die amerikanische – und damit in die globale – Kultur eingegraben hat.
Das Halloween Amerikas
Während Halloween heute auf unterschiedliche Weise gefeiert wird, hat die Tradition, dass Kinder von Tür zu Tür gehen und ihre Nachbarn um Süßigkeiten bitten, ihren Ursprung im frühen 20. Jahrhundert. Und das alles ist einer Frau zu verdanken, die ihren Garten liebte.
Abercrombie betrat die Bühne im Jahre 2006 als ein junger Filmeditor, der sich der Schreiberei zuwandte. Sein erstes Manuskript, “The Blade itself”, wurde vom britischen Verlag Victor Gollacz Ltd. gekauft. Interessanterweise erschien die deutsche Ausgabe bei Heyne im selben Jahr, während der Roman in den USA erst 2008 herausgegeben wurde (da hatte Abercrombie seine Trilogie mit “Before They Are Hanged” und “Last Argument of Kings” bereits abgeschlossen). Das ist deshalb gesondert hervorzuheben, weil Abercrombie, wie wir gleich sehen werden, zu einer günstigen Zeit ins Feld schoss.
Ich begrüße euch zur Buchbesprechung der sogenannten Klingen-Trilogie von Joe Abercrombie, die im Original “First Law-Trilogie” heißt und aus folgenden Büchern besteht: “The Blade itself”, “Before they are hanged” und “Last Argument of Kings”. Heyne hat – wie üblich, Überschriften gewählt, die im Gegensatz zu den sprechenden Titeln eine einzige Frechheit sind, an die sich das deutsche Publikum jedoch mittlerweile gewöhnt haben dürfte: Kriegsklingen, Feuerklingen und Königsklingen.
Das erste Buch dieser Reihe – The Stranger Times – ist im Eichborn Verlag erschienen, von dem ich auch das Rezensionsexemplar habe. Der zweite Band ist im Original für Januar 2022 angekündigt (was sich auf den 22. September verschoben hat). Gleich vorweg: McDonnell hat hier ein dickes Eisen im Feuer. Dieser dunkle Humor, gepaart mit dem Seltsamen und dem Wunderbaren, mag oberflächlich betrachtet in die Fußstapfen von Terry Pratchett und Douglas Adams treten und andere an Ben Aaronovitchs “Die Flüsse von London” erinnern, aber das ist nur eine ungefähre Markierung. McDonnells Ansatz und Weltenbau ist ein ganz anderer, nämlich der, dass die Realität seltsamer und fremdartiger sein kann als jede Fiktion.
Wenn hier von Lucky Luke die Rede ist, dann ist die Figur gemeint, die von 1955 bis 1977 von René Goscinny geschrieben und von Morris gezeichnet wurde. Alle modernistischen Eingriffe werden hier ignoriert, da sie der Figur selten gerecht werden, sondern sie im Gegenteil bis in die heutige Zeit hinein zerstören. Dasselbe Phänomen ist auch in den Asterix-Bänden zu beobachten.
Dieser Höhepunkt der französisch-belgischen Comic-Schule wurde 1946 vom Zeichner Morris (Maurice de Bévère) geschaffen, der zunächst sowohl zeichnete als auch schrieb. Lucky Luke begann als halbseidener Comic mit einem rauen Cowboy-Helden, vielen Schießereien und gelegentlichen Todesfällen.
Mit zwei Milliarden Büchern, die in über 100 Sprachen übersetzt wurden, ist Agatha Christie die unangefochtene Königin des Kriminalromans, die weltweit meistverkaufte Romanautorin und die wohl erfolgreichste weibliche Bühnenautorin aller Zeiten. Im Oktober 2020 jährte sich die Veröffentlichung ihres ersten Romans “Das fehlende Glied in der Kette” zum 100ten Mal, und damit auch das Erscheinen des legendären Hercule Poirot, des kleine Mannes mit dem tadellos gepflegten Schnurrbart, der mit Hilfe seiner “kleinen grauen Zellen” jedes Verbrechen lösen konnte.
Obwohl er möglicherweise nach Sherlock Holmes der zweitberühmteste Detektiv der britischen Kultur ist, ist Poirot gar kein Brite, sondern ein Flüchtling. Er kam als Teil einer Gruppe von Belgiern, die durch den Ersten Weltkrieg vertrieben worden waren, nach England, doch seine Wiege liegt in Brüssel. Indem sie über diesen pensionierten belgischen Polizisten schrieb, der Fälle in ganz Großbritannien und auf der ganzen Welt löste, konnte Christie die Komplexität des Englischen und seine Beziehung zu Kontinentaleuropa erforschen (und sich manchmal auch darüber lustig machen).
Agatha Christie war Mitte 20, als sie 1916 mit dem scheinbar unmöglichen Unterfangen begann, ihren ersten Kriminalroman zu verfassen. Zu dieser Zeit war Christie mit einem Offizier des britischen Royal Flying Corps verheiratet und arbeitete in einem Krankenhaus in Torquay in England, zunächst als Krankenschwester und später in der Apotheke, wo sie Medikamente zubereitete und bereitstellte. Während dieser Tätigkeit entwickelte sie eine Faszination für Gifte, die sie in den nächsten sechs Jahrzehnte nicht mehr loslassen sollte. In vielen ihrer bekanntesten Romanen wird das ihr bevorzugtes Mittel sein, jemanden über den Jordan zu schicken, und natürlich war es das auch in ihrem allerersten Buch “Das fehlende Glied in der Kette”, ein früher Beitrag dessen, was heute als das Goldene Zeitalter der Detektivgeschichten bezeichnet wird, eine Periode, die sich in etwa von 1920 bis in die 40er Jahre hinein erstreckte.
Das Buch wirft uns in die Gesellschaft von Captain Arthur Hastings, einem Soldaten, der von der Westfront des Ersten Weltkriegs nach Hause kehrt und die Einladung angenommen hat, einen Teil seines Krankenurlaubs in Styles Court zu verbringen, dem Landsitz seines Jugendkollegen John Cavendish in Essex.
Seine Ruhe dort wird jedoch bald durch die Ermordung von Cavendishs älterer, verwitweter und wohlhabender Stiefmutter Emily Inglethorp gestört. Hastings sucht Hilfe bei Hercule Poirot, einem pensionierten, aber einst berühmten belgischen Polizeibeamten, den Hastings vor dem Krieg kennen gelernt hatte und der seit kurzem als Emigrant in einem Haus in der Nähe von Styles lebt.
Fans von Sherlock Holmes werden die Figuren von Hercule Poirot und seinem Freund Captain Hastings ziemlich vertraut erscheinen. Ein ausgezeichneter Detektiv, der allen anderen auf diesem Gebiet um Längen voraus ist und mit einem Ex-Soldaten zusammenarbeitet. Christie lässt sogar den Namen Sherlock Holmes sehr früh im Buch fallen, so dass man leicht erkennen kann, woher die Inspiration kommt. Abgesehen davon ist diese Serie jedoch kein billiger Abklatsch von Sherlock Holmes.
Wie jeder besonnene Leser zu schätzen wissen wird, wurde er natürlich in einer Zeit geschrieben, in der andere gesellschaftliche Normen galten. Wer also dazu neigt, Geschichte durch eine heutige Linse zu betrachten, sollte sich selbst einen Gefallen tun und etwas anderes lesen. Leider muss das immer wieder erwähnt werden, weil solche Leser dazu neigen, ihre Denkfehler lautstark unters Volk zu schreien. Wer aber etwas über diesen Zeitabschnitt herausfinden will, der wird hier gut bedient, denn eines ist gewiss: keiner der heute verfassten historischen Romane kann jenen Autoren, die in dieser Zeit lebten, das Wasser reichen. Hier haben wir echte Momentaufnahmen darüber, wie das Leben damals wirklich war, wie Verbrechen begangen wurden und wie sich das Gesetz dazu verhielt.
Poirots Verdacht, dass die Verstorbene mit Strychnin, “einem der tödlichsten Gifte, die der Menschheit bekannt sind”, vergiftet wurde, bestätigt sich, obwohl die genaue Dosierung dieses bitteren Neurotoxins unbekannt ist. Ebenso wenig wie die Identität des Mörders. Die Verdächtigen aber sind zahlreich, unter ihnen John Cavendish und sein jüngerer Bruder Lawrence, deren Anspruch auf das Vermögen ihrer Stiefmutter in Zweifel steht; Emilys bedeutend jüngerer Ehemann Alfred Inglethorp wird als “ein mieser kleiner Schurke” beschrieben; Evelyn Howard, die von der verstorbenen Großmutter angeheuerte Lebensgefährtin, die eine einzigartige Feindseligkeit gegenüber Alfred zeigt; Mary Cavendish, deren Liebe zu Ehemann John zwischen seinen Tändeleien und ihren eigenen eintönigen Flirts stark gelitten hat; und Cynthia Murdoch, Emilys Schützling, die zufällig in einer Apotheke arbeitet. Es liegt an Poirot, mit Unterstützung von Hastings und Scotland Yard-Inspektor James Japp, Motive und Möglichkeiten abzuwägen und schließlich herauszufinden, wer aus diesem illustren Kreis für die vorzeitige Entsendung von Frau Inglethorp verantwortlich war.
Obwohl Christies Prosa hier recht sparsam ist, sind ihre Bemühungen um Irreführung und falsche Fährten meisterhaft eingesetzt und ihr Plot aufwendig gestaltet. Die Idee, Strychnin als Waffe einzusetzen, stammt natürlich aus den Krankenhauserfahrungen der Autorin. Tatsächlich ist ohne ein fachmännisches Wissen um Gifte die Lösung des Rätsels nicht zu finden.
Oberflächlich betrachtet ähneln Christies Romane einem nostalgischen Rückzug ins Pastorale und ins englische Herrenhaus. Dank der Betonung geschlossener Räume und detaillierter Grundrisse herrschaftlicher Gebäude lassen sie sich als eine mögliche Hinwendung nach innen lesen. Doch dieser Anschein trügt.
Die Öffnung von Grenzen, sowohl buchstäblich als auch intellektuell, prägt Christies England. Es war ihr Verständnis für die Arbeit europäischer Denker, das ihrem Detektiv einen Vorsprung verschafft. Wo ein englischer Detektiv, wie Sherlock Holmes, nach äußeren Beweisstücken sucht, die analysiert werden können, löst Poirot den Fall, indem er die verborgenen Implikationen des Verhaltens der Menschen erkennt – einschließlich seiner eigenen. Poirots freudianischer Fokus auf die Psychologie der Verdächtigen ermöglicht es ihm zu erkennen, dass einfache Fehler und Versprecher tiefere Bedeutungen verbergen können. In “Das fehlende Glied in der Kette” wird ein entscheidender Hinweis enthüllt, als Poirot die Bedeutung seines eigenen, fast unbewussten Instinkts, aufzuräumen, erkennt.
In Christies Welt reicht der typisch englische gesunde Menschenverstand von Polizisten nicht aus, um das Rätsel zu lösen. Stattdessen bringt eine Prise kontinentale Theorie Licht ins Dunkel, was unter der Oberfläche liegt.
Ein weiteres Markenzeichen von Poirot ist sein gelegentliches Ringen um das richtige englische Wort oder die richtige Redewendung. In The Mysterious Affair at Styles zitiert er sogar Hamlet falsch. Doch es wäre ein Fehler, diese Momente als einfache Fehler zu lesen. Stattdessen spielt Poirot wissentlich mit der Trope des “komischen Ausländers”, indem er Schwierigkeiten mit der Sprache nutzt, um Verdächtige zu entwaffnen und Ängste vor Verdächtigungen zu zerstreuen (wie konnte eine so komische Figur ein so großer Detektiv sein?). In den berühmten Szenen, in denen Poirot die Wahrheit erklärt, wird sein Englisch deutlich fließender. Poirot verkörpert dabei den Außenseiter, der perfekt in der Lage ist, englische Täuschungen zu durchschauen.
Klein-England
Der Erfolg des “lustigen Ausländers” bei ahnungslosen Engländern spielt in Christies größere Erkundung des Englischen in ihre Büchern hinein.
Poirot ist ein begeisterter Verehrer Englands. In Der Mord an Roger Ackroyd kommentiert er, England sei “wunderschön, oder etwa nicht?”. Doch diese Begeisterung wird nicht immer erwidert. Ein Running Gag der Poirot-Romane und -Adaptionen ist, dass er oft als Franzose verwechselt wird. Bei Ackroyd wird er so beschrieben, dass er “genau wie ein komischer Franzose in einer Revue” aussieht. Aber in einem Genre, das viel Liebe zum Detail verlangt, geht der Witz hier auf Kosten eines besonders engstirnigen Typs von Engländern, die den Unterschied zwischen Franzosen und Belgiern nicht erkennen können.
Ebenso fällt, wie die Literaturwissenschaftlerin Alison Light anmerkt, Poirots Popularität mit der Ausweitung des Reisens zusammen, da die Engländer sich zunehmend als Touristen im Ausland sahen. Mehrere von Poirots berühmtesten Fällen ereignen sich auf Verkehrsmitteln und an exotischen Orten, wie der Tod auf dem Nil. Doch auch wenn sich die Engländer in diesen Geschichten im Ausland aufhalten, spielen die Klassenverhältnisse aus der Heimat immer noch eine Rolle, wo auch immer sie sich befinden. England folgt ihnen, und diese nach innen gerichtete Engländerei sitzt tief.
Auch wenn Christie sich über England und die englischen Verhaltensweisen lustig gemacht haben mag, gelang es ihr, die Herzen der britischen Leser mit ihrem kleinen, smarten Belgier zu erobern. Poirot wurde von den Lesern so geliebt, dass Christie zwischen 1921 und 1975 33 Romane, zwei Theaterstücke und mehr als 50 Kurzgeschichten über ihn schrieb.
Obwohl George Romeros Film “Die Nacht der lebenden Toten” aus dem Jahr 1968 oft als der erste moderne Zombiefilm bezeichnet wird, entstand der erste Zombiefilm fast 40 Jahre zuvor unter dem Titel “White Zombie” mit Béla Lugosi als bösem Voodoo-Priester in Haiti. In all den Jahren sind nur eine Handvoll Zombiefilme zu ihren haitianischen Ursprüngen zurückgekehrt – allen voran “Schlange und Regenbogen”.
Ägyptische Mumien und Frankensteinähnliche Wissenschaftler standen Ende der 60er Jahre hoch im Kurs. Die Counter Culture, die aus Amerika herüberschwappte und ihre Spuren auch in Europa hinterließ, hatte außer Flower Power auch das Interesse am Okkulten mitgebracht. Die Manson-Family machte erste Schlagzeilen und bahnbrechende Horrorfilme wie “Rosemaries Baby” und “Die Nacht der lebenden Toten” eroberten die Kinos. Auch im Heftroman-Sektor war es Zeit für etwas Neues.
“Das Grauen schleicht durch Bonnards Haus” erschien als Silber–Krimi Nr. 747 im damaligen Zauberkreis-Verlag, der 1985 an Pabel verkauft und 1987 seine Pforten für immer schloss, und war in erster Instanz atmosphärisch und lag näher an der Gothic Novel – also am Schauerroman – als am Horror. Jürgen Grasmück alias Dan Shocker hat dann auch einen Begriff geprägt, der den “Horror” im Heftroman genau definiert und den es in keiner anderen Sprache gibt: Grusels; eine genuin deutsche Sprachleistung wie etwa das Wort “unheimlich”, das mit dem englischen “uncanny” zwar eine Annäherung an die Bedeutung des Begriffs erfährt, sie aber nicht präzise abdeckt. Natürlich steckt in der Pluralisierung Grusel – Grusels ein Fehler, der sozusagen bewusst die englische Pluralendung an ein deutsches Wort anhängt (ähnlich wie man das umgangssprachlich etwa bei “Dingens” macht). Eine Mehrzahl von Grusel gibt es nicht, nur der Genitiv (des Grusels) käme also in seiner korrekten Form mit einem “s” daher, ist hier aber natürlich nicht gemeint. Vergessen wir aber nicht, dass bis weit in die 70er Jahre hinein bereits eine merkliche Amerikanisierung der deutschen Sprache stattfand. Ein Mädchen hieß plötzlich “Girl”, das Wohnzimmer wurde “Living Room” genannt, man “steppte” zur Seite und sprang nicht mehr, und so fort.
Leo Stanhope ist der neueste Serienheld aus der Feder von Alex Reeve, und Das Haus in der Half Moon Street ist der erste Band einer viktorianischen Krimiserie aus dem Jahre 2018, die bei Knaur erschienen ist.
Der zweite Band wird im April 2022 erscheinen, was mich ungemein freut, weil so etwas ja immer auch am Publikum liegt. Der Autor hat es sich nämlich nicht ganz einfach gemacht.
Vielmehr hat er von Beginn an gewusst, dass er mit seinem außergewöhnlichen Helden in ein Wespennest stechen könnte und zum Teil ja auch hat. Das war auch der Grund, warum er im Anhang noch einmal auf seine Absicht hinweisen wollte und dem Leser erklärt, was ihn an der Sache reizte und wie sich Leo schließlich aufdrängte, obwohl Reeve immer wieder mit dem Gedanken spielte, ihn nur am Rande zu beachten.
Der Roman spielt im viktorianischen England um 1880 und fällt schon allein aus diesem Grund in meinen gesteigerten Aufmerksamkeitsbereich, aber auch ich war relativ überrascht, dass hier einige der bekanntesten Tropen des Genres ausgehebelt wurden, ohne die notwendige Atmosphäre in irgendeiner Form anzutasten.
Leo Stanhope arbeitet als Assistent des Gerichtsmediziners und verbringt seine Tage mit dem Schreiben von Berichten und dem Zusammennähen der autopsierten Leichen. Er ist unsterblich in die Prostituierte Maria verliebt und sehnt sich nach dem Tag, an dem sie zusammen sein können, nach dem Tag, an dem sie das Bordell verlassen kann, um sich ganz ihm zu widmen. Als Maria ermordet wird, wird Leo zum Hauptverdächtigen und findet sich plötzlich ohne Freunde und Arbeit im London von 1880 wieder. Er ist – zunächst zögerlich und verwirrt – dazu entschlossen, die Identität von Marias Mörder aufzudecken, dafür zu sorgen, dass der Gerechtigkeit Genüge getan wird, und sich selbst vor der Schlinge des Henkers zu retten. Aber der Galgen ist vielleicht noch die geringste von Leos Sorgen: Als geborene Charlotte verstößt Leo jedes Mal gegen das Gesetz, wenn er sein Haus verlässt, und wenn sein Geheimnis aufgedeckt wird, droht ihm ein viel schlimmeres Schicksal als der schnelle Tod, den der Henker verspricht.
“Das Haus in der Half Moon Street” macht uns mit dem jungen Mr. Stanhope und der dunklen Schattenseite Londons bekannt. Alex Reeve beschreibt auf wunderbare Weise die vom Smog gefüllte Stadt und die oft zwielichtigen Gestalten, die sie bewohnen, und nutzt Stanhopes einzigartige Umstände, um die Moral einer Zeit zu untersuchen, in der einige Verbrechen akzeptabler zu sein schienen als andere. Dennoch fokussiert er sich stark auf das Vorwärtsdrängen der Geschichte und auf den Ich-Erzähler Leo, der aus seinem Elternhaus und den konservativen Ansichten seines klerikalen Vaters floh, um seine eigene Identität zu finden und ein Leben fernab von allen zu führen, die ihn in der Vergangenheit als Mädchen gekannt haben könnten.
Stanhope hat sein Geheimnis notwendigerweise nur einigen wenigen Menschen offenbart, und die Reaktionen reichen von Akzeptanz (bei seiner geliebten Maria) bis hin zur Ablehnung (interessanterweise bei den Menschen, die ihn am besten kennen: seinem Bruder und seiner Schwester). Die konservativen Moralvorstellungen der damaligen Zeit sehen in Leo einen Kriminellen, der jedes Mal gegen das Gesetz verstößt, wenn er das Haus in Männerkleidung verlässt. Doch der gleiche moralische Kompass scheint bei Mord und Menschenhandel auf seltsame Weise abwesend zu sein.
Als die Prostituierte, die er liebt, ermordet wird, findet sich Leo zwangsläufig in der Rolle eines Amateurdetektivs wieder, der versucht, ihrem Tod auf die Spur zu kommen. Die ohnehin schon angespannte Situation – Leo gilt zunächst als Hauptverdächtiger in diesem Fall, wird aber später durch den Einfluss von jemandem, der in der Nahrungskette viel weiter oben steht als er, wieder freigelassen – wird durch Leos Situation noch verschärft: Der kleinste Ausrutscher könnte sein Geheimnis verraten und ihn in die Irrenanstalt oder ins Gefängnis bringen. Leo verbündet sich mit der Witwe eines Mannes, der anscheinend von derselben Person getötet wurde, die auch Maria umgebracht hat, und kämpft gegen eine Reihe von Bösewichten jeder Größe und Form, angefangen bei dem respektablen Geschäftsmann, der heimlich die Hälfte der Bordelle in der Stadt betreibt und hinter einem Sexhandel steckt, bei dem junge Frauen von London nach Brüssel transportiert werden, bis hin zu der Bordellbetreiberin, die über ihren Stand hinausgeht, und dem Mann mit einem Wieselgesicht, dessen Loyalität fragwürdig, aber deswegen nicht weniger beängstigend ist.
Alex Reeves Debütroman ist ein klug konstruiertes Rätsel, das durch die Brille des viktorianischen Englands Themen untersucht, die gerade heute noch aktuell sind. Leo Stanhope ist ein außergewöhnlich sympathischer Charakter, mit dem man von Anfang an mit fiebert. “Das Haus in der Half Moon Street” hat zwar eine ausgesprochen düstere Perspektive, aber auch ein Herz für Witz und Charme, das es nicht nur unterhaltsam, sondern auch unvergesslich macht. Es ist eine fesselnde Geschichte, die den Leser von der ersten Seite an in ihren Bann zieht und ihn bis zum letzten Wort nicht mehr loslässt. Dazu trägt natürlich auch das Versprechen auf weitere Abenteuer des Amateurdetektivs mit dem Alleinstellungsmerkmal bei. Ich gehe davon aus, dass wir in naher Zukunft noch viel von Mr. Reeve und Mr. Stanhope hören. Jetzt ist der perfekte Zeitpunkt, um dabei zu sein.
Es geht noch ein Zug von der Garre du Nord ist der erste Roman, in dem der berühmte Kommissar Adamsberg 1991 auftauchte. Im Original deutet der Titel bereits auf das Thema hin: L’homme aux cercles bleus (Der Mann mit den blauen Kreisen). Wie so oft bei Übersetzungen ist kaum nachvollziehbar, warum man hier etwas völlig anderes aus dem Ärmel zieht, auch wenn der Übersetzer sich hier zumindest auf die poetische Seite des Buches verlagert hat, nämlich auf Adamsbergs merkwürdige Beziehung zu Camille, die er am Ende des Romans für zwei Stunden im Zug von der Garre du Nord nach Lille noch einmal wieder sieht. Zu behaupten, das hätte mit der Handlung des Romans gar nichts zu tun, stimmt nur insofern, wenn man ausklammert, dass Adamsbergs ganzes Wesen durchaus von Camilles Abwesenheit entscheidend mitgeprägt wird.
Fred Vargas und Jean-Baptiste Adamsberg
Jean-Baptiste Adamsberg ist ein nonchalanter, seltsam verträumter und scheinbar ungeordneter Mann, der sich auf den ersten Blick durch einen Mangel an Methode auszeichnet; er ist unfähig, eine längeren Beweiskette zu analysieren oder überhaupt erst aufzustellen. Dennoch erzielt er dank seiner Intuition und vor allem dank seiner großen Sensibilität, die anderen nicht immer geheuer ist, spektakuläre Ergebnisse. Letztere erlaubt es ihm, sich in die Lage der Menschen zu versetzen, auch wenn er manchmal ziemlich weit von ihnen entfernt ist. Als visuelles Vorbild schwebte Fred Vargas der Zeichner Edmond Baudoin vor, und es schadet nicht, sich den Mann einmal anzuschauen, um sich mit den ungewöhnlichen Beschreibungen, die Vargas für ihn findet, vertraut zu machen. Wenn der Winter des Commissario Richiardi ein durch und durch italienischer Roman ist, dann trifft das hier aus französischer Warte zu. Es lässt sich nicht verbergen, dass Vargas, die mit bürgerlichem Namen Frédérique Audoin-Rouzeau heißt, die Tochter von Philippe Audoin ist, der zum surrealistischen Kreis um Andrè Breton gehörte und später einige wissenschaftliche Texte über diese Bewegung verfasste (sowie eine Biografie über Breton selbst). Es ist völlig verständlich, dass eine wie auch immer geartete Begegnung mit dem Surrealismus nie wieder verschwinden wird (wie ich aus eigener Erfahrung weiß). Doch das darf man nicht falsch verstehen, Vargas bedient sich keineswegs der Techniken jener Zeit, sondern liefert hier den Erstling einer der originellsten Kriminalromane nicht nur der 90er Jahre ab (auch wenn sie selbst den Roman nicht für besonders gut hält), der das Unterbewusstsein herausfordert.
Bevor er zur Polizei geht, ist Adamsberg fast ein Wolfskind, das barfuß durch die Pyrenäen streift, bevor er seine Berufung bei der Polizei findet, ein wahrer Außenseiter, dem Wald mehr verbunden als irgendeiner Stadt. Aber schlussendlich landet er aufgrund seiner spektakulären Erfolge als Kommissar in Paris, einer Stadt aus Stein. Aber Adamsberg weiß, dass auch die mineralische Existenz in ihm ein Tor zu öffnen vermag.
Als Archäologin fasziniert die Autorin das Auffinden von Wahrheiten, und das ist im Grunde das, was auch das Handwerk des Kriminalschriftstellers erfordert. Mythen, Märchen und Legenden werden dann auch später in der Reihe eine große Rolle spielen. Bei all der dargebotenen Melancholie, die diese Buchreihe so besonders macht, ist es nicht zuletzt aber auch der Humor, der die Autorin berühmt gemacht hat. Es ist ein besonderer Humor, der kein Interesse daran hat, albern oder lächerlich zu sein und er entsteht aus den Kontrasten innerer und äußerer Ansichten, unterschiedlicher Wahrnehmungen und gedanklicher Freiheiten. Tatsächlich ist einer von Adamsbergs Inspektoren, Danglard – ein organisierter und enzyklopädischer Mensch immer wieder überrascht von Adamsbergs intuitiven Fähigkeiten, was manchmal nicht nach seinem Geschmack ist, weil er diesen Vorgang nicht versteht und ihm auch nicht vertraut. Vargas steigt dabei tief in ihre Figuren hinein, und das hat nicht selten etwas philosophisches, das aber nie zur wissenschaftlichen Musterung verkommt. Danglard ist manchmal erschüttert von Adamsbergs Gleichgültigkeit gegenüber seinen Nächsten, die er als Grausamkeit bezeichnet, die aber gar nicht da ist, weil Adamsberg auch der Grausamkeit gegenüber kein Interesse hegt. Er denkt über das nach, was in ihm ist, und selbst das ist, wie er oft genug sagt, eigentlich nichts. So ist er ein großes Mysterium, das sich selbst nicht zu erklären weiß, wie folgendes Beispiel zeigt:
“Also setzte er sich ins Café, zog ein Notizbuch heraus und wartete. Er überwachte die Gedanken, die sich in seinem Kopf bewegten. Sie schienen ihm schon eine Mitte zu haben, aber weder Anfang noch Ende. Wie also sie niederschreiben? Unwillig, aber noch immer gelassen, schrieb er nach einer Stunde: Ich habe nichts zu denken gefunden.”
Der Mann mit den blauen Kreisen
Seit vier Monaten zeichnet ein mysteriöses Individuum in den Straßen von Paris blaue Kreise auf den Bürgersteig. Dreiundsechzig, um genau zu sein. Diese mit Kreide gezeichneten Kreise umgeben immer ein Objekt, ohne dass sich daraus eine Hypothese ableiten ließe, da die Liste dieser Objekte völlig willkürlich ist; und immer steht ein Kommentar in diesem Kreis: “Victor, sieh dich vor, was treibst du jetzt noch vor dem Tor?” Aber Kreise um verlorene oder unbedeutende Gegenstände zu ziehen, ist kein Verbrechen, sie mit einem Sinnspruch zu versehen, ebenfalls nicht.
Doch parallel zu einer eher klassischen Strafverfolgung interessiert sich unser Kommissar aus irgendeinem Grund für diesen Mann, der die blauen Kreise zieht. Eines Tages kommt dann die große Überraschung. Plötzlich befindet sich eine Leiche mit durchgeschnittener Kehle in einem dieser Kreise. Von diesem Zeitpunkt an erlebt der Leser den Rausch der Ereignisse, die durch Adamsberg hindurchwandern und wie er die Wahrheit quasi erschnüffelt, um alles um sich herum zu sondieren. Danglard gehorcht seinen Befehlen fast mit Bedauern, denn er versteht sie einfach nicht. Abgesehen davon, dass es ihn ärgert, dass Adamsberg verkündet, was geschehen wird, ärgert es ihn noch mehr, wenn diese Ereignisse auch eintreten.
Die Geschichte ist komplex, und auch wenn wir ständig daran zweifeln, dass der Mörder überhaupt gefunden wird, lassen wir uns von dem skurrilen und speziellen Kommissar mitreißen, auch wenn wir nie wissen, wohin Adamsberg uns führt. Sein Vorgehen verwirrt Danglar und den Leser gleichermaßen. Besonders herauszuheben sind auch die Dialoge, die sich durch ein wahrlich hohes Niveau auszeichnen. Man kennt sie auch aus guten französischen Filmen, wenn sie sich zufällig einmal nicht in bloßer Masse erschöpfen.
Auch die anderen Charaktere sind hervorragend gezeichnet, ob es nun der blinde Zyniker Charles Reyer ist, die seltsame Mathilde Forestier oder eben der rätselhafte Mann mit den blauen Kreisen selbst. Vargas setzt sie ein, um durch sie hindurch ein Porträt von Paris zu malen, wo nach Einbruch der Nacht alles möglich ist.
Kurz gesagt, dieses erste Buch der Reihe ist ein wahres Wunderwerk, sowohl in Bezug auf Handlung und Spannung als auch in Bezug auf den Stil und die Charaktere.
Sehr guter Zusatz. Bereichert das ganze enorm. Danke!
Ergänzung: Keith Richards spielte in Fluch der Karibik Teil 3 und 4 mit. Er übernahm die Rolle des Kapitän Teague,…
Die Swamp-Helden wirken auf mich etwas weit hergeholt. Um tiefgründige Wahrheiten über die menschliche Natur zu vermitteln, hätte ich eher…
Oh,dem stimme ich völlig zu! Danke für den Kommentar!
Vielen Dank. Ich denke, dass Mangas, Comic- und Mangamessen und Filme ebenfalls einen großen Einfluss auf die Verbreitung von Comics…