Miniaturen

Rache für den Marmortraum

Ich bin ihr im Traum begegnet, das wolltest du doch wissen? – also : Ich bin ihr im Traum begegnet! Sie stand am Ende der Nacht, ihr Kleid reinster Mond. Ich hätte mich ihr genähert, bestünde mein Unterleib nicht aus reinstem Marmor, aus Karbonatgestein.

Als ich erwachte : Das Wasser bedrängte mich, marmorne Härte stieß gegen die Blüten der Bettdecke. War inmitten der Erregung dennoch erzürnt über die steinerne Fesselung. Ich blickte nicht nach rechts, wo sie schlief (sie stand wohl noch immer in meinem Traum herum, mochte auf die jetzt leere Stelle starren).

Ich schleppte mich ins Badezimmer wie einer, der das Gehen erst erlernt hatte : die Beine schwer, die Blutschläuche noch angefüllt mit flüssigen Basalt. Ich schlug mir das Wasser ab. Es mag merkwürdig klingen, aber ausgerechnet hierbei kam mir die Idee, all ihre Kleider und Schuhe zu verbrennen. Nennen wir es nicht Rache.

Wenn dich niemand beobachtet, wenn du in dir hockst, aufgemacht im Büserkleid, Lippen wie Glukoseschimmern, Augen wie ein See am Abend; es ist nichts in dieser Nacht.

Du würdest gerne in ein Nachtbuch eintragen : Die Realität ist das, was das Nichts tut, wenn es sich langweilt.

Räume entstehen, radieren die Wirklichkeit hinfort. Vor dem Haus tut die Welt so, als hätte sie das, was von den Wänden ummantelt wird, nicht verloren, als gäbe es noch einen Platz dazwischen, der ausreicht, dem Haus nicht zu nahe zu kommen. Alles ist Klang, ein Ton, doch war davor ein Rhythmus. Es ist nicht von der Hand zu weisen, daß die Trompeten trompten, denn trompeten kann nur der Trompeter.

Hinter der Luke : der Heuförderer, die Wendeltreppe nach oben. Die Landestelle ist leer, ein ausgelöffelter Teller. Der kalte Beton, der nie etwas von einer Sonne spürt, droht mit Knochenbrüchen: »Ich weiche nicht, wenn ihr da auf mich zurast, ihr zukünftigen Leiber. Ich bin verborgen, ein okkultes Lauern macht mich geil. Eines Tages wirst du ungebremst von mir aufgefangen werden, die letzte Bastion, die es zu überwinden gilt. Ich streife deinen Körper ab, stauche ihn zusammen.«

Wir malen die Dörfer, malen sie bitter mit der Zunge, die wir wie einen Rotmarderpinsel über die Leinwand des Gesichtskreises führen. Das Licht der Peripherie reißt den Rahmen auf, es geraten fremde Zungen hinzu. Mit Laternenfarben bröseln sie über die Kuppen, stauben über Hänge und Dachschindeln, verunreinigen das Wasser der Brunnen, die Spiegel, vor denen Eimer wünschelrutig hin und her schwanken. Der Spiegel, der den Himmel invertiert, Gesichter zurückwirft, Hände, die den Eimer in die Höhe ziehen, Wasser, das gebraucht wird, nächste Station im Zirkel des Lebens. Und ich bestehe aus Wasser, so wie die Farben, das Land; und ich bestehe aus dem Eimer und aus der Zunge, den Kuppen, dem Brunnen : tiefe Erdbecher.

Die Maler : die Zungen malen Landschaften und Epidemien, ausgehobene Gräber, Erde, Erdhügel, Leichenschmaus. Jetzt keimt die Wechselwirkung von geschaffenem Raum, geschaffener Zeit in den überhitzten Köpfen. Schnell eine Heuburg entwerfen, leise, leise, wir benutzen die Ballen als Ziegel und ziehen uns zurück, das Codewort lautet Shangri-La. Metaphysische Unsichtbarkeit bedingt soziale Unsichtbarkeit; der Unsichtbare tritt durch seine Tat in Erscheinung.

Ich komme gleich zurück, zu Gerüchten, zum Richtfest.

Die Rache steckt noch im Kühlschrank, der Verdichterspirale, fest, neben der Butterdose ein Zelt aus Polymeren. Mit einem Mal löste die Schrift ihre Knoten und hinterließ einen sehr langen Regenwurm, der sich durch ein Komma stülpte. Der Text war augenblicklich nicht mehr zu gebrauchen, selbst das Papier hatte aufgehört, sich mit Gedanken zu beschäftigen. Durch ein Radio konnte man Kontakt mit dem Zimmer nebenan bekommen. Peilsender sind das Ziel einer Yagi-Antenne. Im Spiegel wirken sie unnötig wiederholt. Nur achtet niemand auf dieses zweite Lied. Ein Fehler, wie sich schon oft herausstellen ließ. Die künstlichen Felle sind wahrscheinlicher. Auf einer Leine sterben sie in ihrer Haut. Eine Zehntelsekunde lang wird alles wieder wie früher sein, oder aber die Täuschung ist mehr als gelungen. Auch der blaue Fleck auf dem Stuhl kehrt wieder. Es handelt sich um eine Wunde, mit Pfennigen geschlagen.

Ödland ist von der Terrasse aus zu sehen, Gold wächst heran in eisernen Kisten, zerschossen, aber unbenutzt. Könnte je ein Hammer (Impuls und Energie) so etwas anrichten? War es vielleicht etwas anderes? Nehmen wir den Wiesenfleck dort – er könnte das ganze Kapitel für sich beenden.

Der Philosoph arbeitet mit seinem Bart, Stahlseile hängen von Kinn und Wangen, Worte tropfen aus dem fiebrigen Mund, hinterlassen einen Teller voll Buchstabensuppe. Die Umkleidekabine ist angefüllt mit Wäsche, ein einsamer Badeanzug hängt an der Klinke und stampft mit den Füßen auf. Später gesellt sich die Verwandtschaft hinzu. Der Dorfkrug weint, weil er kein Geld mehr hat, die Reise zu bezahlen. Andere trachten ihm nach seiner Bleibe. Irgendwann wird er sie teilen oder sich verändern. Nur nicht heute. Die Stadt heißt uns willkommen, auch wenn sie uns nicht einlässt. Noch schlafen die Menschen auf den Tischen, sorgen für einen Geräuschpegel, der Insekten vertreibt. Der Ortswechsel kommt mir vor, als wäre ich schon einmal da gewesen, zwischen all den Kisten aus Glas, dem Taubenreigen, der Präsenz ominöser Bilder an den eingekerbten Wänden, Taschenbücher ohne Rückgrat. Eine Wiege schaukelt im Foyer, hängt träge in einer unwirklichen Stellung fest, bis ich komme, eine Hand unter die Kufen klemme, die Dielen loslasse, sozusagen die Fangarme spreize, um zu fangen, was aus dem Anzug rinnt.

Das Schaukelpferd ist nur ein Steckenpferd, das Kajak eine Luftmatratze. Wer die Stimme hört, verschafft sich die Argumentation. Dazu gehört ein lang anhaltender Atem, ein Sirenenton, von Rippen erzeugt, durch das unbewegliche Ausmaß gepumpt. In Teilen bleibt der Eindruck bestehen, hier sei etwas heimisch. Originalität ist ein Pfeifen in den Ohren.

Adams Notizbuch:

Unser möbliertes Appartement. Zement und Plüsch, eine Achtzigerjahre-Höhle mit grellen Teppichen.

Nichts gehört uns hier, oder dir.

Nichts hört auf uns, oder dich.

Nichts hätte ich über dich, Lustloch, zu sagen, wenn nicht hier auf dem Abort das erste vieler saftiger Ereignisse geschehen wäre, meine Hand, potzblitz, konnte so viel des saftigen Lebens gar nicht halten, wie es sprang, über mich hinweg sprang, an den Kacheln klebte, rann rann, über die Finger rann, auf das Bodenplüsch regnete, das ich nach dem Baden zusammenknüllte wie nachts die Bettdecke, das Kopfkissen.

Die junge Frau, die mit Ludwig jeden Abend im Schlafraum verschwand : ich auf der Couch vernahm das Röhren der Hirsche, das Zwitschern der Vögel. Sie besaß schöne, schwarze Netzstrümpfe, die ich heimlich, heimelig in dir Lustloch trug, mein Arm die neue Belastung herrlich fand, und eines Tages (in der Nacht des Tages) schlug ich die Augen auf, die Blase drückte, ich blies, ich blies die Lichter an, zählte auf dem Boden Höcker um Höcker, zwischen denen ich wandelte in einem Fleischmeer, sog den Schweiß des femininen Stalls, der Zuchtstuten Zunder für immer in mein Gedächtnis.

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