Kult!

Monat: April 2015

Vom Erinnern (Inspiriert von: El lado oscuro del corazón. Von Eliseo Subiela.)

K: Du bist die Frau, mit der Oliverio fliegen kann, stimmt’s? 

F: Ja. Woher weißt du das? 

K: Er hat vorhin gelächelt als er dich gesehen hat. Da war ich bei ihm. Hat mitten im Satz aufgehört zu sprechen. Und dann schaute er ganz traurig. Hat auch nicht wieder angefangen. Ist einfach weitergelaufen. 

F: Und da kommst du zu mir? 

K: Ja! Weil ich von dir wissen will, wieso er dort ist und du hier? Versteckt ihr euch voreinander?

F: Nein, das tun wir nicht. Aber das ist auch nicht so einfach zu erklären. Oliverio und ich, wir beide brauchen Asyl, sind sehr schutzbedürftig, und auch nur, weil wir das bemerkt haben. 

K: Versteckt ihr euch vor ihr, dem Tod? 

F: Ja, das kann man wohl so sagen. Du musst wissen, wir haben beide vom langen Vergessen getrunken und uns erinnert. Zwei, das macht eine ganze Welt aus, weißt du. Auch du verstehst das einmal. Irgendwann. Ganz sicher. 

K: Ich weiß, er hat gesagt, ihr müsst euch wie Hunde auf der Straße herumtreiben. Das ist traurig. Habt nichts als den Himmel über euch. Er sagt, das ist grauenhaft. Flucht auch sehr viel deswegen. Ich mag das nicht. Er erzählt auch immer irgendwas von einer Unverborgenheit. 

F: Ja, das ist leider so! Wir sind unverborgen. Sind nicht geborgen. Immer dann, wenn wir zusammen sind. Alle sehen uns das an. Obwohl wir etwas sehen. A-létheia. Etwas, das den Spross will. Etwas, das die Blüten beleckt, ihre Farben, sie mit roten Fingerkuppen der Sonne öffnet. Es ist ein Blick. Einer, den man hat, wenn man im Herzen glücklich ist. 

K: Deswegen schaut Oliverio immer so komisch! Das will er also sehen? 

F: Das hat er längst. 

K: Malst du mir meine Fingerkuppen rot? 

F: Du willst wieder zu ihm, nicht wahr? 

K: Ja! Ich will meine Hände wie ein Dach über ihn halten. 

F: Ja dann …

(K: Kind; F: Frau, mit der Oliverio fliegen kann)

Vom Fliegen (Inspiriert von: El lado oscuro del corazón. Von Eliseo Subiela. Und dir.)

K: Oliverio hat gesagt, sie, der Tod, kann ihn noch nicht haben. Verstehst du das?  

F: Ja, ich kann Oliverio verstehen.  

K: Wieso?  

F: Er sucht die Frau, mit der er fliegen kann. Deswegen kann sie ihn noch nicht haben.  

K: Fliegen ist toll!  

F: Ja, sehr sogar! Alle wollen fliegen. Brauchen den Anderen dazu. Nur Kinder allein können das noch und nur für sich. So wie du. Sonst nur Vögel, Insekten und Fabelwesen. Erwachsene brauchen sich gegenseitig.  

K: Aber was ist mit der Frau, mit der er fliegen kann? Wo ist sie?  

F: Sie sitzt im Dunkeln, nackt auf einem Stuhl, die Beine gespreizt. Sie weiß, wie wunderschön das Fliegen ist. Hat ihre Hand auf ihr Geschlecht gelegt. Damit es nicht wegfliegt, weißt du. Sie muss es schützen. Für sich und Oliverio. Lauscht den Geräuschen der Welt. Spürt nur die Wärme. Die Brustkorbhebung. Die Brustkorbsenkung. Sie denkt an Oliverio. Weint. Auch weil sie weiß, wenn sie ihre Hand auf die Brust legt, dass sich durch die abgegebene Wärme ihre Milchgänge weiten. Gänge, durch die vielleicht nie etwas fließt. Strahlenförmige Galaktogänge sind das. Denn Milch, erst wenn sie austritt, erhält durch das Sonnenlicht ihre stillende Farbe, in der alle Farben sind.  

K: Warum aber ist sie wegen ihm traurig, wenn sie doch mit ihm fliegen kann?  

F: Na, weil das Fliegen eben schön ist. Weißt du doch! Und manchmal weinen wir Erwachsenen auch dann. Weinen, wenn uns etwas stärkt, wenn es uns gut tut. Aber du hast Recht! Denn ja, sie ist deswegen auch traurig. Weil sie noch mehr als mit ihm zu fliegen auch den Boden mit ihrem Geschlecht berühren will. Auch dafür braucht sie ihn. Allein kann sie das nicht. Und sie will es auch nur, weil sie beide fliegen können. Weil er ihr diese Kraft gibt. Ich kann Oliverio verstehen. Verstehst du ihn jetzt auch?  

K: Ja! Er ist ein bisschen wie ich.

(K: Kind; F: Frau, mit der Oliverio fliegen kann)

Im Anderen gespeichert

In uns scheint immer auch der Andere gespeichert zu sein (so seine Form, so seine Gesänge), dem wir kaum zuerkennen können, nichts mit uns zu tun zu haben als die condicio humana, eine Ähnlichkeit, die ständig variiert, sich aber niemals gleich gestalten wird, sollte die Sehnsucht danach auch noch so groß sein. So trügt uns stets das Bild, weil wir uns über uns selbst schon irren. Wir irren uns jedoch nicht, wenn wir an allem Zweifeln – und vor allem an unserem Verstand.

Das Außergewöhnliche ist das Ideal.

Ich denke an einen Menschen und bilde mir ein, wie er in mir in einer bestimmten Form tätig ist. So nämlich sehe ich ihn, wie er leidet an meiner Unzulänglichkeit, einer von mir ausgelösten Welle; mich gekannt zu haben, bedeutet, einer dunklen Stelle nahe gewesen zu sein, von der man nichts wusste.

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