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Nyctanthes

Last updated on 13. Juli 2024

Die Freiheit, die man gerne leugnet, besteht darin, sich in jeder Sekunde entscheiden zu können, was man als nächstes tut, ja, dass man bei einer Entscheidung oftmals ganz ohne Gedanken auskommt. Es mag uns scheinen, als dränge etwas wie ein Vulkan zur Eruption. Nur die Intensität markiert den Unterschied. Doch von Freiheit zu sprechen, wenn man voller Staunen zum ersten Male in das unbekannte Antlitz blickt, das so vertraut, weil vielleicht vor langer Zeit in allen Einzelheiten erträumt, weil vielleicht in einer anderen Zeit, in einem anderen Leben so verabredet – man mag sich einst nur verlassen haben, in dem man, wie im Irdischen auch, sich Bilder voneinander schenkte – ist nicht mehr möglich. Man kann sich auf seinen Pfaden, die durch unterschiedliche Landschaften führen, an etwas erinnern, ohne genau zu bestimmen, was es ist, das immer wieder die Gewissheit anstachelt. Man kann sich vormachen, man bilde sich aus und gehe dahin, wo es einen beliebt, man mag in einsamen Stunden der Illusion genügend Macht einräumen, wenn man für sich selbst versunken sitzt in lauen Lüften unterm Sternenzelt oder mit seinen Träumen einsam spaziert. Man mag so oft den Mut fahren lassen, wenn man plötzlich bemerkt, wie unwegsam das Gelände geworden ist; und man fragt sich nicht selten, ob man denn richtig abgebogen sei. Doch niemals wird sich verleugnen lassen, was gerade in unserer Zeit der Raison zum Opfer ward, dass sich zwei Herzen finden können, weil sie füreinander bestimmt, sich noch im unbekannten winden, nicht eigentlich unglücklich, doch an einer ganz bestimmten Stelle leer oder noch nicht angefüllt. Man liebt so dann und wann drauflos und hält es für die Höhenluft. Da kommt es kaum in den Sinn, dass auch die Liebe ihre Lehrjahre kennt, dass nicht jedes mit Freuden angenommene Gefühl gleich das Jauchzen der Ewigkeit verspricht. Wir pilgern stumm, auch wenn wir laut und tönend uns durchs Leben peitschen, rennen oder ziehen, wir entwickeln uns zu einem Menschen, dessen Vorgänger wir schon bald nicht mehr kennen. Dann sagen wir: Ich habe mich verändert und ich bin nun bereit für dies und das. Bis dann das Unbekannte eingreift, mit dem wir uns selbst vor langer Zeit in dieser Weise verabredet haben.

Sie begegnete mir auf einer Fotografie, als ich wie beiläufig einen Katalog durchblätterte um, ich weiß nicht mehr was, zu suchen. Man hat nicht viel von Bildern, die in ihrer Zweidimensionalität ein völlig falsches Symbol zum Leben erwecken, erblickte das, was man das Unbewusste genannt hat, und das uns leitet, weil es direkt mit der ganzen Welt verbunden ist, nicht die vereinbarten Zeichen, die wie ein Chiffre in der Landkarte des abgebildeten Gesichts existieren. Das Bild mag, auch wieder unbewusst, zu gerade diesem Zweck angefertigt worden sein, im günstigsten Fall ist es sogar ein zufälliges Bild, wenn wir dieses merkwürdige Wort hier einführen wollen. Keineswegs jedoch ist es das Bild der Balz, das absichtlich wie ein Magnet auf eben den wirkt, der diesen Chiffre zu lesen versteht. Freilich lockt und betört es darüber hinaus noch andere Späher, denn die Energie, wenn auch unbestimmt, liegt offen zu Tage. Doch höchstens deckt sich die Stimmung des wundersamen Augenblicks mit der Lust des Betrachters, denn die weiblichen Reize sind mysteriös und für alle Zeiten gültig, so dass die starke Stimmung dafür sorgt, dass auch das schwache Geschmeiß entbrannt und hechelnd wie geifernde Hundsfott, darauf reagiert.

Das Brodeln aber, dass in mir den Glockenschlag neu ausrichtete, während es die Zeit anhielt, um mich an etwas zu erinnern, an etwas zu erinnern, dass dort in diesem Gesicht eingeschrieben stand, kochte in mir ein Kraut der Besinnungslosigkeit, so dass ich, völlig entgegen meiner Art und wie beiläufig, eine Zeile niederschrieb, die doch nur meine Unbedarftheit zum Ausdruck bringen konnte, in der Absicht, diesem Wesen mitzuteilen, dass es mich gab, dass ich hier sei, auf einem Planeten angekommen, den wir uns fortan teilen könnten, dass ich gelesen hätte, was ihre Blicke mich aufforderten, zu tun, nämlich anzukommen und mich umgehend mit ihr in Verbindung zu setzen. Kaum muss ich erwähnen, dass diese meine Zeile ebenso sinnlos wie einfach wie einfältig wie grandios nichtsnutzig unter meiner Hand auftauchte und dass ich, der ich die Äpfel von den Bäumen reden konnte, nun zu einem stammelnden Idioten ward im Angesicht meiner Göttin, die vielleicht immer noch ruhig schlafen konnte, wie ich zu diesem Zeitpunkt nie mehr – das heißt: nur in ihren Armen.

Deine Gestalt nebelt auf mich zu und spricht während des Wallens der Legenden. Im Traum, ich gebe es zu, ist mir alles ein Gesang und jedes Bild erschallt. Als die Sprache noch Bild, als die Musik noch der Rhythmus der Jagd, des Ganges, des Atems war, der Gesang ein zufriedenes Grunzen. Und du erscheinst wie ein Edelmetall in der Asche, dem Rauch meiner Einbildung und ich kannte dich schon und du kanntest mich. „In einem anderen Leben an einem anderen Ort, wer weiß, was aus uns geworden wäre.“ Deine Worte von den Lippen oder war‘s ein Schrieb? Wir schrieben an uns hin: Berührungen, die wir nicht tauschen konnten. Wir gaben uns im Beisein unserer Worte, sandten uns mit, wenn wir uns Briefe schickten. Die Welt bewegt sich in unsere Richtung. Der Gedanke begründet die Welt, die Welt besteht aus Sprache. Wo die Sprache endet, endet die Welt.

Weißt du noch, wo wir hingefegt wurden? Konnten nur ins Herz uns zurückziehen, wenn Sturm. Die Läden schließen.

Und jetzt, ja, und jetzt küsse mich.

Und jetzt, ja, und jetzt.

Der Traum ist eine gute Strategie.

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