Wie schauderhaft es doch ist, sich so allein zu wähnen. Die Welt um mich herum ist ein unmenschlicher Auswuchs. Die Balztänze der Natur ein hassverzerrtes Gesicht, von einer utopischen Hitze untermalt.
Kaum berührte ich es, zerfiel etwas im Innern dieses Tongefäßes zu Staub. Ein Papyrus – ich rate das, erfahren werde ich es wohl nie – wird sich durch diese leichte Erschütterung in seine Bestandteile aufgelöst haben, ähnlich einem Gegenstand, der verbrannt wurde und noch eine Weile seine bereits ausgelöschte Struktur in Form von Asche aufrecht erhält, bevor der leiseste Hauch dafür sorgt, die Illusion zu vernichten.
Jetzt zerfalle auch ich zu Staub. Meine Hand zitterte beim Öffnen des Gefäßes, aber es war der Sauerstoff, der mit Schwert und Schwefel auszog, um seinen Akt der Auslöschung zu beginnen.
Zunächst ließ sich der schüsselartige Deckel nicht abnehmen. Ich musste meine beiden Hände mit dem wenigen Wasser befeuchten, das mir noch geblieben war. Gerne hätte ich es mit Spucke probiert, aber es war nur Wüstensand zwischen meinen krächzenden Zähnen, eine vermoderte Zunge.
Nichts ist gegen das Sterben einzuwenden, nicht hier, an einem Ort, der das Sterben bedingt, der sich seit dem Miozän nicht verändert hat, der keine Zeit in seinem veränderten Raum duldet. Nichts bewegt sich. Mürbe bin ich, mein Atem ein Keuchen, darüber glotzende, starre Augen. Ich muss den ganzen Kopf schwenken, wenn ich meine Augen irgendwohin richten will, schwenke Grad um Grad… ich liege ja bereits, das Rückgrat durchgebogen, bäuchlings, aufgestemmt, ein zitternder, ausgedörrter Affe. Ich habe meine Großartigkeit vergessen. Ich betrachte das Ende der Welt, selbst am eigenen Leib zu Pergament getrocknet; dieser eine Verzweiflungsakt noch … »Komm schon, Leib!«
Bis hier hin und nicht weiter! Warum auch weiter – und vor allem: wohin weiter? Um mich herum lauern aufgetürmte Wände, kaum gealtert unter der Hitze der Staubhände.
Ich habe dieses Zeug eingeatmet, diesen kranken Zerfall. Überraschend schlagen meine Lungen aus, spannen sich, als ob sie das Fliegen lernen müssten. Ich huste mit ihnen davon in eine rote Ohnmacht … da ist doch noch ein Rest Speichel in meinen Drüsen … nein, mir rinnt bloß die Galle aus!
Eine Stunde später
Kann meine Wange nicht vom Stein lösen! Grüne, üppige Wiesen tändeln vorbei, ein Traum, oder die Erinnerung an ein Land, aus dem ich vor tausenden von Jahren floh, um ein Hirngespinst zu finden. Ich habe das zerfallene Linnen inhaliert, meine Sinne sind von einem dauernden Lechzen nach völligem Zusammenbruch infiziert … Jericho … älteste bekannte Stadt … »Stimmt aber nicht, mit Catal Höyük ist zu rechnen!« So kann man mir keine Lügen unterbreiten … und dann fällt mir auch das noch ein … na, war wohl doch mehr Erinnerung als Traum. (Aber was fasele ich da von Unterschieden? Jede Erinnerung ist ein Traum!) Zum Beispiel erinnere ich mich an die disharmonischen Unterhaltungen, die ich mit meinen Kommilitonen geführt hatte, diesem potverrauchten Gelichter … alles nur spekulatives Reden.
Für einen Moment ist mir, als habe ich etwas gehört, ich löse mich auf! Schnell das noch … leicht ist das Denken, wenn man eine grüne Wiese unter seinem Hintern spürt, milchgetünchte Lippen und einen vollen Wanst unter die Sonnenscheibe legt! Die Ohren sausen noch von buchstabengetreuen Worten, die Faulheit lässt sich regeln, man fühlt sich ganz allmächtig (muss ja nur alles nachäffen), und bei zwei von hundert (ich übertreibe wieder), pflanzt sich ein Keimling tief ins Nichts, das schon Aristoteles mechanisch belegen wollte … die Seele! Noch unbestimmt – woher soll der Keim auch jetzt schon wissen, was aus ihm einst blüht? Schlummert in Regionen, die kein Mensch begreifen kann. Begriff, Griff: ich wäre ja blödsinnig gewesen, wenn ich da schon gewusst hätte, dass ich mich durch diese verdammte Wüste schleppen würde, um die Existenz des Menschen in der miozänen Periode des Tertiärs zu beweisen! Da sieht man doch, zu was so ein Keim gut ist … Phantasmen schmieren aus dem Hirn … Ich weiß ja nichts von diesem Keim, der bereits beginnt, mich zu verklären. Warum fällt mir auch ausgerechnet ein botanischer Begriff ein? Wiese, Keim … ich arbeite an einem Katalog!
Abend
Liege seit Stunden in dieser Stellung. So wird man mich finden, aber das dauert. Ich kann ja nicht sagen, daß ich gespannt bin, für wen ich das zerfallende Papier sein werde. Seitdem sich das Zeug in meinen Lungen tummelt, muss ich flacher atmen, war doch mehr als ich dachte. Kalt ist es obendrein … fertigerzählen! Jericho also, Catal erwähnte ich, spielt aber nicht wirklich eine Rolle. Die Erfindung der Stadt ging beschlussmäßig vonstatten, als hätte eine vermeintliche Führungsschicht die Erfindung der Stadt angeordnet … ist doch das gleiche wie mit der Schrift (dieser Betrug, den man allen einimpft, der alles auf die Sumerer festnagelt). Die Entdeckung der Tontafeln von Tartaria, die zweitausend Jahre älter sind, hat es wohl nie gegeben! Das Husten wird schlimmer, ich komme nicht mehr an diesen Schlauch … ach, wäre das jetzt eine Pracht, zu ersaufen! Freiwillig würde ich mich dafür hergeben, einmal Kielholen zu dürfen, freiwillig!
Menschenleer, das habe ich mir immer gesagt, Menschenleeres muss man sich ersehnen, und dann muss man sich aufmachen … Da! Wieder hab ich es gesehen! Da schleicht was! Wer will mir durch die Wüste gefolgt sein? Am Ende habe ich gar einen Wächter aufgescheucht – der sieht genüsslich meinem Ende zu!
Nacht
Jetzt, ich kann mich nicht mehr rühren! Ich besitze gutes Wissen darum, dass es eiskalt sein muss, kein Gefühl steckt in diesem ausgedörrten Ding von einem Körper … hätte ich doch nur gewusst, was auf diesem Fetzen stand, dann wäre mir wohler. Geheimnis vor dem Tode … romantisch, wenn man denkt …
Nachtrag
Im Journal of the Royal Institute of Great Britain and Ireland schrieb Frank Calvert 1874:
Ich hatte das Glück, unweit der Dardanellen schlüssige Beweise für die Existenz des Menschen in der miozänen Periode des Tertiärs zu entdecken. Vor der Stirnseite einer Felswand, die sich aus Schichten jener Periode zusammensetzt, in einer geologischen Tiefe von 800 Fuß, habe ich die Leiche eines jungen Mannes entdeckt, der in seinen Händen das Fragment eines Gelenks geborgen hielt, das zum Knochen eines Dinotheriums oder eines Mastodons gehört, an dessen konvexer Seite tief und unverkennbar die Figur eines gehörnten Vierfüßlers mit gebogenem Hals, rautenförmiger Brust, langem Körper, geraden Vorderbeinen und breiten Füßen eingeschnitzt ist. Ich habe an verschiedenen Stellen der Felswand, nicht weit vom Fundort des gravierten Knochens, einen Feuersteinsplitter und einige Tierknochen gefunden, die in Längsrichtung zerbrochen waren, was offensichtlich von Menschenhand geschah, um das Knochenmark herauszuholen, wie es die Praxis aller primitiver Völker ist. Das einzige Rätsel, das bleibt, ist der junge Mann selbst, der neben einem vollen Wasserschlauch gelegen hat, und offensichtlich am Sand erstickt ist, den er scheinbar mutwillig inhaliert hat. Eine Autopsie hat ergeben, dass der Körper mit einem starken Gift infiziert war, dessen Ursprung ungeklärt ist. Das Gelenk des Mastodons stammt allerdings unzweifelhaft aus der Felswand, jedoch kann nicht angegeben werden, wie es ausgerechnet in die Hände des auf so seltsame Weise Verstorbenen gelangen konnte.
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