Hinter diesen Türen / Ruth Ware

Etwas schade ist, dass in der deutschen Übersetzung – wie so oft – die Anspielung auf den literarischen Stoff verloren geht. In diesem Fall verbirgt sich hinter der Übersetzung „Hinter diesen Türen“ das Original von „The Turn of the Screw“ in Form von „The Turn of the Key“. Es mag sein, dass ich immer wieder zu sehr auf unsere fragwürdigen Titel eingehe, andererseits möchte ich nicht darauf verzichten, ein wenig auf Genauigkeit zu bestehen, zumal es sich, wie gesagt, längst nicht mehr um Einzelfälle handelt.

Wie dem auch sei, schauen wir uns einfach an, was wir hier vor uns haben.

Kombiniert man die malerische Abgeschiedenheit der schottischen Highlands mit der klaren, schnittigen Modernität eines „Smart House“, hat man sofort das Bild des Schauplatzes vor Augen, mit dem Ruth Ware hier hantiert. Es versteht sich von selbst, dass in den meisten guten Kriminalgeschichten der Schauplatz eine eigene Persönlichkeit und einen eigenen Charakter hat. Das mag auch für andere Genres gelten, aber im Mystery-Genre ist dieser Aspekt einer der wichtigsten.

Zurück zum Anfang: Ware schreibt hier eine moderne Nacherzählung der klassischen Geisterhausgeschichte von Henry James, hält sich aber nur in den Grundzügen an diese Erzählung, gibt ihr also ein völlig modernes und eigenständiges Gewand.

Heatherbrae House ist eine bezaubernde Mischung aus Alt und Neu; das stattliche Gebäude wurde mit allen Annehmlichkeiten der heutigen Technik und des Komforts modernisiert, hat aber dennoch den Charakter und die Geschichte seiner Vergangenheit bewahrt. Für Rowan Caine ist Heatherbrae House eine traumhafte Gelegenheit, sich finanziell zu etablieren und dem Stress des Alltags zu entfliehen. Eine Anstellung als Kindermädchen in diesem luxuriösen Anwesen – ganz zu schweigen von dem enormen Gehalt – ist ein wahr gewordener Traum. Doch wie in jedem guten Krimi ist auch in Heatherbrae House nicht alles so, wie es scheint. Das Konzept ist zwar bekannt, aber in den meisterhaften Händen von Ware wird die Geschichte zu etwas völlig Neuem und Brillantem. Heatherbrae House vereint das Beste aus Schauerromantik und postmoderner Paranoia. Das Haus hat sowohl eine dunkle Geschichte, die Rowan befürchten lässt, dass es dort spukt, als auch eine „Big Brother“-Qualität, die Rowan befürchten lässt, dass jeder ihrer Schritte nicht nur von der dunklen Energie des Hauses, sondern auch von moderner Technologie überwacht wird. Es gibt nicht viele Autoren, die Altes und Neues so authentisch und nahtlos miteinander verbinden können, aber Ruth Ware ist diese fesselnde Kombination wirklich gelungen.

Hinter diesen Türen ist keine besonders gewalttätige oder offensichtlich düstere Geschichte, aber Ware gelingt es hervorragend, eine atemberaubende Spannung in den Feinheiten und Verwicklungen der Handlung dieses Romans aufzubauen. Von Anfang an weiß der Leser, dass die Dinge für Rowan nicht gut ausgehen werden … sie werden sogar so schlecht ausgehen, dass Rowan sich schließlich in einer Gefängniszelle wiederfindet, wo sie auf den Prozess wegen des Todes eines Kindes wartet, das sie betreut hat. Aber wie konnte so viel Unheil in diese Idylle kommen? Es braucht schon eine besondere Geschichte, um die Aufmerksamkeit des Publikums zu fesseln, wenn der Ausgang von Anfang an bekannt ist, und genau so eine Geschichte schreibt Ruth Ware hier.

Die Schönheit der Highlands, die offensichtliche Großzügigkeit von Rowans neuen Arbeitgebern, die unglaublichen Annehmlichkeiten, die Rowan in ihrem neuen Zuhause vorfindet – Ware zeichnet ein wahres Traumszenario für ihre Protagonistin. Doch mit der Zeit bauen sich Spannungen und Misstrauen auf. Die Kinder in Rowans Obhut erweisen sich als schwieriger als erwartet, und ihre neuen Arbeitgeber verlassen das Haus für Wochen, so dass Rowan auf sich allein gestellt ist. Als sich in dem Haus seltsame und unerklärliche Dinge ereignen, beginnt Rowan, die Geschichte des Ortes zu erforschen – und was sie dabei entdeckt, deutet auf eine dunkle Vergangenheit und das mögliche Böse hin, das noch heute in dem Haus lauert. Und die Technologie, die das Leben im Haus so angenehm wie möglich machen soll, bedeutet, dass jeder Schritt von Rowan überwacht wird. Nach und nach offenbart sich, dass Rowan auf dem Weg in die Tragödie ist.

Ruth Ware hat uns hier eine weitere komplexe und fesselnde Protagonistin geschenkt. Im Gegensatz zu den Protagonisten früherer Ware-Romane, die etwas zu viel getrunken zu haben schienen und nie ganz bei Sinnen waren, ist Rowan eine äußerst scharfsinnige und kluge Frau – eine Frau, deren Einfallsreichtum sich im unerbittlichen Finale des Buches auf geradezu schockierende Weise offenbart. Rowan ist in vielerlei Hinsicht ein durchschnittlicher, nachvollziehbarer Mensch, der in unvorstellbare Umstände gerät. Ihre Glaubwürdigkeit ist das Fundament des Romans und macht die bizarren und erschütternden Ereignisse, die ihr in Heatherbrae House widerfahren, nur noch unheimlicher. Rowan scheint nicht die Art von Frau zu sein, bei der die Fantasie mit ihr durchgeht… Wie lassen sich also die Schritte erklären, die aus dem verschlossenen und mit Brettern vernagelten Dachboden des Hauses zu ihr dringen?

Von Anfang an wissen wir, dass Rowan im Zusammenhang mit dem tragischen Tod eines ihrer Kinder verhaftet wurde. In Hinter diesen Türen erzählt Rowan ihre Version der Geschichte – was wirklich passiert ist und wer ihrer Meinung nach für die Tragödie verantwortlich ist. Ruth Ware wird oft als moderne Agatha Christie bezeichnet, und nirgendwo trifft dies mehr zu als in der Präzision und Raffinesse der Handlung dieses Romans. Wie gewohnt hat Ruth Ware hier einen weiteren herausragenden Spannungsroman vorgelegt, der ihre Fans ohnehin begeistern dürfte.

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