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Stephen King Re-Read: Der Turm

Englische Taschenbuch-Ausgabe

Eine Pilgerreise, die mit der Aufgabe eines einzelnen Mannes begann, mehrere Welten vor Chaos und Zerstörung zu bewahren, entwickelt sich zu einer Geschichte von epischem Ausmaß und zog seine Leser mit seinem fantastischen Zauber in seinen Bann. Und diejenigen, die Roland, Eddie, Susannah, Jake und Oy seither treu begleitet haben, werden für ihre Treue reich belohnt, auch wenn es natürlich kritische Stimmen gibt, die vieles an diesen sieben Büchern nicht mochten und das Ende eher weniger verstanden haben. Es ist wie so oft eine Frage der Erwartungshaltung. King bietet Lesefutter für die unterschiedlichsten Kreise. Man kann ihn oberflächlich lesen und man kann ihn unter literaturwissenschaftlichen Bedingungen lesen. Man kann ihn philosophisch lesen oder als Chronisten des amerikanischen Lebens. Jeder Leser hat seinen eigenen King.

Mit „Der Wind durchs Schlüsselloch“, von Heyne einfach mit „Wind“ überschrieben, wird es noch einen kleinen Nachschlag geben, der allerdings für unsere Heldengruppe nicht relevant sein wird. Ich nutze die Gelegenheit, noch einmal Revue passieren zu lassen, wofür der dunkle Turm steht, ohne tatsächlich viel auf den Inhalt einzugehen, Spoiler zu diesem Buch wird es also hier nicht geben.

Stephen King begann 1970 mit dem Schreiben dieser Reihe, als er noch ein unglaublich ehrgeiziger Schriftsteller war. Während er noch die Universität von Maine besuchte, schrieb er die ersten Kapitel des ersten Buches. Das Projekt kam allerdings nicht so schnell voran, da zwischen einigen Büchern 6 Jahre Abstand lagen. 1999, kurz nach seinem beinahe tödlichen Unfall, widmete King seine ganze Aufmerksamkeit der Vollendung der sich lange hinziehenden Serie. Er vollendete die letzten drei Bücher der Reihe sehr schnell. Diese Romane sind von wahrer erzählerischer Magie erfüllt, fesselnd und immer wieder überraschend. Aber sie sind ein guter Abschluss dieser großen Geschichte, von der King glaubte, dass er sie nie beenden könnte.

Die Hauptquelle für all diese Romane war das Gedicht „Childe Roland to the Dark Tower Came“ von Robert Browning. Dieses Gedicht lieferte das zentrale, wiederkehrende Thema Kings und seiner Figur Roland Deschain von Gilead. J.R.R. Tolkien, L. Frank Baum, Clifford D. Simak und die Werke von Filmemachern wie John Sturges, Akira Kurosawa und Sergio Leone waren weitere Quellen, die King verwendete. Leones Dollar-Trilogie diente als Vorlage für Roland und das brutale, schöne Land, durch das er reiste.

„Der Mann in Schwarz floh durch die Wüste, und der Revolvermann folgte ihm“,

so eröffnete er die Reise Rolands. Roland ist der letzte Revolverheld in einer schnell zerfallenden Welt. Er ist auf dem Weg zum gleichnamigen Turm, der sich an einem Ort befindet, an dem eine unendliche Anzahl von Parallelwelten miteinander verbunden sind, und der Turm steht in der Mitte von ihnen. Der Turm wird von einer Reihe sich kreuzender Balken zusammengehalten. Außerdem wird er vom scharlachroten König angegriffen, der plant, den Turm niederzureißen und in dem darauf folgenden Wahnsinn zu herrschen. Rolands Ziel ist es, den Turm zu retten und in den Raum an der Spitze des Turms zu gelangen. In diesem Raum wartet ein unbekanntes Schicksal auf ihn.

Roland versucht in den ersten Büchern ein Trio mögliicher Gefährten aus drei verschiedenen Versionen Amerikas an sich zu binden.

Eddie Dean ist die erste Figur, wenn man einmal von Jake absieht, der bereits in „Schwarz“ auftaucht, mit dem es allerdings eine besondere Bewandtnis hat. Eddie ist ein Heroinsüchtiger, der nur noch wenig Hoffnung hat und auf seine letzte Chance wartet. Odetta Holmes ist die zweite Figur, eine Frau, die im Rollstuhl sitzt. Sie ist eine Bürgerrechtsaktivistin, die mehrere Persönlichkeiten in sich vereint. Später wird sie sich Susannah nennen. Jake Chambers ist die erste und die dritte Figur des Romans. Er ist ein 11-jähriger Junge, der gerade von den Toten zurückgekehrt ist, um sich Roland als Revolvermann anzuschließen. Diese Figuren bilden den Kern der heiligen Gemeinschaft, die Roland auf seiner langen Reise begleiten.

King erklärte später, diese Buchreihe sei seine „Übergeschichte“, der Mittelpunkt seines Schaffens, die seine gesamte Karriere, faktisch alle Romane und Kurzgeschichten, umfasst. Im gesamten Epos um den dunklen Turm geht es um Geschichten, um die Macht der Erzählung, die unser individuelles Leben formt und prägt. Es geht auch um die Dinge, die uns menschlich machen: Liebe, Verlust, Trauer, Ehre, Mut und Hoffnung.

„Auf einer noch tieferen Ebene ist es eine Meditation über die erlösende Möglichkeit einer zweiten Chance, ein Thema, das King sehr gut kennt. Indem er dieses gewaltige Projekt zum Abschluss brachte, hat er seinen Lesern die Treue gehalten und seine eigene zweite Chance bestmöglich genutzt. Der Dunkle Turm ist ein humanes, visionäres Epos und ein wahres Magnum Opus. Es wird noch sehr lange in Erinnerung bleiben“,

so Bill Sheehan von der Washington Post.

Tatsächlich verwebt King seine eigene Lebensgeschichte immer mehr mit der Geschichte von Roland und seiner Ersatzfamilie von Revolverhelden und deutet in diesem letzten Teil spielerisch und verführerisch an, dass es vielleicht nicht der Autor ist, der die Geschichte vorantreibt, sondern eher die fiktiven Figuren, die den Autor kontrollieren.

Diese philosophische Erkundung des freien Willens und des Schicksals mag diejenigen überraschen, die King bisher nur als produktiven Schriftsteller von übersinnlichen Märchen gesehen haben, und das sind merkwürdigerweise noch immer eine Menge. Aber ein genauerer Blick auf die brillante Komplexität seiner Welt sollte klären, warum dieser Bestsellerautor längst schon für seinen Beitrag zum zeitgenössischen Literaturkanon anerkannt wird. Mit dem Abschluss dieser Geschichte im Jahre 2004, die eigentlich das letzte veröffentliche Werk seiner Karriere werden sollte, hat King zweifellos einen weiteren Gipfel seines Könnens erreicht. Und was die Frage angeht, wer oder was sich auf der Spitze des Turms befindet… Die vielen Leser, die es unbedingt wissen wollen, müssen am Anfang beginnen und sich nach oben arbeiten.

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Raymond Chandler: Der große Schlaf

Zum 80-jährigen Jubiläum begann der Diogenes-Verlag 2019 die Raymond Chandlers Klassiker in einer neuen Übersetzung herauszugeben. Nachdem ich mir das Buch einmal angesehen hatte, das von Frank Heibert neu übersetzt wurde, tendiere ich doch eindeutig zu der Übersetzung von Gunar Ortlepp, die 1974 erschien.

Chandler

Raymond Chandler sagte einmal, er sei der erste gewesen, der auf realistische Weise über Los Angeles geschrieben habe. Um über einen Ort zu schreiben, sagte er, müsse man ihn lieben oder hassen, oder beides, abwechselnd, so wie man eine Frau liebt. Leere und Langeweile waren zwecklos. L. A. hat ihn nie gelangweilt. Er fand es vielleicht banal, aber niemals leer. Er liebte es (als er 1912 ankam) und hasste es (als er 1946 abreiste), bis es schließlich, wie er sagte, für ihn eine müde alte Hure geworden war. Er hat diese Stadt besser als jeder andere verstanden, ihren Rhythmus und ihre Grobheit, ihre Tankstellen, die verschwenderisch mit Licht gefüllt sind, die Häuser in den Schluchten, die in der Schwärze hängen, den Geruch der Luft, das Gefühl der Winde, den Puls des Ortes, weshalb seine Romane zu keiner Zeit veraltet wirken: Er hat die Essenz der Stadt eingefangen, nicht nur ihre zeitliche Oberfläche.

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Alan Bradley: Mord im Gurkenbeet (Flavia de Luce #1)

Die Streußel schmecken süß, jedoch
viel süßer schmeckt der Boden noch.“

Eines muss ich vorweg schicken: Wir haben es hier nicht definitiv mit einem Jugendroman zu tun, obwohl man sich natürlich glücklich schätzen kann, wenn Jugendliche diesen Roman lesen und auch genießen können. Sicher ist Flavia de Luce ein elfjähriges Mädchen, aber – wie wir gleich sehen werden – unterscheidet sie sich in fast jeder Hinsicht von dem, was man von einem 11-jährigen Mädchen erwarten kann. Tatsächlich ist die ganze Reihe vom Goldenen Zeitalter der Krimis durchtränkt, beeinflusst von der Wertschätzung des Autors für die Arbeit von Chesterton, Agatha Christie, Conan Doyle oder Dorothy L. Sayers. Das heißt, dass es sich um herrlich altmodische Krimis handelt, die mit einigen intellektuellen Seitenhieben aufwarten.

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Die dreizehnte Geschichte von Diane Setterfield

Im Jahre 2006 war Diane Setterfield eine der meistdiskutierten Autorinnen der Welt, da war ihr Debütroman noch nicht einmal erschienen. Der Grund, warum diese englische Akademikerin für so viel Aufregung sorgte lag an einem Bieterwettstreit, den man sich auf beiden Seiten des großen Teiches zehn Tage lang lieferte, denn jeder wollte “Die dreizehnte Geschichte” unbedingt als erster haben, nachdem das Manuskript bei einem Schreibseminar, bei dem es eigentlich um die Frage ging, wie man es schafft, ein Buch zu veröffentlichen, von dem Autor Jim Crace entdeckt wurde. Dadurch wurden einige Verleger aufmerksam. Schließlich ging das Manuskript für unglaubliche 800.000 Pfund in Großbritannien und für 1 Million Dollar in den USA an die jeweiligen Gewinner. Mehrere Übersetzungsverträge wurden gleich mit unterschrieben und von Anfang an standen die Filmemacher Spalier. Das waren Dimensionen, die man bis dahin nur von Stephen King kannte (einige werden an JK Rowling denken, aber die hatte einen ganz anderen Weg zu gehen).

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Von Hier bis zum Anfang / Chris Whitaker

Whitaker

Mit seinem dritten Roman „We begin at the End“ hat Chris Whitaker die weltweite Aufmerksamkeit auf sich gezogen.  Der Autor lebt in Großbritannien, siedelt seine Romane aber mit präziser Genauigkeit in den ländlichen Vereinigten Staaten an. Oft genug ist es ja gerade andersherum.  Er gewann in diesem Jahr nicht nur den Gold Dagger der Crime Writers Association, sondern wurde von vielen Fachmagazinen als bester Thriller des Jahres ausgezeichnet. Und heute schließe ich mich dem an. Erschienen ist das Buch bei Piper.

Und damit begrüße ich euch zu einer neuen Buchbesprechung. Kurz vor Schluss des Jahres kann ich jetzt also die Katze aus dem Sack lassen und behaupten, dass es für mich das Buch des Jahres ist.

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Stephen King Re-Read: Brennen muss Salem

In den agnostischen und sexuell freizügigen 1970er Jahren war der Vampir bereits seiner Mythologie beraubt und zu dem verkommen, was King „die Bedrohung durch das Lächerliche“ nannte. In deutlicher Abkehr von dieser Tradition reduzierte er den sexuellen Aspekt des Vampirs und verlieh dem Archetyp eine völlig neue Bedeutung, indem er seine Anziehungskraft auf den menschlichen Wunsch ausrichtete, seine Identität in der Masse aufzugeben.

Kings wichtigste Neuerung bestand jedoch darin, dass er eine mythische Kleinstadt im Sinne der amerikanischen Schauerliteratur imaginierte und diese Stadt selbst zum Monster machte; die Bevölkerung, normalerweise Opfer des Vampirs, wird hier als hirnlose Masse zur Bedrohung, als Pestwolke oder primitive Horde.

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Fairy Tale / Stephen King

Fairy Tale Cover

Wenn ein Roman in jüngster Zeit sich gut in das hier besprochene Stephen-King-Multiversum einfügt, dann ist es dieser, den man am ehesten im King-Kanon in eine Reihe mit „Die Augen des Drachen“, die Romane um den dunklen Turm, dem Talisman oder „The Wind through the Keyhole“ (bei uns „Wind“) stellen kann.

Die alternative Märchenwelt des Buches kombiniert Grimmsche Märchenelemente mit Lovecraftschem kosmischem Horror, aber es dauert eine Weile, bis man dort ankommt. Charlie Reade, der Protagonist des Buches, beginnt seine Reise durch den Weltbrunnen erst nach etwa einem Viertel des Buches. Zunächst aber baut King das sorgfältige Porträt von Charlies Leben in der kleinen Stadt Sentry in Illinois auf. Dann aber fließt alles von Rumpelstilzchen bis zu den drei kleinen Schweinchen über Star Wars und den Hunger Games in diese mitreißende Coming-of-Age-Geschichte, die eine Erzählung von menschenfressenden Riesen, elektrischen Zombies, Duellen auf Leben und Tod, einem grausamen Herrscher und einer schönen Prinzessin umspannt.

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Stephen King Re-Read: Susannah

Deutlich kürzer als „Wolves of the Calla“, ist „Song of Susannah“ ein rasantes Sammelsurium an Verrücktheiten mit dem Hauptziel, den Höhepunkt der Serie vorzubereiten.

Zusammen mit dem vorherigen ist dieses Buch in einem fast schon irrwitzigen Tempo entstanden. Bis dahin ließ sich King zwischen den einzelnen Teilen sehr lange Zeit, aber zwischen der Veröffentlichung von Glas und Wolfsmond geschah etwas Entscheidendes im Leben des King. Bei einem Spaziergang in der Nähe seines Hauses wurde er von einem Lieferwagen angefahren und so schwer verletzt, dass er das Schreiben aufgeben wollte. Das tat er nicht, er ist einer der wenigen Besessenen, aber er machte sich Sorgen darüber, den Dunklen Turm niemals abschließen zu können, wenn er jetzt nicht dran blieb. Die letzten drei Bücher wurden deshalb in halsbrecherischer Geschwindigkeit geschrieben und veröffentlicht, alle innerhalb von zwei Jahren.

Dieses Tempo war in der Geschichte des Dunklen Turms bisher einmalig, und das zeigt sich auch in der Erzählweise der Geschichte, denn die letzten drei Bücher sind viel enger miteinander verknüpft als die vorangegangenen Bände. Es werden eine Menge Handlungselemente einbezogen, die zuvor entweder nur angedeutet oder überhaupt nicht vorhanden waren.

King verwendet in Susannah auch Konzepte, bei denen die Grenzen zwischen Fiktion und Realität wirklich zu verschwimmen beginnen. Diese Wechselfälle scheinen in der Leserschaft ein eher laues Echo hervorgerufen zu haben, was allerdings auch daran liegen kann, dass sie gar nicht verstanden, was King tatsächlich tat. Zumindest fällt mir das immer wieder ins Auge, wenn ich mir einige Rezensionen durchlese.

Susannah – im Original „Song of Susannah“ ist Band 6 der Reihe um den Dunklen Turm. Roland Deschain, der letzte Revolvermann und sein Ka-Tet haben die Wölfe in Calla Bry Sturgis besiegt.

Ihr Erfolg war jedoch eher bittersüß, denn Mia, die Dämonin, die von Susannah Besitz ergriffen hat, entführte sie durch die UNBEKANNTE Tür. Schlimmer noch, sie nahm die Schwarze Dreizehn mit – eine magische Zauberkugel, die von Maerlyn geschaffen wurde, um dieses Tor zu anderen Welten zu versiegelt.

Durch die Magie der Manni und die angeborenen Kräfte des Ka-Tets reißen sie die magische Tür auf. Die Gruppe wird jedoch getrennt.

Pater Callahan, Jake und Oy werden 1999 auf Susannahs Spur geschickt, während Eddie und Roland ins ländliche Maine des Jahres 1977 geschleudert werden, wo eine von dem Mafioso Jack Andolini angeführte Gruppe bereits auf sie lauert.

King führt drei parallele Handlungsstränge durch das Buch. An erster Stelle steht die Geschichte von Susannah und Mia, deren einziges Ziel es ist, das Kind, das sie in sich tragen, zur Welt zu bringen. Obwohl Susannah die Mutter ist, wurde die Erziehung des Kindes Mia versprochen. Die Identität des Vaters wird für die meisten Leser jedoch ein Schock gewesen sein.

Susannah ist mit Sicherheit der komplizierteste der Dunklen-Turm-Romane, der ehrgeizigste und zweifellos der kühnste. Was wir bekommen, ist eine bereits detaillierte Serie, die eine zusätzliche Ebene der Tiefe erhält. Schließlich regt das gesamte Epos zu Fragen an, befeuert die Fantasie wie kaum ein anderes zeitgenössisches Fantasy-Werk und lässt den Leser immer wieder selbst über die erstaunlichen Situationen rätseln.

Wie der Titel schon andeutet, geht es in Susannah in erster Linie um die Figur der Susannah, die die letzte Phase ihrer übernatürlichen Schwangerschaft und ihren inneren Kampf mit dem Geist Mia durchlebt, der ohne ihr Wissen Besitz von ihr ergriffen hat, um ihr das Baby zu stehlen und aufzuziehen. Dieser geistige Kampf stellt für Susannah eine große Herausforderung dar. Aufbauend auf ihrem Hintergrund, der in „Drei“ erstmals dargelegt wurde, und gewürzt mit der Tatsache, dass sie nun die wilde Detta Walker als Teil ihrer Psyche und ihre neue Identität als Revolverheldin akzeptiert, lernen wir eine starke Person kennen, die bereit ist, für ihr ungeborenes Kind und für den Dunklen Turm selbst zu kämpfen. Ihre Handlung beinhaltet einen neuen Einblick in die Arbeitsweise des fast allgegenwärtigen Scharlachroten Königs und in die Ebenen, die die Antagonisten der Serie bereit sind zu beschreiten, um ihr Ziel zu erreichen. Susannah ist eine sehr persönliche Geschichte, die sich in erster Linie auf den Kampf zwischen einer Frau und ihren (im wahrsten Sinne des Wortes) inneren Dämonen konzentriert. Sie enthält alle Seltsamkeiten und faszinierenden Elemente, die wir an dieser Serie lieben gelernt haben, mit einem Ende das tatsächlich denkwürdig ist.

Unterstützt wird diese Hauptgeschichte durch die Erlebnisse von Eddie und Roland, die ihre Mission zum Schutz der Balken fortsetzen, um den Fall des Dunklen Turms zu verhindern. Unter anderem statten sie dem damals noch nicht so bekannten Stephen King einen Besuch ab, der aufgehört hat, am Dunklen Turm zu schreiben, nachdem Roland Jake in „Schwarz“ hat fallen lassen.

Ein kleinerer Teil der Handlung ist Jake und Pater Callahan gewidmet. Sie sind auf einer Such- und Rettungsmission, um Susannah zu finden, und so besteht ein Großteil ihrer Aktivitäten darin, ihren Spuren zu folgen. Es ist schade, dass ihnen nicht viel Zeit gewidmet wird, denn Jake ist ein fester Bestandteil der Serie und Callahan ist ein großartiger Neuzugang in der Geschichte.

Seit Beginn ihrer Mission hat Callahan Angst vor dem Tod, und er führt die letzte Ölung für Jake durch. Ein kleiner Hoffnungsschimmer ist die Sköldpadda, die Susannah für sie zurückgelassen hatte. Mit der Schildkrötenfigur in der Hand, den Orizas, die sie aus dem Hotel mitgenommen haben, und der zuverlässigen Ruger stürmen Jake, Callahan und Oy das Dixie Pig und man denkt augenblicklich an Butch Cassidy & The Sundance Kid. Solche Referenzen sind im Dunklen-Turm-Zyklus wie wir wissen in erheblicher Zahl vorhanden und es bräuchte ein Lexikon, um sie alle unterzubringen.

Es gibt es einen starken Cliffhanger, der dem zwischen „Drei“ und „tot.“ in nichts nachsteht. Aber diesmal hat es nicht lange gedauert, bis man weiterlesen konnte.

Auch das eigentliche Ende des Buches ist starker Tobak und lässt den Leser sehnsüchtig darauf warten, herauszufinden, wie die Serie enden wird. Susannah ist in erster Linie ein Brückenroman, aber er bringt viele Elemente zum Tragen, auf die King jahrzehntelang hingearbeitet hat, und ist eine schöne Hommage an die Verrücktheit der Geschichte als Ganzes.

Die Erzählung endet zwar mit dem Eintritt von Mordred Deschain in die Welt, aber das Buch ist damit noch nicht zu Ende. Der Nachtrag „Seiten aus dem Tagebuch eines Schriftstellers“ beschreibt die Tagebucheinträge der Figur Stephen King aus den Jahren 1977 bis 1999, in denen er die Reihe von Abenteuern schreibt, die die Suche nach dem Turm ausmachen. Das Buch schließt mit einer Schlagzeile und einem Bericht des Portland Sunday Telegram, in dem erklärt wird, dass Stephen King gestorben ist – offenbar hat ihn der Lieferwagen, der ihn angefahren hat, wirklich umgebracht.

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Stephen King: Carrie – Ein universelles Märchen

Der Roman erschien etwa zur gleichen Zeit wie Rosemaries Baby und Der Exorzist. Es war die Zeit, in der die Menschen begannen, sich mehr für das Unheimliche und Paranormale der menschlichen Existenz zu interessieren und sich nicht mehr mit Gespenstern und Geistern abzufinden.

Der Archetyp

Man mag sich fragen, was an Stephen Kings Carrie so besonders ist, dass es überhaupt sein Erstlingswerk werden konnte. Ein großer Teil der Legende beruht auf der Tatsache, dass dies bereits Kings vierter Roman war, den er an Verlage schickte. (Die ersten drei waren AmokTodesmarsch und Qual, die alle später unter dem Pseudonym Richard Bachmann veröffentlicht wurden.) Gerne wird auch die Geschichte erzählt, dass King den einzigen Entwurf in den Papierkorb geworfen habe, bis seine Frau ihn überreden konnte, ihn wieder herauszuholen und zu beenden. Tatsächlich hatte er nicht nur das Manuskript in den Papierkorb geworfen, er wollte das Schreiben überhaupt aufgeben. King konnte einfach nicht glauben, dass eine Geschichte über ein dünnes, blasses Mädchen mit Menstruationsproblemen die Leute interessieren würde. Das wäre sicher die richtige Einschätzung gewesen, aber Carrie entsprach voll und ganz dem damaligen Zeitgeist.

Carrie

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Billy Summers / Stephen King

In einer begeisterten Rezension schrieb John Dugdale von der Sunday Times: „Diszipliniert, aber abenteuerlich, gleichermaßen gut in Actionszenen und tiefgründiger Psychologie, zeigt King mit diesem Roman, dass er mit 73 Jahren ein Schriftsteller ist, der wieder auf der Höhe seines Könnens agiert.“

Neil McRobert vom Guardian nannte es Kings „bestes Buch seit Jahren“ und lobte seine „eigene Art eines kräftigen, übersteigerten Realismus“.

Seit fünf Jahrzehnten dominiert Stephen King das literarische Erzählen und mit Billy Summers wandert dieser einzigartige Autor weiter auf jenem Pfad, der schon länger vorhanden ist, den er aber mit „Mr. Mercedes“ eindeutig eingeschlagen hat.

Stephen King kennt das Verbrechen. Er ist mit Pulp-Legenden wie Richard Stark und John D. MacDonald aufgewachsen. Um die Wahrheit zu sagen: er war schon immer ein wirklicher Noir-Fan.

Als MacDonald sich bereit erklärte, das Vorwort für Kings Erzählband „Nachtschicht“ zu schreiben, hätte er sich vor Freude fast in die Hose gemacht. Wenn King über seine frühen Inspirationen spricht, fallen unweigerlich die Namen zahlreicher Hardboiled-Autoren. Seine Bücher sind voll mit Verweisen auf seine schriftstellerischen Helden. Ohne Kriminalromane gibt es keinen Stephen King.

Sie haben seine Wut auf das System und seine Haltung gegenüber bestimmten politischen Zuständen inspiriert. Man muss sich fragen, wie Kings Herangehensweise an das Schreiben aussehen würde, wenn er nicht mit dem Verschlingen von Groschenromanen aufgewachsen wäre. Zumindest besteht die Wahrscheinlichkeit, dass sein Schaffen nicht so überschwänglich gewesen wäre. Das Leben eines Autors von Groschenromanen bestand darin, zu tippen, bis die Finger bluteten, und manchmal ganze Romane in weniger als einem Monat fertigzustellen. Sie schrieben Geschichten über schreckliche Menschen, die schreckliche Dinge taten, und die Leser können bis heute nicht genug davon bekommen. In Kings Romanen ist niemand perfekt. Jeder hat seine Macken. Die Protagonisten begehen oft Verbrechen, nehmen das Gesetz selbst in die Hand und tun alles, was nötig ist, um etwas zu erreichen.

Es stimmt zwar, dass die meisten von Kings Werken übernatürliche Elemente enthalten, aber es lässt sich nicht leugnen, dass viele, wenn nicht alle seiner Bücher, auch als Thriller eingestuft werden können. Nur weil man einen Geist oder ein kinderfressendes unterirdisches Monster hinzufügt, heißt das noch lange nicht, dass man nicht auch einen Thriller vor sich hat. Belletristik ist nicht auf ein bestimmtes Genre beschränkt, und das ist vielleicht der Grund, warum Stephen King eine so erfolgreiche Karriere gemacht hat. Er hat sich von Anfang an nie festlegen lassen und ständig verzweigt, Elemente aus verschiedenen Genres aufgenommen und etwas völlig eigenes daraus gemacht.

Die beiden größten Genres sind sicherlich der Horror, aber auch Krimis. Seine Bücher sind vom Ethos des klassischen Thrillers durchdrungen.

Billy Summers ist ein ziemlich gelungenes und gutes Beispiel für einen echten King mit Thriller-Elementen. Im Wesentlichen ist das Buch erneut und wie so oft eine Charakterstudie. Obwohl dieser Roman viele klassische – für King typische – Marksteine enthält, darunter Rache, einen Schriftsteller-Helden, unwahrscheinliche Freundschaften, Traumata, Gerechtigkeit -, macht hier vor allem seine Hingabe an den Realismus und die intensive, fast meditative Konzentration auf die titelgebende Hauptfigur „Billy Summers“ zu einem herausragenden Werk.

Billy ist ein Auftragskiller. Aber er hat seine Prinzipien. Er tötet nur schlechte Menschen. Einige der Männer, die er getötet hat, waren in der Tat sehr üble Zeitgenossen. Beim Militär hat er sein Talent als Scharfschütze unter Beweis gestellt, und als er entlassen wurde und keine wirkliche Zukunft vor sich sah, beschloss er, die erlernten Tötungsfähigkeiten beruflich zu nutzen. Als wir ihm begegnen, hat er jedoch genug davon. Er ist bereit, sich zur Ruhe zu setzen. Aber vorher nimmt er noch einen letzten Job an.

Die Bezahlung für diesen letzten Auftrag ist astronomisch, und die Zielperson hat ihr Schicksal zweifellos verdient, aber was Billy wirklich überzeugt, den Job anzunehmen, ist die Tarnung, die er annehmen soll: Er muss sich als Schriftsteller ausgeben, der sich in einem Bürogebäude einmietet, um seinen ersten Roman fertigzustellen. Und genau dort wird Billy auch seinen Schuss abgeben.

Sein potenzielles Opfer wird auf den Stufen des Gerichtsgebäudes in der Nähe des gemieteten Büros abgeliefert, in dem Billy seiner Tarngeschichte als Schriftsteller nachgeht.

Billy verbringt Wochen in der Stadt, bevor die Mühlen der Justiz den Mann schließlich in seine Nähe bringen. Während dieser Zeit hält er sich strikt an seine Tarnung, indem er sich tatsächlich im Schreiben versucht. Er beschließt, seine Lebensgeschichte aufzuschreiben, aber um der Rolle des etwas dümmlichen Typen, die er im Laufe der Jahre perfektioniert hat, treu zu bleiben, nimmt er die Stimme von Benjy Compson an, William Faulkners „idiotischem“ Kind aus „Schall und Wahn“. Dies ist nur eine von mehreren literarischen Anspielungen, die King in diesem Buch macht. Er erwähnt auch Dickens, Wordsworth, Shakespeare, Thomas Hardy und Cormac McCarthy, um nur einige zu nennen. Billy ist sehr belesen, und während des gesamten Buches ist er in die Lektüre von Emile Zolas „Therese Raquin“ vertieft. Überraschenderweise, oder vielleicht auch nicht, stellt er fest, dass ihm das Schreiben Spaß macht und dass er ein Talent dafür hat. In einer Umkehrung von „Shining“, wo ein Schriftsteller zum Mörder wurde, wird hier der Mörder zum Schriftsteller. Tatsächlich bezieht King sich in seinen literarischen Referenzen letztendlich auch auf sich selbst!

King hat im Laufe der Jahre so viele Autoren-Protagonisten geschaffen, dass dies nicht mehr nur ein Running Gag ist, sondern einfach zur Hintergrundstrahlung seines Werks gehört. Aber selten hat er so viel Zeit und Energie in die Darstellung der eigentlichen kathartischen Arbeit des Jobs gesteckt, bis hin zum Verfassen ganzer Kapitel, in denen Billy seine missbrauchte Kindheit und seinen Militärdienst verarbeitet, um das Netz von Identitäten zu entwirren, das er um sich herum aufgebaut hat. Die Begeisterung, mit der Billy erkennt, dass er endlich hinter den Masken hervorschauen und mit seiner eigenen Stimme sprechen kann (wenn auch nur zu sich selbst), hätte in einem anderen Buch kitschig wirken können, aber in Kings Händen wirkt es ansteckend echt. Neben diesen hochtrabenden Ideen sind diese Auszüge auch eine Gelegenheit für King, ein wenig metafiktionale Spielerei zu betreiben und einen Text zu verfassen, der sich wie das Werk eines begabten Anfängers liest und sich von dem vertrauten Ton im Rest des Buches unterscheidet.

Kurz vor dem Abschluss seines Auftrags macht sich Billy Sorgen darüber, dass es einen Plan geben könnte, ihn nach der Tat abzuservieren, und er schmiedet alternative Fluchtpläne. Er verschanzt sich in einer Kellerwohnung in der Stadt und verlässt sie zunächst nicht, wie es sein Auftraggeber vorgesehen hatte. Als er sich eines Nachts in dieser Wohnung aufhält, sieht er, wie drei Männer in einem Lieferwagen ein schlimm zugerichtetes Mädchen auf der Straße abladen. Er geht hinaus, um nach ihr zu sehen, findet sie gerade noch so lebendig und bringt sie ins Haus. Sie wurde von den drei Männern unter Drogen gesetzt und vergewaltigt. Hier beginnt der zweite Teil des Romans, den nachzuzeichnen diese Besprechung hier sprengen würde.

Ich möchte zum Ende nur darauf hinweisen, dass es das Schreiben ist, das Billy Summers rettet – sowohl die Prosa selbst als auch die Darstellung der Handlung. Zusammen geben sie dem Buch die Rettungsleine, die es braucht, wenn sich das aus den Schlagzeilen gerissene Ende abzeichnet. Selbst in den abgedroschensten Verbrechensszenarien schafft es King, aus der kleinsten Abweichung vom Plan eine Flutwelle der Spannung aufzubauen, die seine „Dauerleser“ tief in die schweißnasse Unsicherheit seiner Helden eintauchen lässt, während sie beobachten, wie eine Situation möglicherweise außer Kontrolle gerät. Indem er Billys Sühne in Kommunikation und Schöpfung und nicht in Gewalt verortet, gelingt es King, einen Raum für Erlösung zu finden, der andernfalls vielleicht hohl geklungen hätte. Für ein Buch, dessen einziges übernatürliches Element die gelegentlich auftauchende Ruine des weit entfernten Overlook Hotels ist – wo ein anderer King-Schriftsteller-Stellvertreter einst weitaus schlechter mit seiner Isolation und seinen „Gaben“ zurechtkam -, ist Billy Summers auf gewinnende Weise optimistisch gegenüber des kreativen Geistes. Mehr als fast jedes andere King-Buch der jüngeren Vergangenheit ist es ein Produkt seiner Zeit.

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Der Seidenspinner / Robert Galbraith

Es ist fast unumgänglich, dass nahezu jede Besprechung von Rowlings großartiger Krimireihe, die 2013 mit Der Ruf des Kuckucks ihren mehr als soliden Start markierte, mit Hinweisen auf Harry Potter gespickt ist. Es ist fast zu schade, dass ihr Pseudonym Robert Galbraith so früh schon gelüftet wurde, die Rezensionen sähen anders aus. Und wie man sieht, komme auch ich nicht umhin, ihre berühmten Kinder- und Jugendbücher zu erwähnen.

Dass Rowling eine herausragende Autorin ist, kann nur ein Dummkopf bestreiten. Dass sie einen soliden Krimi schreiben kann, war deshalb keine große Überraschung.

Im ersten Roman folgten wir Cormoran und seiner neuen Sekretärin Robin Ellacott, wie sie den mysteriösen Tod des Models Lula Landry aufklärten. Strike litt noch unter der Trennung von seiner verlobten Charlotte und sein Detektivgeschäft ging gerade den Bach runter. Im „Seidenspinner“ geht es aufwärts: Das Geschäft boomt, es gibt jede Menge Kunden, und Cormoran kann es sich sogar leisten, nicht mehr in seinem Büro wohnen zu müssen.

In „Der Seidenspinner“ begibt sich die Autorin auf ein Terrain, das dunkler und verstörender ist als dieser – bereits gelungene – Auftakt. Rowling hat nicht lange gebraucht, um sich in diesem Genre nicht nur umzusehen, sondern auch gleich ein Spitzenwerk abzuliefern, das viele ihrer langjährigen Kollegen auf die Plätze verweist.

Strike wird hier von der Frau des verschwundenen Autors Owen Quine (Kwein) engagiert, um ihn zu finden und er nimmt an, obwohl er weiß, dass es sich womöglich nicht auszahlen wird.

Quine verschwand, als er die Nachricht erhielt, dass sein neuestes Manuskript nicht veröffentlicht werden kann, weil er dort verschiedene Berühmtheiten aus der Welt der Literatur in bösartiger Weise porträtierte. Was folgt, ist ein sadistischer Mordfall, und damit sind Cormoran und Robin gezwungen, sich ihren Weg durch den trüben Sumpf der Verlagsbranche zu bahnen, während im ersten Band die Paparazzi ihr Fett weg bekamen. Rowlings Lebenserfahrung ist also nicht zu übersehen. Sowohl „Der Ruf des Kuckucks“ als auch „Der Seidenspinner“ dekonstruieren die Vorstellungen von Erfolg, Ruhm und einem Leben im Rampenlicht.

Als Cormoran im Zeitschriftenregal nach einer Ausgabe des Tatler sucht, in dem seine Ex-Verlobte abgebildet ist, entdeckt er Emma Watson auf dem Titelblatt der Vogue – ein echter Agatha-Christie-Witz.

Im ersten Band wurde sehr eindringlich beschrieben, wie er in einer Limousine sitzt und von Paparazzi verfolgt wird. Diesmal gibt es einige besondere Seitenhiebe auf die zweifelhaften Literaturwelt.

Ein Autor erklärt Strike: „Wer lebenslange Freundschaft und selbstlose Kameraderie sucht, sollte zur Armee gehen und das Töten lernen. Wer sich ein Leben voller temporärer Allianzen mit Kollegen wünscht, die sich im Versagen des anderen sonnen, muss Romane schreiben“. Es ist unmöglich, hier nicht Rowlings ganz persönliche Erfahrung herauszulesen. Und es ist leicht zu verstehen, warum sie sich dafür entschied, unter einem Pseudonym zu veröffentlichen: Sie wollte wegen ihrer schriftstellerischen Arbeit und nicht wegen ihrer Berühmtheit wahrgenommen werden. Während die hochnäsigeren Schichten der literarischen Welt sie vielleicht belächeln, weil sie im Grunde nicht so viel von Literatur verstehen wie sie vorgeben, zeigt sie dem echten Verständigen einmal mehr, welch überragende Gabe zur Beschreibung sie hat.

Rowling hat es sich bei der Entwicklung ihres Privatdetektivs nicht einfach gemacht, weil es diese Art vom Ermittler heute nicht mehr gibt. Ein Privatdetektiv hat kaum die Möglichkeit, in einem Mordfall zu ermitteln und man muss sich schon etwas einfallen lassen, um ein glaubhaftes Szenario zu entwerfen, bei dem das gelingen kann. Nicht, dass mich das in irgendeiner Weise interessieren würde, aber Rowling gelingt es, Strikes Fälle legitim darzustellen. Dabei hat sie mit Cormoran Strike auch noch einen höchst interessanten Detektiv entworfen. Er ist als uneheliches Kind eines alternden Rockstars sogar selbst eine kleine Berühmtheit und schafft es unter all den zahlreichen Ermittlern, die es mittlerweile gibt, zu den besten ihrer Zunft aufzusteigen.

Die Beziehung zwischen Cormoran und Robin entwickelt sich hier auf interessante Weise, und einer der Haupthandlungsstränge hier betrifft die Ausweitung ihrer bisherigen Rolle. Robins Beziehung zu ihrem langjährigen Verlobten Matthew steht weiterhin unter seinem rigorosen Unmut, dass seine baldige Frau, die als Sekretärin anderswo bei weitem mehr Geld verdienen könnte, für einen – für ihn – windigen Detektiv arbeiten will.

Strike weist in einer seiner Überlegungen den Leser darauf hin, dass die Bedingung dafür, dass Robin mit ihrem Verlobten zusammenbleibt, darin besteht, dass sie „nicht sie selbst ist“, und es gibt eine allgemeinere Betrachtung über die Schwierigkeiten, sich von einer langjährigen Liebe zu trennen.

Es gibt eine ganze Reihe dysfunktionaler Paare in „Der Seidenspinner“, von den trunksüchtigen Waldegraves über die kaltblütige Arroganz der Fancourts, der repressiven Chards bis hin zu den überaus seltsamen Quines. Leonora Quine ist eine wunderbar gezeichnete Figur: verkorkst und mürrisch, nur mit ihrer Tochter beschäftigt und ziemlich desinteressiert an ihrem Mann. Sie las seine Bücher nur, sobald sie einen ordentlichen Einband hatten, und sie weigert sich hartnäckig, von der Entwicklung der Ereignisse schockiert zu sein. In beiden Teilen von Cormoran Strikes Abenteuern ging es mehr um die Beziehungen zwischen den Figuren als um das Endziel, und in der Tat scheint der wahrhaftigste Bösewicht von allen Cormorans ehemalige Verlobte Charlotte zu sein, die so etwas wie die Irene Adler für Holmes ist. Dabei wird sie zwar andauernd erwähnt, ist aber noch nicht wirklich in Erscheinung getreten.

Wie geschickt Rowling darin ist, die Entwicklung ihrer Figuren zusammen mit einem interessanten Fall zu präsentieren, und nicht nur nebeneinander, zeigt sie hier mit einer Grandezza, die eigentlich alle Kritiker zum Verstummen bringen müsste. Wie wir wissen, ist das natürlich nicht der Fall. Mindere Geister werden ihr ihren Erfolg weiterhin neiden.

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Colin Dexter: Der letzte Bus nach Woodstock (Inspector Morse #1)

Der 2017 verstorbene Norman Colin Dexter formte einen der beliebtesten und berühmtesten Detektive sehr nach seinem eigenen Vorbild. Auch Dexter war ein Liebhaber englischer Kreuzworträtsel (nicht zu verwechseln mit den unsrigen) mit einem blitzschnellen Verstand, ein von Diabetes geplagter Biertrinker und ein Kenner klassischer Musik. Bis zum Schluss kannten die Leser weder den Vornamen des Autors noch den von Morse. Erst später stellte letzterer sich als Endeavour heraus.

Um sich eine Pause von seinen launischen Kindern zu gönnen, begann Dexter 1972, die ersten Absätze eines Kriminalromans zu notieren. Zunächst war es sein einziges Ziel, sich etwas Zerstreuung zu gönnen. Daraus wurden 13 Romane und die beliebteste britische Fernsehserie aller Zeiten mit John Thaw als Inspektor Morse, die bald ein Prequel und ein Sequel bekam. Der letzte Roman der Morse-Reihe wurde 1999 veröffentlicht und beschließt einen Zeitraum von 25 Jahren. Auf der Liste der besten Detektive aller Zeiten rangiert er auf Platz 7, hinter Sam Spade, aber vor Father Brown.

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Bouquinist

Robert Galbraith: Der Ruf des Kuckucks (Cormoran Strike #1)

Der Ruf des Kuckucks
Blanvalet

Als „Der Ruf des Kuckucks“ im April 2013 erschien, wurden nur 1500 Exemplare verkauft, was für einen völlig unbekannten Autor dennoch gar kein so schlechtes Ergebnis ist. Als die Sunday Times im Juli des Jahres jedoch verlauten ließ, dass es Hinweise darauf gebe, dass hinter dem neuen Namen Robert Galbraith J. K. Rowling ihr Krimidebüt gegeben hatte, geriet die Welt in einen Kaufrausch und das Buch kletterte ohne Umschweife auf Platz 1 der Amazon-Bestsellerliste.

Natürlich werden da viele Leser, die mit Harry Potter aufgewachsen sind, allein schon aus einer Gewissen Hoffnung auf einen Nostalgie-Effekt zugegriffen haben, auch wenn sie – wie sie schnell bemerkt haben dürften – mit der Krimi-Rowling dann doch nicht besonders warm geworden sind. Das ist keine pure Behauptung; man lese sich nur zum Vergnügen gerne einige negativ bewertete Aussagen zum Buch durch. Da trifft man reihenweise auf enttäuschte Potterheads.

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Bouquinist

Der Opiummörder / David Morrell

David Morrell hat in seinen drei De Quincey-Romanen den historischen Kriminalroman unendlich bereichert. Nicht nur, dass sie zum besten zählen, was es auf dem Sektor des viktorianischen London zu lesen gibt, es ist auch eine Meisterleistung der Recherche. Vater und Tochter De Quincey werden im Grunde nur von Sherlock Holmes selbst übertroffen, mit dem einen Unterschied, dass es De Quincey wirklich gab.

Mord als große Kunst

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Bouquinist

Höllenjazz in New Orleans / Ray Celestin

New Orleans, Mai 1919. Ein mysteriöser Mörder geht um, den man den Axeman nennt. Ähnlich wie im Fall Jack the Ripper gibt es einen Spottbrief, den er an die ansässige Zeitung schickt (beim Ripper war es die Polizei selbst, an die die Briefe adressiert waren), und ähnlich wie Jack the Ripper gab es den Axeman wirklich, auch er wurde nie gefasst, die Morde hörten einfach auf.

Bei seinen brutal verstümmelten Opfern hinterlässt er stets eine Tarotkarte.

Die Ermittlungen werden von drei unterschiedlichen Seiten aufgezogen. Da sind Detective Lieutenant Michael Talbot, der ehemalige Polizist und Mafioso Luca D’Andrea, der frisch aus dem Gefängnis entlassen wurde, und Ida Davis, eine Sekretärin der örtlichen Zweigstelle der Detektei Pinkerton, die unabhängig voneinander die Morde untersuchen.

Ray Celestins Debütroman führt uns zurück in die Zeit, in ein New Orleans nach dem ersten Weltkrieg. Die Erzählung wechselt zwischen den drei Hauptfiguren, die alle einen anderen Ansatz haben, und sie nimmt uns mit, um eine Reihe historischer Verbrechen zu untersuchen. Dabei sehen wir interessanterweise nicht nur drei Möglichkeiten, sich einem Verbrechen zu nähern, wir erleben auch die Stadt aus drei unterschiedlichen Perspektiven, die sich im Laufe der letzten hundert Jahren kaum verändert hat, glaubt man den Stimmen, die sich damit auskennen. Tatsächlich gilt New Orleans als die große Ausnahme unter den Städten dieser Welt, eine regelrechte Besonderheit in jeder Hinsicht, und das sickert aus nahezu jeder Zeile des Romans hervor.

Michael Talbot ist Ire der zweiten Generation, ein Mitglied der Polizei, und er hat es schwer mit seinen Kollegen. Vor einigen Jahren musste er gegen seinen damaligen Chef Luca D’Andrea aussagen, was diesen für fünf Jahre ins berüchtigte Gefängnis “Angola” brachte.

D’Andrea selbst ist ein italienischer Mafioso, der sich innerhalb der Polizei hochgearbeitet hatte. Nach fünf Jahren wieder auf freiem Fuß, ist sein einziger Wunsch nun, in seine Heimat Sizilien zurückzukehren und seine Tage dort zu beenden, wo er hingehört. Doch Carlos Matranga, der Kopf der ansässigen Mafia, hat noch eine letzte Aufgabe für ihn, bevor er ihn gehen lassen wird: die Identität des Axeman zu ermitteln, der bisher ausschließlich italienische Lebensmittelhändler und ihre Familien getötet hat.

Die dritte Erzählung folgt der jungen Ida Davis, die als Sekretärin im örtliche Büro der Pinkertons arbeitet, ein Kompromiss, den sie einging, um ihren Fuß auf die erste Sprosse der Karriereleiter zu setzen, die sie letztendlich zu einer eigenständigen Detektivin machen wird. Ihr Boss, ein fauler Cajun, könnte durchaus in der Hand der Mafia liegen, die man “Die Familie” oder “Die schwarze Hand” nennt. Also muss sie ihre Ermittlungen heimlich und mithilfe ihres jungen Musikerfreundes Louis “Little Lewis” Armstrong durchführen.

In Celestins Wahl der Protagonisten steckt viel von der Persönlichkeit der Stadt selbst: New Orleans war schon immer so etwas wie ein kultureller Schmelztiegel, und die Tatsache, dass nur einer der drei Protagonisten ein echter Orleanese ist, spiegelt dies wider. Celestin schenkt der Stadt große Aufmerksamkeit, so dass sie eine wichtige Rolle in der Erzählung übernimmt, und bemüht sich sehr darum, dass der Leser die Hitze spüren, die Gerüche riechen und die Geräusche hören kann, die diese Stadt so einzigartig machen. Mehr als jeder andere Autor seit James Lee Burke macht Celestin diese Stadt lebendig und versetzt den Leser mitten hinein.

Diese Schmelztiegel-Kultur strotzt vor religiösen, rassischen und politischen Spannungen, und es ist diese Spannung, die den gebrochenen Erzählstil der Handlung bestimmt. Talbot ermittelt, weil es seine Aufgabe ist, dies zu tun; D’Andrea ermittelt wegen der italienischen Verbindung und weil die Schwarze Hand dabei beobachtet werden will, wie sie die Dinge selbst in die Hand nimmt; Ida hat ihrem Chef etwas zu beweisen, möchte aber auch sicherstellen, dass Gerechtigkeit geübt wird und die Verbrechen nicht, wie die in der ganzen Stadt vorherrschende Theorie besagt, bequem dem nächsten Schwarzen in die Schuhe geschoben werden.

Das Rätsel selbst ist ein wenig prosaisch und soll nicht unbedingt vom Leser gelöst werden können. Was “Höllenjazz” lesenswert macht, sind die Figuren, der Schauplatz und die clevere Konstruktion, die dafür sorgt, dass diese drei Ermittlungs-Stränge während der gesamten Romandauer parallel laufen, selten dieselben Hinweise aufgreifen und niemals Informationen von einem zum anderen streuen. Am Ende des Romans ist es interessant zu sehen, wie jeder der Ermittler zum richtigen Schluss kommt, aber die Schönheit des Romans liegt in der Tatsache, dass am Ende die einzige Person, die die ganze Geschichte kennt, der Leser ist, der die Informationen aus den drei verschiedenen Abenteuern zusammenfügt.

Als Liebhaber einer solchen Mischung aus historischen Fakten und Fiktion bin ich etwas spät auf dieses Buch aufmerksam geworden, es erschien nämlich bereits 2018. Die Tatsache, dass New Orleans einer meiner Lieblingsorte auf dem Planeten ist – und die Tatsache, dass Celesetin diesen Ort so hervorragend dargestellt hat, ist schon allein ein Grund, das Buch all jenen zu empfehlen, die etwas mit dem frühen Jazz und dem Schauplatz anzufangen wissen. Eine der interessantesten Figuren ist natürlich Louis Armstrong, dem wir an einem Punkt in seinem Leben begegnen, wo er noch nicht die Sensation des ganzen Südens der USA ist.

In diesem Debüt geht es also vor allem um Charakterzeichnung und die Lebendigkeit eines Ortes. Es ist die punktgenaue Wiedergabe eines einzigartigen Zeitpunkts und eines einzigartigen Ortes auf der Erde, und der Roman hat genug Spannung, um sicherzustellen, dass der Leser während der ganzen Zeit beschäftigt bleibt. Celestin zeichnet sich durch Detailgenauigkeit aus – sowohl in Bezug auf die Geschichte als auch auf den Schauplatz – aber niemals um den Preis, die Geschichte zu vernachlässigen. “Höllenjazz in New Orleans” ist ein ausgezeichneter Erstling, die perfekte Einführung einer hochtalentierten neuen Stimme, die mittlerweile bereits zwei neue Romane vorgelegt hat. Der letzte – “Gangsterswing in New York” – erschien 2020, und da die ganze Reihe mit City Blues Quartett betitelt ist, wird es natürlich noch einen Roman aus dem Topf Stadt – Musik – Verbrechen geben. Und es bleibt vor allem historisch.

Erschienen sind die Bände bei Piper.