Anmerkung: Im Februar erscheint der dritte Roman von Steward Turton, begonnen bei „Die sieben Tode der Evelyn Hardcastle“, sozusagen, um etwas in Stimmung zu kommen. Für mich war das ein Grund, die beiden vorangegangenen Romane noch einmal herauszukramen. Sollte sich jemand den Podcast anhören, wird er schnell merken, dass der Text, der hier steht, noch einmal überarbeitet wurde. Trotzdem sah ich keine Notwendigkeit, die Sendung noch einmal neu aufzulegen.
Ein unerwarteter Zwischenstopp im Jahr 2003 inspirierte Turton zu diesem fesselnden Kriminalroman. Nachdem er einen Flug nach Singapur verpasst hatte, saß der Autor, der freimütig zugibt, dass er nicht gut darin ist, Pläne einzuhalten, im australischen Perth fest. Um die Zeit totzuschlagen, besuchte er ein Schifffahrtsmuseum, wo er sich über den Untergang der Batavia im Jahr 1629 informierte. Jahre später beschloss er, die Geschichte des Schiffes auf seine Weise aufzuschreiben. Die wahre Geschichte sei so schrecklich, dass es „keinen Spaß gemacht hätte, sie zu lesen“, sagt Turton.
Bevor er dieses Buch schrieb, kehrte er nach Perth zurück, besuchte Indonesien (wo sein fiktives Schiff, die Saardam, den Hafen verlässt) und studierte Dokumente im British Museum und in der British Library. Er studierte Passagierlisten aus der Zeit um 1600 und entlehnte Namen für viele seiner Charaktere.
„Der Tod und das dunkle Meer“ ist voller realistischer Details über das Leben an Bord der Saardam, einschließlich der Figuren, die sich mit Eimern voll Meerwasser waschen und sich über Bord beugen müssen, um ihre Notdurft zu verrichten.
Turton fühlt sich jedoch kaum an die Details der Geschichte gebunden. Sobald sie seine Handlung stören, lässt er sie fallen. Das macht ein guter Autor: Er ordnet alles der Geschichte unter, die er erzählen will.
Interessanterweise war Stuart Turton 2018 gemeinsam mit Laura Purcell auf Lesereise im Vereinigten Königreich. Interessant deshalb, weil die jeweiligen Bücher der Autoren auf den ersten Blick nichts miteinander zu tun zu haben scheinen. Wer sich davon überzeugen möchte, ist herzlich eingeladen, sich die Episode über Purcells stille Gefährten anzuhören. Sein zweiter Roman – Das Korsett – wird uns mit der obligatorischen Verspätung von mehreren Jahren noch in diesem Jahr erreichen. (Anm.: Das bezieht sich auf 2021).
Auf den zweiten Blick wird jedoch deutlich, dass beide Autoren zu dem gehören, was ich bereits The New Wave of Gothic Novel genannt habe. Natürlich ist dieser Begriff unscharf, vor allem wenn man bedenkt, dass z.B. Turtons Debüt Die sieben Tode der Evelyn Hardcastle eher Agatha Christie mit Science Fiction mischt und Laura Purcell sich im Bereich des Gothic Novel bewegt, aber beide sind Stimmen einer neuen, vielversprechenden Autorengeneration.
Und in seinem neuen fabelhaften Roman, der vor dem Hintergrund einer Seehandelsroute des 17. Jahrhunderts spielt, triumphiert, wie bereits erwähnt, die Handlung über jeden Versuch, sich einer zeitgenössischen Umgangssprache zu bedienen, wie es vielleicht in einem historischen Roman der Fall gewesen wäre, was der Konstruktion und Charakterisierung der Figuren sicherlich nur abträglich gewesen wäre.
Turton hat sich dafür entschieden, die sprachlichen Merkmale des Seemannskauderwelsch einem erkennbar modernen Sprachstil unterzuordnen, der auf Schritt und Tritt Atmosphäre, Vorahnung und Schrecken vermittelt. Ich bin mir durchaus bewusst, dass ich Ähnliches schon einmal kritisiert habe, vor allem bei der erwähnten Laura Purcell, aber hier liegen die Dinge doch etwas anders, denn es gibt keine unangebrachten Modernismen.*
Der Spannungsaufbau in dieser linearen Erzählung einer Reise zwischen dem fiktiven Außenposten Batavia – einer brodelnden Kolonie irgendwo in Niederländisch-Ostindien – und Amsterdam ist erstaunlich überzeugend; eine Sprache, die sich nur durch eine krasse Klassentrennung auszeichnet, verstärkt die Unmittelbarkeit des Dramas und lässt die Struktur atmen. Manchmal brutal, manchmal eloquent, unterstützt diese Sprache die überzeugende Darstellung einer klaustrophobischen Seeodyssee, die sonst eher störend gewirkt hätte.
Turton wahrt die erzählerische Distanz in der dritten Person und setzt auf viele Dialoge. Was ihm an zeitgenössischer Authentizität fehlen mag, macht er durch Tempo, Witz und ernste Menschlichkeit wett, sei es im Seemannsjargon, bei der Schilderung eines Gesprächs zwischen einem Offizier und einem Matrosen oder bei der Beschreibung der stinkenden Abgründe einer Latrine tief in den Eingeweiden des Schiffes.
Das Gewicht des Gerüsts der Saardam lastet auf den Insassen, es ist Gebärmutter und Sargdeckel zugleich, und seine Schächte, Schlupflöcher und Ritzen verleihen dem Versteck in den dunklen Bilgen des Schiffes zusätzliche Schichten unheimlicher Andeutungen.
Es ist Arent Hayes, der hünenhafte, intelligente Söldner, der den inhaftierten Sammy Pipps bei seiner brillanten forensischen Suche nach dem Dämon an Bord der Saardam unterstützen soll.
In einer geschickten Rekapitulation am Ende des Romans gibt Turton die Verwicklungen der Handlung wieder und bietet so eine praktische Zusammenfassung für den geistesabwesenden Leser.
Die Erfordernisse einer scheinbar tragischen Notwendigkeit, die Tod auf Mord und Sturm auf Chaos häuft, treiben Turtons Geschichte an den Rand des Wahnsinns und der kontrollierten Implosion. Und genau das ist der Punkt. Die einzelnen Figuren, die eine pikareske und farbenfrohe Dramatis Personae bilden, sind für die Dauer einer zunehmend fiebrigen, verfluchten und gefährlichen Reise an der metaphorischen Hüfte miteinander verbunden. Die Überlebenschancen hängen von den guten Absichten des Schiffes und dem verhandelbaren Wohlwollen seiner Hierarchie ab, des Generalgouverneurs von Batavia, der mit einem unbezahlbaren Navigationsgerät mit dem ironischen Namen Phantasterei (im Original „The Folly“) nach Hause zurückkehrt, über den eleganten Kapitän Crauwels, den brutalen Bootsmann Johannes Wyck bis hin zum Zwerg Isaack Larme, dessen Einfluss auf eine unberechenbare, gewalttätige und käufliche Mannschaft seine körperliche Begrenztheit Lügen straft.
Turton versteht es, eine Equipage der guten Sitten und des Anstands zu konstruieren, deren Grundstruktur dort, wo sie sich verengt, stark in Mitleidenschaft gezogen wird.
Die Unterscheidung zwischen Besatzung und Passagieren, zwischen der Würde von Sara, der misshandelten Frau des Gouverneurs, Creesjie, der flatterhaften, doppelt verwitweten Schönheit, und Lia, Saras brillanter Tochter, und dem erniedrigenden Kabinenfieber des männlichen Blicks wird in den Bilgen der sich entfaltenden Ereignisse nivelliert.
Und nicht zuletzt durch das scheinbar allwissende Auge des alten Tom, eines Teufels, dessen Anwesenheit das stakkatoartige Vorankommen des Schiffes überschattet und dessen Absicht es zu sein scheint, alle an Bord zu vernichten. Von Jan Hahn, dem Gouverneur, in Erfüllung der Pflichten eines alten faustischen Paktes an Bord „gerufen“, sind Toms Erscheinungen, abgesehen von den Folgen des schrecklichen Gemetzels, wahrhaft schaurige Abstraktionen: Die gespenstischen Lichter einer „Achten Laterne“, deren Herkunft unbekannt ist, tauchen die Kajüten in ein unheimliches Rot und kündigen das Chaos an, das folgen wird.
Turtons Charakterzeichnung ist so gekonnt ambivalent und überzeugend doppelbödig wie die Spannung zwischen religiöser Leichtgläubigkeit und der forensisch-diagnostischen Intelligenz von Sammy Pipps‘ Behauptungen: Jan Hahn ist mal frauenfeindlicher Tyrann, mal Beschützer; der sanfte Riese Arent Hayes, von dem die Geschichte abhängt, ist zu extremer Gewalt und selbstloser Loyalität fähig; und Sara Wessel verändert sich durch ihre Erfahrungen, während die Fassade des Furniers bröckelt:
„Als sie vor drei Wochen an Bord der Saardam gegangen war, hatte sie das Gefühl gehabt, unter einer so dicken Schicht aus Etikette und Hass begraben zu sein, dass sie fast vergessen hatte, wer sie war.“
Die dunkle Seite des Charakters kommt zum Vorschein, wenn die Fassade der Zivilisation bis zur völligen Auflösung getestet wird, und Turton spielt die Karte der Angst mit großer Wirkung aus – ein flüsternder Mephistopheles bietet unvergleichliche Reichtümer für den Verkauf von Seelen in mörderischer Absicht, die Prüfung der geistigen Widerstandsfähigkeit in einer zutiefst abergläubischen Zeit durch das allgegenwärtige Erscheinen eines Teufelsmales.
Die Auflösung kommt, als die Sardaam an den scharfen Felsvorsprüngen einer Insel zerschellt.
Kriminelle Wahrheiten über ansonsten „vertrauenswürdige“ Charaktere kommen in einem Auf und Ab der Anschuldigungen zum Vorschein. Menschliches Handeln, Taschenspielertricks und Einfallsreichtum sind die letzten Schiedsrichter, während erstaunlich komplexe Erklärungen den Leser mit falschen Identitäten und unerwarteten Schuldzuweisungen verwirren. Und wenn sein Finale den Roman in einen nicht ganz überzeugenden Schleier von Auflösung und Übereinstimmung hüllt, dann ist das fast schon Nebensache.
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