Kult!

Monat: Februar 2021 (Seite 1 von 2)

Felsen der Bayonner

… dann stehe ich auf einem Felsen der Bayonner, über das Meer gebeugt. Der Abgrund lässt Nebelschwaden aufsteigen, das ist seine Art zu atmen. Sie, an die ich denke, hat kein Gesicht. Sie besteht nur aus einer veränderlichen Wolkenschicht. Sie, die mich zum Springen animiert, ruft: »Spring ins Ultramarin!« Doch ich kann nicht, habe das Springen nicht erlernt. Aus meiner Nase rinnt Blut auf die bleiche Textur meiner Textilien. Ein Traum, das Gefühl, am Leben zu sein. Harmonie im Chaos, wenn die Vögel mit Piccoloflöten, Blockflöten, Flageoletten die Luft zerpressen. Die Zikaden klirren, die Wälder rauschen wie ein grünes, wogendes Meer, die Hummeln legen ihren Tenor unter dieses Schalldach. Heute kenne ich die Sprache als einzige Realität.

Wo kommen sie her, die Feuergestalten, die ›Erasmus Spikher‹? Nicht die Zeiten, die Räume haben sich verändert. Das Aufbegehren gegen die Luxussanierung findet kaum statt, die Zerfetzung sämtlicher Lebensreiche schreitet vor, die Gedanken und Empfindungen – so das Ziel – sollen plan werden. Das Problem, dass wir unsere Häuser nicht rund bauen. Und früher haben wir alles gewusst und jetzt wissen wir nichts und kleiden es in viel. Wer keine Milch verträgt, stirbt aus.

Am stillen Klavier

Mir wäre nur eine Richtung gangbar, eine,
die davon führt, worüber wir jüngst sprachen.
Der Ausgangspunkt darf durchaus diese Kreuzung sein
mit ihren Irrtümern, ihrem Wagemut, sich
in ein Zentrum zu setzen, ihren falschen Wegweisern.

Es wird nicht alles von einer vagen Größe bestimmt,
nicht alles in eine dafür vorgesehene Kammer sortiert,
aber sollte es je so weit kommen, dürften die
Kadenzen auch an dieser Stelle messbar sein.
Der Ordnung halber rolle ich die Wege besser zusammen.

»Das nennt man den Ton studieren«, sagst du
und stehst an diesem stillen Klavier, das
stets auf deinen Fingern spielte, wenn nur genügend
Gäste gekommen waren, um mich etwas zu fragen,
das du dann beantworten musstest.

In all den Jahren ist mir die Zeit nicht so sehr
abhanden gekommen wie unter den Fittichen der tauben Frau.
Ihr prächtiges Kleid hatte sie sich nur geliehen,
aber die Reue in ihrem Gesicht gehörte ihr ganz.
Sie zog all ihre Schatten alleine groß.

Aus dem Nährkörbchen

Während ich noch sprach, machte sich das Heu davon
und kehrte nicht mehr wieder. Die erste Spinne auf
meinem Leib: von da an war ich immun gegen die
vielen Prüfungen, die oft nicht von Begegnungen
zu unterscheiden waren, die man heimlich zu vergessen
trachtet, während ihr Gewicht die Hosentaschen
täglich aufs Neue gen Boden zieht.

Ich will sogleich ein Beispiel aus meinem Nährkorb nennen:

Da war - mit Stumpf und Stiel - ich
einst gefangen in den Büschen, die hier gar nicht
wuchsen, so dass ein Sucher mich niemals hätte
finden können und auch die Tanten nicht, denen
ich, und ihrem Kaffeekränzchen, ausgehuscht zur
Stunde Sechzehn, mich verlor in den Weiten
nicht der geringsten Ausdehnung.

An diesem Punkte Null blieb Null nicht ein Oval,
durch das ich hätte schlüpfen können,
sondern mein ganzundgares Körbchen.

Zeitskala

Zerrissenheit ist ein etwas schäbiges Wort für gelebten Polyismus, aber gar nicht so sehr willentlich. Poesie ist eine Art völligen Denkens, gesättigt sozusagen an unendlich vielen Substanzen. Das Zukünftige, das ich zuerst schreibe, das Gegenwärtige, das ich danach schreibe und das Vergangene, das ich zum Schluss schreibe, kehrt die Zeitskala gar nicht so sehr um.

Das Fräulein am Nichtstun

Mit angewinkelten Beinen sitzt das Fräulein in der Luft -
Eine Herkulesaufgabe des erstarrten Seins
Eine filigrane Figur / ein stehendes Massiv
Aber fein wie Uhren nicht im Innern
Wie sonst kein Laut der Gegenwart

So leise also wie kein Vergleich sich finden-beforschen lässt
Von der Halbzeit nur ein Viertel
Im Tran also tranig Zuhörerzuseher
Das Fräulein ganz wie eingefroren
Zeit löffelt ein Anderer der es nötiger hat

Im Suhlbecken zuvielt / so viel wie keiner mehr weiß
Ich nahm noch meinen Rückenstab
Da bauzt schon neuer Zorn heran
Spült von der Decke Obenartiges in all die runden Augen
Das Fräulein noch am Nichtstun

Der Weg nach Raha: 5 Die ganze Stadt verschwindet

Raha war ein verschwommener Zug, der am Horizont vorbeihastete, hinter diesem dicken Nebel verschwand, der sich wie Milch im Kaffee der Nacht ausbreitete. Raha war die perfekte Mischung aus Utopie und Historie, ein Gleichnis für die Archäologen und die Menschheit insgesamt, viel näher als ein anderes Paradies, viel wirklicher als eine erfundene Hölle, alle anderen großen Städte danach waren lediglich eine Kopie des Unfaßbaren. Diese Stadt war uralt; sie war so alt, dass nicht einmal die Patriarchen ihre Uranfänge kannten. Hier begann der Mensch zum ersten Mal Steine aufeinander zu schichten, sich von der Erde zu empören.

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Der Weg nach Raha: 3 Ränkespiel der Isobaren

Das leichte Gewand eines quälenden Schattens umzürnt meine Haut, als ich das Wasser verlasse, um halbiert im Zwielicht zu schaukeln, die Grenzfälle beim Rauschen störe, den Fluss am fortschnellen hindere. Ungeahnt die Nähe nichtanwesender Personen, unverstanden vom Tageslicht, geblendet vom Reflex bonbonfarbener Quellgeister; Symbole, konturlose Skulpturen, einer Firnis der Berührungslosigkeit entlaufen.

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Der Weg nach Raha: 2 Raha konnte überall sein

Die Erregung ließ so schnell nach wie sie gekommen war, und ich probierte mich vorsichtig, in Erwartung eines neuerlichen Lustschubs, noch einmal an der Tür. Diesmal schnappte sie auf und schwebte wie von selbst nach innen, kaum dass ich die Drehung im Schlüsselloch vollendet hatte. Ich blieb eine Weile stehen und blickte hinein. Natürlich war das Zimmer nicht auf dem neuesten Stand, das hatte ich auch kaum erwartet, aber es war längst nicht so schäbig, wie ich es mir vorgestellt hatte, es roch nach uraltem Holz an nassen Stein. Als ich hineingegangen war und die schwere Tagesdecke weggezogen hatte, kam ein gestärktes, aber gilbes Bettzeug zum Vorschein, etwas feucht verströmte es denselben modrigen Geruch, der den Raum dominierte. Weil er darauf zu warten schien, hier herauszukommen, öffnete ich das beinahe blinde Fenster über dem Bett, dessen Scheibe mit Schlieren und Einschlüssen in Bleistegen gefasst war.

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Der Weg nach Raha: 1 Madame Blandot

Madame Blandot richtete ihr Gesicht, als ich die schmierige Glastüre aufstieß, durch die noch nie ein heller Strahl gedrungen war; fummelte die widerspenstigen Ausreißer zurück ins Haarnestest, stand seit 100 Jahren da, harrend auf den Münzentwerter, den Freier ihrer Leiblichkeit, den Kunden des Etablissements (oder Käufer eingefallener Häuslichkeit).

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Eine Krone aus Korken

Dies sind die Nägel, die, mit
Kronkorken vernetzt, die Hütte bilden, in
Der Schweiß produziert werden kann; wie es
Der Hopfen zu etwas bringt, ist hier gewahr,

Ist hier ein Magnet für das vorbei
Kommende Wasser, in dem sonntags die Fische
Fehlen. Der Mund offen gehalten, die
Sensation im Luxus gefangen, aber Einfachheit

Kennt viele Namen. Iriswelten, wenn man
Das Auge sieht. Das Tremolo auf die
Seite gerutscht, aber vorhanden. Dort
Treiben die Genüsse ein Spiel mit

Haselnußzweigen. Da bist du hin, da
Bist du gewesen. Dort befindet sich Rost
An den Klinken & auf den Flaschenhälsen.
Dürre stoppt das Auslaufen einiger Stunden.

Auch die Tauchbecken wurden mit einem
Unsichtbaren Milieu gefüllt, um gemeinsam
Auf die Sonne zu warten. Du treibst Blüten,
Ein Ausnahmebezirk, Kreis der Geschehnisse

Am Apfelbaum, der Kerbe, zugeheilt in
Gedanken. Wohin mit der Streuung? Sie
Erteilt Aufmerksamkeit, gibt von
Ihrer Hingebung das Besondere aus.

Pechrabella

Esrabella Gräf hatte ihr Leben nie gelebt: sehr früh schon Magd am Hof des Vaters, wurde sie jung in die Ehe gegeben, vor der sie sich zu Recht gefürchtet hatte. Ihr zukünftiger Gemahl hatte einige recht merkwürdige Angewohnheiten und keiner konnte sagen, ob er sich die nach der Hochzeit abgewöhnen würde. Esrabella hätte gesagt, sie habe in die Abgründe eines Mannes geblickt, der als Säugling mit Schnaps ruhig gestellt, später der Gespiele seiner eigenen Mutter wurde, nachdem der Vater sich bei einem Jagdunfall den Hoden abgeschossen hatte. Er überlebte, aber vielleicht wäre es für die Familie besser gewesen, er wäre gestorben. (Gott verbiete mir mein Mundwerk!)

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Esrabella

Horrido Krippner ging nicht gleich ans Telefon in seinem Haus, einem Waldchalet von einer Größe, als ob der fränkische Hubertus selbst drin residierte. Gerade noch durchwühlte er das Hirschfleisch und befingerte die perlmuttglänzenden Organe, ob er nicht eine Vision erhaschen könnte, wenn er, wie an der Wunderlampe, daran rieb. Er fand nicht gleich das Handtuch, um sich den roten Saft von den Fingern zu wischen. Verärgert über die Störung, die an diesem Tag nicht die letzte bleiben sollte, bellte er ins Telefon: »Ein Wolf? Warʼs nicht vielleicht ein Hund oder ein Fuchs? Die Sauferei macht dir die Augen fertig, dies ließ mich selbst schon manche Geister sehen, das Moosweiblein nicht zuletzt genannt.«

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Ein Abendlicht, wie er dir schenkte

Ach, so ein Revier! Habichte klimben beflügelt
über den Tellerrand, zucken rostrot von den Bänken,
der Horizont erschallt in butterweichem Gelb. Ist
die Falle gestellt, ist es leicht, darauf zu warten.
Kuseln ploppen auf den übersäuerten Waldboden nieder,
hie und da ein salopper Wanderer, der seinen aus-
gewürgten Spazierstock streichelt, dann sich Blaubeeren
ansieht. Hochgeschossenes Lilablau, Lippen
violettschwarz, und Teekessel, die keine Ruhe geben.
Hübsch am Ofen den Arse gewärmt. Einer, der
Pferde stiehlt, seziert jetzt Schafe, rankende
Kühe, bespannt Äpfelkörbe, schießt scharf mit
Vogelbeeren. Ein stummer Gruß bleibt zu lokalisieren,
so ein Abendlicht, wie er dir schenkte.

Polka Dots

Da war diese Erscheinungen im Wald. Das konnte man vielleicht abtun. Man musste nicht alles glauben, solange man nicht selbst davon betroffen war. Aber es sprach sich herum. Ein Jux, sagte man, ein geschmackloser obendrein, aber nicht gar so geschmacklos, wie uns verkaufen zu wollen, dass da jemand auf dem Mond gelandet wäre, sagte man. Da kann man gar nicht hin, das kann man technisch gar nicht bewältigen, sagte man. Wo doch gar nicht einmal feststeht, ob es den Mond überhaupt gibt. Natürlich gibt es den Mond, was ist denn in dich gefahren? Man sieht ihn doch da oben! Ja, aber vielleicht ist das nur eine Täuschung, eine Luftspiegelung. Wie in einem Kabinett auf dem Wiesenfest; du denkst, du weißt, woʼs langgeht, du hast doch Augen im Kopf, und dann knallst du gegen die Scheibe! Du hast Recht, ich knalle auch immer gegen die Scheibe, aber die Russen waren doch auch schon oben! Also, ich glaube an die Russen. Ach ja? Du kannst ja mal rüber gehen, wirst schon sehen, wie sie dich empfangen! Und der Mond ist mal groß, mal klein, ist euch das noch nicht aufgefallen? Groß und dann wieder klein. Man hat doch, ich schwörʼs, diese runden Türme entdeckt, in welchen der Vollmond jeden Monat gegossen wird, um dann mit einem großen Katapult in den Himmel geworfen zu werden. Der Mond erkaltet unter der Erde, wird fest in den Tiefen, wird zu Basalt und Eisen.

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