Die britischen Inseln pulsieren geradezu vor geheimnisvollen Geschichten. Von den schroffen Klippen Englands bis zu den Nebeln der schottischen Highlands, von den sanften Hügeln von Wales bis zu den grünen Tälern Nordirlands – überall wispern Legenden, flüstern Geister, tanzen Schatten in der Dämmerung.
Unter all den Mysterien, die in den alten Chroniken verweilen, gibt es eines, das wie ein flackernder Funke durch die Zeiten springt: das Irrlicht. Sein Name variiert von Land zu Land, doch sein Wesen bleibt dasselbe – ein Licht in der Dunkelheit, ein Versprechen oder eine Warnung, ein Spiel der Natur oder ein Ruf aus dem Jenseits. Besonders im Vereinigten Königreich kennt man es als Will-o‘-the-Wisp, als das unstete Flackern, das Wanderer lockt und sie ins Ungewisse führt.Trotz regionaler Unterschiede gibt es einige wiederkehrende Merkmale, die in vielen dieser Erzählungen zu finden sind.
Michael Perkampus ist ein Solitär der deutschen Literatur. Am Surrealismus und der Dekadenzliteratur geschult, wird die Sprache hier zu einem Instrument der Wahrnehmung. Seine Ausflüge in die Weird Fiction sind ebenso Programm wie das Zerschmettern jeglicher Realität.
Täglich Texte und Betrachtungen.
Auf der Stelle
byPerkampus
Ich blättere in der Erinnerung wie in einem Bilderbuch.
Sagst du denn, ein jeder, der stirbt, der will es auch oder der soll oder der muß, was ist denn der Tod, gegen den wir kämpfen in Ermangelung des Herzens Schau, und ist denn der Tod das Ablegen des Körpers, plötzlich oder vorbereitet oder warum weinst du? oder wissen wir nicht, daß wir das Wasser sind und meine Hand bald deine Hand sein wird und mein Gesicht auch dein Gesicht, nirgendwo die Kraft, als hier, haben uns zwischen das Vergehen gemischt (vorher beobachtet) da können wir hindurch gehen, wir müssen schnell sein (die mahlenden Wände wie Backenzähne) wir müssen schnell sein in der Zeit (ich mache dir zum letzten mal den Wein auf) oder warum weinst du? dort ist doch nichts, ich bin mäandert, ich schrieb, Vorläufer des Schriftstellers sah ich am Pulte zerhockt, wurzelschlagend Briefe verfassen. Secretaire á la mode in verschiedenen Gattungen der Malerei Still=Leben, Trompe-l’œil, Vanitas-Bildchen wurden allein die Gegenstände der Schriftkultur ohne die Gegenwart eines Menschen, gegeben, oft ganze Ensemble von Schreibgeräten- und formen, neben dem Manuskript (Ozean) Feder Federmesser Brieföffner Tintenfaß Wachsstange Notizbuch Brieftasche versiegelter Umschlag und versiegeltes Memorandum, neben den Druckschriften ein Kupferstich und ein Almanach oder warum schreibst du? unsere Erde wäre nichts als ein düsterer Kerker, wenn wir nichts von der Macht des Geistes wüßten, Geschichte sowieso ist ein Gewebe aus Unsinn für den höheren Denker, Amru, der muselmanische Eroberer von Alexandria (mit der umfangreichsten Bibliothek des Altertums) benutzte die Schriftrollen als Brennstoffvorrat für die Heizung der viertausend öffentlichen Bäder der Stadt oder warum schreibst du? (in Ermangelung des Herzens Schau) für Ägypter, Mesopotamier und Homer war das Herz der Sitz der Intelligenz, Demokrit aber sah im Hirn den Wächter der Gedanken, die Leber als Sitz der Begierden die Lust am Orientierungsverlust, am Gebrochenen, Reflektierten, Raffinierten und Auflösenden. Plato gliederte die Seele in drei Teile, Aristoteles fror das Denken ein : ‚Das Gehirn besteht aus Wasser und Erde‘ (aus Wasser und Erde ?) – ‚Es ist ein Kühlaggregat, um die Temperatur des Blutes zu senken und den Schlaf einzuleiten‘ (den Schlaf einzuleiten ?) umgibt man sich (folgerichtig) mit den klügsten Köpfen, geschieht es, daß man sich mit ihnen im Traumdialoge mißt, da tafeln wir des öfteren (Abstinenz ist unsere Sache nicht) bis uns recht schlecht von der Völlerei geworden ist, Minne zu erwerben, das ist ja des Dichters Sinn, wir nennens heute Liebe, meinen aber Magen. Im 17. Jahrhundert führt Descartes die einzelnen Komponenten wieder zusammen und brachte sie in der Zirbeldrüse unter, er war der erste, der den Körper als eine Maschine sah (die mahlenden Wände wie Backenzähne) verglich ihn mit einer Orgel, in deren Pfeifen die animalischen Instinkte zirkulieren (‚Three More Quarks for Mister Mark‘ / Joyce) übern Tischrand dieser Erde wölbt der Sonnerich sich halb, in all Getöpfe faßt die lichte Hand, in Weidenkörben goldets auf – auf Heldenfeldern trocknet s Laub und zischelt beim Verwehen : ‚Oh Serpentina, hier entlang, oh Serpentina, dort!‘ Ich sah sie nicht am Fenster stehn noch über die Schulter schnurrn, ihr Schritt tickt immer weiter fort, es atmet kaum ihr Schuh, heraus blitzt neonfarben neuester Tand und Modeschlick, wer’s nicht hat (Acht und Bann) verwest sind ihre Schritte halb schon auf dem Asphaltschwarz, mich geht die Gier fürs Neue an, wohin wird sie mich wehn.
Standort : Amsterdam 1987 in den Grachten mit einem Koffer voll früher Gedichte.
Jemand trat aus der Wand, und ihm war es nicht anzusehen. Wäre es nicht möglich, dass die Lichtfelder, die uns beständig umkreisen, aus den Schalen kleiner Flusskrebse gewonnen werden? Das Inventar wird zu jeder vollen Stunde geflutet, die verstreuten Symbole nehmen wir beim Verlassen des Raumes vorsorglich mit uns, der Eintritt in den Tag ist frei; das Geländer entlang, aufrecht in Etappen – wenn du auf das Wasser deutest, beruhigt sich nicht nur das Bild von all den eingezäunten Stränden, auch die Hiebe gegen den Türstock werden leiser, denn jetzt kann man durch alle Hindernisse schreiten, für den heimlichen Besuch haben wir nur Wein eingekauft.
Für wen sind all die Gruben nützlich, von schwarzgrauen Blumen berankt an der Südseite einer Schneise hangend, barfüßige Gräfinnen zogen dort ihre nimmermüden Kreise, Ausschau haltend nach den Dingen, die vom Tal zu ihnen hinaufwehten und in einem Korbgeflecht gesammelt an die hiesigen Gräser verfüttert werden konnten, solange die Schlappen im Gartenhaus an der Grenze zum Nichtmehrsein verblieben. Andersherum wäre das Ärgernis verströmter Nächte untragbar geworden. Die Lüfte eigneten sich kaum dazu, mit ihnen eine Unterhaltung zu beginnen, eingesackt und versunken änderten sie ihre Lebensansichten mit einer Unvorhersehbarkeit und einem Takt, der nicht zu tanzen war.
Wie immer auch die Giraffe in den siebten Stock befördert wurde, konnten wir nicht erkennen. Von außen erschien das Gebäude wie aus Regen gezimmert und mit Schiffsplanken verblendet, was allerdings später geschehen sein musste. Die Zeitfolge versprach uns eine Beobachtung sonderer Güte, doch als wir ankamen, stolzierten bereits behütete kleine Zauberer auf dem Boulevard und kein Geld dieser Welt hätte ausgereicht, die prachtvolle Straße zu überqueren. Die Aussichtspunkte wurden bewacht von hohen Tonnen, bewaffnet mit je einem Arm aus der Werkstätte des großen Doktor Faust. Hinter den Türen standen Mäuse, die sich im Vogelsang übten, und unsere Ohren waren nicht vorbereitet auf das Gezeter dieser anscheinend so filigranen Entourage.
Die Aufzählung einiger Banalitäten versandete, während der Druck der imaginierten Leitungen dem ein oder anderen zu Kopf stieg. Sorglosigkeit hatte es sich mit weiten Ärmeln bequem gemacht und nur die Verschwiegenheit der Wolken gewährleistete eine Ansicht von oben. Dennoch trieben die Baumstämme in diesem abgenagten Fluss und erkletterten das Land, sobald man sie brauchte, um einen neuen Wald zu geben.
Es war kein weiteres Gedeck nötig, denn sie wussten, was alle wussten: Der Tagtraum zog nach Norden, von wo er einst gekommen war. Man erzählte sich, dass der große Abgrund mit seinen erhabenen Metaphern nicht mehr so schön anzusehen war wie in ihren Kindertagen; eine Vermutung, die den Anwesenden viel Leid ersparte, aber nicht, wenn man alles wissen wollte und dazu bereit war, all das zu erwähnen.
Die Lebkuchen gaben ihre angestammte Position auf, verließen die senkrechte Seite des Hauses und kullerten auf den Steg, an dem die unförmigen Objekte festgetaut auf Nachzügler warteten. Sollte der Zeitpunkt gekommen sein, würden sie erneut hier stehen und Ausschau halten nach dem Glück, einst heimisch in ihren ausgelaugten Taschen. Es gab ein Gesetz, das Wanderschaft verbot, und wer sich daran hielt, bekam statt welker Blumen eine neue Disziplin zugeteilt. Die Körper wurden straff durch fein gemahlenen Marmor, die Rezepte standen in hölzernen Lettern unter den Dielen, graviert mit ungehöriger Tiefe; oft fing sich das Wasser darin und versuchte, noch vor dem Morgengrauen zu entkommen.
Von der Geschichte geht der originelle Trick aus, so zu tun, als wäre sie nicht das Paradebeispiel des Fiktiven; als Zeuge ist sie vielleicht hinfällig, ihr Argument liegt jedoch darin, überall dort aufzutauchen, wo man Doughnuts im Zehnerpack für einige wenige Groschen ergattern kann. Die Fahrt dorthin wird unterbrochen durch sanfte Flugangst, die sich mit musikalischer Unterstützung steigern lässt. Wer die Erfindung der Momente einfriert, wird wissen, wohin er sich zu wenden hat, wenn das angereicherte Material zur Debatte steht. Mit einem Verrat kann immer dann gerechnet werden, wenn sich die Summe aus wenigen Teilen zusammensetzt, die sich in Nähkästchen verstecken lassen.
Beim Gehen verlor sie einen Schuh, der sich silber glitzernd von ihrem Fußschiff löste und augenblicklich erhob, um auf ein gesprenkeltes Hausdach zu schweben. Obwohl ihr Gang jetzt etwas läppischer war als zuvor, erreichte sie die anvisierte Kreuzung noch vor der Zeit, die ihr zur Verfügung stand, drehte sich mehrmals im Kreis und löste sich dann in ihre Bestandteile auf. Aus geöffneten Fenstern entwichen die Gerüche einiger Kochkünste und versammelten sich an Ort und Stelle. Der Tumult hatte längst auch die geheimen Nischen erreicht, ob sie nun überdacht waren oder nicht. Das Pulver, das daraus entstand, genügte den hier lebenden Nasen für ein weiteres Jahr ihrer Effizienz. Ihrer Beschleunigung war es zu verdanken, dass die Kassen gefüllt und das Trapez mit dicken Schnüren gespannt blieb.
Die Art und Weise wie eine Wand zurückstarrt, sollte in nocturnen Untersuchungen festgehalten werden. Zunächst mag die Freude ungetrübt sein, die Wand vor unliebsamen Zusammenkünften schützen; man gibt sich eifersüchtig, wenn sie sich ihren freien Tag nimmt, um einmal in der Woche den Tango der Argentinier einzustudieren. Doch dann beginnt das Unwohlsein wie ein verkannter Spruch tief in den Eingeweiden zu rumoren. Man möchte sich erheben und einen Schürhaken schwingen, um der peinlichen Stille gebührend zu begegnen. Was man dann jedoch zustande bringt, ist kein nennenswerter Gesichtsausdruck, kein plötzliches Schluchzen oder Innehalten, man marschiert im Zimmer auf und ab und wirft verstohlene Blicke zur Vitrine.
Wer die Gefahr kommen sieht, kann durchaus noch die Hand ausstrecken, um das Seil, das zur Glocke führt, zu ziehen. Ein neues Zeitalter einzuläuten, sagst du, ist der richtige Zeitvertreib nach einer langen Nacht der Wunder. Doch das Gebirge, das sich nähert, das in all seinen Formen unnachgiebig danach trachtet, den Schlund zu verstopfen, wird nicht verstehen, warum deine Hand sich zurückzieht, um im Sumpf nach Machtmonopolen zu graben. Ein Schritt mag genügen, um über schönere Exemplare sprechen zu können. Du müsstest nur einmal da gewesen sein und zugesehen haben, wie das Schiff in schlüpfrigen Reimen davon sang, gegebenenfalls entkommen zu wollen. Die Melodie einzelner Takte verkommt auch hier zu einer reinen Schneelandschaft.
Meine Bitte war noch nicht zugestellt, als du die Dinge auf den Tisch legtest. Für heute waren wir fertig und zeigten uns gegenseitig das freudige Gefühl, das, gestaffelt, vor aller Augen einen glamourösen Morgen band, der gar nicht so kalt war, wie wir es besprochen hatten. Es stellte sich die Frage, was zu tun sei, wenn all das – diese mikroskopischen Sinne und Fürsprachen – nicht mehr dort zu finden wären, wo wir sie vermuteten. Gab es diesen latenten Kreis wirklich? Oder waren wir alle nur Teufel, gefangen in einem nervösen Rinnsal, das von aufgespannten Schuhen tropfte? Die Löcher waren bereits groß genug, um nichts mehr damit anfangen zu können. Es waren großartige Bilder, die hinter uns standen, aber ihre Sprache war neunmalklug, also ließen wir das Ganze einfach sein.
Als lebten wir in der Spirale mörderischer Weihen, als tauchte neues Leben in die blinden Statuetten, ausgefranst und mütterlich treu. Es käme auf den Versuch an, hinwegzutauchen, das Gras in seiner vollen Pracht auf den nächsten Sommer zu vertrösten, nur um zu erkennen, dass wir keine Rösser sind. Der Sternentrunk am Mittag, in ausgespülten Kelchen treibt eine neue Form der Reinheit ein Spiel mit unserer Wohlgefälligkeit. Das Biest steht stramm, nichts welkt in einer leeren Brust, erfindet stattdessen fremde Existenzen in rohen Augenblicken. Die Klänge wandern den Flur entlang, hinter uns her schleifen die Brocken abgehackter Stunden, denn sie wissen von unserem Schwur, zu verweilen.
Was ich auf der Straße sehe, sind durchgehangene Tauben. Im Licht eines unbekannten Spektrums leuchten sie, vom Knick ihrer Rollen ausgehend, wie ein Diamant, der im rauschenden Wasserfall eines Sauerbrunnens gefertigt, das Tarotbäumchen zur Demut zwingt. Ein gelbes Fieber wandelt, durch unzählige Manöver geortet, über die Schwierigkeiten einer losgelösten Schienenbahn, einst der stolze Besitz immenser Beschleunigung. Das Entsetzen teilt Wege, aber an oberster Stelle darf der Kronzeuge nicht fehlen, darf er kein Wort von dem verlautet lassen, was wir hier wagen zu besprechen. Es könnte sein, dass sonst die Stimmungen siegen und die feine Natur der Atempausen chronisch abwinken. Wir können das nicht wollen.
Michael Perkampus ist ein Solitär der deutschen Literatur. Am Surrealismus und der Dekadenzliteratur geschult, wird die Sprache hier zu einem Instrument der Wahrnehmung. Seine Ausflüge in die Weird Fiction sind ebenso Programm wie das Zerschmettern jeglicher Realität.
Täglich Texte und Betrachtungen.
Der Böhmwind – Dritter Teil
byPerkampus
Anna Schikowski hatte es sich angewöhnt, ihre ›große Wäsche‹ in die Nachtstunden zu verlegen. Ihre in jungen Jahren lapidare innere Unruhe hatte sich Laufe der Zeit zu einer ausgemachten Schlaflosigkeit gesteigert, die auch der zermürbende Haushalt nicht zum Erliegen bringen konnte.
Michael Perkampus ist ein Solitär der deutschen Literatur. Am Surrealismus und der Dekadenzliteratur geschult, wird die Sprache hier zu einem Instrument der Wahrnehmung. Seine Ausflüge in die Weird Fiction sind ebenso Programm wie das Zerschmettern jeglicher Realität.
Täglich Texte und Betrachtungen.
Der Böhmwind – Zweiter Teil
byPerkampus
Dawar diese Erscheinungen im Wald. Das konnte man vielleichtabtun. Man musste nicht alles glauben, solange man nicht selbst davon betroffen war. Aber es sprach sich herum. Ein Jux, sagte man, ein geschmackloser obendrein, aber nicht gar so geschmacklos, wie uns verkaufen zu wollen, dass da jemand auf dem Mond gelandet wäre, sagte man.