Brunswick ist in den dunklen Gefilden der Leidenschaft zu Hause. Es sei möglich, im Blut zu lesen, behauptet er, hat sein Kunststudium abgebrochen, um sich den Tableaus hinterlassener Installationen zu widmen, die, wenn man den Standpunkt teilt, abscheuliche Verbrechen darstellen, aber wie alles, was der Mensch in Angriff nimmt, künstlich erscheinen, es sei denn, es handelt sich um Vatermord, aus dem in Darwins Urhordentheorie die Zivilisation erwuchs, die sich wiederum zu diesen beeindruckenden Gebilden befähigt zeigt. Stets tauscht Brunswick das Wort Mörder gegen Künstler, spricht von Arrangements und nicht vom Tatort – und wird deshalb von seinen Kollegen gemieden, gerät nicht selten selbst in den Verdacht, sich der Kriminalistik nur deshalb genähert zu haben, um jene Bluthochzeiten (wie er manche Tableaus zu nennen pflegt) nicht selbst ausrichten zu müssen, um aber nahe dran zu sein, sozusagen in der Tat zu stehen, geschweige denn vom Blutgeruch betört über einer Interpretation zu schweben, die ihn oft auf unerklärliche Weise den Künstler spüren und aufspüren lässt.
Esrabella Gräf, die viele für die Jezi Baba hielten, von der die meisten dachten, sie sei stumm wie ein Fisch, sprach in Wahrheit mit ihren Hühnern. Manchmal konnte man sie hören, wenn sie sich unbeachtet fühlte, wie sie nach Elster und Fango rief, den beiden Ausreißern ihrer Zucht. Esrabella Gräf also erwähnte gegenüber Krippner, dass die Wölfe einen menschlichen Gefährten hatten, der ihnen den Weg in den Schwarzenhammer wies. Erstaunt lauschte der Jäger dem rostigen Knarzen und dachte darüber nach, was sie denn damit meinte, wenn sie sagte: »Då Wulf is niert ålloi kummer!«
Da er kein Ziel hatte, wäre es auch nicht wirklich ein Umweg gewesen, aber die Figur winkte ihn zu sich heran. Von da, wo er stand, sah sie aus wie eine alte Gänsemagd, ein Sommerhütchen auf die orangeroten Locken mit einer roten Schleife gebunden; ein weißer Wickelrock – oder was immer das sein sollte – begann unterhalb eines ebenfalls roten Jäckchens, das über einer weißen Bluse geschlossen den Gesamteindruck der Halluzination verstärkte. Nicht wegen der Kleidung an sich – über Moden konnte er sich nicht viel Meinung machen –, sondern weil das Mädchen aussah, als wäre es aus Porzellan.
»Darf ich wenigstens deinen Namen erfahren?« »Mein Name ist nicht von Belang. Ich hüte die Gänse, und so nennt man mich hier auch. Den Gänsehüter.« »Du hütest den ganzen Tag die Gänse?« »Das ist schließlich meine Aufgabe, so wie Johanna diesen Pullover häkeln muss, dabei habe ich allerdings nur darauf zu achten, dass die Tiere in ihrem Gatter bleiben, unten am alten Weeth. Johanna indes ist in einer größeren Schleife gefangen; sie ist nahezu deswegen heilig, weil sie Sinnloses mit einer allergrößten Andacht zu tun vermag.«
Er war jetzt ein halbes Jahr in der Redaktion und hatte es bereits geschafft, in jede gemeldete Tanzveranstaltung eine Verschwörung hinein zu lesen, ein mystisches Komplott, wollte okkulte Botschaften nicht nur von seinem rückwärts drehenden Plattenspieler empfangen, sondern identifizierte das Rotbäckchen, das aussah, als hätte man es mit Fäusten verprügelt, auf dem gleichnamigen Saft, der nicht umsonst mit einer magischen Formel auf Werbefeldzug ging, als Gesicht der modernen Hexerei. Immer auf der Suche nach der Geschichte, nannte er das. Weder der Artikel: Die Beatles beten zu Satan, oder hängen zumindest verdächtig oft mit der LaVey und Manson-Clique ab, nämlich in diesem Haus in 10050 Cielo Drive, Bel Air, Los Angeles, Kalifornien, wo Sharon Tate von Sadie Atkins zerfleischt wurde – noch jener, in dem er schilderte, wie die Industrie mit versteckten Mantras auf die Menschheit einwirkt, wurden je gedruckt. Hätte man ihn auf einen soliden schönen Verkehrsunfall losgelassen, wäre er mit einem Roswell-UFO zurückgekehrt, mit geomantischen Störungen oder einer alten keltischen Handelsroute, vielleicht hätte er an der bezeichneten Stelle sogar Menschenopfer vermutet.
»Ein großer Mann, der leider keine Ratte war – also nicht so richtig«, fuhr Fridolin fort, »kam der Sache schon ziemlich nahe. Das ist lange her. Obwohl der Mann Grieche war, hieß er so wie das spanische Wort für Teller. Er hieß also Plato, und er sagte, dass hinter allem eine Idee stecken muss. Nimm mich! Ich bin eine Ratte – gut, okay, ich bin eine Albinoratte, gehöre aber zu den Wanderratten, bin also eine mus norvegicus. Bevor es irgendeine Ratte gab, war da die Idee der Ratte in der Natur, sozusagen die Kuchenbackform. So eine Kuchenbackform gibt es von allem, von jeder Pflanze und jedem Tier.«
Dumdidum spürt, was ein selbstbewußter Wind spürt, wenn er seine luftigen Kapriolen schlägt, Capricen vorbereitet, wie ein Schloßgespenst lacht. So ein Wind kann sich von den Hauswänden prallen lassen, sich rauschend in dichten Zweigen verfangen, dem Zugriff der Tannenzweige bereits wieder entkommen, eine Pfütze aus ihrem Bett treiben, den Kaminen Töne entlocken, die vom tiefen Heulen bis hin zu Regenrinnenpfeifen eine ganze Klaviatur enthielt.
Hohenner sah ein paar Minuten nachdenklich drein, hielt sein Kinn mit der rechten Hand fest und stakte, scheinbar tief in sich versunken, auf der Lichtung herum. Richard und Ludwig sahen sich an. Es war kaum zu merken, dass sich die beiden Männer spinnefeind waren. Der Arzt blieb abrupt stehen, richtete sich auf, klatschte in die Hände und sagte: »Also gut. Ich will die Augen!«
Die andere Geschichte nannte sich die vom ›Schnackelhupfer‹, und die entstammte keiner archaischen Resteverwertung. Vielleicht war sie einst wesentlich harmloser als das Märchen vom Hägelmoo gewesen, zumindest aber war sie realer. Und sie spielte um den Badeweiher herum. Nackt, nur mit Gummistiefeln an den weißen dürren Beinen, hieß es, tanzte dort ein alter, ekelhafter Schmerbauch herum, sobald sich Kinder sehen ließen, knetete seinen riesengroßen Sack und schlenkerte sein Gemächt durch die Luft. Er meckerte wie ein Ziegenbock und roch wie verdorbene saure Sahne. Aber wirklich gesehen hatte ihn niemand.