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Da ist jemand in der Küche / Nancy A. Collins

Nancy A. Collins ist ein Schwergewicht der Urban Fantasy (aber auch in Weird Western hat sie sich versucht und für den Giganten Swamp Thing getextet). In Deutschland ist sie – oh Wunder – gar nicht so bekannt, wie sie es eigentlich sein müsste, auch wenn es hier in diesem Fall zumindest die Sonja-Blue-Übersetzungen gibt. Tatsächlich ist es ja so, dass man sich um Kurzgeschichten nur in den besten Kreisen reißt. Und zu diesen besten Kreisen gehören hierzulande nur die wenigsten. Also gibt es auch keine Sammlung von ihr. Aber im Buch der Geister & Spukhäuser haben wir von Frank Festa die Geschichte „Da ist jemand in der Küche“ aus den 90er Jahren bekommen. Man mag zwar ahnen, wo diese Erzählung hinläuft, aber dennoch handelt es sich um eine kleine fiese Perle in Sachen Spukhausgeschichte.

Die Geschichte handelt von George Pruitt, der sich ein Haus auf dem Land mietet, das im Stil der 50er Jahre eingerichtet ist. Er hat das Großstadtleben Manhattens, wo er arbeitet, satt und freut sich gerade an dieser Zeitreise, wenn er am Wochenende das Haus betritt. Allerdings ziehen dauernd wohlige Gerüche durch das Haus, die ihm das Wasser im Mund zusammenlaufen lassen. Zunächst denk er, es seien die Essensgerüche der Nachbarn, die er da riecht, aber die leben zu weit weg als dass sie es sein könnten. Irgendwann entdeckt er den Geist einer entstellten alten Dame, die in seiner Küche hantiert. Er kann sich den leckeren Speisen nicht entziehen, Geist hin oder her. Als er dann tatsächlich einem Nachbar bei der Gartenarbeit begegnet, erfährt er die tragische Geschichte, die sich im Haus abgespielt hat, die ihm auch den Beweis dafür liefert, dass es sich bei seiner Phantomköchin auch wirklich um einen Geist handelt. Zumindest speist er so gut wie noch nie in seinem Leben. das geht so weit, dass er selbst seinen Job in Manhattan aufgibt, weil er ja die nächste Speise verpassen könnte.

Wie gesagt ist es einfach, sich vorzustellen, wie das alles endet. Ich werde es hier dennoch nicht erläutern, denn eine Geistergeschichte funktioniert oft wie ein Witz, was den stilistischen Aufbau betrifft, und auch den muss man hören, bevor man ihn analysieren sollte. Das mache ich zwar nicht immer, aber hier ist es durchaus angebracht. Sobald man das (nicht besonders überraschende) Ende kennt, kann man sich gleich noch einmal an den Anfang begeben und die verschiedenen Schritte noch besser genießen.

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Voltaires Kalligraph / Pablo De Santis

„Voltaires Kalligraph“ erzählt die Geschichte von Dalessius, der im Alter von 20 Jahren von Voltaire als Kalligraph und Archivar eingestellt wird. Obwohl der maschinelle Druck die Handschrift bereits weitgehend verdrängt hat, ist sie für viele Dokumente nach wie vor unverzichtbar – insbesondere für eilige oder einmalige Schriftstücke. Dieser Konflikt zwischen Mensch und Maschine zieht sich wie ein roter Faden durch den Roman.

Dalessius beginnt seinen Bericht Jahrzehnte später mit einem eindrucksvollen Bild: Er reist mit wenig mehr als ein paar Hemden, den Werkzeugen seiner Schreibkunst und einem in einem Glas konservierten Herz – dem Herzen Voltaires. Doch sein Bericht konzentriert sich auf die Zeit, als das Herz noch schlug. Die Geschichte, wie es schließlich in seinen Besitz gelangte, ist leider weniger dramatisch, als man vielleicht erwarten würde.

Als Waisenkind wächst Dalessius bei seinem Onkel auf, der ein florierendes Geschäft mit Leichentransporten betreibt. Er sorgt dafür, dass Verstorbene in ihre Heimat überführt und dort beigesetzt werden – ein besonders lukratives Geschäft in Kriegszeiten, wenn viele Soldaten fern der Heimat sterben. Dalessius, ein begabter Kalligraph, verliert seine Stelle als Gerichtsschreiber und findet stattdessen Arbeit bei Voltaire. Doch schon bald wird er mehr als nur Schreiber: Voltaire setzt ihn als eine Art Spion ein, um den historischen Fall des angeblich zu Unrecht verurteilten Jean Calas zu untersuchen. Während Voltaire in Wirklichkeit bereits gründlich recherchiert hat, entwickelt De Santis daraus eine viel größere Verschwörung, als es sie in Wirklichkeit gegeben hat.

Der Roman ist ein unterhaltsames Katz-und-Maus-Spiel voller Intrigen. Die Kirche spielt eine zentrale Rolle, aber besonders faszinierend sind die lebensechten Automaten – Maschinen, die so täuschend echt gebaut sind, dass man sie für Menschen halten könnte. De Santis füllt seinen Roman mit farbenprächtigen Details: von den raffiniert gebauten Automaten über die verschiedenen Tinten der Kalligraphen – darunter unsichtbare oder gar giftige – bis hin zum makabren Geschäft mit den Toten. Die Atmosphäre ist düster und geheimnisvoll, geprägt von engen Gassen, verwinkelten Herrenhäusern, Friedhöfen und der allgegenwärtigen Welt der Bücher – Bibliotheken, Buchhändler und Manuskripte spielen eine wichtige Rolle.

Auch das Personal des Romans ist vielfältig: Henker und Schergen der Mächtigen sorgen für blutige Momente – aber nicht jeder, der geköpft wird, blutet auch wirklich. Eine weitere zentrale Figur ist die weltfremde Clarissa, Tochter des übervorsichtigen Mechanikergenies von Knepper, der eine Romanze zwischen ihr

„Voltaires Kalligraph“ ist ein kurzer, aber rasanter Roman, der den Leser von einem Schauplatz zum nächsten führt. Auch eine Reise im Sarg bleibt Dalessius nicht erspart – allerdings kontrastiert De Santis das hohe Tempo mit langen Wartezeiten an verschiedenen Schauplätzen, die oft humorvoll in Szene gesetzt werden. Manchmal wirkt der Roman etwas überfrachtet, und an manchen Stellen hätte eine genauere Ausarbeitung gut getan. Aber gerade weil er sich nicht in übertriebener Detailverliebtheit verliert, bleibt er immer spannend und unterhaltsam. Ein solider historischer Thriller mit originellen Ideen und einer gelungenen Mischung aus Verschwörung, Technik und Abenteuer.

Unionsverlag

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Rebecca / Daphne DuMaurier

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Die schweigende Welt des Nicholas Quinn / Colin Dexter

Morse ist ein interessanterer Charakter. Er ist ein Mann, der den Leser fasziniert, dem man aber auch mit Vorbehalten gegenübersteht. Lewis findet ihn zuweilen unnötig grob, und das ist er auch. Morse ist ein Effekthascher wie viele großen Detektive, und seine Grobheit dient dazu, die Leute aufzurütteln. Außerdem ist er ein rasender Egoist. Er sagt den Leuten, die er trifft, ziemlich oft, dass er „den besten Verstand in ganz Oxford“ hat. Interessanterweise zeigt er es dann auch. Morse vereint viele widersprüchliche Charaktereigenschaften. Bewunderung und Abscheu liegen nah beieinander, und das ist der Grund, warum Morse so ein überragendes literarisches Gesicht und Gewicht trägt.

Dabei musste Colin Dexter nicht lange nachdenken, wie er seinen Inspektor anlegt. Er nahm sich selbst als Vorbild. Nicht nur, was das Interesse an Bier, englischer Literatur, kryptischen Kreuzworträtseln usw. betrifft, sondern gerade von der Persönlichkeit. Beim Lesen der Morse-Romane hat man unweigerlich das Gefühl, Colin Dexter selbst vor sich zu haben und nicht etwa nur eine fiktive Figur. Morse kennt – wie Dexter – seine Fehler nur zu genau, ist aber nicht imstande, sich für sie zu entschuldigen.

Im dritten Roman der Serie – Die schweigende Welt des Nicholas Quinn – bekommen wir eine Figur, der Dexter durch seine eigenen Lebenserfahrungen Glaubwürdigkeit verleiht. Natürlich sind all diese Romane im Milieu des Oxford-Bildungssystems angelegt, weil Dexter sich dort hervorragend auskannte. Dexter war ein Lehrer, der wegen Taubheit in den Ruhestand gehen musste. Danach nahm er eine Stelle in der Prüfungskommission an, die der des Nicholas Quinn im Roman ziemlich ähnlich ist. Quinn bekommt den Zuschlag im Verband für Auslandsprüfungen, obwohl er fast taub ist. Nicht lange danach wird er – mit Zyankali vergiftet – aufgefunden. Es sollte zwar wie Selbstmord aussehen, aber Morse lässt sich wie gewöhnlich nicht täuschen.

Später im Roman findet Morse heraus, dass Quinn ein außergewöhnlicher Lippenleser war und etwas belauscht hatte, das man eigentlich nicht verstehen konnte, wenn man nicht über dieses Talent verfügte. Dexter geht darauf ein, wie Morse herausfindet, dass bestimmte Buchstaben für Lippenleser schwer zu unterscheiden sind. Er verhaftet den falschen Mann und stellt dann fest, dass er aufgrund der Ähnlichkeit zwischen dem Namen des tatsächlichen Mörders und dem des Verhafteten auf die falsche Person kam.

Es ist fast so, als ob Dexter sich in diesem Roman selbst in zwei Teile spaltete. Da ist sein Alter Ego Morse und gleichzeitig das Opfer – ein Abbild seiner eigenen Taubheit. Die Romane sind nicht zuletzt deshalb so interessant zu lesen, weil Dexters Wissen, das überall einfließt, eher persönlich als recherchiert ist. Er kennt Oxford; und jeder, der gerne durch die berühmteste aller Universitätsstädte geführt wird, ist hier an der richtigen Adresse. Tatsächlich sucht Dexter in keinem Roman dieselben Teile Oxfords auf. Gelegentlich wird eine Hauptverkehrsstraße wie die Woodstock Road erwähnt, aber nie dieselben Gebäude, Pubs oder Vororte, so dass am Ende ein kompaktes Panorama entsteht.

Im Grunde sticht aus den 13 Romanen kein einziger wie ein Turm hervor. Sie alle sind hinterhältig und voller Ablenkungsmanöver, und auch wenn man noch so gut aufpasst, wird man am Ende überrascht sein, wenn Morse alles für den Leser und einen verblüfften Lewis aufdröselt.

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Zuletzt gesehen in Kidlington / Colin Dexter

Vor mehr als zwei Jahren verschwand Valerie Taylor, eine siebzehnjährige Schülerin der Roger Bacon School in der Nähe von Oxford, unter mysteriösen Umständen. Inspector Morses Kollegen von der Polizei fanden trotz intensiver Nachforschungen nichts heraus. Warum also den Fall jetzt wieder aufrollen, wo die Spuren längst kalt sind und die Erinnerungen verblassen? Sicherlich laufen jedes Jahr Hunderte von Mädchen von zu Hause weg und machen sich auf den Weg zu den hellen Lichtern der Großstadt. Morse bevorzugte eine Leiche: eine Leiche, die eines unnatürlichen Todes gestorben ist. Und sehr bald bekommt er eine.

Colin Dexters zweiter Roman ist voller roter Heringe, falscher Fährten also, die äußerst unterhaltsam sind, weil Morse sie selbst legt und dann, wenn wir mit ihm in der Sackgasse angekommen sind, wieder verwirft. Morse springt von einer Idee zur nächsten, operiert oft mit ein paar fragwürdigen Fakten und zieht daraus wackelige Schlüsse. Er verzweifelt, nachdem eine Theorie nach der anderen ins Gras beißt, aber am Ende bekommt er doch noch Recht. Es ist eine sehr verschwenderische Art, Detektivarbeit zu leisten, und es steckt nicht viel Logik dahinter; Morse stolpert fast zufällig über die Lösung des Verbrechens. All das macht die Lektüre des Romans zu einer sehr akademischen Übung, und es ist gerade das, was Colin Dexter vom Rest seiner Kollegen abhebt.

Tatsächlich ist dieser Roman ein Paradebeispiel für die Aussage: „Wenn man das Unmögliche ausgeschlossen hat, muss das, was übrig bleibt, die Wahrheit sein, so unwahrscheinlich sie auch klingen mag.“ Dieser Satz von Sherlock Holmes fasst Morses Methode, den Fall zu lösen, gut zusammen.

Man tut gut daran, bereits den ersten Band gelesen zu haben, um sich an Morses Eigentümlichkeiten zu gewöhnen, und das trifft auch auf Colin Dexters Schreibstil zu, der sich erheblich vom Mainstream unterscheidet. Tatsächlich ist Morse weit davon entfernt, ein verweichlichter, politisch korrekter Typ zu sein. Er raucht, mag Pornografie, säuft regelrecht und flucht manchmal wie ein Bierkutscher. Und gerade deshalb ist der Roman charmant und unapologetisch ehrlich, wobei Dexter sämtliche Klischees des Kriminalromans untergräbt. Noch stehen die ganz großen Romane um Morse aus, aber die zunehmende Kompaktheit und Perfektion macht bereits einen großen Schritt nach vorne. Dabei benötigt Colin Dexter keine literarischen Tricks oder avantgarde Techniken, um die Aufmerksamkeit des Lesers zu gewinnen, er tut das mit einer Raffinesse, die schlicht umwerfend ist.

Und bereits jetzt tut sich etwas in der Beziehung zwischen Morse und Lewis, der übrigens keineswegs dessen Watson ist, wie so oft behauptet wird. Der Kontrast zwischen Morse und Lewis ist zwar vorhanden, aber ganz anders wie Watson, der Sherlock intellektuell völlig unterlegen ist und die Geschichten des großen Detektivs aus seiner Warte betrachtet, ist Lewis nicht immer einverstanden, mit dem, was Morse treibt, auch wenn er sich fragt, mit welchen Kunststückchen er seine Fälle eigentlich löst. So ist Lewis geradlinig, während Morse geistige Verrenkungen fabriziert, die äußerst abenteuerlich sind, und denen Lewis deshalb nicht folgen kann.

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Kurzformen. Babylon, Borges, Buenos Aires / Ricardo Piglia

Ricardo Piglias Essay „Kurzformen. Babylon, Borges, Buenos Aires“ – im Original Formas Breves -, ist ein Schlüsseltext, der die Kraft und den Reiz der Kurzform in der Literatur untersucht. Piglia, einer der bedeutendsten Schriftsteller der lateinamerikanischen Literatur, beherrscht die Kunst, komplexe Gefühle und Botschaften auf engstem Raum zu verdichten. Seine Analyse konzentriert sich auf die literarischen Techniken, die in Kurzgeschichten, Mikrogeschichten und Essays zum Einsatz kommen, und zeigt, wie diese Formen ein reichhaltiges und tiefgründiges literarisches Werk ermöglichen.

Kurzformen in der Literatur sind ein wirkungsvolles Mittel, um auf knappem Raum intensive emotionale und intellektuelle Eindrücke zu erzeugen. Piglia sieht in diesen Formen nicht nur ein Instrument der Verdichtung, sondern auch ein Medium, um komplexe Themen wie Identität, Erinnerung und Politik zu erforschen. Seine Kurzgeschichten und Essays bieten dem Leser literarische und kulturelle Bezüge, die trotz ihrer Tiefe zugänglich und spannungsgeladen bleiben.

Piglia argumentiert, dass große Kurzgeschichten immer zwei Geschichten enthalten: eine sichtbare und eine verborgene, die erst durch die Interpretation des Lesers zum Vorschein kommt. Diese narrative Struktur macht die Kurzgeschichte zu einem idealen Medium, um dichte Bedeutungsschichten zu erzeugen, wie es auch Jorge Luis Borges meisterhaft demonstriert hat.

Dabei handelt es sich bei der Theorie der „zwei Geschichten“ um ein zentrales Konzept, um die narrative Struktur zu beschrieben, bei der zwei Geschichten gleichzeitig erzählt werden:

a. Die sichtbare Geschichte

Die erste Geschichte liegt an der Oberfläche der Erzählung. Sie ist direkt wahrnehmbar, weil sie explizit erzählt wird. Diese sichtbare Geschichte dient oft als eine Art Rahmen oder Kulisse, die den Leser in die Erzählung hineinzieht. Sie ist in der Regel einfach, handlungsorientiert und leicht verständlich.

Beispiel: In einer klassischen Detektivgeschichte könnte die sichtbare Geschichte die Suche eines Detektivs nach dem Täter sein. Sie gibt der Erzählung eine klare Struktur und vermittelt einen offensichtlichen Handlungsverlauf.

b. Die verdeckte Geschichte

Die zweite Geschichte ist subtiler und liegt unter der Oberfläche. Sie wird nicht direkt erzählt, sondern entsteht durch Anspielungen, Symbole und Leerstellen im Text. Diese verborgene Geschichte erfordert die aktive Beteiligung des Lesers, der die verschiedenen Hinweise zusammensetzen muss, um die tiefere Bedeutung oder den subversiven Inhalt der Erzählung zu entschlüsseln.

Beispiel: In derselben Detektivgeschichte könnte die versteckte Geschichte Fragen über Gerechtigkeit, Macht oder die subjektive Natur der Wahrheit aufwerfen. Während der Ermittler den Fall löst, könnte die Erzählung gleichzeitig die gesellschaftlichen Strukturen kritisieren, die solche Verbrechen ermöglichen.

c. Das Zusammenspiel der beiden Geschichten

Piglia argumentiert, dass große Kurzgeschichten von diesem Spannungsverhältnis zwischen sichtbarer und verborgener Geschichte leben. Die sichtbare Geschichte erfüllt eine funktionale Rolle: Sie sorgt für den äußeren Fluss der Handlung und macht die Geschichte für den Leser greifbar. Die verborgene Geschichte hingegen öffnet den Raum für Interpretationen und spiegelt tiefere Themen oder Botschaften wider.

Dieses Konzept lässt sich gut in den Werken von Jorge Luis Borges nachvollziehen. Ein Beispiel ist die Erzählung Das Haus des Asterion (La casa de Asterión), die auf den ersten Blick die Geschichte eines einsamen Wesens erzählt, das durch ein Labyrinth irrt. Erst am Ende wird enthüllt, dass es sich um den Minotaurus handelt – und damit entfaltet sich die verborgene Geschichte, die philosophische Fragen über Isolation, Opferbereitschaft und die Perspektive von Monstern aufwirft.

Borges als Prototyp der Kurzformen

Jorge Luis Borges nimmt in Piglias Essays eine zentrale Stellung ein, denn für Piglia ist er ein Pionier der literarischen Verdichtung, der mit minimalistischen Mitteln universelle Themen wie Unendlichkeit, Zeit und Wissen verhandelt. Werke wie Die Bibliothek von Babel oder Das Aleph sind hierfür Paradebeispiele für Kurzformen, die auf engstem Raum eine immense Bedeutungsfülle entfalten. Die Verbindung von Piglia und Borges ist in Piglias Werken überhaupt ziemlich prominent, was unter anderem auch an Buenos Aires liegt, jene Stadt also, die für Piglia selbst eine wichtige Inspirationsquelle darstellt. Die urbane Komplexität und kulturelle Hybridität der Stadt ist für beide Autoren ein Ort, an der das Lokale und das Universelle miteinander verschmelzen wie in Europa eventuell Paris.

Buenos Aires und die literarische Tradition

Die Stadt Buenos Aires wird von Piglia folgerichtig als literarischer Schmelztiegel und als Metapher für die Erzählkunst selbst beschrieben. Buenos Aires ist für ihn eine Art modernes Babylon, in dem Geschichten, Sprachen und Kulturen aufeinanderprallen und neue Erzählformen hervorbringen. In diesem Zusammenhang hebt Piglia an verschiedenen Stellen die Werke exzentrischer Autoren wie Roberto Arlt und Macedonio Fernández hervor, und sogar den polnische Schriftsteller Witold Gombrowicz, deren unkonventionelle Texte die literarische Landschaft Argentiniens geprägt haben.

Piglia geht es aber nicht nur um Borges oder andere Dichter, sondern um die grundlegenden Strukturen und Funktionen der Literatur. Seine Analysen zeigen eine tiefe Auseinandersetzung mit den Möglichkeiten der kurzen Form, die er als eine Art „Mikroskop der Literatur“ betrachtet: Sie fokussiert die Essenz von Geschichten, destilliert Bedeutungen und schafft Raum für Reflexion.

Seine Fähigkeit, eine Vielzahl von Themen auf wenigen Seiten zu verdichten, ist ein Kennzeichen seines Stils. Seine Kurzformen laden den Leser ein, die Lücken selbst zu füllen, Bedeutungen zu entschlüsseln und Zusammenhänge herzustellen. Dabei setzt Piglia stets auf einen intertextuellen Ansatz, in dem seine Texte auf ein weites Netz literarischer und kultureller Bezüge zurückgreifen.

Die deutsche Ausgabe von Formas Breves, übersetzt von Elke Wehr, erschien im Jahr 2006 bei Berenberg.

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Crimson Lake / Candice Fox

Ted Conkaffey war ein angesehener Polizist, bis sein Leben plötzlich und unwiderruflich aus den Fugen geriet. Er wurde fälschlicherweise des abscheulichen Verbrechens beschuldigt, ein 13-jähriges Mädchen entführt, vergewaltigt und beinahe getötet zu haben. Obwohl es keine handfesten Beweise gegen ihn gibt, sprechen die Umstände eine so deutliche Sprache, dass die Öffentlichkeit und die Medien ihn längst verurteilt haben. Seine Ehe ist zerbrochen, er darf seine Tochter nicht mehr sehen und sein Ruf ist für immer ruiniert. Voller Verzweiflung flieht Ted in die Abgeschiedenheit von Crimson Lake, einer tropischen Oase nahe Cairns im Norden Australiens, um dort irgendwie ein neues Leben zu beginnen.

Aber auch hier bleibt Ted nicht unentdeckt. Die feuchtheiße Luft, das Knurren der Krokodile und die dichten Wälder mögen ihn vor neugierigen Blicken verbergen, doch die Realität holt ihn schnell ein. Eine Reporterin wittert eine Sensationsstory, zwei korrupte Polizisten hoffen, ihn auf frischer Tat zu ertappen, und die Bürgerwehr von Crimson Lake macht unmissverständlich klar, dass Ted hier nicht willkommen ist.

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Die Sünden der Väter / Lawrence Block

Eine der wichtigsten Konstanten in Lawrence Blocks mehr als 30-jähriger Schriftstellerkarriere, die mehr als 50 Romane und zahlreiche Auszeichnungen – darunter den renommierten Grand Master of Mystery Writers of America – umfasst, ist der Privatdetektiv Matthew Scudder, der erstmals 1976 in „Die Sünden der Väter“ auftaucht. Damit ist Scudder eine der beständigsten Schöpfungen Blocks und des gesamten Krimigenres. Als ehemaliger New Yorker Polizist, der zeitlebens mit Alkoholismus zu kämpfen hatte, tauchte Scudder bisher in 17 Romanen und einigen Kurzgeschichten auf.

Schon früher beschrieb er die Abgründe, in die junge Erwachsene Anfang der sechziger Jahre gerieten. Es ist eine Welt der Drogen, der Prostitution, der Verkommenheit und der blutigen Wohnungen.

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Sommer der Nacht / Dan Simmons

Liest man sich etwas in die Reviews zu Summer Of Night ein, wird man immer wieder auf die Vergleiche mit Stephen Kings ES stoßen. Sollte der Vergleich gerechtfertigt sein, ist Simmons mit diesem Roman gescheitert. Betrachtet man Summer Of Night für sich und sieht die Parallelen als im Horror-Genre übliches Setting an, liest man dieses Buch nicht ohne Gewinn, auch wenn es gegenüber anderen Simmons-Büchern durchaus abfällt.

Nach eigenen Angaben ging es Simmons nicht so sehr um „Monster“ als um die Geheimnisse einer Kindheit in Elm Haven, Illinois um 1960 herum. Eine Zeit, die für Kinder eine relative Unschuld bedeutete, mit langen Sommertagen und vergessener Freiheit, einer Zeit, in der man morgens sein Fahrrad nehmen und erst lange nach Einbruch der Dunkelheit zurückkehren konnte, ohne sich irgendwelche Sorgen zu machen.

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Die Gasse der dunklen Läden / Patrick Modiano

In Patrick Modianos Erzählungen dreht sich fast alles um die Erinnerung, dieser schwer fassbaren Eigenschaft.

“Ich bin nichts” lautet dann auch der erste Satz in “Die Gasse der dunklen Läden” von 1978. In Modianos Welt bestehen wir aus unseren Erinnerungen, unserer Geschichte, den Geschichten, die wir über unser Leben konstruieren. Wenn wir uns nicht daran erinnern, wer wir sind, sind wir dann überhaupt?

Der Protagonist Guy Rolland verlor vor 15 Jahren bei einem mysteriösen Unfall sein Gedächtnis, bis ihn der Privatdetektiv Hutte bei sich eine Anstellung verschaffte.

Als Hutte sich zur Ruhe setzt und nach Nizza zieht, übernimmt Guy die Aufgabe, herauszufinden, wer er wirklich ist, denn sein augenblicklicher Name ist nur eine künstliche Identität.

Mit Hilfe von Fotos, kleinen Hinweisen, Telefonbüchern und Gesprächen mit verschiedenen Personen setzt er sein Leben langsam zusammen, aber es ist eine verschlungene Straße mit vielen Löchern. Jeder Hinweis führt zu einem anderen; manchmal denkt er, er habe herausgefunden, wer er ist, nur um kurz darauf Beweise dafür zu finden, dass er doch ein anderer ist. Ist er Pedro Stern oder McEvoy? Wie lautet der Name der Frau auf dem Bild, die er wiedererkennt? Warum sind sie aus Paris geflohen? Es häufen sich die Fragen und es gibt kaum Antworten. Guy tappt im Dunkeln, in einer fast filmischen und traumhaften Welt, bevölkert von einer Vielzahl mehr oder weniger seltsamer Figuren. Auf der Grundlage der wenigen Informationen beginnt Guy, eine Geschichte zu erzählen, aber ist es wirklich so gewesen oder erzählt er sie nur, um zumindest eine eigene Geschichte damit festzuhalten?

Das Buch wird langsamer, als er beginnt, die scheinbar endlosen Hinweise auf das Rätsel um seine Identität zu lösen, und der Roman verwandelt sich von einem Detektivroman in einen Roman der Reflexion und Kontemplation, als Guy erkennt, dass der Schlüssel zur Entdeckung seines vergangenen Lebens von der Besatzung Frankreichs abhängt.

Modianos Stil ist einerseits klar in seinen Abläufen, und noch präziser, wenn er sich damit befasst, zu erkunden, wie das Gedächtnis funktioniert und was den Erinnerungsmechanismus jeweils auslöst. Und so erinnert der Roman an die Filme von Alain Resnais (Letztes Jahr in Marienbad, dessen Drehbuch Alain Robbe-Grillet verfasste), die die Beziehung zwischen Bewusstsein, Erinnerung und Vorstellungskraft erforschen.

“Die Gasse der dunklen Läden” ist ein melancholischer und unheimlicher Roman mit einer Rahmenhandlung, die genauso gut ein sehr konventioneller Krimi hätte werden können. Die fragmentierte Erzählung und die umgekehrte Chronologie machen ihn jedoch alles andere als konventionell. Wie üblich schreibt Modiano mit einer begnadeten leichten Hand. Schnell kann es deshalb sein, die kleinen wunderbaren Details in der Sprache und den Beschreibungen der Umgebung zu verlieren. Einige Kapitel sind nur eine Seite lang und bestehen aus Listen mit Namen, Adressen und Telefonnummern. Aber selbst in diesen Listen gelingt es ihm, die Poesie des Verlorenen sprechen zu lassen.

Modiano beschäftigt sich oft mit der tückischen Natur der Erinnerung und ihren Unzulänglichkeiten. Für ihn sind sowohl die Erinnerung als auch die Identität fließend und flüchtig, sie verändern sich ständig.

Für diesen Roman erhielt Modiano 1978 den renommierten Prix Goncourt für die nahtlose Integration des Psychologischen und Existenziellen in das oft formelhafte Genre der Detektivliteratur. Er ist ebenso erfreulich wegen seiner erwartbaren Szenen voller Spannung und Geheimnis als auch wegen der oft tiefgründigen Analyse von Identität und Erinnerung, die alle in unverblümter, geradliniger Ego-Prosa präsentiert werden, die der von Meursault in Albert Camus’ “Der Fremde” nicht unähnlich ist. Wie seinem Nobelpreisträger-Kollege gelingt es ihm, die komplexen Themen, die er behandelt, zugänglich zu gestalten, während andersherum die zahlreichen Charaktere und Anekdoten unüberschaubar bleiben.

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Agatha Christie – Die Königin so mancher Verbrechen

Schon früh wurde mir klar, dass ich mich eines Tages dem Verbrechen zuwenden würde. Noch in der Schule scheute ich die vorgeschriebenen Bücher und verschlang stattdessen die Ellery Queen- und Alfred Hitchcock Mystery Magazines sowie die Romane von Agatha Christie.

Ich fühlte mich sofort mit dieser Autorin verbunden, und das nicht nur, weil wir am selben Tag geboren wurden (wenn auch, wie ich hinzufügen möchte, nicht im selben Jahr). Was ich an ihrem Ansatz des „Rätselschreibens“ am meisten schätzte, war ein ausgeprägter Sinn für Logik, kombiniert mit einer Verspieltheit, einer Verschlagenheit, einer verflixten Freude an der Täuschung, die man mit Genugtuung zur Kenntnis nahm, selbst wenn man zugeben musste, dass sie einem wieder einmal das Fell über die Ohren gezogen hatte. Man war zwar wütend auf sich selbst, weil man hereingelegt worden war, aber gleichzeitig konnte man nicht anders, als dem genialen Taschenspielertrick zu applaudieren. Aber beim nächsten Mal, beim nächsten Buch, das schwörst du dir, wird das alles anders werden.

Zugegeben, einige der Muster, auf die sie zurückzugreifen pflegte, wurden mit der Zeit vertraut, und man konnte sie gelegentlich in Frage stellen. Je mehr Bücher ich las, in denen meist ihr exzentrischer und egozentrischer, schnauzbärtiger belgischer Detektiv und die trügerisch zerbrechliche, strickende Jungfer aus St. Mary’s Mead die Hauptrolle spielten, desto mehr Anzeichen und Signale tauchten auf, die zur richtigen Schlussfolgerung führen konnten, bevor die Detektive sie erreichten.

Jedenfalls beschloss ich, nachdem ich den bestmöglichen Unterricht zur Entwicklung einer kriminalistischen Denkweise erhalten hatte, lieber Krimis zu schreiben als sie zu lesen. Das Problem, mit dem wir Krimiautoren immer wieder konfrontiert werden, ist jedoch, dass, sobald man glaubt, eine großartige Wendung gefunden zu haben, diese bereits bekannt ist. Dame Agatha hat es schon vor Jahrzehnten vorgemacht, und man kann eigentlich nur noch einige ihrer Beispiele modernisieren. Das Rad wurde erfunden und sie hat es dann noch ein paar Mal neu erfunden, damit es sich auch bewährt. Jetzt können wir es also nutzen.

Die Antwort auf ihre Rätsel lag oft in der Vergangenheit; je scheinbar harmloser die Erwähnung von etwas, das vor langer Zeit geschah, desto mehr Einfluss hatte es auf die Gegenwart. Diese kleinen Hinweise auf Ereignisse von gestern konnten doch unmöglich etwas mit den aktuellen Ermittlungen zu tun haben, oder? Natürlich konnten sie das, und sie würden es auch.

Aufgrund ihrer medizinischen Kenntnisse, die sie während des Ersten Weltkriegs in einem Lazarett und später als Apothekergehilfin erworben hatte, liebte es Dame Agatha auch, ihren fiktiven Opfern verschiedene Gifte zu verabreichen.

Abgesehen von ihren „normalen Krimis“, in denen der Schuldige entlarvt wurde, nachdem alle Verdächtigen zweimal befragt und dann wie verirrte Schafe in einem Salon zusammengetrieben worden waren, gab es einige Romane, die in ihrer Herangehensweise und der letztendlichen Lösung so kühn waren, dass sie andere Krimis über Jahrzehnte hinweg beeinflussen sollten. Vielleicht hat sie nicht alle diese Wendungen erfunden, aber da sie sie perfektioniert hat und die Autorin ist, mit der sie in Verbindung gebracht werden, ist es so, als hätte sie es getan.

Achtung… Spoiler…

Der Erzähler war es

Wenn Sie in letzter Zeit ein paar Filme gesehen haben, sind Sie diesem „Überraschungselement“ mit Sicherheit schon begegnet: Die Person, der Sie eigentlich am meisten vertrauen sollten, ist in Wirklichkeit die schuldige. Oder (gähn) das Opfer und der Täter sind tatsächlich dieselbe Person. Aber als Der Mord an Roger Ackroyd 1926 veröffentlicht wurde, war es ein spektakulärer Einfall, dass sich der Ich-Erzähler als der Mörder entpuppte. Einige Kritiker beschwerten sich darüber, dass Christie gemogelt habe, indem sie die Untaten im „Off“ stattfinden ließ und Dr. James Sheppard einfach nicht über seinen damaligen Aufenthaltsort und seine mörderischen Handlungen nachdachte. Wahrscheinlich waren sie jedoch wütender auf sich selbst, weil sie ertappt wurden und nicht selbst daran gedacht hatten. Im Jahr 2013 wurde dieses Buch von 600 Schriftstellerkollegen der Crime Writers‘ Association zum besten Kriminalroman aller Zeiten gewählt.

Sie alle waren es

In Mord im Orientexpress werden auf sehr sportliche Art und Weise sachdienliche Hinweise gegeben. Es gibt eine bestimmte Anzahl von Stichwunden. Es gibt eine bestimmte Anzahl von Verdächtigen, die sich alle so verdächtig verhalten, dass eine Figur nach der Befragung eines jeden von ihnen ausrufen kann: „Er hat es getan!“ oder „Sie hat es getan!“ Ja, natürlich. Ganz genau. Das wird sich als richtig erweisen. Er hat es getan. Und sie hat es getan. Zusammen mit all den anderen.

Eine tote Person war es

Oder der Mörder war nicht wirklich tot, zumindest nicht zu dem Zeitpunkt, als man ihn dafür hielt. Und er hatte Hilfe. Und die Person, die ihm bei seiner Täuschung half, war die nächste, die dran glauben musste. Und dann gabs keines mehr bewies, nur für den Fall, dass es irgendeinen Zweifel gab, dass Dame Agatha ihre ausgeklügelten Muster, die sie eine Zeit lang perfektioniert hatte, beiseite legen und über den Tellerrand hinausschauen konnte. Sie wagte sich auf ein Gebiet jenseits des Kriminalromans. Es war ein kühner Coup, der diesen Roman zu ihrem Bestseller machte, von dem inzwischen 100 Millionen Exemplare verkauft worden sind, Tendenz steigend. Der Roman wurde mehrfach verfilmt, was den Nebeneffekt hatte, dass Christie die Grundregeln für das erfand und festlegte, was später als Slasher-Film bekannt wurde – ohne die eimerweise blutigen Stellen, die wir heute von solchen Filmen erwarten, und mit Charakteren, die durch und durch verdorben waren. Was sie hier schuf, war eine Detektivgeschichte ohne Detektiv. Und mehr noch: einen Krimi ohne Held oder Heldin.

Das vermeintliche Opfer war es

Um ein Verbrechen zu begehen, musste jemand nicht so weit gehen und seinen eigenen Tod vortäuschen, wie im obigen Beispiel – ein vermeintlicher Angriff reichte aus, wie zu Beginn von Das Haus an der Düne, als Magdala „Nick“ Buckley (wie wir glauben) fast erschossen wird. Wenn tatsächlich jemand Nick töten wollte, wer wäre dann der am wenigsten verdächtige Kandidat? Das arme erschossene Mädchen selbst. Das Einschussloch in Nicks Sonnenhut lenkt den Verdacht des Lesers garantiert ab, und wenn sie nicht bald darauf stirbt, suchen wir die Schuldigen natürlich woanders.

Jemand hat es in fremden Gefilden getan

Die Autorin ist mit ihrem zweiten Ehemann, dem Archäologen Sir Max Mallowan, viel gereist. Während er seiner Arbeit nachging, beschäftigte sie sich mit der Ausgrabung von Plots, die vor Bosheit und vornehmem Chaos nur so strotzen. Die betreffenden Länder, zumeist im Nahen Osten, boten die Kulisse für heimtückische Taten, die in einem anderen englischen Landstrich vielleicht ein wenig langweilig gewirkt hätten. In einem exotischen Milieu waren sie frisch und neu. Überall, wohin sie reiste, fand Christie Das Böse unter der Sonne. In jedem Land, das sie kannte, war die Bühne für eine Verabredung mit dem Tod bereits bereitet. Ein paar andere Beispiele sind Mord in Mesopotamien, Sie kamen nach Bagdad und Tod auf dem Nil.

Jemand hat es vor Jahrhunderten getan

Das Buch spielt im Jahr 2000 v. Chr. in Theben, und man kann sich nur vorstellen, wie viel Recherche in Rächende Geister geflossen sein muss. Trotz all der überzeugenden Details über das tägliche Leben im ägyptischen Haushalt vor 4000 Jahren wird es nie zu einer trockenen, informativen Lektüre, sondern eher zu einer brutalen Unterhaltung mit so vielen Todesfällen, dass es in dieser Hinsicht mit Und dann gabs keines mehr konkurriert. Die Akteure auf dem Markt für historische Krimis sind sich vielleicht gar nicht bewusst, was sie Agatha Christie zu verdanken haben.

Die Königin des Verbrechens regierte mehr als gut und tut es immer noch. Ihre raffinierten Rätsel werden nicht nur weiterhin neue Generationen von Lesern begeistern, sondern auch künftige Krimiautoren werden ihr weiterhin huldigen – wissentlich oder unwissentlich, ob sie es nun beabsichtigen oder nicht.

Das Original erschien im Blog „Something is going to happen„.

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Die Legende von Sleepy Hollow

Wenn ich heute von der Legende von Sleepy Hollow spreche, dann dreht es sich explizit um die Geschichte von Washington Irving, die ja bereits mehrere Male verfilmt und die direkt von der Sage beeinflusst wurde. Einen Artikel (und Podcast über den kopflosen Reiter gibt es bereits im Phantastikon). Die Unterschiede liegen auf der Hand. Hier wurde ein Stoff fiktionalisiert, der schon lange im Umlauf war.

Die Legende ist sowohl eine charmant-kuriose Geschichte über die Versuche eines unbeholfenen Lehrers, die Tochter eines reichen Gutsbesitzers zu umwerben, als auch eine Charakterisierung des gotischen Schreckens, wie er in Geschichten wie Das Schloss von Otranto, Der Käfer oder Dracula vorkommt.

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Stadt der Mörder / Britta Habekost

Stadt der Mörder

Will man das Paris der 20er Jahre einfangen, steht man vor dem Problem, eines der schillerndsten Jahrzehnte der Geschichte vor sich zu haben. Der Geist der 20er war geprägt von einem allgemeinen Gefühl der Diskontinuität, das mit der Moderne und dem Bruch mit Traditionen einherging. Paris war das Zentrum der Moderne in Kunst und Literatur. Gertrude Stein drückte es einmal so aus: „Paris war der Ort, an dem sich das zwanzigste Jahrhundert aufhielt“.

Noch in meinen jungen Jahren war Paris ein nahezu mystischer Ort, den ich so oft besuchte, wie es mir möglich war. So ging es vielen Dichtern zu vielen Zeiten. Schuld war unter anderem der Surrealismus, und es gab eine Zeit, in der ich versucht war, jedes Buch über Paris zu erwerben, in dem der Surrealismus überhaupt nur erwähnt wurde. Britta Habekost hat nun mit „Stadt der Mörder“ einen Kriminalroman geschrieben, der nicht nur in Paris spielt, sondern auch die Gruppe der Surrealisten mit einbezieht. Zwar hat die Autorin unter anderem auch Heimatkrimis verfasst, aber das kann nicht darüber hinweg täuschen, dass sie auch eine historische Ader hat. Als Britta Hasler hat sie bereits zwei Thriller im Wien der Jahrhundertwende angesiedelt, und das hat mich meine anfängliche Skepsis erst mal verlieren lassen.

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Fenster zum Tod / Linwood Barclay

Barclay Fenster zum Tod

Stephen King bezeichnet FENSTER ZUM TOD (Trust Your Eyes) als „das bisher beste Buch von Barclay“, und obwohl man nie weiß, was Stephen King wirklich über ein Buch denkt, stimmt seine Aussage auf verblüffende Weise mit dem überein, was man bekommt. Das bedeutet aber nicht, dass andere Barclay-Bücher schlecht sind, auch wenn sich die Strategie gleich anfühlt. Seine Thriller beginnen mit einem mörderischen Aufhänger, bei dem gewöhnliche Leute in außergewöhnliche Abenteuer geraten.

Es ist schwierig, dieses Buch zu besprechen, ohne dem Leser alles zu verderben. Die Handlung steht nicht auf festem Boden, sondern ist im Treibsand verwurzelt, wo nichts so ist, wie es scheint. Vereinfacht gesagt handelt es sich um eine Neuinterpretation des Hitchcock-Films „Fenster zum Hof“, der auf Cornell Woolrichs Erzählung „It had to be murder“ basiert, die für unser digitales Zeitalter neu aufgelegt wurde.

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Bouquinist

Der falsche Preuße / Uta Seeburg

Uta Seeburgs Debüt um den Preußischen Sonderermittler Gryszinski, den es in die Landeshauptstadt Bayerns verschlagen hat, erschien im August 2020 und es war natürlich davon auszugehen, dass die Autorin bald ihrem zweiten Roman dieser überaus genussvollen neuen Reihe vorlegt. Der ist auch schon unter dem Titel „Das wahre Motiv“ erschienen und wir sehen uns auch den bald hier an.

Historische Kulissen sind bei Weitem nichts neues in der Literatur, aber in den letzten zehn Jahren ist das Genre regelrecht explodiert und während angelsächsische Erzähler an ihrem viktorianischen London arbeiten, Franzosen ihr pittoreskes Paris auspacken und auch in der Fantasy immer mehr auf historische Schlachten Bezug genommen wird, können deutschsprachige Autoren natürlich ebenfalls auf eine sehr erlebnisreiche Zeit zurückgreifen. Neben dem offensichtlichen Magneten zwischen den beiden Weltkriegen, hat sich Uta Seeburg für den nahenden fin de siecle entschieden, ein neunzehntes Jahrhundert, das mit reichlichen Innovationen zu Ende geht, die Elektrizität gerade auf dem Vormarsch ist und so eine Epoche des Übergangs markiert.

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