Wurzelweiber

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Sterbender Stern


Sie hielt einen sterbenden Stern mit ihren Fingern fest und hauchte Worte, die im Atem schwangen. Sie könnte sich aus Stein befreien; wenn sie wollte, könnte sie den Stern zu neuen Lichtern führen

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Kirschlippenbrand

Auf der Suche nach Zuckersuperlativen
kam ich an Feldern vorbei, deren Ränder
mich einluden, den Rüben lauter neue Namen zu geben –
ich aber ging weiter zu den Zuckerhöckern,
die unter dem Kandis-Himmel in die Höhe reckten.
Oh Schlaraffenland der Sinne! Puderbauch! Kirschlippenbrand!

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Das Leben ist nicht immer ein Fest

inspiriert wie eine trächtige Sau, Ferkel der Dichtkunst drücken auf die Blase, ich schneide die Intimbehaarung mit einer Nagelschere, pisse im sitzen, wie werde ich die Welt entgleiten lassen, die Zugmaschine anstoßen, damit sie den Rest allein erledigen kann, ich spüle
(oh wie es rauscht in meinem Kopf)
eine Kippe schwimmt ertrinkend Richtung Beckenrand, sie hat kaum noch Kraft, Schamhaarfetzen kringeln sich und hinterlassen im Wasser Abdrücke wie die Beine von Wassermücken
(der Wolf sitzt nicht mehr dort)
Bücke mich, bin mit der Scheißhausschüssel auf Du und Du, lasse das Bild auf mich wirken, Wasser sinkt langsam ab

-Wieso zappelt der Füsch so
die Kloake nähert sich wieder meinem Gesicht, unten am Rand hängt ein Rest Sauce fest, ich stelle mir vor, wie ich jemanden zwinge, diesen Rand sauber zu lecken, ich zwinge die Figuren, ihre Bestimmung aufzunehmen, bald, wenn ich hier fertig bin, René Crevel, der war Surrealist, er träumte und träumte und als es nichts mehr zu träumen gab, brachte er sich um
(der Irrsinn lauert in jedem Bettkasten)
sehr gut, ich habe ihren Namen vergessen, aber ich erinnere mich an ihr Postfach, gleich einen Brief aufgesetzt, von nun an schreibe ich Briefe
(aber Semiramis ist nicht Myrrha, ist nicht die Frau in den Wolken)
ich schreibe, Geliebte, ich schreibe an den Acker, die Bäume, ich schreibe

-Geliebte
die Reste, die wir zurücklassen nur ein Bild, nur uns nicht fern, Bewegung, die wir sind in einer staunenden Zeit, die sich selbst schon rühmt, der Liebe ihre Attribute beraubt zu haben, so schöne Körper nur nacktes kaltes Fleisch, wir aber, einander zugewandt, selbst wenn wir uns drehen sehen wir uns an, auch wenn wir gehen treffen wir uns wieder, auch wenn wir fallen durchdringen wir uns, und ein Trank fließt in uns, wir befeuchten die Lippen mit uns, ich möchte dich berühren mit Händen, die ich nur deshalb habe, um dich berühren zu können, damit ich deine Sinne streifen und in dir eine warme Glut entfachen kann

-Geliebte
dass ich dich mit jeder schönen Blume vergleichen will, lässt mich auf den Frühling warten in bald angespannter Form, in der ich jedweden Sonnenstrahl bei seinem Erscheinen für dich grüße, hinauszueilen mir erlaube in die unberührten Knosperien, deren wonnigem Schaustück ich bei ihrem Erwachen Gesellschaft leiste so als kämst du zu mir, wie dein Atem sammelt sich der Tau, dein Atem, der mich weckt aus jedem Schlaf, doch im Träume fest belässt, im Traum von dir so nah, daß du schon zu berühren bist von meinen flitternden Händen, ich muss mich kaum viel strecken, wie alles an dir süßem Honig gleicht, der noch in den Waben ruht, bewacht von herrschaftlichen Bienen, nur den für dich gelten lässt zu naschen, der dich berührt ohne dich zu halten auf deiner Reise durch den Blütenstaub, dich aber, Fernste, habe ich nie gehabt, wenn auch ich alle Anderen hatte, die dem Kohlenkeller eignen, die mir Romanzen tanzten und die mich dich vergessen suchte bevor ich dich noch kannte, so unerreicht, weil du wohl einem Stande zugesprochen warst, und unerreicht, weil all die Kurzweil, die dort an deinem Hofe dich umgibt, dich kaum über den Sänger denken lässt, der dich besingt, du aber, fernste, machst mir alle anderen Spreu, und so frage ich das Sternbild meines baldigen Grabes, ob ich nur zur Erde war, um zu erkennen, was für immer nicht für mich bestimmt

-Das Leben ist nicht immer ein Fest
ich dringe vor ins Absurde dieser Welt, halte mich an den Grenzen auf ohne Geld wechseln zu müssen, bemühe mich, zu beobachten, die Bewegungen sind grotesk, das darin Gesagte von einem ungleichmäßigen Sinn, man kann sich nie sicher sein, gelebt zu haben, oder, wie Márquez sagt, unser Leben ist nicht das was geschah, sondern das, was wir erinnern und wie wir erinnern, ich denke mir alle Menschen plötzlich weg, und in fünfhundert Jahren, wenn sich die Natur alles wieder zurückgeholt hat, wie etwa Palenque in Yucatan, dann stelle ich mir vor, wie Lloyd Stevens 1839 erstmals vor den Maya-Tempeln zu stehen
(die Ängste, die mich beim Auffinden unserer Zivilisation überkämen, wären dann mein Indikator)
auf diesem steinigen und dörren Anwesen in Hardheim im fränkischen Odenwald, dort sitz ein Mädchen

-Oh Madeleine Ledoyen
du trägst ein luftiges Kleid, ich wünschte, es wären Fetzen, als ich dich fand, da wartete ich auf das Täubchen, das ich für einen Engel hielt, als du mit mir gingst, erkannte ich Myrrha wieder, die du mir verschwiegst

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Die Bar am Ende der Welt

Wir lebten unter dem Dach eines Musikcafés, teilten uns die Zimmer mit amerikanischen Familien, die sich durch ein starkes, strammes Heck hervortaten, mit dem sie ihre Balance hielten, während sie durch das Fachwerk navigierten.

Am Abend saßen sie im Flur und sangen „Wish you were here“, wozu sie Jim Beam tranken, von unten herauf quoll der Blues wie Reisbrei aus einem Topf.

– Töpfchen koch
wir nannten sie der Einfachheit halber „Zupfer“, die Amis, das waren immer nur die Zupfer, die anorektische Journalistin, die neben mir ein Zimmer hatte, saß meistens bei ihnen
– Töpfchen steh
ich kam da lang, die Treppe, an ihnen vorbei, um noch mehr Schnaps zu besorgen
(ein Glasflaschenentwerter)
der Boden, der Kümmerling
(die Flaschen)
– Töpfchen koch
der Boden nicht mehr zu sehen
(wer den Boden nicht mehr sieht)
oh, ihr Gäste und ihr fremden Menschelgen, heute Abend schob ich keine Pizzableche in den Feuerschein, verzupfte nicht Salat, schlug keine Filets, kein angetrocknetes Mehl, heute versoff ich das Geld, das ich gestern verdiente, vor Feuerschein und Gurke
(ich wurde jeden Tag ausbezahlt)
mit Leuten, die ich nicht kannte, wie unbekannt mit mir zu feiern, setzt euch doch
– Setzen wir uns doch
auf die Stühle, die ich mir geborgt hatte, genauso wie den Tisch, den wir nicht brauchten, weil wir alles auf den Boden schmissen, oh Hasi Hasi, der feiste Baß
– Töpfchen koch
dann unten, alles voll, die lange Theke nur noch für mich der Platz, du unnahbares Objekt meiner Begierde, mit Augen wie Bambi
(Bam Bam Bambi)
du Körper der Lust, du Heizdecke
(ich widdere sie)
rauchiges Universum
(der Blues)
Now I left home this mornin‘, I swore I’ve stopped and think
Made my friends a promise, I wouldn’t even take a drink
Of that bad, bad Kümmerling
Woodstock-Anhänger, wie schön war’s damals, als wir noch alle völlig verblödet mit Drogen im Blut, Veganer, Fleischfresser, alles da, Hippies, Leary Leary hey, fickten, soffen, fraßen und am frühen Morgen vom Stuhl fielen, ich saß in meinem Rom, meinem Babylon, meinem Korinth, der sündige Heilige
(ich reinigte auch die Scheißhäuser)
Rabelais, Grimmelshausen, Villon, Ovid
(aber unterzeichnete mit Attila)
und es gab keine Tür hier, die ich noch nicht eingetreten hatte, war im weitesten Winkel der Welt versteckt und war doch zuhause, in der Welt, aus der Welt, in einem Sternbild, Lichtjahre entfernt von einem anderen Ort
(hinter den gelb melierten Fenstern und dem Vorder- und Hinterausgang)
die Gesichter vertraute Ballons, die an mir vorüberschwebten, bekifft, versoffen, planlos, du neue Welt, Stillstand im Rausch, ewiger Bacchos, Eddi spielt Billard, mit seinem flächendeckenden Gesicht glotz er die Kugeln ins Loch, der Queue nur Beiwerk, ein phallisches Instrument
(und da tat ich meins dazu)
– Hasi Hasi
dessen Fruchtbarkeit Siege bedeutet, die Säulengänge des alten Athen, wo statt Philosophie Billard gespielt wird, alles fließt, sagt Heraklit und steigt aus dem Wasser, hinter allem steckt die Idee, sagt Platon1 und zerlegt die Pferdheit zu Rouladen, Eddie zielt und trifft, er darf noch einmal, so will es das Gesetz, Hasi bringt mir noch ein Bier
(und bringt sich selbst gleich mit)
ich beobachte die Umluft, sie stellt einen Karton Kümmerling dazu, heute ganz Kelte, trunksüchtig statt wollüstig
(und wieder widdere ich)
kniete sie neben meinem Bett, während ich unter der Decke eine Belgerung vorbereitete, näher bin ich dir ja nie gekommen, in der Ecke
(ich im Bett)
diskutierte ihr Bettgestell mit Melchior über Physik, für Physik interessierte man sich hier, Lied von der Symbiontenstrategie, das Licht wechselt von Teilchen zu Wellen, ich begann Hasi ebenfalls in einer Heisenbergschen Unschärfe wahrzunehmen, sie akzeptierte meinen abgehackten Wörter
(während der Klimax bitte nicht sprechen)
und stand erst auf und ging zur Physik als meine Finger der Biologie wegen neue Wege ging
– Das Universum
eine Teilchenschleuder, du führtest doch meine Hand unsichtbar in Gedanken, du hattest mich doch erkannt, wußtest wer ich war
– Das Multiversum
oh, jetzt denkt sie an mich, hier entschied sich das Leben, hier wurde das Leben begründet
– Das Desasterversum
und der Hintereingang reißt sich auf, zwei fremde Wesen tanzen herein, stören die Dämmerung, die Gedanken, das Meer, augenblicklich reißt mich der Wahnsinn in seinen ausgezehrten Schlund
(Eddie zielt und trifft)
und pure Nüchternheit vertreibt jeglichen Nebel aus meinem Gehirn, ich erleide einen Schock und komme nicht dazu, die Beine hochzulegen, der Engel war erschienen und besuchte nun den Sündenpfuhl, um die Seelen aus dem dritten und vierten Kreis der Hölle zu retten
(Dante wo warst du)
blond, neckisch und reif wie ein überquellender Fruchtkorb, dem der Zucker austreibt
– Die Bar
die Schleusen meines Herzens, schon wieder verliebt, in jede, in jede, da oben warteten sie auf den Schnaps, den bring ich auch, den bring ich gleich, ich bin schließlich Attila, plane den Weltuntergang, plane die Wolke zu finden
– Sieh doch Mutter, ein Gesicht
stand auf und bohrte mich durch den archaischen Urdunst, hin zur Skulptur am Ischtar-Tor, eine Schlucht, zu beiden Seiten säumen hohe Mauern den Weg, riesige Ungeheuer starren von den Kacheln, spielen Pool, die graue Maus daneben
(Gold wird in dreckigen Truhen transportiert)
aus dem Seitenwinkel meiner glänzenden Augen, die Reaktion hinter dem Tresen, du Hasi weißt, was ich begehre, ein Tropfen rinnt durch die zitternde, pumpende und heimliche Hand, der Traum spricht von der Schuld der Ekstase, die vergessen hinter Herbstlaub lauert, das stampfende Weiß der Augen trägt sich durch die silberne Luft des nur schwarz sehenden Auges, welches sieht, wie die Gier und die Vibration des Körpers beständig schnaufen, dort sieht das Auge alles zucken
– Seit gegrüßt von einem einsamen Segler in notdürftigen Gewässern
ich wies meine Soldaten an, von ihren Feldzügen alle unbekannten Pflanzen mitzubringen, im Sommer, mit den Sklaven zusammen, schöpft also Wasser aus den Brunnen und pumpt es in viele kleinere Kanäle
(damals im Garten)
Semiramis reagierte und
– Wer ist der Sprecher
ein König der Holzbuden und Einmachgläser, aber ein König, sie stimmte voller Holz und Wurzelwerk, erzählte Nebensächlichkeiten, aber Semiramis, du bist kein Engel, wie war denn das, als du in das Ornament gekleidet die Hinrichtung befahlst, mein Sehnerv ist verändert und es bleibt ein Hokuspokus, bist du vielleicht doch ein Engel, dann rette mich, rette mich
– Vielleicht bin ich ein Engel
ich habe dich noch nie gesehen, du wurdest ja nicht gemalt, sie nahm mich so ernst wie ein vierjähriges Kind eine Fliege ernst nimmt, mit ausgerissenen Flügeln, die wie ein Brummkreisel auf dem Tisch rotiert, oben sitzen die Hunnen, warten auf den Schnaps, die Stimmen sangen, der Blues, Türen wurden geöffnet und geschlossen
(eine Eigenschaft, die man ihnen nachsagt)
die Atmosphäre eine Prothese meines Zustands, ich verwandelte mich in die Seele des Gebäudes, heiße Küsse im Treppenhaus, unter wummernden Bässen und verschwommene Figuren labten vorbei, erwachte irgendwo auf dem Boden liegend
(war es denn der nächste Tag)
eine Zahl im Kopf, eine Formel, ein Heureka, ein pythagoreisches Geheimnis, das sich unter meinen rhythmisierten Schädel schob, ich fasste nach einem Namen, nach einem beschrifteten Glas, in dem eine milchigweiße Sensation schwamm, die leeren Flaschen zerfetzten das Sonnenlicht, tausend Flüchtlinge verseuchten, durch meine Augen zu dringen, die Zugbrücken rasten herunter, links und rechts über meiner Nasenwurzel, praktischerweise lag ich direkt neben der Tür, ins Badezimmer
(die Reise beginnt)

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Zwei Faszinationen

Erinnern ist wie träumen, zumindest in Fällen, in denen erinnern nicht erinnern, sondern träumen ist, womit ich bei einem Schrank angekommen wäre, der in einer Zimmernische steht, eine Bausünde, den der hineingeschobene Schrank rettet (die Schubladen lassen sich nicht ganz herausziehen, aber Sperriges wirft man ohnehin obenauf oder verstaut es im Keller oder auf dem Boden, der kein Boden ist, sondern unter dem Dach). Aber das ist nicht alles: später schob ich dort das Bett hinein (kam nachts der Schwindel, war die baldige Wand äußerst praktisch). Ich träume, dass die Nische nicht so sehr Nische war, das Bett ragte etwas in den Raum, aber als der Schrank da noch stand, war es genau das. Erste Faszination: gut versteckt sein, um das eigene Volumen richtig einschätzen zu können, Augen hereinblicken lassen, wenn der Blick ohnehin vom Fenster aus erfolgt. Zweite Faszination: das Andere. Jegliches Andere, dessen Bewusstsein nicht dem eigenen entspricht. Ein von innen beobachteter Raum kann von außen leicht gefunden werden, weil Bewusstsein nun einmal nicht von einer Wand getrennt werden kann.

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Scheiterboden

Als er den Kühlschrank öffnete, fanden sich darin gut gekühlte Idiome und Speck. Ein Möbelhaus Franz rief an, wegen des Sarges. Dann nochmal. Wegen des Pferdchens. Musste geschliffen werden.

Die Hausbesichtigung verlief tugendhaft, allerdings gänzlich ohne Haus. Es war einfacher, den Shawl enger zu fassen und den Wind zu schelten.

Sie saß nahe am Kachelofen und versuchte, Stimmen zu erkennen. Vor Jahren hatte sie gepflanzt, was nun entlang der Kordel wuchs. Die Berichte vom Tage – auch die.

Eine Nacht wie Zement, durchdrungen von Theta-Wellen. Das panische Gewissen Arkadiens, dem Schlachtfeld des Gehörnten. Dort im Schaukelstuhl: eine Leiter, die in den Sand sinkt.

Die Arschseite des Mondes.

Wer weiß, was dieser Boden zu bedeuten hat; wie Splitter drängt er darauf, seine Mitteilungen zu evakuieren. Er scheitert an mir, scheitert, weil ich scheitere, jeder andere scheitert. Ein Scheiterboden.

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