© Egmont Ehapa, © Disney

Es gibt Figuren in der Popkultur, die so selbstverständlich geworden sind, dass man sie kaum noch hinterfragt. Dagobert Duck gehört zu ihnen. Der alte Erpel mit Zylinder und Zwicker, der sich kopfüber in seinen Geldspeicher stürzt, ist längst mehr als nur eine Comicfigur. Er ist eine kulturelle Ikone, ein Archetyp, ein Mythos. Doch wie entstand er eigentlich, und was macht ihn so besonders? Um diese Fragen zu beantworten, muss man in das Jahr 1947 zurückgehen, in die Werkstatt eines Mannes, der damals kaum ahnte, dass er einen der langlebigsten Charaktere der Comicgeschichte erschuf: Carl Barks.

Dagoberts erster Auftritt fand in der Geschichte „Christmas on Bear Mountain“ (Die Mutprobe) statt, die im Dezember jenes Jahres erschien. Barks hatte sich an die Aufgabe gemacht, Donald Duck eine neue Figur zur Seite zu stellen, einen wohlhabenden Onkel, der Donald und seine Neffen zu Weihnachten auf sein Schloss einlädt. Dieses erste Bild Dagoberts ist noch weit entfernt von der Gestalt, die wir heute kennen: ein mürrischer, einsamer Alter, der Weihnachten verabscheut und Menschen meidet.

„Here I sit in this big lonely dump… A curse on it! Me — I’m different! Everybody hates me, and I hate everybody!“ („Hier sitz ich einsam und verlassen und Weihnachten steht vor der Tür. Grauenhaftes Fest! Wenn’s nur erst vorbei wär! Weihnachten liegt mir nicht. Ich kann niemanden leiden und mich kann niemand leiden!“),

lässt ihn Barks klagen. Schon in diesem ersten Auftritt liegt aber der Kern des späteren Dagobert: die Isolation, die Bitterkeit, aber auch der Wille, andere auf die Probe zu stellen, um die eigene Weltsicht bestätigt zu sehen.

© Egmont Ehapa

Der Name, den Barks ihm gab, war Programm. „Scrooge McDuck“ knüpft unübersehbar an Ebenezer Scrooge aus Charles Dickens’ Weihnachtsgeschichte an, jenem geizigen alten Mann, der Weihnachten verachtet. Mit dem schottisch klingenden „McDuck“ verband Barks Humor, Tradition und einen Hauch Exotik. In Deutschland machte Erika Fuchs aus Scrooge McDuck Dagobert Duck. Sie fand in der Historie den Namen eines merowingischen Königs, der im Deutschen zugleich altmodisch, gewichtig und leicht komisch klingt. Fuchs’ Übersetzungen machten nicht nur Dagobert, sondern das gesamte Entenhausen für Generationen deutscher Leser zu einem literarischen Erlebnis. In dieser frühen Phase war Dagobert aber noch keine Hauptfigur. Er war Randgestalt, eine Art Karikatur des griesgrämigen Alten. Es brauchte noch einige Jahre, bis er das Zentrum einer Erzählung bilden sollte.

Der Wendepunkt kam 1952 mit „Only a Poor Old Man“ (Der arme reiche Mann). Hier war Dagobert zum ersten Mal der Protagonist einer längeren Geschichte. Carl Barks erinnerte sich später:

„Sie schrieben… fragten mich, ob ich einen zweiunddreißigseitigen Dagobert-Comic machen würde… niemand wusste, woher er kam… Also dachte ich, na ja, ich werde einfach ein bisschen darüber schreiben, woher er kam, wie er seinen Reichtum angehäuft hat und wie er ihn zu schützen gedenkt…“

In dieser Geschichte kämpft Dagobert nicht nur gegen die Panzerknacker, sondern auch gegen Naturgewalten, um seinen Geldspeicher zu verteidigen. Damit setzte Barks die Grundlagen für die Figur: reich, verletzlich, findig, zugleich Opfer und Sieger. Der Geldspeicher wurde zum Schauplatz, der ihn definierte. Barks sagte dazu:

„Die Tatsache, dass Dagobert reich war, war der Auslöser für alle weiteren Entwicklungen… Ich habe ihn nach und nach reicher und reicher gemacht. Dann musste ich einen Ort entwickeln, an dem er das Geld aufbewahren konnte.“

Doch Geld ist für Dagobert kein abstrakter Wert. Es ist Erinnerung. In den Geschichten wird deutlich, dass er jede Münze kennt, jede Banknote mit einer Anekdote verbinden kann. Jahrzehnte später schrieb ein Fan im Internet:

„Er liebt sein Geld so sehr, weil er sich daran erinnern kann, wie er jede Münze verdient hat… Jedes Geldstück in diesem Speicher ist eine Erinnerung für ihn… Sie stehlen seine Erinnerungen, seine Vergangenheit, seine Geschichte.“

Dieser Gedanke ist zentral: Dagoberts Speicher ist kein Hort der Gier, sondern ein Archiv der eigenen Biographie.

© Egmont Ehapa, © Disney

Das zeigt sich auch in Geschichten wie „Back to the Klondike“ (Wiedersehen mit Klondike) von 1953, in der Dagobert an die Stätten seiner Jugend zurückkehrt. Hier begegnet er Glittering Goldie (Nelly), der Sängerin, die einst sein Herz berührte. Diese Episode offenbart eine weiche Seite: den sentimentalen Romantiker, der im Wettlauf um Reichtum auch persönliche Bindungen verlor. Don Rosa griff diesen Faden Jahrzehnte später auf und machte Nelly zu einem Schlüsselmoment in Dagoberts Leben, zum Symbol für alles, was er opfern musste.

Noch deutlicher wird seine Philosophie in „The Fabulous Philosopher’s Stone“ (Der Stein der Weisen) (1955). Auf der Suche nach dem Stein der Weisen erkennt Dagobert, dass grenzenloser Reichtum den Wert des Reichtums vernichtet. Geld hat nur Bedeutung, wenn es erarbeitet, erkämpft, verdient ist. Barks betonte in einem Interview:

„Ich habe mir Dagobert nie als… Millionär vorgestellt, der sein Geld durch die Ausbeutung anderer Menschen verdient hat… Ich habe absichtlich versucht, es so aussehen zu lassen, als ob Onkel Dagobert das meiste seines Geldes… in den Tagen verdient hat, als man noch in die Berge gehen und Gold finden konnte.“

Dieser Satz zeigt, dass Dagobert nicht als Ausbeuter gedacht war. Sein Reichtum ist ein Symbol für Abenteuergeist, Fleiß und Cleverness – eine kapitalistische Utopie ohne die Schatten der Ausbeutung.

Mit diesem Ethos wurde Dagobert auch für Leser sympathisch. Er ist zwar knauserig, aber seine Knauserigkeit ist eine Pose, ein Schutzschild. Hinter ihr steckt Stolz auf das, was er selbst geleistet hat. Er ist der Selfmademan in Entengestalt, der Mythos vom Aufstieg aus eigener Kraft.

© Disney

Nach Barks übernahmen andere Künstler die Figur, doch keiner prägte sie so stark wie Don Rosa. In den neunziger Jahren schuf er den Zyklus „The Life and Times of Scrooge McDuck“ (Sein Leben, seine Milliarden), in dem er Dagoberts Leben von der Kindheit in Glasgow bis zu seinem Ruhestand in Entenhausen nachzeichnete. Ein schieres Meisterwerk. Don Rosa sagte: „Alles, was ich tat, baute auf Barks‘ Fundament auf. Er hat Scrooge erschaffen – ich habe nur versucht, die Details auszufüllen, die er angedeutet hat.“ Diese Geschichten machten aus Dagobert endgültig eine epische Gestalt. Sie zeigen den harten Jungen, der in Schottland als Schuhputzer seine ersten Münzen verdient, den jungen Mann, der in den Klondike zieht, den einsamen Abenteurer, der Reichtum anhäuft und zugleich das Leben verpasst. Don Rosa inszenierte ihn als tragischen Helden, der alles gewann und zugleich viel verlor.

Gerade in Europa fanden diese Geschichten ein riesiges Publikum. Während Disney-Comics in den USA eher als Kinderkram galten, wurden sie in Deutschland, Italien oder Skandinavien ernsthaft gelesen. Don Rosa wurde hier gefeiert wie ein Popstar. 1999 etwa tourte er durch Deutschland, und die Fans standen stundenlang Schlange für ein Autogramm. Das zeigt, wie stark Dagobert in Europa verankert ist. Ein Grund dafür ist sicherlich Erika Fuchs. Sie gab der Figur im Deutschen nicht nur ihren Namen, sondern eine Sprache, die ihn zu einer literarischen Gestalt machte. Fuchs übersetzte nicht wörtlich, sondern kreativ, durchsetzt mit Zitaten aus Schiller, Goethe oder Kant. Dadurch bekam Dagobert eine Stimme, die zugleich komisch und gebildet klang – eine Verbindung, die in Deutschland ganze Generationen prägte.

Dagobert ist aber nicht nur eine Figur der Comics. Er wurde zur Inspirationsquelle der Popkultur. George Lucas und Steven Spielberg erklärten, dass die berühmte Felsbrocken-Szene in „Indiana Jones – Jäger des verlorenen Schatzes“ direkt von einer Barks-Geschichte übernommen wurde. In „The Seven Cities of Cibola“ (Die Sieben Städte von Cibola) rollt ein riesiger Stein durch einen Tempel – fast identisch mit der Filmszene. Dagobert wurde damit zu einem modernen Mythos, der sogar Hollywood prägte.

Die sieben Städte (© Egmont Ehapa)

Man darf auch die Symbolik des Geldspeichers nicht unterschätzen. Er ist ein absurdes Gebäude, überdimensioniert, lächerlich – und zugleich erhaben. Für Kinder ist er ein Traum, für Erwachsene eine Satire, für Dagobert selbst eine Kathedrale. Don Rosa sagte einmal, der Speicher sei „Dagoberts Seele in Stein und Mörtel“. Ein Tempel, in dem er nicht den Mammon anbetet, sondern die eigene Vergangenheit.

Was bedeutet das für unsere Sicht auf Reichtum? Dagobert verkörpert eine Idee, die heute fast naiv wirkt: dass man durch harte Arbeit und Abenteuer reich werden kann, ohne andere auszubeuten. Er ist der gute Kapitalist, der gerechte Millionär. Das macht ihn sympathisch, aber auch märchenhaft unrealistisch. Vielleicht liegt darin seine Faszination. In einer Welt, in der reale Milliardäre mit Raketen ins All fliegen, wirkt ein alter Erpel, der in Münzen schwimmt, fast prophetisch – eine Parodie, die zur Wahrheit geworden ist.

Gleichzeitig ist er ein tragischer Held. Denn sein Reichtum ist auch seine Einsamkeit. Er sitzt allein auf seinem Geld, misstraut allen, klammert sich an die Vergangenheit. Viele Geschichten enden mit einem Bild, das ihn allein im Speicher zeigt, während die Münzen durch seine Finger rieseln. In diesen Momenten erkennt man, dass Dagobert mehr ist als ein Gag. Er ist eine Figur, die etwas über uns erzählt: über den Preis des Erfolgs, über die Sehnsucht nach Erinnerung, über den Wert von Geschichten.

Heute ist Dagobert längst Teil der Meme-Kultur, der Pop-Analysen, der Kunst. Sein Bild taucht in Street-Art auf, in Essays über Kapitalismus, in Karikaturen über Reichtum. Er ist Symbol und Satire zugleich. Aber er ist auch eine Figur, die Kinder nach wie vor lieben, weil sie Abenteuer verspricht, Schatzsuchen, ferne Länder, wilde Mythen.

Vielleicht ist es diese Doppelbödigkeit, die ihn unsterblich macht. Für Kinder ist er ein Schatzsucher. Für Erwachsene ein Spiegel der Gesellschaft. Für Künstler eine Quelle der Inspiration. Und für alle zusammen ist er einfach Dagobert – der alte, eigensinnige Erpel, der in Gold schwimmt und doch nie aufhört, nach dem nächsten Regenbogen zu suchen.

Am Ende bleibt Dagobert ein Paradox. Er ist Ebenezer Scrooge und doch sein Gegenteil, ein Geizhals mit Herz, ein Abenteurer mit Misstrauen, ein Kapitalist mit romantischer Seele. Vielleicht ist er deshalb so zeitlos. Denn er zeigt uns, dass Reichtum, Abenteuer und Erinnerung untrennbar miteinander verbunden sind – und dass kein Gold der Welt über das hinwegtrösten kann, was man unterwegs verpasst hat.

Und wenn er am Ende einer Geschichte wieder in seinen Speicher steigt, die Münzen durch die Finger gleiten lässt und leise seufzt, dann spüren wir etwas, das über jede Pointe hinausgeht: Hier spricht kein bloßer Comic, sondern ein Mythos, der von uns allen handelt.