Big Pen

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Yuggoth 34 – Rückeroberung

Yuggoth

Anmerkung des Übersetzers: Fungi from Yuggoth besteht aus 36 Sonetten, die Lovecraft zwischen dem 27. Dezember 1929 und dem 4. Januar 1930 verfasste. Ausgewählte Sonette wurden im Weird Tales Magazine veröffentlicht. Erstmals komplett erschien der Zyklus in Lovecrafts Sammlung “Beyond the Wall of Sleep”, die von August Derleth 1943 herausgegeben wurde, sowie 2001 in “The Ancient Track: The Complete Poetical Works of H. P. Lovecraft”. Die erste Publikation, die den Zyklus in der richtigen Reihenfolge brachte,  war “Fungi From Yuggoth & Other Poems”. Herausgegeben von Random House 1971. Lovecraft wählte für seinen Zyklus eine Mischform aus Sonetten-Stilen. Bei genauerem Hinsehen ist es schwierig, wirklich von Sonetten zu sprechen. Als Übersetzer habe ich mich dafür entschieden, auf die Endreime zu verzichten, um die von Lovecraft intendierte Erzählform beibehalten zu können. Wie immer bei Gedichten kann es sich nur um eine Nachdichtung handeln.

FUNGI FROM YUGGOTH (Übersetzt von Michael Perkampus)

Der Weg führte durch eine dunkle, halb bewaldete Heide,
In der sich moosgraue Felsbrocken über das flache Land erhoben,
Und sonderbare Tropfen, beunruhigend und kalt,
Sprühten von den Klüften aus unsichtbaren Strömen unter uns nach oben.
Es gab weder Wind noch irgendeine Spur von Geräuschen
In den rätselhaften Sträuchern oder einem der fremdartigen Bäume,
Da war nichts zu erkennen, bis sich plötzlich,
Direkt vor mir, ein monströser Hügel zeigte.

Seine steilen Seiten ragten bis halb in den Himmel hinauf;
Mit Gras bewachsen und von einer bröckelnden Lava-Treppe durchbrochen,
Deren Stufen für menschliche Tritte zu groß waren,
Wand sie sich zu dieser schrecklichen Höhe hinauf.
Ich schrie – und wusste mit einem Mal, welcher Ur-Stern und welches Jahr
Mich aus der Traumsphäre der Menschen zurückgesaugt hatte!

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Kleewald Robinson

In der Staraba, einer Bar am Rande der Stadt, die bekannt war für ihre zwielichtigen Dienstleistungen – sogar eine Wochenzeitung gab man heraus, die gespickt war mit Kleinanzeigen, die ein Normalsterblicher nie hätte entziffern können – saßen Mention Handsome, der seine Frau umbringen lassen wollte und Carl Canal, der Chefredakteur besagter Wochenzeitung 23 Minuten vor der Sperrstunde am Tisch mit der Nummer 7. Die Zeitangabe ist nicht so wichtig, man sehe es mir als eine Marotte nach, die Tischnummer allerdings, die dürfen Sie sich merken, wenn Sie wollen.

“Wenn du die Sache perfekt erledigt wissen willst, gibt es nur einen, den ich empfehlen kann: Kleewald Robinson“, sagte Carl.

“Du weißt, dass ich so gut wie keine Erfahrung im Umgang mit … dieser Sache habe. Ich werde dir vertrauen müssen, auch wenn es mir nicht schmeckt.“

Mention Handsome, der gerne etwas getrunken hätte, aber kein Geld bei sich trug, was er für die Zukunft zu ändern gedachte, befummelte die Tischplatte. Seine Finger hinterließen einen schmierigen Film auf dem Polymer.

“Kleewald Robinson ist der, den du brauchst. Schlag ein oder lass es.“
“Erzähl mir was über ihn.“
“Hm. Das wird schwierig sein am Telefon.“
“Telefon? Was für ein Telefon?“

“Sagen wir so: ich fühle mich in deiner Gegenwart immer wie am Telefon. Und da rede ich nun mal nicht gern. Aber ich kann dich hinbringen. Vielleicht erzähle ich dir unterwegs, was ich weiß. Ich hol‘ dich in einer Viertelstunde ab. Ich leg‘ jetzt auf.“
“Sag mal, Carl … übertreibst du das mit dem Telefon-Gefühl nicht etwas?“

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Yuggoth 33 – Hafenpfeifen

Yuggoth

Anmerkung des Übersetzers: Fungi from Yuggoth besteht aus 36 Sonetten, die Lovecraft zwischen dem 27. Dezember 1929 und dem 4. Januar 1930 verfasste. Ausgewählte Sonette wurden im Weird Tales Magazine veröffentlicht. Erstmals komplett erschien der Zyklus in Lovecrafts Sammlung “Beyond the Wall of Sleep”, die von August Derleth 1943 herausgegeben wurde, sowie 2001 in “The Ancient Track: The Complete Poetical Works of H. P. Lovecraft”. Die erste Publikation, die den Zyklus in der richtigen Reihenfolge brachte,  war “Fungi From Yuggoth & Other Poems”. Herausgegeben von Random House 1971. Lovecraft wählte für seinen Zyklus eine Mischform aus Sonetten-Stilen. Bei genauerem Hinsehen ist es schwierig, wirklich von Sonetten zu sprechen. Als Übersetzer habe ich mich dafür entschieden, auf die Endreime zu verzichten, um die von Lovecraft intendierte Erzählform beibehalten zu können. Wie immer bei Gedichten kann es sich nur um eine Nachdichtung handeln.

FUNGI FROM YUGGOTH (Übersetzt von Michael Perkampus)

Über alte Dächer und längst verfallene Türme hinweg
Singen die Hafenpfeifen die ganze Nacht hindurch;
Die Rachen fremder Häfen und Strände weit und weiß,
Und fabelhafte Meere, die mit dem Klang gemischter Chöre anbranden.
Jeder dem anderen gegenüber fremd und unbekannt,
Doch alle sind verbunden durch eine im Verborgenen wirkende Kraft,
Die aus den brütenden Klüften des Zodiakkurses
Ein mysteriöses kosmisches Summen verlauten lässt.

Durch schattenhafte Träume senden sie eine Wegbeschreibung
Zu noch schattigeren Formen und Andeutungen und Ansichten;
Echos von äußeren Leerräumen und subtile Hinweise
Auf Dinge, die sie selbst nicht zu beschreiben wissen.
Und stets unter dem Einfluss des Chorgesangs, leicht gedämpft,
Fangen wir einige Noten auf, die kein irdisches Schiff je von sich gab.

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Coratinte

(c) Albera Anders
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Eine Künstlerin der Selbstkasteiung

Vorher: Das Bielehaus

Sieben Jahre lang hatte ich nichts von ihr gehört, sie nicht gesehen. Es war, als wäre mein Ende gekommen, als wäre es schwer und schnell gekommen, als würde eine Tonnen schwere Bleikugel zu lange über mir schweben. Gespenster eines weiten Landes prozessierten in einem sich windenden Grau, verschwanden darin, schlummerten darin. In meinem Magen behielten sie Zerberusanteile, Sümpfe und stehende Kloaken zurück. Land nimmt auf, Land speichert Land, Zeiten, Epochen. Ich denke daran, wie lange sie sich nicht bewegen konnte, eingesperrt in einem Karton. Sie malte Puppen, als der Winter schon vor der Tür stand. Es war kein regulärer Winter, keine Jahreszeit, die sich durch vier teilen ließ. Diese Puppen mit den klebrigen Abdomen, die sich gegenseitig ein Auge ausstachen oder sich mit riesigen Messern selbst in Teile schnitten, hatten ihr Aussehen über die Jahre kaum verändert. Sie malte sich selbst ohne Haare, aus ihrem Unterleib spritzte Urin und sie nahm alle Farben des Regenbogens an. Sie war eine Künstlerin der Selbstkasteiung. Auf diesem Wege gelangt, was übrig bleibt, schneller unter die nasse, schwere Erde.

Als ich sie besuchte, fuhr ich mit der Bahn in den Norden. Zwölf Stunden lang konnte ich keinen Platz ergattern und lümmelte auf dem Boden mit jenen, die ihre mit Bier gefüllten Rucksäcke langsam und beständig leerten. Als ich sie das letzte Mal gesehen hatte, lag sie betrunken und nackt im Garten meines dreißigsten Geburtstagsfestes, sehr blass, wie aus Marmor geschlagen. Jemand trug sie die Stufen nach oben und legte sie in ein Bett. Der Retter wusste nicht, wer sie war, aber das wusste sie ja selbst zu keinem Zeitpunkt.

Sieben Jahre: In dieser Zeit erneuert sich der Körper vollständig, man wird ein anderes Wesen sein. Sie hat in dieser Zeit nur durch ihre Bilder gemordet; für die physische Klimax fehlte ihr die Kraft. »Ich male, wie du schreibst: von Verrat und Tod«, empfing sie mich in ihrer Kemenate. Der Boden war voller Glasscherben, Hautfetzen und Blut. „Ich erforsche das Leben nicht, indem ich in Leibern wühle, sondern in mir selbst.“ Sie wischte die purpurnen Lachen mit einem Kleid auf, das sie sich danach überstreifte. Ich leckte die Wunden ihrer Beine, das war die einzige Körperlichkeit, die sie duldete. Das Messer, die Scherben, die Zunge.
Danach fuhren wir ins Krankenhaus, um ihre Schnitte nähen zu lassen.

Gestern zur Geisterstunde sah ich mich erneut in diesem Zug, der nach Gefängnis stank, fahren. Solange man unterwegs ist, kann man sich nicht auf die Festigkeit des Körpers verlassen. Alles ist vage, und die vorbeirauschende Landschaft zeigt, wie Veränderung aussieht.

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Velozykloped

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