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Jim Butcher: Sturmnacht (Die dunklen Fälle des Harry Dresden #1)

Dieser Artikel ist Teil 1 von 2 der Reihe Dresden-Files

Harry Dresden gehört definitiv zu den besten Detektiven aller Zeiten. Dass er dabei noch ein Magier ist, mag ihm scheinbar hilfreich sein, aber das ist es nicht. Jim Butcher hat Harry ins Leben gerufen, ohne zu ahnen, dass er damit die beste und erfolgreichste Urban Fantasy-Reihe aller Zeiten zu Papier bringt, die mittlerweile zigfach kopiert wurde, ein Ende ist nicht in Sicht. Bei uns hat die Veröffentlichungspolitik dieser über alle Maßen erfolgreichen Bücher leider einen unglücklichen Weg genommen, der allerdings jetzt beendet scheint. Die ersten Bände wurden noch von Knaur herausgegeben, bevor der Verlag das Interesse verlor und Harry zu Feder & Schwert wechselte. Wäre der Verlag nicht bankrott gegangen, hätten er es fast geschafft, alle 17 Bände herauszugeben, aber dem war nicht so.

Die Neuauflage bei Blanvalet

Blanvalet

Ab dem 23. November 2022 wird die Serie nun endlich von Blanvalet neu aufgelegt, und ich bin mir ziemlich sicher, dass wir diesmal in den Genuss des gesamten Werkes kommen werden. Die Cover sind vielleicht nicht ganz so schick wie seinerzeit die von Feder & Schwert, aber sie sind auf keinen Fall so unterirdisch wie es bei uns fast schon Mode zu sein scheint. Den Auftakt machen an diesem Tag die beiden Bände “Sturmnacht” und “Wolfsjagd”. Man hat also auch die alten Titel stehen lassen, was auch nicht immer vorkommt.

Jim Butchers Dresden-Files sind eine perfekte Verbindung aus dem hartgesottenen Detektivgenre und der Urban Fantasy. Als einziger “beratender Zauberer” der Welt tritt Harry Dresden gegen eine Vielzahl von Wesen an – darunter Geister, Vampire, Werwölfe und andere Monster – und nimmt Fälle von menschlichen und nichtmenschlichen Klienten sowie von der Sonderermittlungseinheit der Polizei von Chicago an. Dem Strand-Magazine, jener Zeitschrift, die durch die Veröffentlichung vieler Sherlock Holmes-Geschichten Legendenstatus erreichte, sagte der Autor:

“Mir wurde klar, dass Zauberer und Privatdetektive genau das Gleiche tun. Sie spielen dieselbe Rolle und haben nur unterschiedliche Hüte auf. Ob sie nun in die kriminelle Unterwelt Chicagos oder in die buchstäbliche Unterwelt wie im Herrn der Ringe eintauchen, beide sind Menschen, die sich an dunkle Orte begeben und eine Bedrohung darstellen, nicht unbedingt wegen dem, was sie alles zu tun vermögen, sondern hauptsächlich wegen dem, was sie wissen. Als mir klar wurde, dass Zauberer und Privatdetektive auf demselben Konzept beruhen, wurde es ganz einfach.”

Mittlerweile gibt es viele dieser Dresden-Klones, ob es sich nun um Kevin Hearnes Eisernen Druiden oder Ben Aaronovitchs Peter Grant handelt, aber Harry Dresden ist für die Urban Fantasy das, was der Herr der Ringe für die High Fantasy ist.

Sturmnacht

Sturmnacht beginnt mit einem ganz normalen Tag, an dem die potenzielle Kundin Monica Sells bei Harry vorbei schaut. Sie macht sich Sorgen um ihren Mann Victor und befürchtet, dass er sich zu sehr in die Welt der Magie eingemischt hat. Sie möchte, dass Harry herausfindet, was mit ihm los ist.

Gleichzeitig bittet Leutenant Karrin Murphy von der Polizei in Chicago Harry Dresden wegen eines Mordes, der sich ereignet hat, um Hilfe. Das tut sie regelmäßig, wenn es um einen Fall geht, der mit dem Übernatürlichen zu tun haben könnte. Harry ist als Berater für die Polizei in Chicago tätig und wird für seine Arbeit auch bezahlt.

Als Harry die Fälle untersucht, wird ihm klar, dass sie beiden miteinander zusammenhängen und er sie unter einen Hut bringen muss, aber er muss auch Murphy bei Laune halten, ohne ihr alles zu erzählen, während er versucht, die beiden Fälle aufzuklären. Es gibt einen abtrünnigen Zauberer und einen Dämon, der bekämpft werden muss. Harry möchte Murphy nicht mit hineinziehen, um sie nicht in Gefahr zu bringen.

Im Laufe des Buches lernen wir Figuren kennen, die nicht nur in dieser Geschichte eine Rolle spielen, sondern auch in der weiteren Serie. Wir bekommen mehr von Harry und Karrin Murphys Interaktionen und wie sie zusammenarbeiten. Wie in eine ersten Band üblich, werden wir in dieser Geschichte gewissermaßen mit Murphy bekannt gemacht.

Wir lernen den Gangsterboss und gelegentlichen Gentleman Johnny Marcone kennen, und wie er in diese Geschichte verstrickt ist. Marcone spielt in der gesamten Serie eine Rolle und Harry muss sich immer wieder mit ihm und seiner Bande auseinandersetzen.

Wir erhalten auch bereits Hinweise auf den Weißen Rat der Zauberer, und wir lernen den Aufseher dieses Rates, Donald Morgan, kennen, der Dresden bei seinen Verfehlungen gerne auf frischer Tat ertappen will. Harry wurde aufgrund seiner Vergangenheit, die ebenfalls in die Geschichte einfließt, an die kurze Leine gelegt. Morgan soll dafür sorgen, dass Harry sich an die Regeln und an die strengen Gesetze hält, was ihm nicht leicht fällt. Morgan würde nichts lieber tun, als Harry dabei zu erwischen, wie er eines der Gesetze der Magie bricht, um ihn vor den Weißen Rat zu bringen und ihn daraufhin hinrichten zu lassen.

Susan Rodriguez hat in dieser Geschichte ebenfalls ihren ersten Auftritt. Sie ist Reporterin für die Zeitung Arcane, die über übernatürliche und magische Dinge berichtet. Susan sieht Harry als ihren wichtigsten Kontakt und nervt ihn ständig mit den neuesten Gerüchten. Susans Geschichte beginnt hier, und ihre und Harrys Beziehung entwickelt sich im Laufe der Geschichte von beruflich zu freundschaftlich und dann zu einem Liebesverhältnis. Am Ende hat Susan einen großen Einfluss auf die gesamte Serie und auch auf Harry.

In einem Kellerlabor haust Harrys Assistent Bob, ein alter und intelligenter Geist, der in einem Schädel gefangen ist und ihn ohne Harrys Erlaubnis nicht verlassen kann. Bob hilft Harry bei seinen Zaubersprüchen und der Herstellung von Tränken und bringt ihm neue magische Techniken bei. Natürlich versucht er jede Gelegenheit zu nutzen, den Schädel zu verlassen und ab und zu lässt Harry ihn für 24 Stunden heraus. Die Beziehung zwischen Harry und Bob ist unterhaltsam und entwickelt sich im Laufe der Serie auch weiter.

Wir bekommen auch einen ersten Blick auf Mac und seine Taverne McAnally’s, die ein lokaler Treffpunkt für Harry und andere aus dem magischen Reich ist. Mac ist der starke, schweigsame Typ, der einen neutralen Ort für alle bietet, um sich zu treffen. Er ist ein Teil von Harry und hilft ihm oft, wenn er in Schwierigkeiten steckt.

Eine der magischen Kreaturen, die wir in dieser Geschichte kennen lernen, ist eine Tautropfen-Fee namens Toot Toot. Er ist eine Hilfe für Harry und erledigt oft Aufgaben für ihn im Tausch gegen Pizza. Er taucht von Zeit zu Zeit in der Serie auf und hier sehen wir ihn zum ersten Mal.

Eine groß angelegte Serie wie die Dresden-Files benötigen eine kluge Einführung, und das bekommen wir hier. Trotzdem wird die Geschichte der Sturmnacht abgeschlossen und aufgelöst, so dass auch bei jenen kein Frust entsteht, die nicht weiter in diese fantastische Welt eintauchen möchten. Alle anderen lernen die Protagonisten kennen, die im weiteren Verlauf eine wichtige Rolle spielen werden. Wir lernen Harrys magisches Systhem kennen und lesen ein wenig über seine Vorgeschichte, seinen Mentor und seine Familie, die später in der Serie ebenfalls eine Rolle spielen wird.

Allen, die dabei bleiben, kann ich versprechen, dass sie einen Höllenritt vor sich haben, der seinesgleichen sucht.

Fuchsmädchen

Maria Grund: Fuchsmädchen

Das mit Spannung erwartete Debüt Fuchsmädchen von Maria Grund ist im Januar bei Random House erschienen. Die Autorin, die ursprünglich aus Stockholm stammt, derzeit aber auf Gotland lebt, ist vor allem Drehbuchautorin und hat zuvor hauptsächlich in der Film- und Medienbranche gearbeitet, unter anderem viele Jahre als Redakteurin für das britische Medienunternehmen The Smalls, bevor sie nach Schweden zurückkehrte. Von der Swedish Academy of Crime Fiction als bestes Debüt des Jahres 2020 ausgezeichnet, standen die Türen für die Autorin offen und das internationale Interesse an der Übersetzung war ungewöhnlich hoch. Für alle NordicNoir-Begeisterten dürfte Fuchsmädchen durchaus ein Leckerbissen sein, und auch wenn die Zutaten nicht in eine neue Richtung ausschlagen, sondern ein handelsübliches Setting beherbergen, macht Maria Grund ein paar entscheidende Dinge anders, die dann auch für klassische Krimiliebhaber interessant sein könnten.

Die Geschichte in Fuchsmädchen basiert auf dem Selbstmord eines vierzehnjährigen Mädchens, deren Leiche in einem mit Wasser gefüllten Kalksteinbruch auf einer vertrauten und doch namenlosen Insel vor der Ostküste Schwedens, die Gotland sehr ähnlich ist, gefunden wird. Ihre Pulsadern sind aufgeschnitten und eine grobe Schnur hat sich in ihrem Haar verheddert, wo sie bei ihrem Tod eine Fuchsmaske befestigt hatte. Die Ermittlerin Sanna Berling will untersuchen, ob es sich tatsächlich um einen Selbstmord oder doch vielleicht um einen Mord handelt.

Schon bald wird klar, dass das nur der Anfang einer ganzen Serie von brutalen Morden ist. Es beginnt ein Kampf gegen die Zeit, bei dem sich herausstellt, dass sieben Kinder den Schlüssel zu der schrecklichen Wahrheit in Händen halten – und der für Sanna Berling selbst viel persönlicher wird, als es ihr zunächst klar ist.

Sanna will bei den zu untersuchenden Morden  immer wieder eine Verbindung zu dem vierzehnjährigen Mädchen im Kalksteinbruch herstellen, während ein sehr unfähiges Dezernat sie auf eine andere Fährte ansetzen will. Aber Sanna und Eir finden diesen Zusammenhang  zu den Kindern, die vor einigen Jahren an einem von der Kirche organisierten Camp teilgenommen haben. Sie finden ein makabres Foto, auf dem die Kinder Tiermasken tragen. Bei der Untersuchung stellt sich heraus, dass diese die sieben Todsünden symbolisieren sollen.

Ähnlich wie die Autorin (was sie in einem Interview gestand) wird Sanna von  Albträumen geplagt, schläft in einem Zeltbett in einer Garage und schluckt  nicht näher benannte Tabletten, um ihren Alltag und ihre Arbeit bewältigen zu können.

Zunächst fällt auf, wie straff die Handlung des Romans gehalten wird. Da gibt es keine unnötigen Abschweifungen; die Autorin behält in jeder Sequenz das Zepter in den Hand, die Überlappungen sitzen ebenso wie die schließliche Lösung des Falls. Dennoch wird man das Gefühl nicht los, dass Maria Grund bei ihrem Debüt lieber auf Nummer Sicher geht. Dazu ist ihr dann auch jedes Klischee recht. Aber das macht nichts, denn manchmal entsprechen Klischees einfach dem, was der Wahrheit am nächsten kommt.

Maria Grund schreibt über den ewigen Kampf zwischen Gut und Böse. Die Protagonistin dieses Dramas ist eine Ermittlerin, die bereits persönlich gelitten hat, als ihr Mann und ihr Sohn bei einem gelegten Brand ausgelöscht wurden. Sie weiß, wer das Feuer gelegt hat, denn sie hat seine Adresse immer in ihrer Tasche. Sie weiß, dass sie ihn eines Tages töten wird. Rache an demjenigen nehmen, der ihr die Familie genommen hat.

Auch handelt das Buch von den schrecklichen Folgen für diejenigen, die sich blind auf falsche Propheten und ihre Taten verlassen, und von den heftigen persönlichen Konsequenzen für die betroffenen Kinder und Erwachsenen, die in diesem Drama leiden.

Maria Grund hat mit Fuchsmädchen einen Roman über eine angegriffene Heldin vorgelegt, die leidenschaftlich nach der Wahrheit sucht und nicht locker lässt, bis die Hintergründe der Todesfälle endlich ans Licht kommen. Unterstützt wird sie dabei von ihrer neuen Kollegin Eir Pedersen. Auch sie hat ihre Dämonen in Form einer jüngere Schwester, die stark drogenabhängig war. Eir ist jetzt für sie verantwortlich und sie leben zusammen in einer Wohnung. Während sie Sanna möglichst gut unterstützen will, macht sie sich gleichzeitig Sorgen um ihre kleine Schwester. Eir war früher bei der NOA (National Operations Department) tätig, wurde aber in Sannas Gruppe Strafversetzt, und wir bekommen gleich zwei traumatisierte Frauen, die versuchen, zusammenzuarbeiten.

Vielleicht merkt man dem Buch an manchen Stellen zu sehr an, dass es sich hier zunächst um eine Drehbuchidee handelte, aus der erst später eine Romanidee wurde, aber wie man hört, wird es mindestens noch einen weiteren Teil geben, und die Autorin wäre nicht die erste, die sich im Laufe der Zeit gesteigert hätte.

Alles Geisterhafte war mir von Anfang an vertraut

Dieser Artikel ist Teil 4 von 54 der Reihe Gespenstersuite

Sobald man das Verschwinden zum ersten Mal beobachtet hat, weiß man einiges von der Welt. Doch wirklich reizvoll wird es erst dann, wenn die Erinnerung einsetzt und ihre Kapriolen dreht. Wenn man nicht einmal sicher sagen kann, was man eigentlich gesehen hat, ist es nahezu unmöglich, die Vergangenheit lückenlos und in richtiger Reihenfolge heraufzubeschwören. Das sind die wahren Gespenster, und die Vergangenheit ist das wirkliche Jenseits. Besessen von der Idee zurückzukehren, ging ich die Wege rückwärts. Sie wurden verbraucht und lange nicht mehr benutzt, denn eines muss man wissen: Alle Wege werden geteilt und nur die Anordnung aller Gassen, die man halbblind durchstieß, ergeben schließlich den eigenen Weg. Die meisten vergisst man und so lässt sich niemals auf das Ganze schließen.

Alles Geisterhafte ist mir von Anfang an vertraut. Kein Ort, an dem ich jemals war, der nicht von einem Spuk heimgesucht worden wäre, auch wenn ich längst und viele Jahre schon mein eigener Dämon bin. Doch es könnte sein, dass Geister auch mit der Jugend verschwinden; sie verschwinden vor allem dann, wenn man sie nicht mehr sucht, weil man ein Teil von ihnen geworden ist. Dadurch kehrt eine äußerliche Ruhe ein.

Im Gefüge herumkratzen. Es ist wie einen Körper betrachten. Es hat einen Grund, warum wir ausgerechnet diese Gestalt haben und keine andere. Wir sind immer und zu jeder Zeit, wer wir sein wollen. Und das Schöne ist: Nichts existiert wirklich, alles wird nur von Gedanken aufrecht erhalten, von unseren Beschreibungen und Erzählungen. Die aber wirken, weben also Welt.

Es ist schon wahr: ich wusste nie, wer ich war; vor allem deshalb nicht, weil jemand zu sein abhängst von einer Illusion, die man in anderen implementieren kann. Wir lernen also, jemand zu sein, indem wir jemand für andere sind. Doch das haben wir nicht in der Hand. Irgendwann konnte ich mir unter all den Modellen, die es von mir gab, das aussuchen, zu dem es mich am meisten hinzog. Doch es gab keines, mit dem ich mich identifizieren konnte. Mein eigenes Modell war dabei ebenso falsch wie das all jener, die sich große Mühe mit einem Abbild von mir gaben. Wir scheiterten alle.

Als ich noch zur Schule ging, wunderte ich mich bereits über die Welt, die daraus bestand, die Frage nach dem Alter zu beantworten. Wusste man das, war das Sternzeichen dran. Natürlich wäre es unsinnig anzunehmen, man bekäme als dreijähriger die Frage nach dem Jenseits gestellt. Kannst du dich daran erinnern, wie es war, bevor du geboren wurdest? Die Antwort wäre ohnehin nein gewesen, denke ich mir jetzt. Aber was wäre gewesen, wenn man sie mir damals gestellt hätte? Hätte ich etwas dazu sagen können? Weißt du, wo du dich befindest? Ich wusste nur, dass alles verschwimmt, wenn man es zu lange anstarrt. Ich wusste, dass ich wie in einem bierseligen Rausch umher lief, ohne wirklich besoffen zu sein. Ich träumte, wie ich lebte, da gab es keinen nennenswerten Unterschied. Ich lag im Bett, schloss die Augen und war immer noch draußen vor dem Haus. Die einzige Ausnahme war vielleicht, dass ich im Traum schwerelos war und herumfliegen konnte. Es war mir ein leichtes, über die Telefonleitungen zu hüpfen. Das ging soweit, dass ich bei Tag Angst bekam, wie ein Ballon aufzusteigen und nicht mehr nach unten zu kommen. Träumen oder Wachen waren tatsächlich dasselbe, aber wenigstens hatte ich bei Tag etwas Gewicht. Selbst wenn ich nur ein Kilo gewogen hätte, sagte ich mir, bliebe ich unten, denn ein Milchbeutel schwebt auch nicht einfach davon. Aber davon wollten die Leute nichts wissen, sie fragten mich nur, wie alt ich sei und warum mich meine Eltern nicht zum Friseur schleppten. Nun, es waren die 70er, da gab es keine Friseure.

Dämonische Besessenheit (und der Exorzist)

Solange es Gottheiten gibt, gibt es auch Teufel, die sich im ewigen Kampf um menschliche Seelen befinden. Von den Sumerern bis zu heutigen Sekten enthält jede Religion dualistische Elemente, Licht und Dunkel, Gut und Böse, Engel und Teufel, binäre Gegensätze, die die Gläubigen ängstlich und brav halten sollen. Teufel befeuern dabei die dunkle Seite dieser Gleichung. Sie symbolisieren das, was uns passiert, wenn wir die Regeln nicht befolgen. Sie lauern auf unvorsichtige Sünder, verspotten, verführen und nehmen schließlich Besitz von unserem Verstand und Fleisch und verurteilen uns zu körperlicher Zerstörung und geistiger Verdammnis.

Und damit begrüße ich euch zu einer neuen Ausgabe unserer Themen-Rubrik, in der wir uns heute auf die Spuren der Dämonischen Besessenheit begeben.

Besessenheit

Dämonische Besessenheit ist – wie das Geisterhaus – ein altes, kulturübergreifendes Phänomen. In alter Zeit war sie eine nützliche Erklärung für psychische Erkrankungen, neurologische Traumata, Tourette-Syndrom, unterdrückte Sexualität, Epilepsie, Halluzinationen und sogar für unartige Kinder. Jedem, der von einem Dämon besessen ist, wird es geschehen, die Kontrolle über den vitalen, zivilisierten Teil seiner selbst zu verlieren; die Opfer sind nicht verantwortlich für das Zucken ihrer Gliedmaßen oder die Obszönitäten, die aus ihrem Mund sprudeln. Die Besessenen sind über den Zustand der bewussten Sünde hinausgelangt.

Wenn übernatürliche Kräfte schuld sind, dann gibt es kein wirkliches Versagen der sozialen Ordnung, keine wirkliche Bedrohung durch bewusste Rebellion. Nachdem ein entsprechend qualifizierter Hexenjäger, Exorzist oder Dämonologe mit unsichtbaren Waffen die mysteriöse Bedrohung bekämpft hat, wird dadurch das Kräftegleichgewicht wiederhergestellt. Ein Hexenprozess oder ein Exorzismus ist der perfekte Schauplatz für religiöse und politische Autoritäten, um ihre Version des Gesetzes zu untermauern – und kann für eine dramatische, intensive Erzählung sorgen.

Es ist kein Wunder, dass dysfunktionale Individuen im Laufe der Geschichte auf dämonische Besessenheit als die Wurzel ihres unchristlichen Verhaltens verwiesen haben, von den Incubi-geplagten Nonnen in Santa Lucia im mittelalterlichen Italien, über die rachsüchtige Throckmorton-Familie im elisabethanischen England bis zu den hysterischen Mädchen von Salem, Massachusetts reicht diese Palette. Es ist die ultimative Verteidigung für jede Art von Abweichung: Der Teufel hat mich dazu verleitet.

Hier triumphiert der Aberglaube immer wieder über die Wissenschaft, nicht zuletzt, weil das Ringen mit echten Dämonen mehr Nervenkitzel erzeugt als mit psychischen Krankheiten zu kämpfen. Es ist leicht einzusehen, warum solche Geschichten über Jahrhunderte ihre Anziehungskraft ausübten. Ein teuflisch-verseuchter Charakter bietet dem Leser eine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Bösen, in seiner ganzen grunzenden, grimassierenden, gliederverdrehenden Herrlichkeit.

Manchmal bietet uns die Geschichte die klarste Sicht auf die Dinge. Ein berüchtigter Fall von Massenbesessenheit unter den Ursulinischen Nonnen in Loudun (Frankreich) von 1632-16 inspirierte mehrere Theaterstücke, Filme und Bücher des 20. Jahrhunderts. Aldous Huxleys Non-Fiction-Roman, Die Teufel von Loudun, ist hier die ideale Einführung in die wichtigsten Konzepte der Besessenheit und bietet die endgültige Analyse über Exorzismus mit der anschließenden Erkenntnis, dass das einzige Vergehen aus dem Bösen besteht, das Menschen veranstalten.

Der Exorzist

Zwanzig Jahre nach Huxley veröffentlichte William Peter Blatty seine klassische Interpretation des Phänomens in “Der Exorzist”. Wie Huxley war er von einem “echten” Fall dämonischer Besessenheit fasziniert, der in Zeitungsberichten (bekannt als “Roland Doe”, der später als “Robbie Mannheim” identifiziert wurde) beschrieben wurde, und der von katholischen Priestern im Jahr 1949 einem Exorzismus unterzogen wurde. Nachdem seine geplante Drehbuch-Karriere in den späten 1960er Jahren fehl schlug, suchte Blatty Ideen für einen Roman und begann sich an den Fall zu erinnern. Er erhielt ein Tagebuch, das von einem der beteiligten Priester geschrieben wurde und machte das zur Grundlage für sein Buch.

Anders als Huxley bauschte Blatty viele Aspekte dieser Besessenheit zu einer Sensation auf, indem er das Opfer (in seiner Version ein zwölfjähriges Mädchen und nicht der vierzehnjährige Junge des Quellenmaterials) in ein physisches und philosophisches Schlachtfeld einrahmt. Er beschreibt die teuflischen Wunder, die über Regans beflecktem Fleisch stattfinden, als Tatsache:

“Hysterisch kreischend und mit den Armen schlagend, schien ihr Körper sich horizontal in die Luft über ihr Bett zu werfen und dann brutal auf die Matratze geschleudert zu werden. Es geschah schnell, immer und immer wieder … Sie miaute wie eine Katze, bellte dann, und wieherte.”

Blatty ließ nie die Möglichkeit zu, dass sie das alles vorgetäuscht haben könnte. Der Teufel in Regan traktiert sie systematisch durch alle notwendigen Kriterien der katholischen Kirche für eine echten Besessenheit – sie plappert in fremden oder alten Sprachen, demonstriert übernatürliche Kraft, zeigt Abneigung gegen heilige Objekte, kennt alle Geheimnisse über die kürzlich verstorbene Mutter des Priesters Karras und erfreut sich an Blasphemie und Obszönitäten.

Ärzte bezeugen das Phänomen, können aber keine überzeugende medizinische Erklärung liefern. Sogar Pater Karras, der im Seminar ausgebildete Psychiater, ist nicht in der Lage, die Anzeichen und Wunder ihres Zustands in Bezug auf die moderne Wissenschaft zu diagnostizieren. Die ersten zwei Drittel des Buches schöpfen alle vernünftigen Möglichkeiten aus, bis nur noch die Anwesenheit von Dämonen die einzige Option ist, die übrig bleibt. Dies ebnet den Weg für das feierliche, fesselnde Exorzismusritual des dritten Aktes und Karras’ letztes Opfer als die einzig mögliche Lösung in Bezug auf Regans Leiden und seiner eigene Glaubenskrise. Er ist ein kaltherziger Atheist, der am Ende des Romans noch immer nicht glauben will.

Sowohl Blatty als auch die katholische Kirche haben ein Eigeninteresse daran, das Etikett “auf einer wahren Geschichte beruhend” an den Exorzisten zu hängen. Blatty schlug erheblich Kapital aus dem Buch und dann auch aus dem Film mit dem Beharren auf Faktizität, die seine Arbeit über die der üblichen Verdächtigen in der Horror-Branche erhebt. Das katholische Establishment, in der Regel keine Anhänger der Popkultur, lobte den Roman in der vatikanischen Literaturzeitschrift Civilta Cattolica mit “350 Dankesschreiben an die Jesuiten” aus gutem Grund. Der weltweite Hype um den Exorzist führte dazu, dass verlorene Sünder in Scharen in den Beichtstuhl zurückkehrten.

Zu dieser Zeit einzigartig für einen Horrorroman, liegt der dauerhafte Reiz des Exorzisten also in seiner offensichtlichen Wahrhaftigkeit, obwohl diese “wahre Begebenheit” längst gründlich als ausgedehnter Streich einer emotional gestörten Jugendlichen entlarvt worden ist.

Shownotes:

Der Exorzist auf cinema.de

Die Hexenprozesse gegen Urbain Grandier

Gruselstube: Die wahre Geschichte hinter Buch und Film

Stuart Turton – Der Tod und das dunkle Meer

Ein unerwarteter Zwischenstopp im Jahr 2003 inspirierte Turton zu diesem fesselnden Krimi. Nachdem er einen Flug nach Singapur verpasst hatte, saß der Autor in Australien fest. Um die Zeit totzuschlagen, besuchte er ein Schifffahrtsmuseum in Perth, wo er sich über den Schiffbruch der Batavia im Jahr 1629 informierte. Jahre später beschloss er, die Geschichte des Schiffes auf seine Weise zu schreiben.

Bevor er dieses Buch schrieb, kehrte er nach Perth zurück, besuchte Indonesien (wo sein fiktives Schiff, die Saardam, den Hafen verlässt) und studierte Aufzeichnungen im British Museum und in der British Library. Er durchforstete Passagierlisten aus den 1600er Jahren und entlieh sich Namen für viele seiner Figuren.

“Der Tod und das dunkle Meer” ist voller realistischer Details über das Leben an Bord der Saardam, einschließlich Figuren, die sich mit Eimern aus Meerwasser waschen und sich über Bord lehnen müssen, um ihr Geschäft zu verrichten.

Turton fühlt sich jedoch kaum den Details der Geschichte verpflichtet. In dem Moment, in dem sie seine Handlung stören, sortiert er sie aus. Das ist das, was gute Autoren tun: Sie unterwefen alles der zu erzählenden Geschichte.

Interessanterweise befand sich Stuart Turton 2018 auf einer gemeinsamen Lesereise mit Laura Purcell im Vereinigten Königreich. Interessant ist das deshalb, weil die jeweiligen Bücher der Autoren auf den ersten Blick nichts miteinander zu tun zu haben scheinen. Wer sich davon überzeugen will, kann sich gerne die Episode über Purcells stille Gefährten anhören. Ihren zweiten Roman – das Korsett – bekommen wir mit obligatorischer jahrelangen Verspätung aber ebenfalls noch in diesem Jahr.

Auf den zweiten Blick wird jedoch deutlich, dass beide Autoren zu dem gehören, was ich bereits The New Wave of Gothic Novel genannt habe. Natürlich ist der Begriff schwammig, vor allem, wenn man bedenkt, dass zum Beispiel Turtons Debüt Die 7 Tode der Evelyn Hardcastle eher Agatha Christie mit Science Fiction mischt und Laura Purcell sich im Bereich des Gothic-Krimi aufhält, aber beide sind sie Stimmen einer neuen und vielversprechenden Autorengeneration.

Und in seinem fabelhaften neuen Roman, der vor dem Hintergrund einer Seehandelsroute aus dem 17. Jahrhundert spielt, triumphiert wie erwähnt die Handlung vor einem etwaigen Ansatz, sich einer zeitgenössischen Umgangssprache zu bedienen, wie es eventuell in einem historischen Roman der Fall gewesen wäre, was dem Aufbau und der Charakterisierung der Figuren sicherlich nur hinderlich gewesen wäre.

Turton hat sich dafür entschieden, die sprachlichen Merkmale des Seefahrer-Kauderwelschs einem erkennbar modernen, Sprachstil unterzuordnen, der auf Schritt und Tritt Atmosphäre, Vorahnung und Schrecken vermittelt. Mir ist völlig bewusst, dass ich ähnliches – gerade bei erwähnter Laura Purcell – schon einmal kritisiert habe, aber hier ist der Sachverhalt doch etwas anders gelagert, denn es finden sich keine unangebrachten Modernismen.

Der Spannungsaufbau in dieser linearen Erzählung einer Reise zwischen dem fiktiven Außenposten Batavia – einer brütendheißen Kolonie irgendwo in Niederländisch-Ostindien – und Amsterdam ist erstaunlich überzeugend; eine Sprache, die sich nur durch eine krasse Klassentrennung auszeichnet, verstärkt die Unmittelbarkeit des Dramas und lässt die Struktur atmen. Mal brutal, mal wortgewaltig, unterstützt diese Sprache die überzeugende Darstellung einer klaustrophobischen See-Odyssee, die andernfalls eher hinderlich gewesen wäre.

Turton wahrt die erzählerische Distanz in der dritten Person und setzt auf viele Dialoge. Was ihm an zeitgemäßer Authentizität fehlen mag, macht er durch Rasanz, Witz und ernsthafte Menschlichkeit wett, sei es im Seefahrerjargon, bei der Beschreibung eines Gesprächs zwischen einem Offizier und einem Seemann oder bei der Beschreibung der stinkenden Abgründe einer Latrine tief in den Eingeweiden des Schiffs.

Das Gewicht des Gerüsts der Saardam lastet auf den Insassen; es ist zugleich Gebärmutter und Sargdeckel, und seine Schächte, Schlupfwinkel und Ritzen verleihen dem Verstecken in den dunklen Bilgen des Schiffes zusätzliche Schichten gruseliger Andeutungen.

Es ist Arent Hayes, der riesenhafte, intelligente Söldner, dessen Aufgabe es ist, den inhaftierten Sammy Pipps bei dessen brillanter, forensischer Suche nach dem Dämon an Bord der Saardam zu unterstützen, dem wir eine zutiefst bequeme Darstellung der wichtigsten Themen der Geschichte verdanken.

In einer geschickten Rekapitulation am Ende des Romans gibt Turton die Verwicklungen der Handlung wieder und bietet so eine praktische Zusammenfassung für den geistesabwesenden Leser.

Die Anforderungen dessen, was wie eine tragische Notwendigkeit aussieht, die Tod auf Mord und Sturm auf Chaos häufen, treiben Turtons Geschichte an den Rand des Wahnsinns und der kontrollierten Implosion. Und genau das ist der Punkt. Die einzelnen Figuren, die eine pikareske und farbenfrohe dramatis personae bilden, sind für die Dauer einer zunehmend fiebrigen, verfluchten und gefährlichen Reise an der metaphorischen Hüfte miteinander verbunden. Die Überlebenschancen hängen von den guten Absichten des Schiffes und dem verhandelbaren Wohlwollen seiner Hierarchie ab, vom Generalgouverneur von Batavia, der mit einem unbezahlbaren Navigationshilfsmittel mit dem ironischen Namen Phantasterei (im Original “The Folly”) nach Hause zurückkehrt, über den eleganten Kapitän Crauwels, den brutalen Bootsmann Johannes Wyck bis hin zum Zwerg Isaack Larme, dessen Einfluss auf eine unberechenbar gewalttätige und käufliche Besatzung seine körperliche Beschränktheit Lügen straft.

Turton versteht es, eine Equipage der guten Sitten und des Anstands zu konstruieren, deren Grundstruktur an den Stellen, an denen sie sich verengt, stark beeinträchtigt wird.

Die Unterscheidung zwischen Besatzung und Passagieren, zwischen der Würde von Sara, der mißhandelten Frau des Gouverneurs, Creesjie, der flatterhaften und doppelt verwitweten Schönheit, und Lia, Saras brillianter Tochter, und dem entwürdigenden Kabinenfieber des männlichen Blicks wird in den Bilgen der sich entfaltenden Ereignisse nivelliert.

Nicht zuletzt durch das scheinbar allwissende Auge des alten Tom, eines Teufels, dessen Anwesenheit das stakkatoartige Vorankommen des Schiffes überschattet und dessen Absicht es zu sein scheint, alle an Bord zu vernichten. Von Jan Hahn, dem Gouverneur, in Erfüllung der Verpflichtungen eines alten faustischen Pakts an Bord “heraufbeschworen”, sind Toms Auftritte, abgesehen von den Folgen des schrecklichen Gemetzels, wirklich gruselige Abstraktionen: Gespenstische Lichter einer “Achten Laterne”, deren Herkunft unbekannt ist, tauchen die Kabinen in ein unheimliches Rot und deuten auf das Chaos hin, das folgen wird.

Turtons Charakterzeichnung ist so geschickt zweideutig und überzeugend doppelbödig wie die Spannung zwischen religiöser Leichtgläubigkeit und der forensischen, diagnostischen Intelligenz von Sammy Pipps’ Beteuerungen: Jan Hahn ist teils ein frauenfeindlicher Tyrann, teils ein Beschützer; der sanfte Riese Arent Hayes, von dem die Geschichte abhängt, ist zu extremer Gewalt und zu selbstloser Loyalität fähig; und Sara Wessel wird durch ihre Erfahrungen verändert, während die Verkleidung des Furniers abbröckelt:

“Als sie vor drei Wochen an Bord der Saardam gegangen war, hatte sie das Gefühl gehabt, unter einer so dicken Schicht aus Etikette und Hass begraben zu sein, dass sie fast vergessen hatte, wer sie war.”

Die dunklen Seiten des Charakters kommen zum Vorschein, wenn das Furnier der Zivilisation bis zur völligen Auflösung getestet wird, und Turton spielt die Karte der Angst mit großer Wirkung – ein flüsternder Mephistopheles bietet unvergleichliche Reichtümer für den Verkauf von Seelen in mörderischer Absicht, die Prüfung der geistigen Widerstandsfähigkeit in einer zutiefst abergläubischen Zeit durch das allgegenwärtige Auftauchen eines Teufelsmales.

Die Auflösung kommt, als die Sardaam an den scharfen Felsvorsprüngen einer Insel zerschellt.

Hier kommen kriminelle Wahrheiten über ansonsten “zuverlässige” Charaktere zum Vorschein, in einem Auf und Ab von Anschuldigungen. Menschliches Handeln, Taschenspielertricks und Einfallsreichtum sind die letzten Schiedsrichter, während erstaunlich komplexe Erklärungen den Leser mit falschen Identitäten und unerwarteten Schuldzuweisungen verwirren. Und wenn sein Finale Der Teufel und das dunkle Wasser in eine nicht ganz überzeugende Decke aus Auflösung und Übereinstimmung hüllt, ist das fast nur noch von geringer Bedeutung.

Vampir

Der Vampir – Herkunft, Mythos und Geschichte

Vampire haben eine umstrittene Geschichte. Einige behaupten, dass diese Kreaturen “so alt wie die Welt” seien. Aber neuere Erkenntnisse deuten darauf hin, dass unser Glaube an Vampire und Untote im 18. Jahrhundert geboren wurde, als die ersten europäischen Berichte über dieses Phänomen erschienen.

Die Angst vor dem Tod

Wir wissen, dass 1732 das Annus Mirabilis des Vampirs war. In diesem Jahr wurden 12 Bücher und vier Dissertationen zu diesem Thema veröffentlicht. Der Begriff “Vampir” taucht laut dem Gothic-Experten Roger Luckhurst ebenfalls in diesem Jahr zum ersten Mal auf. Aber archäologische Entdeckungen von ungewöhnlichen Bestattungen in Europa in den letzten Jahren legen nahe, dass der Glaube an Vampirismus und an Wiedergänger bereits vor 1500 die Menschen beschäftigte.

So ist beispielsweise die Leiche eines 500 Jahre alten “Vampirs” auf einem alten Friedhof in der Stadt Kamien Pomorski in Polen ausgestellt. Die 2015 entdeckte Vampirleiche wurde in der Weltpresse ausführlich beschrieben. Archäologen haben bestätigt, dass sie einen Pfahl durch ihr Bein (vermutlich um zu verhindern, dass sie ihren Sarg verlässt) und einen Stein in ihrem Mund hatte (um das Blutsaugen zu verhindern). In den Dörfern Bulgariens wurden noch ältere dieser abweichenden Bestattungen entdeckt.

Vampire haben schon immer die menschliche Angst vor dem Tod repräsentiert. Der Abdruck, den diese mythische Figur in unserer kollektiven Fantasie hinterlassen hat, lässt sich jahrhundertelang bis in den Nahen Osten und die südlichen Regionen Asiens zurückverfolgen. Im babylonischen Epos Gilgamesh, genauer gesagt in der sechsten Tafel, die der Göttin Ishtar gewidmet ist, wird eine Kreatur beschrieben, die “in der Lage ist, anderen das Leben zu nehmen, um ihr eigenes zu bewahren”. Darüber hinaus gab es alte griechische ländliche Legenden über Männer und Frauen, die Blut tranken, um sich jung zu halten, sowie wandernde Geister, die große Mengen an Blut von den Lebenden konsumierten, um ihre menschliche Form zurückzuerlangen.

Aber all diese Beispiele sind nur Schatten, die sich über die Jahrhunderte zusammenfinden mussten, um dem Vampir eine Gestalt und eine Mythologie zu geben. Es ist offensichtlich, dass lange vor dem Mittelalter in weiten Teilen Europas an eine Form des Vampirs geglaubt wurde. Doch erst 1819, als der erste fiktive Vampir, der satanische Lord Ruthven, in einer Geschichte von John Polidori auftauchte, hinterlässt der verführerische romantische Vampir seine Visitenkarte in der gehobenen Londoner Gesellschaft. Wie hat sich unser Verständnis von Vampiren, wie ungepflegte Bauern sie sich vorstellten, zu einem verführerischen byronesken Aristokraten entwickelt? Wir müssen das Geschöpf zu seinen Anfängen im frühen Volksglauben zurückführen, um seine Geschichte vollständig zu verstehen.

Die Tausend Namen

In den ersten schriftlichen Berichten über europäische Vampire werden die Kreaturen als Wiedergänger oder Rückkehrer verstanden, oft in Form eines kranken Familienmitglieds, das in der unglücklichen Gestalt eines Vampirs wieder auftaucht. In solchen Geschichten dominiert eine “unerledigte Aufgabe”, auch wenn das nicht weniger trivial erscheint wie das Fehlen von Kleidung oder Schuhen als Grund, um ins Leben zurückzukehren.

Die Anzahl der Wörter für “Vampir” kann ziemlich frustrierend sein: Krvoijac, Vukodlak, Wilkolak, Varcolac, Vurvolak, Liderc Madaly, Liougat, Kullkutha, Moroii, Strigoi, Murony, Streghoi, Vrykolakoi, Upir, Dschuma, Velku, Dlaka, Nachzehrer, Zaloznye, Nosferatu … die Liste scheint unendlich.

Das Oxford English Dictionary etwa umfasst sieben Seiten, um einen Vampir zu definieren, aber der früheste Eintrag von 1734 ist hier von größtem Interesse:

Diese Vampire sollen die Körper verstorbener Personen sein, belebt von bösen Geistern, die in der Nacht aus den Gräbern kommen, das Blut der Lebenden aussaugen und dadurch gleichzeitig vernichten.

Diese frühen Wiedergängerfiguren besitzen offensichtlich wenig Anziehungskraft. Im Gegensatz zum englischen aristokratischen Vampir nach dem Vorbild von Lord Byron sind diese frühen folkloristischen Vampire Bauern und erscheinen tendenziell wie moderne Zombies.

Agnes Murgoci erforschte diesen Volksglauben weiter. Sie erklärte 1926, dass die Reise ins Jenseits gefährlich sei – nach rumänischem Glauben dauert es 40 Tage, bis die Seele des Verstorbenen das Paradies betritt. In einigen Fällen wurde angenommen, dass sie jahrelang verweilte, und während dieser Zeit gibt es eine Vielzahl von Möglichkeiten, wie verstorbene Familienmitglieder dem Vampirismus erliegen können.

Es wurde angenommen, dass das Sterben in unverheiratetem Zustand, sowie durch Selbstmord oder Ermordung, dazu führen könnte, dass eine Person als Vampir zurückkehrt. Bestimmte Ereignisse nach dem Tod könnten einen ähnlichen Effekt haben – eine frische Brise, die über die Leiche weht, bevor sie begraben wird, Hunde oder Katzen, die über Särge laufen; oder Spiegel, die in dieser prekären Zeit nicht gegen die Wand gedreht wurden.

Der literarische Bereich

Es war eine Abhandlung des französischen Mönchs Antoine Augustin Calmet aus dem Jahr 1746, die Schriftstellern den Zugang zu einer Reihe von Begegnungen mit Vampiren ermöglichte. Calmet ließ sich von Joseph Pitton de Tournefort inspirieren, einem Botaniker und Forschungsreisenden, der zuvor behauptet hatte, 1702 in Mykonos mit einer Plage blutsaugender Vampire konfrontiert worden zu sein. Sein Bericht wurde 1741 noch immer viel gelesen.

Drei Jahrzehnte nach Tourneforts Begegnung berichtete das London Journal von 1732 über einige Untersuchungen zu “Vampiren” in Madreyga in Ungarn (eine Geschichte, die später von John Polidori erzählt wurde). Griechenland und Ungarn stehen in diesen frühen Berichten im Vordergrund – und das spiegelt sich in der romantischen Literatur wider: Lord Byron zum Beispiel macht Griechenland zur Kulisse seiner unvollendeten Vampirgeschichte “A Fragment” (1819).

Aber es war Polidori, der für den Stammbaum des Vampirs und seine soziale Stellung verantwortlich war. Es scheint vor de, aristokratischen Vampir Lord Ruthven von 1819 noch keinen urbanen oder gebildeten bürgerlichen Blutsauger gegeben zu haben. Eine räuberische Sexualität wird vom Autor ebenfalls eingeführt. Wir sehen zum ersten Mal den Vampir als Wüstling oder Libertin, einen echten “Lady Killer” – ein Trend, der sich bis in unsere Zeit hinein verfeinerte.

Später folgten James Malcolm Rymers “Varney the Vampyre” (1849) und am Ende des neunzehnten Jahrhunderts “Dracula” (1897). Zwar gab es bereits weitere Vampire in der Literatur – das Gedicht Der Vampir von Heinrich August Ossenfelder aus dem Jahre 1748 zum Beispiel, und Christabel von Samuel Taylor Coleridge aus dem Jahre 1816, aber keiner von ihnen erregte so viel Aufmerksamkeit wie Polidoris Werk, und sicherlich hat auch keiner so viel zu seinem Image beigetragen.

Varney hat die zweifelhafte Ehre, der Sonderling in dieser Aufzählung zu sein, da er erstens durch seine Veröffentlichung in den “Penny Dreadful”-Heften weniger literarisches Ansehen erlangt hat als die anderen und zweitens, anstatt einen charmanten Vampir zu präsentieren, der mit der viktorianischen Sichtweise des Gothic Horror verbunden ist, Varneys Heldentaten erschreckend genug sind, um gut zum “Schrecken” der Groschenhefte zu passen.

Da sich die Darstellung des Vampirs aber eher in Richtung Gothic als in Richtung Groteske veränderte, waren unsere Vampirfreunde anfangs vornehme Menschen – oft sogar Aristokraten. Vampire sind edel, das ist eine allgemein akzeptierte Vorstellung. Es gibt Ausnahmen (es gibt immer Ausnahmen!), aber es ist eine nachvollziehbare Faustregel. Die Erhebung des Vampirs in den Beinahe-Adelsstand begann also mit dem Erscheinen von Polidoris “The Vampyre”, das ursprünglich mit dem irreführenden Untertitel: Eine Erzählung von Lord Byron veröffentlicht wurde. “The Vampyre” verdankt einen Großteil seiner Popularität Byrons Berühmtheit, und man kann sagen, dass die beiden Figuren untrennbar miteinander verbunden wurden. Dieser Gedanke hat bis heute überlebt, was sich unter anderem in Romanen über Byrons Leben als Vampir und in Geschichten über die Entwicklung des Vampirs zeigt, die den Dichter immer mit einbeziehen.

Die Anziehungskraft des Vampirs (damals von Ruthven als aristokratische Figur dargestellt, die Charme und Verführung ausstrahlte) wurde auf eine allgemein anerkannte Stufe gehoben, und zwar ausschließlich dank des Skandals um die Veröffentlichung von “The Vampyre”. Wäre Ruthven nicht zum Synonym für Byron geworden und hätte nicht jede Frau den Dichter kennen lernen wollen, der – wie es schien – die lebende Verkörperung seines eigenen todgeweihten Helden war – wäre das Interesse des Publikums an Polidoris Roman wahrscheinlich von kurzer Dauer gewesen, denn sowohl “Der Vampir” als auch Polidori galten bald als “vulgäre Angelegenheit”. Eine zu vulgäre Angelegenheit für die spießige viktorianische Mittel- und Oberschicht.

Vulgär, weil er “unchristlich” war; vulgär, weil er zu “sexy” war: Der Vampir war zu lieblich und reizvoll für seine Zeit, weshalb er ganz in die Gothic- (und Erotik-(!) Literatur verbannt wurde. Dies erklärt natürlich auch, warum der Vampir in der Gothic- und Urban-Fantasy zu Hause ist.

Der vermenschlichte Vampir

Tatsächlich ist das Vermächtnis, das “The Vampyre” hinterlassen hat, eher ein Zeugnis für Byrons prominente Wechselfälle und wirkt eher wie eine literarische Verunglimpfung des Dichters als ein gotisches Märchen über einen Vampir. Dieser Punkt verdeutlicht, dass der Vampir regelmäßig eher als Metapher für menschliche Entsprechungen und Beziehungen denn als übernatürliche Schreckgestalt verwendet wurde. In der Folge wurde der Vampir zu einer Person, und im Hinblick auf seine literarische Stellung würde er nie wieder derselbe sein – zumindest nicht innerhalb des Genres und der daraus abgeleiteten Gattungen, in denen seine Identität wirklich ausgearbeitet wurde.

Einmal “vermenschlicht” – weit entfernt von dem mondgesichtigen, leichenblassen Vampir, swm beim Anblick einer ungeschützten Jungfrau das Maul zu tropfen beginnt, wie es im reinen Horrorgenre üblich war -, ließ sich der Vampir nicht mehr von seinem Thron stürzen, und obwohl es immer wieder Darstellungen des Vampirs in weniger schmeichelhaftem Licht geben wird, bleibt das Bild, das uns die englische Romantik so großzügig hinterlassen hat, ein fester Bestandteil unserer Kultur.

In der Tat eröffnete sich eine ganze Welt von Möglichkeiten an dem Tag, an dem der Vampir aufhörte, ein Abbild des Bösen zu sein, und sich in einen echten Menschen mit einem echten Leben verwandelte. Vampire können lieben, hassen, töten, Magie anwenden, mit Schwertern oder Pistolen kämpfen, Werwölfe sind dabei ihre Feinde, Königreiche verteidigen, Verbrechen aufklären und die Straßen der dunklen, gesichtslosen Metropolen überwachen: Sie sind eindeutig viel aktiver als früher, als sie in Opernmäntel gekleidet in den Schatten brüteten oder in Särgen vor dem Sonnenlicht flohen.

Vampire sind allgegenwärtig, und zwar nicht nur in der Urban Fantasy, wo das Paranormale und Übernatürliche allgegenwärtig ist. Von Malum in “Stadt der Verlorenen” von Mark Charan Newton bis hin zu Anne Rice’ Lestat scheint der Vampir als Figur einfach wie ein Rädchen in die jeweilige Umgebung zu passen, in der er sich befindet. Ob es nun an der Popularität der Twilight-Saga (Meyer, 2005-2008) liegt, am Mainstream-Appeal der verfilmten Serien True Blood oder einfach daran, dass der Vampir wieder en vogue ist, eine Art Vampir-Revival hat in allen Genres der Literatur stattgefunden.

Das ist zwar nicht unbedingt neu, aber da es sich um eine lang anhaltende Erscheinung handelt, verdient sie Beachtung. Das Gleiche gilt für Zombies und Werwölfe, doch ihre Geschichte ist anders und nicht annähernd so bipolar wie die des Vampirs. In gewissem Sinne erleben diese “Charaktere” kein Wiederaufleben ihrer Popularität, sondern werden lediglich als nützliche Figuren anerkannt, mit denen sich interessante, vielfältige Handlungen aufbauen lassen, die zwar ein bestimmtes Genre verkörpern, aber auch kurze Anspielungen auf andere Genres geben. Per Definition ist ein Vampir ein Fantasyelement, da er entweder mythisch, übernatürlich oder einfach nicht existent ist. Das bedeutet nicht unbedingt, dass jede Geschichte, in der ein Vampir vorkommt, automatisch Fantasy ist, aber es bedeutet zumindest, dass sie für Fantasy-Fans interessant sein könnte.

Der Historiker von Elizabeth Kostova aus dem Jahre 2005 – und hier im Podcast bereits besprochen -, die Saints and Shadows Saga von Christopher Golden und “So finster die Nacht” von John Ajvide Lindqvist von 2004, zeigen gut, wie der Vampir nahtlos in die “erwachsene” Fiktion übergehen kann, während verschiedene Manga- und Anime-Neuerzählungen des Vampirs uns daran erinnern, dass der Vampir für so ziemlich jeden attraktiv ist, der ihn haben will.

Obwohl diejenigen, die nach einem historischen “echten” Dracula suchen, oft den rumänischen Prinzen Vlad Tepes (1431-1476) ins Feld führen, dem Stoker einige Aspekte seines Dracula-Charakters nachempfunden haben soll, ist die Charakterisierung von Tepes als Vampir jedoch eine ausgesprochen westliche; in Rumänien gilt er nicht als bluttrinkender Sadist, sondern als Nationalheld, der sein Reich gegen die osmanischen Türken verteidigte.

Wie all dies zeigt, ist die Geschichte der Vampire eine umstrittene und ungewisse, unabhängig von Ihrer wissenschaftlichen oder literarischen Perspektive. Aber die von Archäologen in letzter Zeit entdeckten “Vampir”-Bestattungen stehen im Einklang mit Praktiken, die bekanntermaßen einen Glauben an den Vampirismus suggerieren (wie das Durchbohren der Leiche, das Nageln der Zunge, das Durchbohren das Herzens und das Einsetzen kleiner Steine und Weihrauch in den Mund und unter die Fingernägel, um das Saugen und Krallen nach Blut zu verhindern). Diese “Vampir-Leichen” tragen also dazu bei, herauszufinden, wie alt unser Glaube an Vampire tatsächlich ist.

Matthew Beresford, Autor von “From Demons to Dracula: The Creation of the Modern Vampire Mythos”, stellt fest:

“Es gibt klare Grundlagen für den Vampir in der Antike, und es ist unmöglich zu beweisen, wann der Mythos zum ersten Mal entstand. Es gibt Hinweise darauf, dass der Vampir aus der Magie des alten Ägypten geboren wurde, ein Dämon, der von einem anderen in diese Welt gerufen wurde.”

Es gibt viele Variationen von Vampiren auf der ganzen Welt. Es gibt asiatische Vampire, wie die chinesischen jiangshi (ausgesprochen chong-shee), böse Geister, die Menschen angreifen und ihre Lebensenergie entziehen; die bluttrinkenden bösartigen Gottheiten, die im “Tibetischen Totenbuch” erscheinen, und viele andere.

Die Geschichte der Vampire ist also immer noch nicht mit Bestimmtheit zu erfassen, und wir sollten bei unserer Suche nach der Quelle des ursprünglichen Unholdes wahrscheinlich auf die Aussage des britischen Vampirologen Montague Summers (1880-1948) achten. Er bezeichnete Vampire als “Weltbürger”: Für ihn existierten sie über zeitliche oder geographische Grenzen hinaus.

Shownotes

Matthew Beresford: From Demons to Dracula (Reaktion, 2008)

Ann Rice: Interview mit einem Vampir

Bram Stoker: Dracula

John William Polidori: The Vampyre

James Malcolm Rymer: Varney. the Vampyre

Steven Erikson – Die Gärten des Mondes (Malazan #1)

Dieser Artikel ist Teil 10 von 17 der Reihe Fantasy-Literatur

Die Gärten des Mondes ist das erste Buch der Serie “Das Spiel der Götter”, die man lieben oder hassen wird (oder vielleicht aufgeben, bevor man das Ende des ersten Buches erreicht hat) ist nun also der Auftakt zum heiligen Gral des Fantasy-Genres.

Wer sich das Vorgespräch zur Entstehung und Form der Fantasy-Reihe noch nicht angehört hat, sollte das jetzt nachholen. Es handelt sich um die Folge 2 des Podcasts, mit dem Titel: “Das Spiel der Götter. Ein Vorgespräch“.

Die Serie besteht im Original aus zehn Büchern, aber Die Gärten des Mondes bereiten vermutlich am meisten Schwierigkeiten. Zwar ist es oft auch woanders so, dass man etwas Zeit benötigt, sich in Stil und Weltenbau zurechtzufinden, hier aber ist die sehr vielfältige und scheinbar endlose Besetzung von Charakteren für viele Leser bereits ein Grund, das Buch beiseite zu legen und die Serie nicht weiter zu verfolgen. Wir begegnen Magiern und Soldaten, Menschen und Nichtmenschen, Dämonenherren und sprechenden Raben, Göttern und Niemanden, Helden und Schurken, und all dem, was sich im grauen Raum dazwischen aufhält. Es gibt sehr viele sich überschneidende Handlungsstränge – riesige Kampagnen, Assassinenkriege, magische Schlachten, politische Manöver, verdeckte Missionen – und all das scheint anfänglich nicht sehr gut zusammenzupassen.

Der Punkt jedoch ist, dass Die Gärten des Mondes wie eine Kurzgeschichte angelegt ist, was den dichten und gedrängte Erzählstil betrifft. Nun mögen viele Fantasy-Leser nicht unbedingt mit der Dekonstruktion eines Textes vertraut sein oder sich gar nicht damit beschäftigen wollen, es hilft aber, wenn man weiß, dass Erikson jeden Point of View sehr subtil einsetzt. Dieses subtile Vorgehen vervielfältigt den Informationsgehalt natürlich erheblich, auch wenn er von einem Erstleser gar nicht wahrgenommen werden kann.

In Die Gärten des Mondes gibt es unfassbar viel zu entdecken, und die ersten dreihundert Seiten reichen aus, um zu demonstrieren, dass es hier nicht um eine Feierabendlektüre geht oder um seichtes Geplänkel, um sich damit die Zeit zu vertreiben. In den neueren Ausgaben des Originals erklärt Erikson, dass er sich weigert, seine Leser wie Kleinkinder an die Hand zu nehmen, und dass er es beleidigend und herablassen findet, wenn andere Autoren das tun. Seine Entscheidung, wichtige Hintergrundinformationen zurückzuhalten und triste Erklärungen auszulassen, ist eine bewusste und taktische Entscheidung, und er ist sich voll und ganz bewusst, dass Die Gärten des Mondes viele Leser wahrscheinlich ins Wanken bringen wird.

Erikson geht jedoch davon aus, dass es denen von uns, die sich dafür entscheiden, sein Werk zu lesen, nichts ausmacht, ein wenig zu schwimmen; es macht ihnen nichts aus, ein wenig zu denken und die Dinge für sich selbst herauszufinden; und es macht ihnen nichts aus, viele Stunden und Tausende von Seiten zu warten, bevor die Teile endlich zusammenpassen.

Es gibt in der ganzen Serie eine ganze Menge erstaunlicher Momente, Augenblicke, in denen die Belohnung des Lesens die Herausforderungen weit überwiegt. Allerdings beginnt man erst nach dem erneuten Lesen die unfassbare Planung und die Fülle an Details zu schätzen, die Erikson in diese Bücher eingebracht hat. Es gibt so viele kleine Nuancen, die eine doppelte Bedeutung annehmen, so viele Dialoge, die sich als Vielschichtig erweisen, und so viele kleine Dinge, die man beim ersten Mal nicht bemerkt hat, die aber jetzt, da man sich der folgenden Ereignisse bewusst ist, von einem ganz speziellen Pathos durchdrungen sind.

Für den Debütroman einer Serie ist Die Gärten des Mondes wahnsinnig dicht und ehrgeizig, unglaublich clever und gut ausgeführt, und obwohl es so spektakulär ist, ist es nicht das beste Buch der Serie, aber es ist eines der besten ersten Bücher einer Serie.

Der Kern ist folgender: Das Malazanische Reich unter der Imperatrix Laseen führt seit 12 Jahren Kriege auf dem benachbarten Kontinent Genabackis. Es läuft schlecht, denn Genabackis hat die Hilfe einer älteren Rasse namens Tiste Andii in Anspruch genommen, die einen schwebende Basaltfestung namens Mondbrut bewohnt, der von einem Magier von außergewöhnlicher Macht namens Anomander Rake regiert wird. Darüber hinaus ist die paranoide Laseen damit beschäftigt, ihre eigenen Reihen von jedem zu säubern, der ihrer Meinung nach noch loyal zum verstorbenen Imperator steht. Insbesondere betrifft das seinen Kader an Elitekämpfern, die Brückenverbrenner. Während der Kampf um die Stadt Pale in vollem Gange ist, versuchen die Brückenverbrenner die Stadtmauern zu untergraben. Die Kadermagier indessen legen sich direkt mit dem schwebenden Mond und Anomander Rake an. Nur die Magierin Flickenseel überlebt; die Brückenverbrenner werden verschüttet und zahlen einen gewaltigen Preis. Bald dämmert es den Überlebenden: wurden sie alle verraten?

Man könnte jetzt leicht sagen, das sei in etwa die übergeordnete Handlung – und hätte so gut wie nichts über dieses Buch gesagt. Aber halten wir das einmal fest. Bald konzentriert sich die Handlung auf die letzte der freien Städte: Darujhistan. In dieser Stadt treffen Götter, Dämonen, Magier, Zauberer und Menschen aufeinander, um den Lauf der Geschichte zu verändern. Und die Brückenverbrenner sind mitten unter ihnen.

Was hier sofort auffällt, ist der enorme Reichtum von Eriksons Wortschatz, der sowohl etwas sehr Flüssiges und Präzises hat (außerordentlich gut übersetzt von Tim Streatmann, dem man für diese Leistung nicht genug danken kann). Die Beschreibungen gehen nicht über das ihnen angedachte Maß hinaus, und der Autor weiß sehr gut, wie man Aktion/Dialog und Hintergrund in Einklang bringt. Ebenso taucht der Leser in eine Welt ein, die als Anti-Martin-Universum beschrieben werden könnte, in dem Sinne, dass im malazischen Universum Magie, Götter und alle übernatürlichen Dinge an der Tagesordnung sind, während im Lied von Eis und Feuer damit sehr sparsam umgegangen wird, um nicht zu sagen, bis zum Nichtvorhandensein. Und DAS ist vielleicht für den unvorbereiteten Leser die eigentliche Schwierigkeit. Voller Kuriositäten, Gottheiten (organisiert in “Häusern”) und Magie, weist Das Spiel der Götter den imaginären Elementen einen Ehrenplatz zu. Zuerst entdecken wir verschiedene Rassen, von den Moranth-Insektoiden über die mysteriösen Tiste Andii bis hin zu den imposanten Barghasts. Und schnell kommen die Götter, Individuen, die nicht nur physisch existieren, sondern an der Geschichte teilnehmen, diese gestalten und sich alle Tricks erlauben. Die Anwesenheit dieser ungemein mächtigen Kreaturen (die aber nicht unbesiegbar sind, was einen großen Unterschied zum Gängigen ausmacht) hält die Story spannend und aufregend. Erikson hat ein fast schon übernatürliche ausgeprägtes Talent für die Gestaltung von Figuren.

Meine Inspiration war die Illias. Die Art von Geschichte, in der die Götter im Reich der Sterblichen aktiv sind. Ich wollte viele Charaktere, die ganz unten vegetieren, wie Diebe und Leute, die auf der Straße leben. So kann man den kraftvollen Ebenen folgen und du kannst dich auf den Weg zu den Göttern machen. Natürlich denken die meisten Leute, dass die Götter alles kontrollieren, aber ich wollte das umkehren, damit der Dieb auf der Straße die Götter tatsächlich stürzen kann, und das funktioniert in beide Richtungen,

sagte Erikson dem französischen Magazin Just a Word.

Die andere große Stärke ist Eriksons meisterliche Beherrschung der Erzählung, die wie eine Partitur angelegt ist. Sie beginnt mit dem Crescendo in der Stadt Pfahl und endet mit den Effekten der Konfrontation (jene des Anomander Rake mit einem gewaltigen Dämon im Herzen Darujhistans; die der fünf Drachen mit dem Jaghut-Tyrannen …) und den Momenten, in denen die Charaktere auf die Vergangenheit ihrer Welt zurückblicken. Hier wirkt der von Erikson entwickelte und hochgelehrte – und damit äußerst überzeugende – Hintergrund auf allen Ebenen. Wir spüren etwas extrem Großes, das wir allerdings nur erahnen können. Abgesehen davon ist das Magiesystem der “Gewirre” eine atemberaubende Erfindung, weil damit unglaubliche Möglichkeiten einhergehen, aber auch wegen der Bilder, die damit im Buch erzeugt werden.

Zu den Gewirren sagte Erikson:

Wir haben das magische System des Rollenspiels (zur Erklärung) etwas angepasst und wollten es in der Fantasywelt erforschen. Gewirre sind in gewisser Weise Existenzebenen, aber sie haben auch Auswirkungen. Wenn man etwa an die vier Elemente denkt – Feuer, Luft, Wasser und Erde – dann haben Esslemont und ich diesen Dingen sozusagen magische Fähigkeiten verliehen. Dann haben wir Schatten und Licht, Leben und Tod hinzugefügt. Dann haben wir das geprüft. Wenn du auf die Gewirre des Lebens zurückgreifen kannst, kannst du heilen. Wir wollten aber auch, dass das magische System gleichberechtigt ist, also basiert es auf Disziplin, Forschung und Entschlossenheit. Magie ist da, um für jeden zugänglich zu sein. Als Anthropologen dachten wir: “Wie verändert das die Kulturen um die Charaktere herum?”. Es kam uns in den Sinn, eine Kultur ohne Geschlechterverzerrung zu schaffen, damit es keine geschlechtsspezifischen Machthierarchien gibt. So wurde es zu einer Welt ohne Sexismus und das war sehr interessant zu erforschen.

Von diesem “erforschen” spricht Erikson im Zuge seines Werkes häufig. Als Archäologe kommt er nicht selten in eine Landschaft, in der er mit der Tiefe der Zeit konfrontiert wird. Natürlich wollte er diese Tiefe der Zeit auch in seinem Weltenbau haben. Es gibt daher Schichten der Existenz, Schichten der Erfahrung, die Tausende von Jahren zurückreichen. In der ganzen Serie gibt es Wesen, die diese Zeitspannen wirklich erlebt haben. Demgegenüber stehen die Ansichten der Menschen, für die es eine schwierige Sache ist, sich mehr als nur zwei Generationen vorzustellen. Welche Meinung zur Geschichte hat hingegen ein Wesen, das sich zehntausend Jahre vorstellen kann? Was denkt so ein Wesen über den menschlichen Zustand?

Das sind die Aspekte, denen Erikson wirklich nachgehen wollte, und dass er dieser Erfahrung unzählig viele Handlungsstränge zur Seite stellte und unzählig viele Charaktere “befragte” ist ein Glück für uns, die wir Fantasy lieben.

Shownotes

  1. Intro (00:00)
  2. Der Kern von Malazan (00:18)
  3. Erikson im französischen Magazin “Just a Word” (06:43)

Die Musik stammt diesmal von Kevin McLeod

Dark Times by Kevin MacLeod
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License: https://filmmusic.io/standard-license

Peace of Mind by Kevin MacLeod
Link: https://incompetech.filmmusic.io/song/4199-peace-of-mind
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Lovecraft

H. P. Lovecraft: Die Gruft

“Die Gruft” ist eine frühe Erzählung Lovecrafts, die sich von seinen folgenden stark unterscheidet. Im Juni 1917 soll er sie geschrieben haben, wie auch kurz darauf “Dagon”, eine seiner heute berühmtesten. Zu verdanken ist das William Paul Cook, einem Amateurjournalisten (Mitglied der UAPA und NAPA), der zudem ein großer Connaisseur unheimlicher und phantastischer Literatur war. Cook, der eine Freundschaft mit Lovecraft pflegte, druckte zunächst dessen Magazin “The Conservative”, in der Amateurpressezeitschrift “The Vagrant” ließ er mehrere Erzählungen von ihm erscheinen, darunter auch “Die Gruft”. Ermutigt hat er ihn, unheimlich-phantastische Erzählungen zu schreiben, etwas, das Lovecraft schon fast aufgegeben hatte. Hatte er doch, wie er selbst einmal Clark Ashton Smith gegenüber bekannte, als Achtzehnjähriger sämtliche seiner Geschichten verbrannt und den Entschluss gefasst, von nun an nur noch Verse verfassen zu wollen, da er zu dieser Zeit überzeugt war, dass ihm das Handwerk fehle.

Die Gruft

Wir sind in Neuengland. Die Erzählung beginnt mit einer Leseransprache, in der sich der Ich-Erzähler auch vorstellt:

“Mein Name ist Jervas Dudley und ich bin schon als Kind ein Träumer und Visionär gewesen. Reichtum enthob mich von der Notwendigkeit einer Erwerbstätigkeit und weil ich mich für die üblichen Studien und gesellschaftlichen Zerstreuungen meiner Bekannten nicht eigne, habe ich schon immer in Bereichen geweilt, die nicht so recht zur sichtbaren Welt gehören.”

Jervas gibt an in einer Irrenanstalt zu sein, in die man ihn – die Geschichte, die er dem Leser erzählen will, wird es erklären – gesteckt hat. In seiner Ansprache gibt er dem Leser Gedanken wie diese an die Hand:

“Es ist eine unglückliche Tatsache, dass ein Großteil der Menschheit in seiner geistigen Sichtweise zu eingeschränkt ist, um mit Geduld und Intelligenz jene vereinzelten Phänomene zu erforschen, die nur von einigen wenigen psychologisch Feinfühligen gesehen und gefühlt werden und die außerhalb der alltäglichen Erfahrungen liegen. Menschen mit höherer Intelligenz wissen, dass zwischen dem Realen und dem Irrealen keine scharfe Grenze verläuft und dass wir nur durch feine, individuelle, körperliche und geistige Sinne alle Dinge um uns herum so erfassen können, wie wir es tun. […] Aber allzu viel darf ich nicht darüber erzählen, da ein ausführlicher Bericht die grausamen Verleumdungen über meinen Geisteszustand bestätigen würde, die ich manchmal belausche, wenn die durchs Haus schleichenden Pfleger miteinander tuscheln.”

Jervas erzählt, wie er sich als Kind in alte Bücher vergraben hatte und sich oft in einer bewaldeten Talsenke aufhielt, die hinter seinem Familienhaus lag, in der er las, träumte und grübelte statt mit anderen Kindern zu spielen. Er erzählt von einem einsamen Grab, das er eines Tages im dunklen Unterholz in einem der Hänge entdeckte. Es ist die Gruft der Hydes, einer alten ehrwürdigen Familie, deren letztes direktes Mitglied schon viele Jahre vor der Geburt Jervas zur Ruhe gebettet worden war. Und auch der Wohnsitz des Geschlechts stand einst auf dem Abhang des Hanges. Er ist jedoch schon vor langer Zeit durch einen Blitzschlag den Flammen zum Opfer gefallen. Ein Mann der Familie war dabei ums Leben gekommen. Die Bauern der Gegend sprechen hierbei vom “Zorn Gottes”. Kurze Zeit nach der Auswanderung der gesamten Familie in ihr ursprüngliches Land, wurde der leere Sarg des umgekommenen, letzten Familienmitgliedes zurückgeschickt, um ihn in der Gruft beizusetzen.

Die Grabstätte zieht von nun an die volle Aufmerksamkeit Jervas auf sich, der sie Tag für Tag besucht und versucht in ihr Innerstes zu dringen, doch sie ist verschlossen. Alles was ihm bleibt, ist ein kleiner Spalt. Er schwört, eines Tages hineinzugelangen. Im darauffolgenden Jahr stößt Jervas im Speicher seines Elternhauses auf eine Übersetzung von Plutarchs “Parallelbiografien”, in der ihn besonders der Abschnitt anspricht, in dem von Theseus und dem großen Stein berichtet wird, unter dem der Jüngling seine Bestimmung finden sollte, sobald er alt genug ist, dessen enormes Gewicht anzuheben. Jervas glaubt daher, dass die rechte Zeit demnach noch nicht ist. Vorsichtig holt er in der Gegend Erkundungen über die Gruft in die Familie ein, ohne etwas von seinem Fund und seinem Vorhaben zu verraten. Er spürt, dass diese Grabstätte die Familie repräsentiert, weiß, ohne dass ihn seine Eltern jemals mit auf einen Friedhof genommen hätten, den kalten Lehmboden auf unbestimmte Weise mit dem atmenden Körper in Zusammenhang zu bringen. Er fühlt sich mit diesem Ort körperlich und seelisch verbunden, verbringt seine Nächte nun immer häufiger auf Kirch- und Friedhöfen und verändert sich in seinem Wesen, weiß von Dingen, mit denen er die Menschen seiner Umgebung erschreckt, ohne dass er sie gelesen oder erzählt bekommen hätte. Auch findet er heraus, dass er mütterlicherseits eine zumindest schwache Verbindung zur als ausgestorben geltenden Familie Hyde aufwies. Er sieht sich nun als den letzten Nachkommen dieser Familie.

Eines Nachts, als Jervas in seiner Laube vor dem Grab Wache liegt, vernimmt er Stimmen durch den offenen Spalt der Gruft:

“Über ihre Eigenschaften will ich mich nicht äußern, doch ich kann zumindest sagen, dass sie in der Wortwahl, der Betonung und der Aussprache beklemmend abweichend klangen. Jede Färbung des neu-englischen Dialekts schien in diesem schattenhaften Zwiegespräch vernehmbar zu sein, von den groben Silben der puritanischen Kolonisten bis hin zur klaren Rhetorik, wie sie vor fünfzig Jahren gesprochen wurde […].”

Jervas bemerkt zudem, als er erwacht, dass ein Licht in der Gruft gelöscht wurde. Von dieser Nacht an verändert er sich stark. Zuhause angekommen, findet er flugs in einer verrotteten Truhe auf dem Speicher den Schlüssel für die Gruft und öffnet sie auch Tags darauf. Zwischen den Särgen und Marmorplatten fühlt er sich zu Hause und legt sich sogar in einen leeren Sarg. Jervas hat sich nun so stark verändert, dass es alle Dorfbewohner sogleich wahrnehmen. Er führt sich auf wie ein “Mann von Welt”, verhält sich kühn und übermütig, verfügt nun über eine eigentümliche Bildung und gibt fröhlich weinselig eine georgianische Ballade des 18. Jahrhunderts zum Besten, die in keinem Buche steht:

Kommt her, meine Freunde, den Krug voll mit Bier, 
Und trinkt auf das Jetzt, solang’ wir noch hier; 
Häuft auf dem Teller den Braten zum Genuss, 
Denn Speis und Trank vertreiben jeden Verdruss: 
So füllt euch das Glas, 
Denn das Leben ist Spaß; 
Wenn ihr tot seid, bleibt auf ewig geschlossen das Fass!
 
Anakreons Nase war rot, so heißt es manchmal; 
Doch wenn man feiert ist das völlig egal. 
Gott verdamm’ mich, ich bin lieber hier und rot, 
Als weiß wie ‘ne Lilie und seit Tagen schon tot! 
Ach, Betty, mein Schatz, 
Gib mir ‘nen Schmatz; 
In der Hölle ist für Wirtstöchter wie dich doch kein Platz!
 
[…] usw.

Zu dieser Zeit entwickelt sich bei Jervas auch eine Angst vor Feuer und Gewitter. Häufig versteckt er sich am Tage im verfallenen Keller des niedergebrannten Hauses der Hydes. Besorgt über die Veränderungen ihres Sohnes beauftragen die Eltern einen Spion, der den Jungen verfolgen und beobachten soll. Was ihm auch gelingt, da Jervas ihn eines Morgens in einem Dickicht entdeckt, als er gerade die Gruft wieder verschließen will. Der Späher aber gibt dem Vater nur an, Jervas hätte die Nacht in seiner Laube vor der Familiengrab verbracht, mit offenen Augen auf den Spalt starrend, der ins Innere der Gruft führt. Der Sohn ist zunächst erleichtert, fühlt sich durch eine übernatürliche Macht beschützt und gibt sich daraufhin sogar ungeniert der Leichenfledderei hin.

Doch in einer Nacht ist es nicht der Ruf der Gruft, die Jervas nach draußen treibt, es ist der Ruf des verkohlten Kellers, der ihn, als wäre ein Dämon zugegen, zu sich lockt. Die Talsenke phosphoresziert. Vor seinen Augen steht das Herrenhaus der Hydes, so prachtvoll wie einst, als wäre es niemals abgebrannt. Scharen des Bostoner Großbürgertums fahren mit Kutschen heran, Edelleute der Gegend gesellen sich hinzu, um der Feier beizuwohnen, die im Herrenhaus gegeben wird. Jervas mischt sich unter die illustre Gesellschaft als hätte er nie etwas anderes getan als zu feiern:

“Die grässlichen Blasphemien strömten mir fröhlich über die Lippen und bei meinen schockierenden Ausbrüchen würdigte ich weder ein Gesetz Gottes oder der Natur.”

Mit einem Mal fährt ein Blitz in das Haus ein, die Gesellschaft flieht in alle Richtungen, nur Jervas bleibt erstarrt auf einem der Stühle sitzen. Der Gedanke, er könne verbrennen und seine Asche in alle Himmelsrichtungen verweht werden, ist für ihn dabei ein erschreckender:

“Stand mein Sarg denn nicht schon für mich bereit? Hatte ich denn nicht das Recht, in aller Ewigkeit unter den Nachfahren von Sir Geoffrey Hyde zu ruhen? Oh doch! Ich würde mein Totenerbe einfordern, selbst wenn meine Seele dafür durch die Jahrhunderte streifen müsste, auf der Suche nach einer neuen körperlichen Hülle, um meinen Platz dort in der leeren Nische des Grabgewölbes einzunehmen. Jervas Hyde wird niemals das traurige Los des Palinuros teilen!”

Jervas findet sich schreiend und um sich schlagend in den Armen zweier Männer wieder, einer von ihnen ist der Späher. Auch sein Vater ist zugegen, doch sein Sohn fordert, man solle ihn in gefälligst in sein Grab legen. Ein Blitz hat sichtlich in die Kellerruine eingeschlagen, die herannahenden Dorfbewohner entdecken eine altmodische Kiste, die dadurch zum Vorschein kam. Sie enthält neben Dokumenten und wertvollen Gegenständen auch eine kleine Porzellanminiatur, eines jungen Mannes mit gelockter Zopfperücke, die versehen ist mit den Initialen >J. H.<. Die Miniatur sieht Jervas zum verwechseln ähnlich.

Nunmehr in einer Irrenanstalt inhaftiert, wendet sich Jervas an einen alten Dienstboten namens Hiram, den er als Kind sehr mochte, der ihn weiterhin bezüglich der Gruft informieren soll. Jervas wird regelmäßig von seinem Vater besucht. Dieser aber erklärt ihm, er hätte das Portal zur Gruft niemals passiert. Er selbst habe es sogar untersucht und keinerlei Einbruchsspuren an dem Schloss finden können. Das ganze Dorf soll darüber Bescheid gewusst haben, man habe Jervas immer nur in der Laube schlafen gesehen, mit halb offenen Augen, auf den Spalt starrend, der ins Innere des Familiengrabes führt. Jervas kann seine Erlebnisse nicht beweisen, da er den Schlüssel in der Nacht des Blitzeinschlages verloren hat. Hiram aber berichtet ihm, dass er die Kette, die die Gruft verschließt, gesprengt hat und ins Innere gestiegen ist. Er fand dort auf einem Sockel in einer Nische einen leeren Sarg, auf dessen Tafel der Name Jervas stand. Noch immer glaubt Jervas, dass er einst in diesem Grab bestattet werden würde, da man es ihm versprochen hat.

Der Einfluss Poes

“Die Gruft” präsentiert sich, im Gegensatz zu seinen auf sie folgenden Erzählungen, in einem völlig anderen Gewand. Lovecrafts Bewunderung für das Oeuvre Edgar Allan Poes ist hier nicht nur durch die Konstruktion der Erzählung wahrnehmbar, sie ist auch atmosphärisch eingefangen. Was den verwandten Stil betrifft, so schrieb Lovecraft in einem Brief an Richard F. Searight, dem nachgesagt wurde, er habe eine seiner Geschichten im Stile Lovecrafts verfasst:

“Ich kann dies nicht in irgendeinem erwähnenswerten Maße feststellen. Eher würde ich sagen, dass Sie schlicht dieselben allgemeinen sprachlichen Ausdrucksmittel gewählt haben, die auch ich bevorzuge – die jedoch bereits, lange bvor ich geboren wurde, Hunderte andere bevorzugt verwendet haben. Viele meinen, dass ich diesen Stil ausschließlich von Poe übernommen habe – was (ungeachtet des starken Einflusses, den Poe auf mich ausgeübt hat) ein weiterer typischer Denkfehler eines kurzsichtigen Modernismus ist. Besagter Stil ist keine spezielle Eigenart Poes, sondern schlicht die traditionell vorherrschende Art, erzählende Prosa auf Englisch zu verfassen. Wenn ich durch irgendeinen speziellen Einfluss zu diesem Stil gekommen bin, dann vielleicht eher durch die Literatur des 18. Jahrhunderts als durch Poe.”

S. T. Joshi jedoch schreibt im ersten Teil seiner Biografie “Lovecraft – Leben und Werk”:

“[…] dass hier ein guter Teil Selbstinszenierung mit im Spiel ist. Es trifft durchaus zu, dass Lovecraft in seinen Erzählungen gewissermaßen den Stil der Essayisten des 18. Jahrhunderts mit demjenigen Poes verbindet, und zu dem Zeitpunkt, als er die obigen Zeilen schrieb (1935), hatte er sich in der Tat von jeder direkten Imitation des Poe’schen Stils längst gelöst. Doch es ist nicht zu leugnen, dass die Sprache, die Lovecraft in seinen frühen Erzählungen entwickelt – dicht, etwas überhitzt, durchsetzt mit archaischen und dunklen Begriffen -, ebenso wie sein Erzählstil, mit seiner beinahe vollständigen Abwesenheit realistischer Charakterzeichnung und dem starken Gewicht, das er auf Exposition und Narration legt, während Dialoge fast vollständig fehlen, offensichtlich auf Poe zurückgehen und nicht die “traditionell vorherrschende Art, erzählende Prosa auf Englisch zu verfassen”, repräsentieren – wovon man sich schnell überzeugen kann, wenn man diesem Stil die Prosa Hawthornes, Thackerays oder Joseph Conrads gegenüberstellt.”

Des Weiteren schreibt er: “An anderer Stelle schätzt Lovecraft den stilistischen Einfluss Poes auf seine Arbeit etwas aufrichtiger ein” und übergibt ihm das geschriebene Wort, das er einst an Clark Ashton Smith richtete (1930):

“Da Poe von allen Horror-Schriftstellern den größten Einfluss auf mich ausübte, beginnt für mich eine Geschichte nicht richtig, wenn sie nicht etwas von seiner Manier hat. Ich könnte mich nie abrupt in eine Sache hineinstürzen, wie es die populären Schriftsteller tun. Für mein Dafürhalten muss man zunächst eine Szenerie & einen Weg, über den man sich der Sache nähert, etablieren, bevor die eigentliche Vorstellung beginnen kann.”

Der zu erzählenden Geschichte des Ich-Erzählers ist, wie bereits erwähnt, eine einleitende Leseransprache vorangestellt, in der er dem Leser Informationen gibt, auf welche Weise er mit den nun folgenden Informationen umgehen soll. Womit sie, die “eigentliche” Geschichte, zu einem Tatsachenbericht mutiert, der vom Ich-Erzähler vorwegnehmend in einen Kontext seiner Weltanschauung gebettet wird, in dem er bereits Partei für sich ergreift, es aber doch dem Leser überlässt, was er von der nun folgenden Geschichte hält. Etwas, das auch bei Poe häufig Anwendung fand.

Joshi geht auch auf die häufige Verwendung von Ajektiven ein, die der Poes entspricht, hält den Kritikern, die Lovecraft “Adjektivitis” vorwerfen, aber dagegen, dass sie vergessen:

“[…] dass die Technik der Adjektivhäufung, insbesondere wenn es sich um eine in der ersten Person verfasste Erzählung handelt, oft zur Beschreibung des Geisteszustandes des Protagonisten dient und damit zu einem Element der Charakterzeichnung wird.”

Wir können festhalten, dass Lovecraft grundsätzlich von Poes Werk beeinflusst war, besonders seine frühen Arbeiten lassen das erkennen, wir halten aber auch fest, dass Lovecraft sich dadurch sehr schnell eigene Prinzipien zur Komposition seiner Erzählungen geschaffen hat, die ihrerseits das Schreiben vieler Autoren beeinflussten und bis heute beeinflussen. Und schaut man sich die Biographie und Interessen der beiden an, wird man besonders auf diesen Feldern feststellen, sie sind sich gar nicht so unähnlich.

Der Träumer und Visionär Jervas Dudley

Wir wissen, dass Jervas Dudley in einer Irrenanstalt sitzt, wir wissen, dass er ein Träumer und Visionär ist, der wenig übrig hat für das Treiben seiner Zeit. Wir wissen, dass er sich gerne in Bücher vergräbt und darüber hinaus über ein erstaunliches Wissen verfügt, das ihm auf andere Weise zukommt als durchs Lesen. Wir wissen, dass die Familiengruft der Hydes ihn magisch anzieht, dass er sich mit ihnen mehr und mehr verbunden fühlt. Wir wissen aber auch durch seinen Vater und den Spion, wie auch durch die Aussagen der Dorfbewohner, dass Jervas Dudley die Gruft niemals betreten hat. Was also hat es mit seinem Erleben auf sich? Woher weiß er die vielen Dinge, die er weiß. Woher seine zunehmende Wesensveränderung?

Eines ist klar, schon die Selbstbeschreibung Dudleys verrät, dass er ein Sonderling ist, anders als alle anderen. Er träumt, hängt seinen Gedanken nach, lässt sich auf das ihn Umgebende ein:

“Auf diesen moosbedeckten Hängen habe ich als kleines Kind meine ersten Schritte getan und um ihre grotesken, gichtigen Eichenbäume die ersten fantastischen Einfälle meiner Kindheit gewoben. Die Dryaden, die über diese Bäume wachten, kannte ich sehr gut und oft habe ich ihre wilden Tänze in den schwankenden Strahlen des abnehmenden Mondes beobachtet […].”

Wir können davon ausgehen, dass Jervas über eine sensiblere Wahrnehmung verfügt als andere, eine, die es ihm ermöglicht in seinem Alltag in Bereiche vorzudringen, die dem Auge und dem Geist ansonsten verborgen sind. So verborgen, wie es die Gruft der Hydes selbst ist. Der Familienname Hyde lässt uns unwillkürlich an die Novelle “Der seltsame Fall des Dr. Jekyll und Mr. Hyde” des schottischen Schriftstellers Robert Louis Stevenson denken. Kein Zufall, würde ich meinen, vollzieht Jervas doch eine Wandlung, die die Geschichte der Familie Hyde für ihn zu Tage fördert, eine Geschichte, die sonst, viele Jahre nach der Feuerkatastrophe verborgen geblieben wäre. Es scheint, als nehme Jervas die Wesenszüge eines Familienmitglieds der Hydes an. Und sein unbedingtes Beharren, in “seinen” Sarg in der Hydegruft gelegt zu werden, verrät uns, dass sich hierbei um den bei dem Brand Umgekommenen handeln muss, der Besitz von ihm nimmt. Es ist, als wollte der Geist der Hydes dafür sorgen, dass das leerstehende Grab nicht leer bleibt, dass es einen Körper bekommt. Der Umgekommene trug offenbar den selben Vornamen. Ein Seelenwanderungsmotiv wie es auch Poe oft verwendete. Zudem wissen wir, dass auch Jervas herausgefunden hat, dass er mütterlicherseits mit den Hydes verwandt ist. Etwas, das seine Empfänglichkeit für diese Familie und ihre Geschichte noch verstärkt. Da es Jervas gelingt in die Gruft zu gelangen ohne körperlich anwesend zu sein, und er sogar mit dem Besuch des Festes im Herrenhaus der Hydes, gewissermaßen in der Zeit zurückreist, können wir ihn als eine Art Psychonauten verstehen. Das Auffinden der Porzellanminiatur verstärkt das Doppelgängermotiv.

Doch vergessen wir bei all diesen geschilderten übernatürlichen Phänomenen nicht, dass nur Jervas Dudley all das erfahren hat. Es könnte sich dabei also auch um einen rein psychischen Vorgang handeln. Diese Möglichkeit besteht zumindest, auch wenn wir geneigt sind, uns auf die Seite Dudleys zu stellen. Was wiederum an Lovecrafts Zeichnung der Figur liegt, die anders ausstaffiert ist als seine vom Leser gewohnteren Protagonisten. Vor allem die psychologische Tiefe, die er ihm verleiht, trägt zur Identifikation des Lesers bei. Er gibt häufig Auskunft über seinen seelischen Zustand, der Leser leidet mit ihm. Ein wenig erinnert er in seinen Zügen auch an seinen Erfinder selbst. Und lesen wir diese von Lovecraft an Alfred Galpin verfassten Zeilen (April 1920), verstehen wir, wieso es Jervas Dudley brauchte:

“An einem Junitag im Jahre 1917 spazierte ich mit meiner Tante über den Swan Point Cemetery und bemerkte einen zerbröselnden Grabstein, auf dessen Schieferoberfläche sich schwach ein Schädel und gekreuzte Knochen abzeichneten. Die Jahreszahl 1711 war noch gut erkennbar. Das Ensemble brachte mich zum Grübeln. Hier stand ich vor einem Bindeglied zu meinem über alles geliebten Zeitalter der gepuderten Perücken – dem Leichnam eines Mannes, der eine Allongeperücke getragen und vielleicht die Originalblätter des Spectator gelesen hatte. Hier lag ein Mann, der zur selben Zeit wie Mr. Addison gelebt hatte und der ohne weiteres Mr. Dryden hätte begegnen können, wenn er im richtigen Moment im richtigen Teil von London gewesen wäre! Warum konnte ich nicht mit ihm sprechen und tiefer in das Leben meines auserwählten Zeitalters eindringen? Was fehlte seinem Körper, dass er nicht mehr in der Lage war, sich mit mir zu unterhalten? Lange betrachtete ich dieses Grab, und am Abend, nachdem ich nach Hause zurückgekehrt war, begann ich meine Erzählung “The Tomb”.”

Das Trinklied

Auch beim Trinklied spekuliert S. T. Joshi, Lovecraft hätte sich hier an Poe gehalten, der in “The Fall of the House of Usher” und “Ligeia” jeweils gekonnt ein eigenes herausragendes Gedichte implementierte. Zwei Gedichte, die wie dieses mit der jeweiligen Erzählung stark verwoben sind. 1963 wurde das Trinklied in Lovecrafts “Collected Poems” aufgenommen. Dass das Trinklied sogar schon vor der Entstehung der Erzählung ersonnen wurde, belegt ein Manuskript in der John Hay Library, es gehört zu einem Brief, dessen erste zwei Seiten fehlen und der abrupt auf der fünften endet. Vielleicht, so Joshi, hat Lovecraft nur diese Seiten aufgehoben, weil ihm das Lied gefiel und er davon ausging, es irgendwann einmal zu verwenden. Als Quelle der Inspiration gilt unter anderem ein Lied aus Thomas Mortons “New English Canaan or New Canaan” von 1637. Aber auch ein Lied, das in Sheridans Komödie “School for Scandal” von 1777 gesungen wird, wird in Betracht gezogen, denn in seinem Brief soll Lovecraft selbst angedeutet haben, er habe versucht, ein georgianisches Trinklied nachzuahmen und kein jakobitisches.

Ein gelungenes Stück Prosa, das Lovecraft, ganz im Gegensatz zu den meisten seiner frühen Erzählungen, selbst sehr mochte. Ein sehr erstaunliches gar, bedenkt man, dass er es nach neunjähriger Prosaabstinenz verfasste. Schrecklich und komisch zugleich zeigt sich das Übernatürliche in “Die Gruft”, manifestiert sich im Innen wie im Außen des Protagonisten, der bis zum Schluss verlangt, was nach ihm verlangt. Ein großer früher Anstoß Lovecrafts über Wahrnehmung und Realität nachzudenken.

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Das Labyrinth

Das Labyrinth ist ein Zeichen, das viele verschiedene Zeichen in sich birgt. In einer Fülle komplexer Darstellungen und Deutungsmöglichkeiten führt es hin und her, biegt immer wieder ab und führt schließlich zur Mitte.

Eine der Bedeutungen des Labyrinths ist, dass alles, was existiert, sich niemals schlussendlich festlegen lässt. Das frühgeschichtliche Labyrinth, das man bei Ausgrabungen eines Palastes in Pylos in Griechenland fand, hat einen kreuzungsfreien und vorgegebenen Weg, der auf verschlungenen Pfaden sicher zum Ziel und wieder hinaus führt. Man kann durchaus davon ausgehen, dass das Labyrinth mit Initiationsriten, erotischen Hochzeitsspielen und Tod-Wiederkehr-Mysterien in engem Zusammenhang steht, denn die ältesten Zeichnungen sind nahe an Kultanlagen platziert.

In der Ilias wird ein Pendeltanz im Zusammenhang mit einem Herbstritual beschrieben. Tanzvorstellungen sind auch auf alten Tonkrügen zu sehen, die hier Kranich- oder Jungferntanz bedeuten.

Das Labyrinth (und das soll hier nicht verschwiegen werden) ist ein weibliches Symbol, es steht immer in Verbindung mit der Göttin oder der Erde. Erinnern wir uns:
Ariadne hatte den Faden des Wissens in der Hand und gab ihn weiter.

Ich habe das Labyrinth als Sinnbild meines Werkes gewählt. Ich bin weder der erste, noch werde ich, da bin ich mir sicher, der letzte sein. Der Unterschied aber zu allem, was man über das Labyrinth weiß, ist in der Literatur ein anderer gegenüber den historischen Tatsachen. Schlegel führte 1798 die Arabeske in die Literatur ein und verband damit die Vorstellung märchenhafter Phantastik, ironischer Leichtigkeit und überquellender Fülle, von Poe wissen wir, dass er in seinen Geschichten vom Arabesken den Akzent auf eine groteske Verzerrung der Welt hin zum Dämonischen legte. Besehen wir uns die Ornamentik einer arabesken Darstellung, fällt es uns sehr leicht, darin ein Labyrinth zu erkennen. Denken wir uns ebenfalls eine Wüste als Labyrinth und: eine Bibliothek.

Ich kann mich täuschen, aber die besten Dichter waren labyrinthische Schreiber, die stets mehr wagten, als bornierte Beschreibungen in die Welt der Unterhaltung zu liefern. Ein Labyrinth unterhält nicht sondern bietet nicht weniger als den Zusammenhang des ganzen Universums.

Und es wird erzählt von einem Weibe, das sich hat ihre Schamlippen ritzen lassen, so dass darauf, auf ihrer zarten Haut, ein Schmetterling zu sehen war, und dieses Weib wohnt im Hause der Labrys, das umgeben von schweren Steinpfeilern die Doppelaxt in ihren Händen hält. Das Haus ist in der ganzen Welt als Labrynthios bekannt.

Bram Stoker’s Dracula

Bram Stoker’s Dracula gab vor 25 Jahren sein Debüt und erzielte im Laufe der folgenden Saison rund $ 82 Millionen und weltweit $ 215 Gewinn. Das ist nicht schlecht für einen Horrorfilm, gerade im Jahre 1992. Der Film hätte nicht heißer erwartet werden können, größtenteils dank seiner Besetzung: Anthony Hopkins, frisch von Das Schweigen der Lämmer kommend, Keanu Reeves und Winona Ryder – damals noch Youngsters -, und schließlich Charakterschauspieler Gary Oldman endlich einmal als das, was er ist: ein Dämon. Aber die aufregendste Aussicht auf einen guten Film bot der Name des Regisseurs: Francis Ford Coppola, der seit dem Abschluss seiner The Godfather-Trilogie im Jahre 1990 keinen Film mehr gedreht hatte. Obwohl er durchaus mehrere Flops hingelegt hatte, war Coppola immer noch Coppola, der Macher des Paten und von Apokalypse Now. Natürlich wurde der Film von den meisten Kritikern nicht zu den besten des Regisseurs gezählt und ist in den Augen der Öffentlichkeit nicht gerade gut gealtert. Was die meisten Leute heute mit Bram Stoker’s Dracula in Verbindung bringen, ist ein “heimliches Vergnügen”. Dabei handelt es sich um einen Film, der weitaus besser ist als das Getue vermuten lässt.

©Columbia Tristar

Bram Stoker’s Dracula hat jede Menge erstaunliches Material zu bieten. Coppola entschied sich dafür, dass der Film eine Hommage an den klassischen Horror sein sollte, indem er die Verwendung jeglicher moderner visueller Effekte vermied und stattdessen Techniken benutzte, die damals für Stummfilme wie Nosferatu angewandt wurden.

Dann gibt es da das absolut atemberaubende Produktionsdesign und das noch prächtigere Kostümdesign des japanischen Designers Eiko Ishioka. Coppolas Anweisung für “die Kostüme als Augenfänger des ganzen Sets” brachte Outfits hervor, die man nur bestaunen konnte, angefangen von Draculas rotem Samtumhang bis hin zu Lucy’s Trauerkleid, das sie wie eine Eidechse auf der Pirsch aussehen lässt.

Die Partitur des polnischen Komponisten Wojciech Kilar ist ebenfalls ein bedeutender Triumph des Films. Für den Rest der 90er Jahre wurden Outtakes der Partitur gefühlt in jedem Trailer verwendet, egal um was es thematisch im Film dann ging. Heute ist Kilars Name nicht so bekannt wie der einiger anderer Filmkomponisten, aber die Partitur für Dracula ist ohne Frage ein Meisterwerk.

Und natürlich müssen wir über Gary Oldman sprechen. Damals war Oldman noch nicht sonderlich bekannt; wenn man überhaupt wusste, wer er war, dann wegen einiger Nebenrollen. Aber von dem Moment an, wo er auf den Bildschirm tritt, antizipiert er die ihn umgebende Landschaft auf die bestmögliche Weise. Genauso taucht der Musiker Tom Waits als Draculas menschlicher Sklave Renfield auf, Anthony Hopkins als eine etwas verrückte Version des Vampirjägers Dr. Van Helsing und Sadie Frost, die als Draculas Opfer-Liebchen Lucy Westenra die Sache etwas übertreibt.

Aber der Film hat auch ein paar Probleme. Für den Anfang wollte Coppola der erste sein, der Stokers Buch korrekt adaptierte. Wer es noch nie gelesen hat, wird sich vielleicht nicht vorstellen können, was für eine entmutigende Aufgabe das ist. Stokers Roman von 1897 ist als eine Ansammlung von Korrespondenzen, Tagebucheinträgen und Zeitungsartikeln geschrieben, was die Struktur sehr wackelig macht. Aus diesem Grund haben die berühmtesten Adaptionen von Dracula, wie die von Bela Lugosi und Christopher Lee, sich die Angelegenheit etwas einfacher gemacht. Aufgrund der vorgegebenen Notwendigkeit, sich an das Format des Buches zu halten, fühlt sich der Film weniger wie eine Geschichte an, sondern eher wie mehrere Szenenskizzen, die aneinander gereiht sind, mit merkwürdigen Voice-Over-Stimmen hier und da.

Und trotz all dieser Mängel und der extremen Affektiertheit dieses Films zieht seine Kombination aus unglaublicher visueller und klanglicher Präzision die Cineasten weiterhin in ihren Bann, und man übersteht sogar die schlechten Passagen (im Grunde alle Keanu-Szenen), die mindestens gehaltvoll amüsant wirken. Man sollte sich gar nicht wünschen, dass sie ein anderer gespielt hätte. Wer den Film nicht kennt, sollte sich heute Abend oder gleich morgen von seiner visuellen Größe überzeugen.

Timeline

Baumhöhlenbewohner

“Wenn nun ein höherer Mensch über das geheime Wirken und Walten der Natur eine Ahnung und Einsicht gewinnt, so reicht seine ihm überlieferte Sprache nicht hin, um ein solches von menschlichen Dingen durchaus Fernliegendes auszudrücken. Es müßte ihm die Sprache der Geister zu Gebote stehen …” (Goethe)

Als ich ansetzen wollte zu einem Hohelied der Geistersprache, gerate ich an Heinz Schlaffers ebenso benanntes Buch, 2012 bei Hanser, gerate dann wieder in die Situation, erst einmal widersprechen zu wollen, mäßige mich aber, weil dem Lyriker bewußt sein muß, daß er sich einer archaischen und vollkommen autonomen Form anheimgibt, indem er auf Kommunikation mit seiner Umwelt pfeift und pfeifen muß, indem er davon profitiert, was ein jahrhundertelanger Kampf war, Herr (und Dame) über sein Kunstwerk zu sein, zum ersten Mal wirklich frei (nun jetzt schon etwas länger), aber auch nicht zu lang, wo messen wir schließlich, wir messen 1 am Kosmos, wir messen 2 dann erst am pille-palle-existierenden Menschen(ge)schlecht. & wenn die Götter das hören, werden sie dachsteufelslustig, denn sie haben’s ja schon immer gesagt, wo sind denn ihre Schamanen hin, ihr Joghurtesser und Baumhöhlenbewohner, wo sind die denn hin in ihren Betongsiedlungen. & wem hören sie da zu. & wollen zu allem Abfluß auch noch gelesen werden. Das Sangesfeuer ist die Inspiration, Begeisterung hört sich da nicht schön an, Besessenheit ist besser, herausgefallen aus dem Geniekult, der aber im Kleinen weiterschlüpft, herausschlüpft aus dem Kescher, dämonisches Werden, ganz anders sein, weil da zu trennen ist zwischen dem wie ich sein könnte und dem wie ich werde. Befreiung von Zweck, aufatmen : sooooog; ausatmen : faaaach!

Carmilla

Carmilla, der Vampir

Dieser Artikel ist Teil 1 von 5 der Reihe Gruselkabinett

Viel prämiert ist sie mittlerweile, die Gruselkabinett-Hörspielserie aus der Hörschmiede der Titania Medien, die zu ihrem Einstand 2004 die 1872 erschienene Novelle Carmilla des irischen Autors Joseph Sheridan Le Fanu adaptierte und bis dato unzählige veröffentlichte Hörspiele vorgelegt hat. Von der Schauerromantik bis zur Science-Fiction. Meisterwerke der Phantastik. Brilliant vertont?

– Das will ich herausfinden. Und steige seit langem wieder, seit meiner Kindheit, in die Tiefen meiner Gehörgänge hinab, die mich einst in die üppigen Märchenlande und -wälder der Gebrüder Grimm oder eines Hans Christian Andersen führten.

Sicher zählt Carmilla nicht zu Le Fanus herausragendsten Werken, denkt man z.B. an Schalken the Painter von 1851. Doch aber diente Carmilla 25 Jahre später als Inspirationsquelle für Bram Stokers epochemachenden Dracula. Und ist nun auch Auftakt einer Serie, die ihres Gleichen sucht. Wir hören offenbar doch gerne zu. Waren die ersten, die ein Hörspiel in den Äther geschickt haben, und sind heute das Land, in dem die meisten Hörspiele produziert werden. Wir kehren ein, die Lider zu schließen, gewillt, die Phantasie über unsere Ohren kommen zu lassen, mit Stimmen wie diesen: Daniela Hoffmann (Julia Roberts), Manja Doering (Reese Witherspoon), Christian Rode (Christopher Lee), Arianne Borbach (Uma Thurman), David Nathan (Johnny Depp), Joachim Tennstedt (John Malkovich), Ursula Heyer (Joan Collins), Dagmar Altrichter (Ingrid Bergmann) … um nur einige der Sprechakteure zu nennen, die für diese Hörspielserie gecastet wurden.

Interessant ist: Le Fanu träumte seinen weiblichen Vampir, dieses Wesen, das er Carmilla nannte. Carmilla alias Millarca alias die Gräfin Mircalla Karnstein, die eine, wie sich später durch ein Familienportrait herausstellt, Vorfahrin von Laura ist. Die, deren Name du nicht wissen darfst. Die ihren Namen anagrammiert statt ihn zu nennen. Die es scheut beim Namen genannt zu werden, wie Dämonen es tun, um nicht gebannt zu werden. Und Laura. Zwei wie Licht und Schatten. Die eine ätherisch in ihrer Erscheinung, die andere irdisch blühend. Zwei, die sich dennoch gleichen. Jung. Unglaublich schön. Sehnend nach Leben.

Laura, die erzählt, von ihrer Begegnung mit Carmilla. Laura, die als “Siegerin” aus der Geschichte hervorgehen wird, ganz ihrem Namen nach. Wenn auch am Ende traumatisiert. Laura, die Besonnene. Die mit ihrem Vater, einem General, und zwei Gouvernanten auf einem Schloss in der Steiermark lebt. Recht einsam. Sich sehnend nach Austausch mit anderen Menschen, da General Spielsdorf, ein Freund ihres Vaters, erst kürzlich in einem Brief absagte der kleinen Familie gemeinsam mit seiner Nichte Bertha einen Besuch abzustatten. Bertha: ein nicht minder schönes Mädchen, das von einem weiblichen Wesen, das sich ihr als Millarca vorstellte, heimgesucht wurde und zum Opfer fiel, wie schon viele andere Mädchen vor ihr. Laura, die ihre Mutter verloren hat als sie noch sehr klein war. Die keine Furcht kennt, da man ihr, auf Geheiß ihres Vaters, keine Geister- und Gruselgeschichten als Kind erzählen durfte. Laura, die uns zu Beginn verrät: 

“Hätte ich mich doch nur gefürchtet! Meine Begegnung mit Carmilla wäre sicherlich anders verlaufen.”

Laura, die erfreut ist über den unverhofft über sie hereinbrechenden Gast. Über dieses junge Mädchen, das mit seiner Mutter, eine Gräfin, die unablässig versucht ihre Tochter an ein Mädchen zu bringen, um sie unter der Haube des Lebens zu wissen, in ihrer Kutsche vor ihrem Schloss verunfallt ist. Einer Kutsche wie der Hölle entfahren. Ein Bund mit dir. Ich und du. Du und ich. Carmilla stellt nicht infrage. Sie sehnt. Sehnt sich nach Laura. Nach Leben. Dem ewigen. Schon bei ihrer ersten Begegnung im Schlafzimmer der jungen Laura, viele Jahre zuvor, als Laura noch ein kleines Mädchen war, das da noch nicht ahnen konnte, wem oder was sie da begegnet ist und auch wieder begegnen wird, sagt Carmilla zu ihr:

“Ich bleibe stets an deiner Seite. Such’ nach mir im Schatten oder in den Spiegeln. Ich werde dort sein.”

Hoppla!

In den Spiegeln?

Geben mir Spiegel nicht eigentlich ein eindeutiges Indiz dafür, einen Vampir als solchen zu erkennen und zu entlarven, sehe ich ihn in ihm nicht? Und scheuen Vampire nicht gar auch gänzlich das Tageslicht, so wie sie Kruzifixe und auch Knoblauch scheuen? Und so spaziert Carmilla, zwar beschirmt und im Schatten, mit Laura im Sonnenuntergang. Auch ist weit und breit kein einziges Flapp Flapp zu vernehmen. Anders als wir es vom heutigen Vampirmythos kennen. Vampire und Fledermäuse. Als gäbe es da keinen Zweifel. Als wäre es schon immer so gewesen. Carmilla jedoch erscheint Laura, die sich nicht sicher ist, ob sie in diesen Moment träumt, einmal des Nachts als riesige dunkle Katze, die ihre Zähne ein zweites Mal in ihre Brust, ihr Herz zu schlagen versucht. Denn einmal ist es ihr bereits gelungen. Damals. Als sie Laura das erste Mal aufsuchte. Dieses seltsame Erlebnis, das sie, Laura, nicht vergessen konnte, das sie als Kind hatte, als sie eines Nachts erwachte und eine junge Frau neben ihrem Bett knien sah, die sich ihr sogleich näherte, sich zu ihr legte und sie, mich erinnernd an eine Mutter, die sich ihrem Kind zuwendet, liebkoste. Woraufhin Laura wieder einschlief, um erneut zu erwachen, als sie nämlich von ihr gebissen wurde. Da jedoch sah sie sie noch nicht als Katze, sie spürte nur zwei Stiche in ihrem Herz, als ob zwei Nadeln es durchstechen würden. Und tatsächlich: Ihre Brust wies Bissspuren auf. Zwei kleine Löcher, die von ihrem Vater und den beiden Frauen mit Entsetzen entdeckt wurden. Bei ihrem zweiten Treffen, also Jahre später, wird Carmilla angeben, dass sie dies damals auch als Traum erlebt habe.

Vampirinnen und Katzen, meine Damen und Herren! Meine erste Assoziation, die ich Ihnen anbieten kann ist Jacques Tourneurs Film Cat People (zu dt.: Katzenmenschen) von 1942, in dem die Geschichte einer aus Serbien stammenden und nun in New York lebenden jungen Frau erzählt wird, die ihrem frisch vermählten Mann versucht näher zu bringen, dass sie sich, wie es eine “Legende” aus ihrer Heimat erzählt, in einen Panther verwandelt sobald sie sich einem Mann ungehemmt hingibt. Etwas, das er sich von ihr wünscht, zugleich aber, was die Verwandlung betrifft, für einen Aberglauben hält. Und so besucht sie immer wieder im Zoo einen in einem Käfig eingesperrten Panther, zu dem es sie magisch hinzieht, den sie am Ende des Films, ihre Ehe ist längst in die Brüche gegangen, befreit, der aber sogleich von einem Auto erfasst wird.

Die Mythologie der Katze ist ein weiter Rasen. Kulturabhängig. In der nordischen Mythologie z.B. sind Katzen Begleiterinnen der Freyja, der Göttin der Liebe. Oder denken Sie an Bastet, die Tochter des Sonnengottes Re, eine Katzengöttin aus dem alten Ägypten. Und diese, Le Fanus Katze, kann zudem ja noch durch Wände gehen oder, zurückverwandelt in eine Frau, das Zimmer durch ein ungeöffnetes Fenster verlassen. Von Vampiren oder Fledermäusen weiß ich solches nicht zu sagen. Das mag vielleicht daran liegen, dass Fledermäuse von Natur aus nachtaktiv sind, während Carmilla, auch wenn sie tagsüber ebenso schläft, doch eher die Wirkung eines nachtwandlerischen Wesens verströmt. Eines jedoch ist aber auffallend: Es finden sich viele unterschiedliche Kulturen, in denen es wie auch immer geartete Dämonen gibt, die die Gestalt einer Katze annehmen können, um einem anderen Lebewesen das Blut zu saugen. So z.B. die Chordeva (zu dt.: Diebdämonin), eine Vampirhexe des indischen Oraonstammes, die sich als schwarze Katze verwandelt in die Häuser von Kranken schleicht, um ihnen die Nahrung wegzufressen und deren Lippen zu lecken, woraufhin ihre Opfer sterben. Und nicht zu vergessen, dient die Katze in unserem Kulturkreis dem Aberglauben auf viele verschiedene Weisen: z.B. als Schutz vor sog. bösen Hexen, gräbt man ihren Kadaver unter den Dielen gen Osten ein. Oder sie gilt als Unglücksbote, läuft sie einem von links nach rechts über den Weg. Und mehr dergleichen …

Le Fanu hat mit Carmilla zu jener Zeit einen eigenen, heute fast vergessenen Vampirmythos in die Welt gehoben, der noch anderen Gesetzen gehorcht, als jene, die wir nunmehr kennen, die stark von Stokers Mythos beeinflusst sind, der ja selbst von dieser Quelle inspiriert, die Handlung im ersten Entwurf in der Steiermark spielen ließ. Auch hat Van Helsing nicht wenig Ähnlichkeit mit Dr. Hesselius, den General Spielsdorf konsultiert, um zu erfahren, was mit Bertha geschieht. Ebenso Lucy Westenra, Mina Murrays beste Freundin, die in ihrem Wesen an Carmilla erinnert. Und deswegen ist Le Fanus Novelle ein besonderes Fundstück, das unserem Gedächtnis einen Prototyp des weiblichen Vampirs zurückgibt. Man kann darin die Liebe einer Frau zu einer anderen Frau bzw. die eines Mädchens zu einem anderen Mädchen lesen. Aber allein das wäre mir zu wenig. Das Besondere an diesem Hörspiel ist, dass die Beziehung von Laura und Carmilla nicht eindeutig und explizit konnotiert wird. Die Erotik findet auf vielen unterschiedlichen Ebenen statt, läuft stets subkutan. Es sind diese starken ausgewählten Stimmen, die mich wahrnehmen lassen, was dieser Vampirprototyp Carmilla allen verheißt, wie es Le Fanu selbst in seinem Traum ergangen sein muss, als sie ihm erschien. Carmilla, die sich Laura zu Beginn als mütterliches Wesen nähert, das liebt und beschützt und ihr doch gleich ihren “Dämon” zu spüren gibt, sie “infiziert” mit ihrem Wesen, dem Anderen, dem Andersartigen, dem, was man im Spiegel sieht, schaut man hinein, was man in der Nacht, der Dunkelheit, den Schatten findet. Denn erst später, bei ihrer zweiten Begegnung, nähern sich die beiden einander an und erscheinen darin wie Mädchen an der Schwelle zum Frausein. Und um es zu werden, so scheint es, brauchen sie dafür die jeweils Andere: einen Spiegel.

Alles in allem: ein gelungenes Hörspiel mit starken Stimmen und einer durchaus überzeugenden Atmosphäre.