Michael Perkampus ist ein Solitär der deutschen Literatur. Am Surrealismus und der Dekadenzliteratur geschult, wird die Sprache hier zu einem Instrument der Wahrnehmung. Seine Ausflüge in die Weird Fiction sind ebenso Programm wie das Zerschmettern jeglicher Realität.
Täglich Texte und Betrachtungen.
Walden
byPerkampus
Die Idylle in Puddingfarben. Hier leben die, die sich die Hände mit Schnaps waschen, den Kuhstall abschwemmen, das Spiel beobachten, Lust gewinnen, begehren, was sie sehen, sprechen : »Komm rein und bring die Wäsche mit!«; als ob ein Hammer auf die Bergkämme schlägt, ein Meister der Skulpturen, dieser trampelnde Gott; doch wer hat so ein Antlitz je mit eigenen Augen gesehen, vom Feuerrot umzingelt wie die wunderliche Walküre, die dem Einen harrt?
Ein Ort, in Länge und Breite begrenzt, nach oben unendlich. Die Abende schossen aufs Dach, also setzten sich die Schindeln auf die Fensterbank, um Goldvögel zu beobachten, von oben nach unten.
Auf diesen Straßen führen die Löcher an einen Platz, der verborgen im Herzen des Wahrnehmenden liegt, ums Bezaubernde, Zaubern, um Allmagie um uns herum.
Movemento: bewegt im Raum, Zeitketten anorganisch, Urgesichter, Uhrengesichter, Wildwechselmimik, die schönsten Regenschauer auf einen Blick. Ich bin jetzt niemand mehr und das ist die Knute der Vergeltung.
Aufgepelltes Rosenrot, die tonnenschwere Last des unbeachteten Geschirrs, die molesten Stufen; kein Stock wird mich führen, kein Geländer mich hangeln.
Auf und Ab ekstatischer seelischer Zustände, Gleichnisse, Traumgesichte in einem absoluten Tanz.
Aussehen: wie der Solomensch von Java.
The Solo Man Of Java
A place, limited in length and width, infinite upwards. The evenings shot up to the roof, so the shingles sat on the windowsill to watch golden birds, from top to bottom.
On these streets, the holes lead to a place hidden in the heart of the perceiver, around enchantment, sorcery, all-magic around us.
Movemento: moving in space, inorganic time chains, primordial faces, clock faces, changing facial expressions, the most beautiful rain showers at a glance. I am nobody now and this is the rod of retribution.
Peeled rose-red, the heavy weight of the unheeded crockery, the molest steps; no stick will guide me, no railing will shimmy me.
Up and down of ecstatic mental states, parables, dream visions in an absolute dance.
Appearance: like the solo man of Java.
Veröffentlicht unterHundertprosa|Kommentare deaktiviert für Der Solomensch von Java
Immer dann, wenn die Luft einen Hauch von Johannisbeermarmelade über dem Dorf verströmte, ahnten wir, dass sich die Schatten bald wieder zeigen würden. Sie tauchten hinter den Stämmen starker Bäume auf, an den Fenstern leerstehender Häuser, an denen der Farn und der Efeu emporrankten. Sogar unter den Arkaden mancher Hauseingänge standen sie, unentdeckt, weil ja die Sonne ohnehin allerlei dunkle Gespinste produzierte, die jedermann kannte und für alltäglich erachtete. Diese Schatten aber, von denen hier die Rede ist, waren in strengem Sinne gar keine. Sie besaßen kein Objekt, zu dem sie einen unmissverständlichen Teil beitragen hätten können, wenn sie das Licht streifte. Wir nannten sie bald ›Die Boten‹, obwohl sie keine Nachricht überbrachten und auch nicht anzeigten, was sie eigentlich wollten. Das mussten wir selbst herausfinden. Allein deshalb nannten wir sie so. Sie boten uns die Möglichkeit, die merkwürdigsten Ereignisse aufzuspüren. dass wir damit etymologisch sogar auf der richtigen Fährte waren, wussten wir natürlich nicht; dass nur wir sie sehen konnten? Durchaus.
Eines Tages werden wir Knochen in der Grube sein, Asche in einer Vase. Die Pflanzen, die auf deinem Balkon die Schönheit des Augenblicks bezeugen, warm von der Sonne betastet, die es dir mit stehender Blüte danken, sind dann längst graues Gehölz. Wer erinnert sich daran, wie es war, als wir dort saßen, lachten? Wer erinnert sich an die Laute, den Geruch, an die in der Luft hängenden Fetzen anderer Leben? Die Momente sind nur Momente, weil sie einen Pakt mit der Vergänglichkeit geschlossen haben. Die Erinnerung ist nur der furchtbare Augenblick der Wiederkehr der Geschehnisse als Abklatsch. Kein Blut pumpt in ihren Adern, und selbst intensivste Ereignisse locken nur verworren aus einem Jenseits.
Hüfthoch im Korngarten; je länger du stehst, wird auch die Erde weich. Wie lange es braucht, zeigt das verhangene Gesicht. Viele letzte Male. Das Haus hinter dir verkleinert sich und darf nur noch die Größe eines Daumennagels haben, schwer zu erkennen durch Ähren und dieses Etwas, das wir Raum nennen. Zwischen dir und diesem Haus liegt nun die Ewigkeit. Du kannst nie wieder zum Haus zurück, kannst Ewigkeit nicht überbrücken. Versuchst du es, gelangst du zu Ruinen. Aber hier, hüfthoch im Korngarten, kannst du die Fassade betrachten, solange du willst. Dafür sorgen die Schatten, die Boten.
The Messengers
Whenever the air exuded a hint of blackcurrant jam over the village, we suspected that the shadows would soon appear again. They appeared behind the trunks of strong trees, on the windows of empty houses, where the ferns and ivy were climbing up. They even stood under the arcades of some house entrances, undetected, because the sun produced all kinds of dark webs that everyone knew and considered commonplace.
But these shadows we are talking about here were, in a strict sense, not shadows at all. They had no object to which they could have made an unmistakable contribution when the light touched them. We soon called them ‚the messengers‘, even though they did not deliver a message or indicate what they actually wanted. We had to find that out for ourselves. That was the only reason we called them that. They gave us the opportunity to track down the strangest events. Of course, we didn’t realise that we were on the right track etymologically; that only we could see them? Absolutely.
One day we will be bones in a pit, ashes in a vase. The plants on your balcony that bear witness to the beauty of the moment, warmly touched by the sun, that thank you with standing blossom, will long since be grey wood. Who remembers what it was like when we sat there and laughed? Who remembers the sounds, the smell, the scraps of other lives hanging in the air? The moments are only moments because they have made a pact with transience. The memory is only the terrible moment of the return of the events as a copy. No blood pumps in their veins, and even the most intense events only lure them confusedly from an afterlife.
Waist-high in the corn garden; the longer you stand, the softer the earth becomes. The cloudy face shows how long it takes. Many last times. The house behind you is shrinking and may only be the size of a thumbnail, difficult to recognise through ears of corn and this something we call space. Eternity now lies between you and this house. You can never go back to the house, you cannot bridge eternity. If you try, you will end up in ruins. But here, waist-high in the corn garden, you can look at the facade for as long as you want. The shadows, the messengers, make sure of that.
Michael Perkampus ist ein Solitär der deutschen Literatur. Am Surrealismus und der Dekadenzliteratur geschult, wird die Sprache hier zu einem Instrument der Wahrnehmung. Seine Ausflüge in die Weird Fiction sind ebenso Programm wie das Zerschmettern jeglicher Realität.
Täglich Texte und Betrachtungen.
Ich hatte lange nicht gewusst, wie sehr sich die Stufen nach unten auflösten, während ich ihnen folgte. Einmal zählte ich sie sogar, aber ihre Zahl ist mir nicht in Erinnerung geblieben. Irgendwo in meinem Echoraum ist sie gespeichert, aber sie hat wohl keine numerologische Bedeutung. Könnte es nicht möglich sein, dass sich die Gebäude, in denen man gelebt hat, auflösen, bevor sie sich für einen neuen Bewohner zusammensetzen? Dass man sie auch von außen nicht mehr erkennt, obwohl man all ihre Poren studierte, um niemals zu vergessen, was sich anschickte, von drinnen nach draußen zu gelangen, transformiert durch die Dunkelheit innerhalb des Mauerwerks? Sicher bleiben Sätze hängen, die man mit einer speziellen Röhre abhören kann; die aber immer schwächer werden und irgendwann nur noch in ein allgemeines Summen übergehen, in ein Hintergrundrauschen des eigenen Urknalls. Ich höre mich sagen: “Bin unten!”, und beginne mit dem Zählen der grauen Stufen.
Dorfstraßen sind mächtige Wege; das heißt, sie waren es früher einmal. Heute gibt es nur noch Straßen, Wege aber sind kaum mehr zu finden. Der Unterschied besteht darin, dass Straßen irgendwo hin führen müssen, deshalb bewegt man sich auf ihnen, man will die Strecke schnell bewältigen. Ein Weg hingegen ist zum Flanieren gedacht, nicht allein, um anzukommen. Wo auch sollte man ankommen wollen?
Früher war alles besser; aber nur, wenn man heute lebt. Fortschritt ist doch nur das Fortschreiten – das sich-entfernen – vom Guten. Vergessen wir dabei nicht, dass ein Gutes kein Paradies ist, kein endgültiger Zustand des Bestmöglichen; das Bestmögliche nämlich meint keine Existenz. Im Leben kann die Grausamkeit nicht ausgeblendet werden, sie kann nur durch etwas Gutes gemildert erscheinen. In anderen Fällen erreichen wir das Gute überhaupt erst jetzt. Dabei gibt es allerdings kein Wir. Wer spricht, ist entscheidend. Früher war alles besser, weil die Illusion noch funktionierte und weil es etwas Natürliches gab – und das Analoge.
Basiert Sweeney Todd auf einer wahren Geschichte oder ist er nur eine Figur, die sich ein Schriftsteller ausgedacht hat?
Ich bin sicher, ihr habt alle schon einmal von ihm gehört. Sweeney Todd, der teuflische Barbier der Fleet Street. Sein Friseurstuhl war auf geniale Weise präpariert, denn nachdem Todd einem Kunden die Kehle durchgeschnitten hatte, bediente er einen Bolzen, der die Leiche rückwärts durch eine Falltür schickte, die in den Keller führte. Dort wurden die Opfer zu Fleischpastete verarbeitet, die in der angrenzenden Konditorei verkauft werden sollte. Geleitet wurde das Geschäft von einer Mrs Lovett, deren Vorname – je nachdem, wer die Geschichte erzählt – variiert.
Michael Perkampus ist ein Solitär der deutschen Literatur. Am Surrealismus und der Dekadenzliteratur geschult, wird die Sprache hier zu einem Instrument der Wahrnehmung. Seine Ausflüge in die Weird Fiction sind ebenso Programm wie das Zerschmettern jeglicher Realität.
Täglich Texte und Betrachtungen.
Yuggoth 6 – Die Lampe
byPerkampus
Anmerkung des Übersetzers: Fungi from Yuggoth besteht aus 36 Sonetten, die Lovecraft zwischen dem 27. Dezember 1929 und dem 4. Januar 1930 verfasste. Ausgewählte Sonette wurden im Weird Tales Magazine veröffentlicht. Erstmals komplett erschien der Zyklus in Lovecrafts Sammlung “Beyond the Wall of Sleep”, die von August Darleth 1943 herausgegeben wurde, sowie 2001 in “The Ancient Track: The Complete Poetical Works of H. P. Lovecraft”. Die erste Publikation, die den Zyklus in der richtigen Reihenfolge brachte, war “Fungi From Yuggoth & Other Poems”. Herausgegeben von Random House 1971. Lovecraft wählte für seinen Zyklus eine Mischform aus Sonetten-Stilen. Bei genauerem Hinsehen ist es schwierig, wirklich von Sonetten zu sprechen. Als Übersetzer habe ich mich dafür entschieden, auf die Endreime zu verzichten, um die von Lovecraft intendierte Erzählform beibehalten zu können. Wie immer bei Gedichten kann es sich nur um eine Nachdichtung handeln.
Anmerkung des Übersetzers: Fungi from Yuggoth besteht aus 36 Sonetten, die Lovecraft zwischen dem 27. Dezember 1929 und dem 4. Januar 1930 verfasste. Ausgewählte Sonette wurden im Weird Tales Magazine veröffentlicht. Erstmals komplett erschien der Zyklus in Lovecrafts Sammlung “Beyond the Wall of Sleep”, die von August Darleth 1943 herausgegeben wurde, sowie 2001 in “The Ancient Track: The Complete Poetical Works of H. P. Lovecraft”. Die erste Publikation, die den Zyklus in der richtigen Reihenfolge brachte, war “Fungi From Yuggoth & Other Poems”. Herausgegeben von Random House 1971. Lovecraft wählte für seinen Zyklus eine Mischform aus Sonetten-Stilen. Bei genauerem Hinsehen ist es schwierig, wirklich von Sonetten zu sprechen. Als Übersetzer habe ich mich dafür entschieden, auf die Endreime zu verzichten, um die von Lovecraft intendierte Erzählform beibehalten zu können. Wie immer bei Gedichten kann es sich nur um eine Nachdichtung handeln.