Sprache und Nichtsein

Es ist mir die Sprache das einzige Transportmittel, um in Regionen vorzustoßen, um die man kaum mehr zu kreisen wagt. Dazu aber muss eine bloße Erzählhaltung aufgegeben werden, die so sehr unsere Sinne beeinflusst und in den meisten Fällen auch einengt, wie alles, was man Gegenwart nennt. Nun ist Gegenwart nichts Endgültiges, man kann sie jederzeit verlassen, um sich außerhalb der Zeit zu positionieren, womit aber gleichzeitig auch die Schwierigkeit beginnt. Die Existenz ist ein Schreckenskabinett, und das war sie von Anfang an, und tatsächlich wäre es besser, nicht zu existieren, wie Silenos, der Erzieher des Dionysos es seinem Schützling gegenüber erwähnte. Drängt alles zum Leben hin, um gewesen zu sein? Oder wird das, was nicht ist, aus einem unbekannten Grunde dazu ermuntert, eines Tages zu sein, so dass alles irgendwann gewesen ist? Oder kann das Nichtsein nur daran gemessen werden, dass eines Tages einmal alles war? Diese Fragen sind der Sprache immanent.

Nyctanthes

Die Freiheit, die man gerne leugnet, besteht darin, sich in jeder Sekunde entscheiden zu können, was man als nächstes tut, ja, dass man bei einer Entscheidung oftmals ganz ohne Gedanken auskommt. Es mag uns scheinen, als dränge etwas wie ein Vulkan zur Eruption. Nur die Intensität markiert den Unterschied. Doch von Freiheit zu sprechen, wenn man voller Staunen zum ersten Male in das unbekannte Antlitz blickt, das so vertraut, weil vielleicht vor langer Zeit in allen Einzelheiten erträumt, weil vielleicht in einer anderen Zeit, in einem anderen Leben so verabredet – man mag sich einst nur verlassen haben, in dem man, wie im Irdischen auch, sich Bilder voneinander schenkte – ist nicht mehr möglich. Man kann sich auf seinen Pfaden, die durch unterschiedliche Landschaften führen, an etwas erinnern, ohne genau zu bestimmen, was es ist, das immer wieder die Gewissheit anstachelt. Man kann sich vormachen, man bilde sich aus und gehe dahin, wo es einen beliebt, man mag in einsamen Stunden der Illusion genügend Macht einräumen, wenn man für sich selbst versunken sitzt in lauen Lüften unterm Sternenzelt oder mit seinen Träumen einsam spaziert. Man mag so oft den Mut fahren lassen, wenn man plötzlich bemerkt, wie unwegsam das Gelände geworden ist; und man fragt sich nicht selten, ob man denn richtig abgebogen sei. Doch niemals wird sich verleugnen lassen, was gerade in unserer Zeit der Raison zum Opfer ward, dass sich zwei Herzen finden können, weil sie füreinander bestimmt, sich noch im unbekannten winden, nicht eigentlich unglücklich, doch an einer ganz bestimmten Stelle leer oder noch nicht angefüllt. Man liebt so dann und wann drauflos und hält es für die Höhenluft. Da kommt es kaum in den Sinn, dass auch die Liebe ihre Lehrjahre kennt, dass nicht jedes mit Freuden angenommene Gefühl gleich das Jauchzen der Ewigkeit verspricht. Wir pilgern stumm, auch wenn wir laut und tönend uns durchs Leben peitschen, rennen oder ziehen, wir entwickeln uns zu einem Menschen, dessen Vorgänger wir schon bald nicht mehr kennen. Dann sagen wir: Ich habe mich verändert und ich bin nun bereit für dies und das. Bis dann das Unbekannte eingreift, mit dem wir uns selbst vor langer Zeit in dieser Weise verabredet haben.

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Von Hirsch- und Bäckerhefe

Die Vererbung ist ein Speicher für alle Erfolge, die das Leben jemals errungen hat. Die Niederlagen werden vergessen. Kein Fehler bleibt im genetischen Code bewahrt. Durch diese Perseveranz lernt die Natur aus ihren Fehlern nicht und wiederholt sie andauernd.

Ein albinotischer Hirsch ist durch seine Auffälligkeit unterprivilegiert. Im Mythos – weg von der Natur, hin zur Kultur also – nimmt dieser jedoch einen besonderen Stellenwert ein.
Die „Fehler“ der Natur sind dem Menschen nicht selten heilig. Wie dem albinotischen Hirschen wird auch dem herausragenden Menschen ein ambivalentes Gefühl
von Verehrung und Abscheu zuteil.

Den Hirsch wählte ich hier aus, weil er nach der walisischen Tradition zu den fünf ältesten Tieren der Welt gehört. Seit Jahrtausenden haben Menschen versucht, an der Kraft und Würde des Hirschs und an seiner Verbindung der Anderswelt teilzuhaben, indem sie sich in Zeremonien und Tänzen als Hirsche verkleideten. Möglicherweise schreibe ich demnächst gar eine Erzählung über ein derart gestaltetes Symposium. Alle Lebewesen haben nur 20 verschiedene Aminosäuren. Allein das Cytochrom C durch Zufall zu reproduzieren entspricht dem Faktor 1 zu 10 hoch 130. Damit steht fest, dass der Enzym-Schlüssel Cytochrom C weder auf der Erde noch sonstwo ein zweites mal durch Zufall entstanden sein kann. Schauen wir mal etwas weiter: Seit dem Urknall sind erst 10 17 Sekunden vergangen.

Wenn also mit den 104 Perlen des CC seit Anbeginn der Zeit in jeder Sekunde einmal gewürfelt worden wäre, gäbe es heute erst 10 hoch 17 verschiedene Varianten. Im Universum sind nur 10 hoch 80 Atome vorhanden. Also selbst wenn alle Atome eine andere Variante des CC repräsentierte, wäre dieses nicht darunter. Das CC ist in allen Lebewesen vorhanden – Ameisen, Schimmelpilz, Bäckerhefe, Mensch…

Lit-Life

Mein Tag hat 24 Stunden. Ich muss davon abziehen die Zeit, die ich zum schlafen, zum kacken und für die Ernährung benötige. Warum ich dennoch nicht mehr Output habe: Ich pflanze die Worte, ich schreibe sie nicht. Natürlich wird das in erster Linie in der Lyrik offenbar; wie das im Roman ausschaut, wird man im März überprüfen können.

Ich habe nichts anderes vor, als mich völlig und außerordentlich in die Literatur hineinzubegeben, zu lesen oder zu schreiben. Tatsächlich verlasse ich das Haus nur wenn der Hund pissen muß und wenn, dann nehme ich einen Notizblock mit. Keine Sekunde darf mir entweichen.

Das ist auch der Grund, warum ich keine Zeit für Geselligkeiten habe. Ich will alleine sein, damit meine Gedanken nicht gestört werden.

Die Entase der Engel

Im Traum sah Sebastian alle toten Menschen, aufgestapelt, über den Horizont der Erdscheibe schwappend wie ausgebeinte Rinderhälften in den abyssalen Rinnstein rutschen. Ihre Ausdünstungen verwesten die Luft, die sich in seine Lungen verirrte und seinen Körper lähmte. Sein Atem gerann und zerfiel in tausend Stücke, die sich von ihm fortbewegten. Die Bäume schwiegen. Er hörte keine Vögel und spürte keinen Wind. Dann aber betraten fünf Tänzer die Lichtung, auf der er stand, Engel in ihrer verkommenen Reinheit, die sich betrunken und wie von Sinnen bewegten. Ein schwarzgekleideter, dürrer Mann mit Borkengesicht näherte sich langsam von links. In seinen Augen waren ›Rote Kobolde‹ gefangen und taxierten die Umgebung. Er beugte sich nach vorne und spuckte aus, traf einen langgestreckten Käfer, der sich zum Trocknen auf den Rücken wälzte. Lange betrachtete Sebastian die ominösen Seraphim und dann die Gestalt, die ihren Zeigefinger in die Luft streckte. Sofort begann dieser, sich in einen Ast zu verwandeln, dessen knorriges Ende Zweige auffächern ließ, die sich mit einem nahegelegenen Baum verbanden.

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In der Wüste (Sonnenhalfter)

In der Wüste wiederholen sich Traumbilder
In einem Kreis lockt die Energie

Die Sonne erhebt sich

Habe ich den Mut, eine Reise zu beginnen
Die Beine bewegen, vorwärts hinfort

(Wenn man ein Sandkorn versteht
Wenn man ein Sandkorn verstünde
Wenn man ein Sandkorn wäre)

Habe ich genug um jetzt schon zu gehen
Den Kopf zu bewegen, zu sehen, was war

Die Sonne geht auf und wird immer größer

Dort draußen ruft niemand meinen Namen
Dort draußen erwartet mich niemand

Eremitenberge weisen die Einsamkeit
(Dünen versanden, Wege verwehen)
Oasen evakuieren verdurstende
(Der Spiegel aus Sand)

Die Sonne hört auf, Morgenrot zu sein

An der Grenze wächst ein Gras Die Beine bewegen
das ohne Wasser weiterlebt Ich verlasse mich
Die Wurzeln in der Luft, Fächerleben Vorwärts hinfort
Fangen verdunstende Gedanken Zu sehen, was naht

Die Sonne speist zu Mittag

Wie weit gekommen im brüllenden Licht
Wohin gelangt, wo angekommen?

Die Sonne spuckt aus Himmeln folgendes:

Feuerdrachen (ich sehe das Rinnsal seines Atems)
Gold (das Leben flieht dem edlen Stuck)
Regenbogen (Sucht nach Farben)
Geister (sie zeigen sich geöffnet)
Trugbilder (optischen Lebens)
schnelle Verwesung (trocken)

Die Sonne sinkt

Ich kann nicht fort von mir
Komme immer wieder an
Dort, wo ich mich verließ

Die Sonne wird Mond

Habe ich den Mut eine Reise zu beenden
Die Beine anhalten, Stoppvorwärts Nichtfort?

Vom Almanach der Trance (Wolkenmedaillon)

Redner im Nirgendwo:

Ich könnte dir vieles sagen
von den Welten ohne Ursprung
ohne Grund, ohne Zeit, ohne Namen

Furcht ist ein Trabant
unnötig kreist er um das Leben
des Planeten Scheu

Über vielen Himmeln fragmentieren sich diese Wolken
Kumuluskleid; bedeuten Sehnsucht

Der Zeitenkelch bewegt sich träge
entläßt die Funken unbewußt

Purpurregen fällt weich und leise
wie der Watte Flug
Warum kaufst du dir nicht einen Garten
und pflanzt den Gnomen Stechapfel und Tollkirsch?

Das plötzliche Ich:

(Ich hatte diesen Traum von einer Begegnung
Es war ein intensives Reigenspiel
Die Farben des Traumes schienen mir apokalyptischer Natur)

Ich weiß, ich bin in mir
ich habe mich betreten
(-Wenn du der Redner bis
-der bin ich)

Deine Kraft
Vielleicht ein Märchen
Nicht erzählt

Es muß was sein im leeren Nichts EsmusswasseinimleerennichtsEs
Es muß, es muß Esmussesmuss muß
sawwas
niessein
miim
nereelleeren
sthcinnichts
sees
ssummuss
sees
ssummuss

Das Tunnelmartyrium (Nichtsahnende Willkür)

Am Ende das Licht der Begierde
bleibt dunkel, so dunkel, die Seele spricht:

Brustwarzenkleckermaul, Pillenphobie
Rußtränke
Abnachten im Moor
Empfangen in Kloaken
Schenken im Syph
und erzählen im Wurzelkeller
was war vor fließenden Stunden
Welchen Geist haben wir geschlachtet
um unser kühnes Mahl mit Erdbeerkraut zu garnieren?
Wo ist das Inlett der Warzen hingekommen
wer verlegte den Pfuhl?

Was tun sie?
Fürchten sich im Metall
Trinken sich selbst ihr Blut
Essen sich ihr Mark
werden zu Kadavern
in fernen Zeiten
verwesen sich ihr Fleisch
nachdem sie genossen ihr Selbst

Ingrimm (Senkfell)

Der Feldherr im Sinnen 

Ich komme um zu siegen
ich siege allein
Ich lagere draußen, im Süden
dem großen, wo mein Stern nicht steht

Schwerter zürnen, die der Ahnen
Wolken beben unter meinem Atem

Drinnen sind sie alle
zittern in einer Blase aus Furcht
altes Blut ist längst geronnen
Roter Rotz hängt eisern und kalt
Der Frost der Nacht, ein bitterer Freund
Vereist die Zungen
begräbt das Leben
Burgen fallen unter mir
bebend leisten sie widerstand
doch nichts-

-kann unsere Felle dämmen
die brennend sich senken
über das Ziel

Abschied des Liebhabers:

Du weißt, sie kommen und tun uns Arges
Flieh, mein bitteres Herz
flieh weit, flieh davon, fliege, flieh!
Nicht länger hält der Trutz

Der Habicht bringt uns bittere Mär
er zieht die Kreise seltsam

-Komm doch mit, oh bitte Liebster!
-Ich kann es nicht, es muß geschehen
daß wir uns heute trennen

Drinnen:

Das Unheil droht, die Wolken düster
sperren uns in finstre Glut
die uns erstickt im eignen Haus

Anderorts:

Schon naht die Pracht der Finsterung
schon naht der Tod, ein brennend Pech
Das Leben nimmer hält hier an

Es singt der Knochenmann:

Ich komme dann und nehme mit
und bringe mich, nur mich allein
doch nehm ich mit, was mir gebührt
das frag ich nicht, ich frag es nicht