22. Dezember 2024

Hahn auf dem Mist

Zunächst drückte sie mir den nassen Spülschwamm ins Gesicht, den ich als gerechtfertigt betrachtete und nahm wie ein Mann. Ich hatte eine gewisse Art, die Dinge zu benennen, die man unmöglich durchgehen lassen konnte. Dann suchte sie der Reihe nach meine Sachen, die ich überall verstreut herumliegen hatte, machte die Wohnungstür auf und warf sie nacheinander die Treppe hinunter. Jedes mal musste sie das Licht im Treppenhaus neu starten. Statt dass ich sie daran hinderte, eilte ich meinen Habseligkeiten nach und riskierte damit, dass mir weitere Dinge nicht nur um die Ohren flogen, sondern mich sogar trafen. Sie zu hindern wäre einfacher gewesen, aber ich wollte sie den Rausch auskosten lassen, mich samt und sonders vor die Tür zu setzen, wo ich meiner eigenen Meinung nach auch hingehörte. Als sie nichts mehr fand, das sich mir entgegenwerfen ließ, fing sie an zu heulen und sagte, ich solle wieder nach oben kommen. Das ging natürlich nicht. Ich weiß, dass ihr Schriftsteller manchmal bescheuert seit, sagte sie, aber du bist ja noch keiner. Womit sie Recht hatte oder auch nicht, so genau ließ sich das nicht sagen. Dummerweise war ich auf dem Weg dorthin, ob ich wollte oder nicht. Dabei konnte ich noch nicht einmal richtig schreiben und versuchte mich in Gedichten, die sich entsetzlich reimten. Und ein Thema hatte ich ebenfalls nicht. Wäre H., den ich natürlich angerufen hatte, nicht gekommen, hätte ich wohl eine weitere Nacht in ihrem Bett und Opiumduft verbracht, aber H. kam und wir fuhren in seinem Ford Taunus in eine neue Überlegung hinein, die mein Leben so richtig in Schwung bringen sollte.

H. lispelte und roch nach Zimtkaugummi, die er in reicher Anzahl nicht nur in all seinen Taschen stecken hatte, sondern in sämtlichen Schubladen. Er konnte genauso verrückt werden, keinen Gummi mehr zu haben, wie unsereins ohne Zigarette. Er war stolzer Besitzer einer der größten Plattensammlungen, die ich bis dahin gesehen hatte, und die Möglichkeit, in seiner Einliegerwohnung Gelage nach römischem Vorbild zu veranstalten, ohne dass uns jemand störte, begünstige meine stoische Haltung gegenüber Patricia, die ich vor meinem geistigen Auge sehen konnte, wie sie sich einen Joint drehte und Cat Stevens auflegte, Duftkerzen anzündete, um mich auszuräuchern und vielleicht den Schwamm liebkoste, den sie mir ins Gesicht gedrückt hatte. Das war’s sagte ich zu H., als wäre das die Erklärung für alles.

Er legte Hot Rats von Frank Zappa auf und die Welt nahm wieder Konturen an. Später, als ich aus Versehen Eline in einem Waschbottich voller Eis vögelte, sollte ich seinen Klon kennenlernen. Nie hätte ich mir träumen lassen, dass Zappa der Freund von Eline sein könnte. Noch nie in meinem Leben war ich einem Amerikaner begegnet, und bald schon würde ich unter ihnen leben.

Ich bin schließlich kein Hund, sagte ich, obwohl ich genau das war, abgebrannt wie Tirschenreuth nach dem Feuer von 1814, auf der Pirsch nach einer Grisette mit Standhitze, bei der ich ein paar Tage übernachten konnte, von einer Zukunft geplagt, die es nicht gab, aus einer Vergangenheit tretend, die ich noch nicht begriffen hatte. Was ich besaß, ruhte in diesem schäbigen Koffer, der jetzt vor meinen Knien stand und mir Vorwürfe machte, nur mit kümmerlichen Utensilien vollgestopft zu sein, mit Notizbüchern und kaum nennenswerter Wäsche. H. sagte, ich solle mir keine Sorgen machen, ich könne ja erst einmal hier bleiben. Ich mache mir keine Sorgen, sagte ich. Mich weht ein neuer Hauch an. Zappas Gedudel nervte mich und ich wollte etwas anderes auflegen. Sobald ich mich dem Plattenspieler näherte, wurde H. hellwach und verfolgte jeden meiner Handgriffe mit Argwohn. Nach Zappa folgte eine Stille, die er mit Kaugeräuschen instrumentierte. Ich wechselte die Platte nicht und setzte die Nadel stattdessen auf den wilden Saxophon-Part der Gumbo Variation.

Hör mal, sagte H., wie wär’s mit einer Pizza? Der Holzwurm in Hardheim hat einen neuen Besitzer, da wollte ich sowieso heute vorbeischauen.

Meine Termine sind überschaubar, sagte ich. Irgendwie wirkte H.s Hütte lebloser als ich sie in Erinnerung hatte. Wir tranken unser Bier aus und fuhren nach Hardheim.

Wir waren die einzigen Gäste. Von außen wirkte der Holzwurm, als sei dieser Name eigens für ihn erfunden worden, ein schiefes Fachwerk, das niedriger wirkte als es war und wie die holzgewordene Leibspeise des Käfers aussah. Im Innern schwappte die paradiesische Dosis einer romantischen Sintflut über unsere Köpfe und formierte sich zu einer dunklen, angenehmen Empfindung im Bauchbereich. Bis auf leises Radiogedudel war nichts zu hören. Es sollte noch fünf Jahre dauern, bis der Dachstuhl wegen Patricia ausbrannte, aber das hatte ausnahmsweise nichts mit mir zu tun. Wir bestellten Bier und Pizza. Irgendwas muss ich tun, sagte ich. Es wird sich was finden, sagte H. Darauf tranken wir. Ich sah mich um, denn der Raum war nicht einfach nur ein Raum. Das Prunkstück war die Theke, vollständig aus Holz wand sie sich durch das, was man vielleicht als Hauptraum bezeichnen konnte. Ein Billardtisch stand in einer großzügigen Nische unter pittoresken Kreuzfenstern, daneben befand sich die offenstehende Schiebetür zu einem kleinen Saal, auch dort war die Decke mit Holzkassetten abgehängt. Gegenüber befand sich ein zweiter Ein- oder Ausgang auf den Hinterhof hinaus. Rechts davon eine weitere Nische, in der eine Dartscheibe aus Sisal hing, die ich allerdings nicht sehen konnte. Ich fühlte mich völlig verzaubert und schluckte das Gefühl, mit dem ich überhaupt nichts anfangen konnte, mit tadellosen Manieren hinunter. Die Pizza kam nicht.

Warum eigentlich?, fragte H. Zu viel, antwortete ich. Sie amüsierte sich mit ihren Yuppies, während ich durch die nassen Straßen lief, um ein Abrisshaus zu finden, in dem ich schlafen konnte. Als ich noch Musik machte, letztes Jahr war das, musste ich sogar über Weihnachten im kalten Proberaum schlafen. Der Bassist brachte mir Lebkuchen, Glühwein und Hühnerreste vorbei. Wenn Patricia genug hatte von ihren oberflächlichen Freunden, kurierte sie sich an mir und machte sich einen Spaß daraus, mich ausfindig zu machen. Irgendwie gelang ihr das auch immer. Eines Tages wird sie sich nicht mehr an mich erinnern (heute weiß ich, dass es stimmt). Außerdem kennst du sie, sagte ich. Stephan hat sie vor unseren Augen über den gesamten Boden deiner Bude gevögelt. Du hast es ihr doch erlaubt, sagte er und ich schlug die Hände über dem Kopf zusammen. Die Pizza kam nicht.

Sie hat mich sogar genötigt, bei der Müllabfuhr auszuhelfen, und das habe ich getan, stell dir das vor! Ich hatte vorher ja noch nie irgendwas gearbeitet, und schwupp häng‘ ich im Gestank hinten an einen LKW festgekrallt. H. betrachtete eine Fliege, die sich durch das geschwungene Glas von der anderen Seite betrachtet in ein Monster verwandelt hatte. So ein kleines Ding und so eine verzerrte Perspektive. Das Leben ist magisch, sagte ich, aber diese Pizza scheint ein Mysterium zu sein. Es waren bereits vierzig Minuten vergangen. Von der Bedienung war weit und breit nichts zu sehen.

Mein Vater war ein Säufer. Ein großer Logiker, der an Gödel seine Freude hatte, aber ein Säufer. Ein strategischer Ingenieur, aber ein Säufer. Das wäre eigentlich nicht wichtig, wenn ich nicht lange Zeit geglaubt hätte, ich würde ebenfalls einer werden. Vererbt sich das Zeug nicht? Nicht wichtig, wenn er nicht eines Tages Patricia angeschleppt hätte. Nicht wichtig, wenn er mich einfach in Ruhe in meinen eigenen Abgrund hätte starren lassen. In Nietzsches Abgrund, der eben auch mein eigener war, der bereits zurückstarrte und mich zu erkennen schien. Damals hatte ich mit Keri zu kämpfen, der Schwester meines besten Freundes Dorn; das war er, weil er mich am Leben hielt. Ohne ihn wäre ich einfach verhungert und hätte es nicht einmal gemerkt. Keri hatte eine Stimme wie Amanda Lear, war allerdings wirklich eine Frau und außerdem viel älter als ich, liiert mit einem Karatelehrer – und ein bisschen auch mit mir, zumindest, was ihre Hand betraf. Überall, wo du bist, ist es kalt und nass, hatte sie gesagt, als wir auf meiner Pritsche, die mir als Bett diente, unter einer festgefrorenen Decke lagen, das Wasser in den Trinkflaschen gefroren, Eisblumen an den Fenstern und den Fensterbrettern, und sie mir gerade eine gehörige Ladung jugendliches Sperma aus dem Schwanz gerieben hatte, das nun überall an mir und ihr klebte. Wenigstens darüber musste ich mir nicht den Kopf zerbrechen. Mehr allerdings gestattete sie mir nicht, zu jung zum vögeln, den Rest schenke ich dir, sagte sie. Sie formulierte es etwas anders, aber im Grunde sagte sie genau das.

Wir lebten damals in einem Gemäuer aus schlossdicken Wänden ohne Strom, Heizung oder irgendwas. Ich, mein Vater und seine Freundin, die zwei Jahre älter war als ich und nicht vernünftig sprechen konnte, weil ihr Vater sie mit etwa zehn Promille gezeugt hatte. Ihr Vater, der von meinem Vater regelmäßig die Fresse voll bekam. Von Säufer zu Säufer sozusagen. Da teilt man einiges. Manchmal stand mein Vater nachts an meinem Bett, weckte mich und zeigte mir seine demolierte Hand, die er sich an fremden Schneidezähnen aufgerissen hatte, und von der Blut tropfte, das man nicht mehr aus dem billigen Teppich bekam. Er ließ sich in der Küche von mir verarzten, während er mit glasigen Augen von seinen heroischen Taten erzählte. Am nächsten Tag in der Schule versuchte ich, eine blutige Faust in eines meiner Hefte zu zeichnen. Mein Vater war einst ein hervorragender Maler gewesen, der mehrere hyperrealistische Porträts von meiner Mutter angefertigt hatte, und ich dachte, dass ich außer dem Untergang vielleicht auch dieses Talent geerbt haben könnte, hatte ich aber nicht. Meine Faust sah aus wie ein Rorschach-Klecks. Frustriert packte ich meine Sachen zusammen und verschwand, um bei den Rockern in der Fußgängerzone abzuhängen, zumindest in deren Nähe.

Eines Tages kam ich nach Hause und sah Patricia auf der improvisierten Couch sitzen, die aus Dreier-Matratzen gebastelt ihren Zweck erfüllte. Sonst war niemand da. Ich habe auf dich gewartet, sagte sie. Obwohl ich sie nicht kannte, gab ich mich völlig unbeeindruckt, ging durch die Küche in mein Zimmer nebenan und wagte mich erst einmal nicht mehr heraus, linste durchs Schlüsselloch und versuchte so, zu sehen, was sie trieb. Nichts. Sie saß einfach nur da, als warte sie in einer Bahnhofshalle auf den Zug. Zumindest tat das die eine Hälfte von ihr, die ich durch den begrenzten Blickwinkel erspähen konnte. Es ist leicht, unfreundlich zu sein, wenn man kurz darauf eine Tür hinter sich schließen kann. Das Unterfangen wird schwieriger, wenn man wieder hinaus muss. Da saß also eine wildfremde blonde junge Frau in meiner Wohnung und hatte auf mich gewartet. Das empfand ich als problematisch, obwohl mir klar war, dass sie aus irgendwelchen Gründen meinen Alten begleitet hatte, der gerade seinen Umzug von Marktredwitz in den Odenwald organisierte, und da er von Alters wegen nach wie vor über mich verfügen konnte, wie er wollte, hieß das auch, dass er gleichzeitig meinen organisierte. Vielleicht wollte er mir die neue Umgebung von vornherein schmackhaft machen, zu diesem Zeitpunkt waren mir seine Beweggründe nicht nur schleierhaft, sondern völlig egal. Patricia war ein paar Jahre älter als ich, vier, um genau zu sein. Unter gewissen Umständen spielte das keine Rolle, aber ich befand mich theoretisch noch auf der falschen Seite des Gesetzes, war als schutzbedürftig anzusehen, und musste allein bei dem Gedanken daran kichern. Ich war mit Dorn verabredet. Früher oder später musste ich meinen großen Auftritt wiederholen, diesmal in die andere Richtung. Ich zog mich nackt aus und linste wieder durch das Schlüsselloch, die Vorstellung, sie könnte durch puren Zufall hereinplatzen, war durch meine Beobachtung zwar minimiert, aber meinem Gehirn schien das völlig egal zu sein. Ahnte sie, dass ich sie beobachtete? Sie nahm sich eine der zahlreichen Zeitschriften, die auf dem Tisch lagen, und die mein Vater wegen der Kreuzworträtsel hortete, und blätterte lustlos darin herum, schüttelte ab und zu ihre Blondheit aus, blieb aber, was sie war. Ich beschloss, mich aus der Affäre zu ziehen, zog mich wieder an, trat in die Küche und blieb unschlüssig an der Tür stehen. Ich starrte sie an, durch das exhibitionistische Gedankenspiel etwas in Konfusion geraten. Sie lächelte irgendwie merkwürdig. Ihre Sommersprossen tanzten in ihrem Gesicht herum, und ihr Mund war riesengroß. Ich soll dir von deinem Vater ausrichten, du mögest uns heute Abend Gesellschaft leisten. Willst du nicht wissen, wer ich bin? Ich starrte sie weiterhin an, dachte daran, wieder im Zimmer zu verschwinden, um zu Ende zu bringen, was ich begonnen hatte, oder beginnen wollte. Ich bin Patricia, sagte sie. Ich kann heute Abend nicht, antwortete ich. Ich habe auf dich gewartet, wiederholte sie den Satz von vorhin. Ich wollte dich kennenlernen. Dein Vater ist ein Arschloch. Dieser Satz schmolz das Eis, würde ich heute behaupten.

Deine Dichter, sagte H., sind gar keine Dichter. Ich verstand ihn nicht. Naja, ich glaube nicht, dass es noch etwas zu schreiben gibt, fuhr er fort und ich nickte und wedelte mit der Hand. Philosophisch, sagte ich. Alles wurde schon geschrieben undsoweiter. Nein, das meine ich nicht, sagte er. Ich zum Beispiel lese nur ein einziges Buch, immer wieder nur dieses Buch. Ich glaube, wenn du dein Buch gefunden hast, dann erkennst du es daran, dass du es immer wieder liest. Alles, was du brauchst, steht in diesem Buch. Solange du dieses Gefühl nicht hast, liest du weiter und weiter, so wie du das eben machst. H. redete unglaublich schnell, so als wolle er, dass seine letzten Worte die ersten überholten. Heute, wo ich Rayuela kenne, weiß ich, was er meinte. Damals dachte ich, er sei bescheuert oder er rede von der Bibel. Ich lese natürlich trotzdem weiter, um zu sehen, ob es etwas Vergleichbares gibt. Die Pizza kam mit Tausend Entschuldigungen nach einer guten Stunde. Sie war lauwarm und schmeckte wie durch einen Anus gesiebt. Nein, sagte ich zur Bedienung, einem jethaarschwarzem Geschöpf, das rot anlief, und sich dadurch in die menschgewordene anarchistische Flagge verwandelte, es war alles andere als gut. Wir haben noch keinen Koch da, könntest du es etwa besser? Natürlich, log ich. Ich bin Koch. H. verschluckte sich und begann zu husten, während er nach einer Serviette griff, die er nicht erreichen konnte. Ich gab sie ihm. Das Mädchen blickte misstrauisch von einem zum anderen. Doch, doch, er ist Koch, beeilte sich H. zu sagen, hörte allerdings erst mit dem Husten auf, als wir einen Schnaps aufs Haus bekamen. Wegen der Wartezeit. Dann schrieb ich H.’s Adresse mit meinem Namen auf ein Blatt Papier. Komm  in den nächsten Tagen wieder vorbei, ich  erkundige mich inzwischen, ob mein Chef dich haben will, sagte sie, wiedererstarkt, jetzt, wo ich um einen Job anstand und nicht mehr bloß ein Gast war. Ich rauchte, H. kaute. Findest du es nicht langweilig, nach dem Essen weiterzukauen? Das ist ein anderes Kauen, sagte er. So wie dein Rauchen ein anderes Atmen ist. Am Abend dachte ich an die Bedienung und ihr rotes Gesicht und holte mir einen runter.

Ich teilte mir die Küche mit Olli. Er drei Tage, ich drei Tage, ein Ruhetag. Er war ein Koch, wie man ihn sich nur wünschen kann: Brille, schulterlanges Haar, das wie braune Schlacke an ihm herunterrann , Lederhose und Motorradstiefel. Er hatte seine Verlobte aus dem Haus geworfen, weil er Platz und Zeit für seine Harley Davidson benötigte, neben der er im Wohnzimmer schlief. Aber das Motorrad bläst dir keinen, wenn du keinen Ausweg mehr siehst, sagte ich. Er antwortete nicht, lächelte nur und rieb seine Hände und Arme mit Mehl ein. Offensichtlich war es ihm egal, oder aber ich verstand nicht, was ihn an Frauen derart verstörte, dass er lieber das Vibrieren und Knattern unter sich genoss als das Schreien und Stöhnen. Ich glaube, er roch lieber nach Motoröl als nach Schweiß. Er war unglaublich penibel, seine Küche sah stets aus, als hätte sie gleich einen Fototermin in einem Magazin geleckter Gastronomie. Ich selbst hatte es da wesentlich schwerer. Nicht, dass mich Semmelbrösel auf dem Boden oder klebrige Panadenreste nicht störten, ich bemerkte sie nur nicht und hatte Mühe, einen Teller oder eine Schüssel als natürliche Grenze wahrzunehmen.

Im nächsten halben Jahr sollte ich den Holzwurm nur zu folgenden Gelegenheiten verlassen: eine Liebelei, die sich nicht bei mir oben im ersten Stock abwickeln ließ, die nächtliche Fahrt in eine andere Kneipe, und eines der wichtigsten und außerordentlichsten Ereignisse meines jungen Daseins als Bohemian (oder Herumtreiben, wer dieses Wort lieber hört), Little Woodstock, für das insgeheim bereits die Vorbereitungen liefen, ohne dass ich die geringste Vorstellung davon hatte, was damit gemeint sein könnte. Fünf Tage im Steinbruch, sagte man mir, und ich fand die Vorstellung zunächst weniger erbaulich und verstaute sie in meiner Rumpelkammer in irgendeiner Kiste, die ich unbeschriftet ließ. Mich fragte niemand, wo ich herkam, und das war gut so; mich fragte auch niemand, was ich mit meinem Leben anfangen wollte, und das war sogar noch besser. Ich mochte es nicht, wenn ich keine Antwort geben konnte. Ich kam mir dann vor wie jemand, der nicht das geringste verstand, was in etwa den Tatsachen entsprach. Ich ließ mich treiben und provozierte Zufälle, ich wusste nicht, wie man ein Leben anders leben könnte, war mein eigener Wegelagerer, getrieben von nichts außer dem Augenblick. Ich weiß bis heute nicht, wie man eine Schwelle übertritt, mein Bewusstsein ist dafür nicht geschaffen. Es ist vielmehr so, dass sich die jeweilige Schwelle unter mir durchmogelt, um sich plötzlich hinter mir zu zeigen, als würde ich mit reichlich Druck aus einem Schlauch gepresst, und es ist dabei kein Zufall, dass sich die eigene Geburt ständig wiederholt.

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