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Wie klang Buddy Bolden?

Die Wurzeln des amerikanischen Jazz reichen bis zur Jahrhundertwende zurück… nicht in dieses, sondern ins letzte Jahrhundert.

Im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts hörte man in New Orleans häufig ein Kornett (das einer Trompete ähnelt) laut von den Parkbänken und aus den Fenstern der Tanzsäle schmettern. Ohne formale Ausbildung entwickelte Charles “Buddy” Bolden einen einzigartigen Improvisationsstil auf seinem Horn. Im Wesentlichen ebnete er dem Jazz den Weg, indem er ländlichen Blues, Spirituals und Ragtime-Musik für Blechblasinstrumente arrangierte. Die Legende besagt, dass er traditionelle Lieder mit seinen eigenen Improvisationen neu arrangierte und so einen kraftvollen neuen Sound schuf.

Buddy Bolden begann seine Karriere mit Auftritten in der Jack Laines Reliance Brass Band. Jack Laines wird oft als der “Patriarch des Jazz” bezeichnet. Mitte der 1890er Jahre gründete Bolden eine Reihe eigener Bands auf der Suche nach einer perfekten Klangmischung. Gegen Ende des Jahrhunderts fand er sie. Die Buddy Bolden Band bestand aus Kornett, Gitarre, Posaune, Bass, zwei Klarinetten und Schlagzeug. Seine Band spielte in der Innenstadt von New Orleans in überfüllten Clubs im berüchtigten Rotlichtviertel von Storyville.

Von 1900 bis 1906 war die Buddy Bolden Band die größte Attraktion in New Orleans. Ähnlich wie heutige Rap-Sänger wertete Charles “Buddy” Bolden seinen Status und seine Identität auf, indem er sich zunächst “Kid” und später… “King” Bolden nannte. In dieser Zeit verfolgte er zwei Interessen wie ein Besessener: Alkohol und Frauen.

Angesichts von Ruhm, Verantwortung, neuen Bands, die mit ihm konkurrierten, und dem Kampf, seine Musik frisch, innovativ und lebendig zu halten, geriet Bolden 1906 in eine Sackgasse. Depressionen, Hoffnungslosigkeit und die dunkle Anziehungskraft des Alkohols führten zu starken Kopfschmerzen und Paranoia (eine unberechenbare Angst vor seinem Kornett war seiner Musik wahrscheinlich nicht zuträglich). Er wurde so “hirnkrank”, dass die Ärzte ihn ans Bett fesselten.

1907 hatte Bolden seinen letzten öffentlichen Auftritt mit der Eagle Band bei der Parade zum Tag der Arbeit in New Orleans. Während der Parade begann er offenbar, Damen in seiner Nähe anzuschreien und hatte Schaum vor dem Mund. Sein Zustand verschlimmerte sich und er wurde in die Irrenanstalt eingewiesen. Dort wurden seine Halluzinationen und Gewalttätigkeiten immer schlimmer, bis er am 5. Juni 1907 endgültig in das State Insane Asylum in Jackson, Lousiana, eingewiesen wurde. Die Anstalt blieb mehr als 25 Jahre lang sein Zuhause, bevor er in einem Zustand völliger Niedergeschlagenheit und Unzurechnungsfähigkeit verstarb. Sein Leichnam wurde auf dem Holte Cemetery, einem Armenfriedhof in New Orleans, beigesetzt.

Leider gibt es keine erhaltenen Aufnahmen von Buddy Bolden, auf denen er spielt, obwohl er einige Wachszylinderaufnahmen gemacht haben soll. Diese Aufnahmen wurden wahrscheinlich von Oskar Zahn, einem Lebensmittelhändler und Fan der Band, aufgenommen, der einen Edison-Phonographen mit aufsteckbarem Aufnahmekopf besaß. Leider wurden der oder die Zylinder nie gefunden, und mindestens zwei Exemplare sind vermutlich entweder durch schlechte Lagerung oder durch einen Scheunenbrand zerstört worden, so dass die einzige bekannte Aufnahme eines der prominentesten Gründerväter des Jazz als verloren gelten muss.

Aber viele Leute, die mit Bolden gespielt haben und vielleicht sogar auf diesen Walzen waren, haben später Platten aufgenommen. Darüber hinaus fanden zahlreiche New Orleans-Musiker der nächsten Generation den Weg ins Studio.

Diejenigen, die seine Musik kannten, sagten, er habe einen “lauten, bluesigen Ton gespielt und einen Großteil seiner Musik improvisiert”. Bolden gilt als der erste “König” des New Orleans Jazz und war die Inspiration für spätere Jazzgrößen wie King Oliver, Kid Ory und Louis Armstrong.

Auch wenn wir vielleicht nie erfahren werden, wie Bolden geklungen hat, so können wir doch eine Art Venn-Mengendiagramm erstellen, indem wir die Attribute von Boldens Stil anhand von Augenzeugenberichten, Aufnahmen von Boldens Bandkollegen und Zeitgenossen sowie Aufnahmen von Melodien, die mit seiner Band in Verbindung stehen, eingrenzen und so zumindest ein Verständnis für den Kontext schaffen, in dem Bolden existierte und einen solchen Einfluss ausübte.

Das erste, was man über Boldens Band wissen sollte, ist, dass sie keine Band war, die vom Blatt ablas und dass sie in vielen Fällen improvisierte. Während von Boldens Rivalen, dem kreolischen Bandleader Joe Robichaux aus New Orleans, fast die gesamte musikalische Bibliothek erhalten ist, benutzte die Bolden-Band keine Noten, die wir studieren können. Die fehlende Fähigkeit, Noten zu lesen, wurde jedoch durch den Elan und die frischen Ideen Boldens wettgemacht, die Teil der DNA des Jazz selbst wurden.

Bolden spielte mit viel Seele. Aus realen Berichten und dem, was wir über die sozialen Auswirkungen der damaligen Zeit wissen, können wir verstehen, dass er und seine Band einen weniger raffinierten, bodenständigeren und schmutzigeren Ansatz verfolgten.

Obwohl die Bolden-Band keine Gruppe war, die Noten las, spielte sie die Hits der Zeit und hielt sich an die populären Musiktrends, um den Tänzern in der Funky Butt Hall und im Lincoln Park zu gefallen.

Der prominenteste Kornettist, der einem in den Sinn kommt, wenn man über diesen Sound nachdenkt, ist Freddy ‘King’ Keppard (er wurde nach Boldens Einweisung in das Louisiana State Asylum nach ihm zum ‘King’ gekrönt), der mit einem gut definierten ‘in-your-face’-Sound spielte, wie seine vielen großartigen Aufnahmen mit Doc Cookes Band in Chicago zeigen.

Apropos Könige: Buddy Bolden war auch dafür bekannt, dass er Dämpfer benutzte. Wenn man also den Dämpferstil im frühen New Orleans Jazz bestimmen will, braucht man nicht weiter zu suchen als nach einigen der frühesten und besten Aufnahmen der New Orleans Dämpfertechnik, die der legendäre Joe ‘King’ Oliver mit seiner Creole Jazz Band spielte.

Höllenjazz in New Orleans

Ray Celestin: Höllenjazz in New Orleans

New Orleans, Mai 1919. Ein mysteriöser Mörder geht um, den man den Axeman nennt. Ähnlich wie im Fall Jack the Ripper gibt es einen Spottbrief, den er an die ansässige Zeitung schickt (beim Ripper war es die Polizei selbst, an die die Briefe adressiert waren), und ähnlich wie Jack the Ripper gab es den Axeman wirklich, auch er wurde nie gefasst, die Morde hörten einfach auf.

Bei seinen brutal verstümmelten Opfern hinterlässt er stets eine Tarotkarte.

Die Ermittlungen werden von drei unterschiedlichen Seiten aufgezogen. Da sind Detective Lieutenant Michael Talbot, der ehemalige Polizist und Mafioso Luca D’Andrea, der frisch aus dem Gefängnis entlassen wurde, und Ida Davis, eine Sekretärin der örtlichen Zweigstelle der Detektei Pinkerton, die unabhängig voneinander die Morde untersuchen.

Ray Celestins Debütroman führt uns zurück in die Zeit, in ein New Orleans nach dem ersten Weltkrieg. Die Erzählung wechselt zwischen den drei Hauptfiguren, die alle einen anderen Ansatz haben, und sie nimmt uns mit, um eine Reihe historischer Verbrechen zu untersuchen. Dabei sehen wir interessanterweise nicht nur drei Möglichkeiten, sich einem Verbrechen zu nähern, wir erleben auch die Stadt aus drei unterschiedlichen Perspektiven, die sich im Laufe der letzten hundert Jahren kaum verändert hat, glaubt man den Stimmen, die sich damit auskennen. Tatsächlich gilt New Orleans als die große Ausnahme unter den Städten dieser Welt, eine regelrechte Besonderheit in jeder Hinsicht, und das sickert aus nahezu jeder Zeile des Romans hervor.

Michael Talbot ist Ire der zweiten Generation, ein Mitglied der Polizei, und er hat es schwer mit seinen Kollegen. Vor einigen Jahren musste er gegen seinen damaligen Chef Luca D’Andrea aussagen, was diesen für fünf Jahre ins berüchtigte Gefängnis “Angola” brachte.

D’Andrea selbst ist ein italienischer Mafioso, der sich innerhalb der Polizei hochgearbeitet hatte. Nach fünf Jahren wieder auf freiem Fuß, ist sein einziger Wunsch nun, in seine Heimat Sizilien zurückzukehren und seine Tage dort zu beenden, wo er hingehört. Doch Carlos Matranga, der Kopf der ansässigen Mafia, hat noch eine letzte Aufgabe für ihn, bevor er ihn gehen lassen wird: die Identität des Axeman zu ermitteln, der bisher ausschließlich italienische Lebensmittelhändler und ihre Familien getötet hat.

Die dritte Erzählung folgt der jungen Ida Davis, die als Sekretärin im örtliche Büro der Pinkertons arbeitet, ein Kompromiss, den sie einging, um ihren Fuß auf die erste Sprosse der Karriereleiter zu setzen, die sie letztendlich zu einer eigenständigen Detektivin machen wird. Ihr Boss, ein fauler Cajun, könnte durchaus in der Hand der Mafia liegen, die man “Die Familie” oder “Die schwarze Hand” nennt. Also muss sie ihre Ermittlungen heimlich und mithilfe ihres jungen Musikerfreundes Louis “Little Lewis” Armstrong durchführen.

In Celestins Wahl der Protagonisten steckt viel von der Persönlichkeit der Stadt selbst: New Orleans war schon immer so etwas wie ein kultureller Schmelztiegel, und die Tatsache, dass nur einer der drei Protagonisten ein echter Orleanese ist, spiegelt dies wider. Celestin schenkt der Stadt große Aufmerksamkeit, so dass sie eine wichtige Rolle in der Erzählung übernimmt, und bemüht sich sehr darum, dass der Leser die Hitze spüren, die Gerüche riechen und die Geräusche hören kann, die diese Stadt so einzigartig machen. Mehr als jeder andere Autor seit James Lee Burke macht Celestin diese Stadt lebendig und versetzt den Leser mitten hinein.

Diese Schmelztiegel-Kultur strotzt vor religiösen, rassischen und politischen Spannungen, und es ist diese Spannung, die den gebrochenen Erzählstil der Handlung bestimmt. Talbot ermittelt, weil es seine Aufgabe ist, dies zu tun; D’Andrea ermittelt wegen der italienischen Verbindung und weil die Schwarze Hand dabei beobachtet werden will, wie sie die Dinge selbst in die Hand nimmt; Ida hat ihrem Chef etwas zu beweisen, möchte aber auch sicherstellen, dass Gerechtigkeit geübt wird und die Verbrechen nicht, wie die in der ganzen Stadt vorherrschende Theorie besagt, bequem dem nächsten Schwarzen in die Schuhe geschoben werden.

Das Rätsel selbst ist ein wenig prosaisch und soll nicht unbedingt vom Leser gelöst werden können. Was “Höllenjazz” lesenswert macht, sind die Figuren, der Schauplatz und die clevere Konstruktion, die dafür sorgt, dass diese drei Ermittlungs-Stränge während der gesamten Romandauer parallel laufen, selten dieselben Hinweise aufgreifen und niemals Informationen von einem zum anderen streuen. Am Ende des Romans ist es interessant zu sehen, wie jeder der Ermittler zum richtigen Schluss kommt, aber die Schönheit des Romans liegt in der Tatsache, dass am Ende die einzige Person, die die ganze Geschichte kennt, der Leser ist, der die Informationen aus den drei verschiedenen Abenteuern zusammenfügt.

Als Liebhaber einer solchen Mischung aus historischen Fakten und Fiktion bin ich etwas spät auf dieses Buch aufmerksam geworden, es erschien nämlich bereits 2018. Die Tatsache, dass New Orleans einer meiner Lieblingsorte auf dem Planeten ist – und die Tatsache, dass Celesetin diesen Ort so hervorragend dargestellt hat, ist schon allein ein Grund, das Buch all jenen zu empfehlen, die etwas mit dem frühen Jazz und dem Schauplatz anzufangen wissen. Eine der interessantesten Figuren ist natürlich Louis Armstrong, dem wir an einem Punkt in seinem Leben begegnen, wo er noch nicht die Sensation des ganzen Südens der USA ist.

In diesem Debüt geht es also vor allem um Charakterzeichnung und die Lebendigkeit eines Ortes. Es ist die punktgenaue Wiedergabe eines einzigartigen Zeitpunkts und eines einzigartigen Ortes auf der Erde, und der Roman hat genug Spannung, um sicherzustellen, dass der Leser während der ganzen Zeit beschäftigt bleibt. Celestin zeichnet sich durch Detailgenauigkeit aus – sowohl in Bezug auf die Geschichte als auch auf den Schauplatz – aber niemals um den Preis, die Geschichte zu vernachlässigen. “Höllenjazz in New Orleans” ist ein ausgezeichneter Erstling, die perfekte Einführung einer hochtalentierten neuen Stimme, die mittlerweile bereits zwei neue Romane vorgelegt hat. Der letzte – “Gangsterswing in New York” – erschien 2020, und da die ganze Reihe mit City Blues Quartett betitelt ist, wird es natürlich noch einen Roman aus dem Topf Stadt – Musik – Verbrechen geben. Und es bleibt vor allem historisch.

Erschienen sind die Bände bei Piper.

Vampir

Die 20 besten Vampir-Bücher aller Zeiten

Dieser Artikel ist Teil 6 von 17 der Reihe Fantasy-Literatur

Der Vampir – Herkunft, Mythos und Geschichte

Es gibt eine wahre Schwemme an Vampirbüchern da draußen. Um ehrlich zu sein, taugen die meisten nicht viel, auch wenn sie zu Bestsellern wurden. Doch wenn man an das richtige Buch gerät, macht der Vampirmythos wieder Spaß. Wir haben 20 nennenswerte Bücher über  Blutsauger (die manchmal auch Teil einer Serie sind) herausgesucht, die unserer Meinung nach zur Spitze der Vampirliteratur gehören. Auf eine Platzierung wird verzichtet, weil die Zeitspanne der Entstehungsgeschichten zu weit auseinander liegt, um sie sinnvoll gegeneinander abzuwägen. In diesem Sinne ist diese Liste als Aufzählung zu verstehen.

1. George R. R. Martin – Fiebertraum (Heyne)

Martin ist nicht nur der Schöpfer von “Ein Lied aus Eis und Feuer”, sondern unter anderem auch der Autor dieser blutigen wie faszinierenden Geschichte, die sich um Abner Marsh dreht, einen Bootskapitän auf dem mächtigen Mississippi, der im Jahre 1857 ein ungewöhnliches Angebot von einem Fremden erhält. Wenn es auf einem völlig gesättigten Markt  ein “Vampir”-Buch gibt, das man unbedingt lesen sollte, dann ist es dieses hier. Das Setting ist völlig exotisch, die Charaktere herausragend und komplex gezeichnet. Wer immer auf der Suche nach einem exzellenten Vampir-Roman ist, hat ihn hiermit gefunden.

2. Stephen King – Brennen muss Salem (Heyne)

Viele würden, wenn es um Stephen Kings Meisterwerk geht, auf “Shining” verweisen, aber sein zweiter Roman ist nicht weniger unterhaltsam, emotional und erschreckend. Der Schriftsteller Ben Mears kehrt in seine Heimatstadt zurück, um über das Marsten-Haus zu schreiben, wo er als Kind etwas Schreckliches erlebte. Aber seine Ankunft fällt mit der des neuen Bewohners des Hauses zusammen, und die Dunkelheit breitet sich schnell aus. “Brennen muss Salem” ist von der gotischen Tradition durchdrungen, aber King zeigt hier seine Gabe und sein Geschick, über Kleinstädte zu schreiben, die auseinander gerissen wurden. Das Böse, das aus dem Marsten-Haus sickert, wendet Nachbarn und Familienmitglieder gegeneinander und führt zu einem fantastisch eisigen Roman, der einer der besten Vampirbücher bleibt, die  je geschrieben wurden.

3. Anne Rice – Interview mit einem Vampir (Goldmann)

Dieses Buch enthält alle Bekenntnisse eines Vampirs, angefangen von dem Moment, in dem Louis gebissen wird, schildert seinen Überlebenskampf in New Orleans bis hin zu dem Tag, an dem er beschließt, die junge Claudia zu verwandeln. Mehr noch, es ist ein Buch, das die öffentliche Wahrnehmung über Vampire für immer verändert hat, als es 1976 erschien. Innovativ und dunkel-sinnlich ist das hier das Buch, das ein ganzes Genre wiederbelebt hat und die einflussreichste Post-Stoker-Interpretation über Vampire. Zum größten Teil sind heutige Ergüsse nur Nachahmungen dieser grandiosen Reihe.

4. Bram Stoker – Dracula (Fischer)

Der Königs-Vampir regiert noch immer, auch wenn Draculas Bedeutung über ein Jahrhundert ständiger Anpassungen und Neuinterpretationen vernebelt wurde. Der Roman ist wunderbar überdeterminiert, vollgepackt mit konkurrierenden Ängsten – und gleichzeitig steht im Mittelpunkt der Geschichte ein leerer Raum. Dracula nämlich schreibt, im Gegensatz zu den anderen Charakteren, seine eigene Geschichte nicht auf. Der Leser wird dazu eingeladen, eine eigene Interpretation zu finden.

 

5. John Ajvide Lindqvist – So finster die Nacht (Lübbe)

Es ist Herbst 1981 in Blackeberg, Schweden. Oskar ist ein zwölfjähriger Junge. Eli ist das Mädchen, das gerade nebenan eingezogen ist. Aber das ist nicht der Anfang deiner alltäglichen YA-Romanze, denn Eli ist vielleicht nicht so sehr Jemand wie ein Etwas. Der nachfolgende Film (eigentlich sind es zwei) mag eine breitere Zustimmung erhalten haben, aber Lindqvists Roman ist eine atmosphärisch wiedergegebene Geschichte der Isolation im Kindesalter und der Notwendigkeit von Gesellschaft. Oskar wird in der Schule routinemäßig schikaniert und seine Mutter hat keine Zeit, sich um ihn zu kümmern. Als er sich mit Eli anfreundet, entdeckt er die Vorteile und die Gefahr, sich auf jemand anderen zu verlassen. Der Roman ist in seiner Darstellung des Horrors viel expliziter als der Film, ein grausames Märchen, das den Schmerz der einsamen Jugend hervorragend darstellt. Viel gelobt, und das zu Recht.

6. Elizabeth Kostova – Der Historiker (Bloomsbury Berlin)

Der Historiker” ist ein funkelnder Debütroman von Elisabeth Kostova und erzählt die Geschichte einer jungen Frau, die in der Bibliothek ihres Vaters etwas Seltsames entdeckt: Die Überreste vergilbter Briefe einer jahrhundertealten Jagd nach einem legendären Herrscher. Jetzt muss sie entscheiden, ob sie die Herausforderung annimmt oder nicht, auch wenn sie sich dann der furchterregenden Frage gegenüber sieht, die jedem Historiker, der versucht hat, sie zu beantworten, den Ruin gebracht hat: Wer ist Vlad der Pfähler wirklich? “Der Historiker” spielt mit der Struktur und den Details von Stokers Dracula, aber Kostova verwendet den Hintergrund, um eine rasante Abenteuergeschichte abzuspulen. Das Buch ist eine äußerst unterhaltsame Tour-de-Force mit Witz und Intelligenz.

7. Richard Matheson – Ich bin Legende (Heyne)

Eines der einflussreichsten Bücher in diesem Genre stellt Robert Neville vor, den letzten Überlebenden in einer Welt, die von einem Virus ausgelöscht wurde, der Menschen in Vampire verwandelt. Jetzt muss Neville die infizierten Kreaturen abwehren, die ihn jede Nacht vor seiner Haustür bedrohen. Hier sei gesagt (man muss es leider wieder und wieder betonen): Das Buch ist nicht der Film mit Will Smith, den man schnell vergessen sollte. Mathesons Roman von 1954 ist eine der größten Vampirgeschichten, die je geschrieben wurden. Das starke Gefühl der Isolation ist nach der kraftvollen moralischen Wendung des Finales des Buches zweitrangig, als Robert gezwungen ist, seine Position in der neuen Welt zu bedenken. Pflichtlektüre gibt es an sich kaum, das hier aber ist eine.

8. Octavia Butler – Vom gleichen Blut (Lübbe)

Octavia E. Butlers Roman, der nach seiner Veröffentlichung hochgelobt wurde, ist eine Meistererzählung der Science-Fiction. Dies ist die Geschichte von Shori Matthews, einem 10-jährigen Mädchen, das herausfindet, dass sie in Wirklichkeit eine 53-jährige Vampirin ist. Die eiserne Entschlossenheit, ihre Amnesie zu bekämpfen, führt sie auf eine atemberaubende und traumatische Reise. Aber sie will herausfinden, wer sie ist – und wer sich solche Mühe gibt, sie tot zu sehen.

9. Laurell K. Hamilton – Bittersüße Tode (Lübbe)

Willkommen in St. Louis! Dies ist das Revier von Anita Blake, professionelle Vampirjägerin und Nekromantin. Sie ist immer zur Stelle, um ein paar Untote zu beseitigen, wenn die Dinge außer Kontrolle geraten. Natürlich ist sie die Beste in ihrer Branche, was bedeutet, dass sie mit vielen Kreaturen interagiert – vor allem mit Jean-Claude, dem Meistervampir, den sie konsultieren muss, als sie gebeten wird, eine Reihe von Vampirmorden zu untersuchen. Leider fühlt sie sich auch schrecklich zu ihm hingezogen. Wer seine Vampirgeschichten mit einer Dosis Sex (und harter Detektivarbeit) mag, ist mit dieser sehr erfolgreichen Reihe auf der richtigen Fährte

10. John William Polidori – Der Vampyr (Hoffenberg)

Dieses 1819 veröffentlichte Buch ist wahrscheinlich die Geburt der Vampirliteratur. Sicher aber war Polidori einer der Begründer des romantischen Vampirmythos. Erzählt wird die Freundschaft zwischen einem Herrn namens Aubrey und dem rätselhaften Aristokraten Lord Ruthven. Obwohl es sich um ein kurzes Werk handelt, ebnete John William Polidori damit den Weg für die späteren Giganten des Genres.

11 Joseph Sheridan Le Fanu – Carmilla (Diogenes)

Diese Novelle ist eine der erfolgreichsten Vampirgeschichten, die je geschrieben wurden, und enthält auch einen der sympathischsten Vampire der Literatur. Der Angriff des Vampirs wird hier zu einer langen Verführung, einer romantischen Freundschaft, der Laura, Carmillas vorgesehenes Opfer, nur schwer zu widerstehen vermag. Carmilla ist eine der ersten Vampire, die sich für ihr Existenzrecht einsetzen, genau wie jedes andere Wesen in der Natur. Ihre Gegner sind so stumpfsinnig und selbstgefällig, dass man hofft, sie werden sie nicht aufhalten. Die Geschichte wurde 1872 veröffentlicht und ist ein faszinierendes Fenster in eine Zeit, in der die Vampirmythologie – und alles, was sie umfasst – noch erfunden werden musste.

12. Theodore Sturgeon – Blutige Küsse (Fischer)

Von einem der Paten der modernen Science-Fiction stammt dieser Briefroman über einen Soldaten, der ein wenig … verändert nach Hause kommt. Er hat sich an den Armeepsychiater gewandt, der ihn bat, seine Geschichte aufzuschreiben. Das Ergebnis ist diese schockierende und seltsame Sammlung von Briefen, Transkripten und Fallstudien. Ein kurzer Roman, der dennoch einen grandiosen Biss mitbringt.

13. Kim Newman – Anno Dracula (Heyne)

Fans der Vampirliteratur sollten sich unbedingt ein Exemplar von Kim Newmans alternativer Geschichte besorgen, in der Jonathan Harker und Van Helsing Dracula nicht aufhalten konnten. Der Graf hat Königin Victoria geheiratet und Menschen und Vampire leben jetzt Seite an Seite … bis Jack the Ripper anfängt, Blutsauger mit seinem silbernen Messer auszunehmen. Der Roman ist vollgepackt mit Charakteren aus Film und Literatur (John Merrick, Lestat de Lioncourt und Graf Orlock tauchen auf) und ein absoluter Genuss für Fans des Genres.

14. Dan Simmons – Kinder der Nacht (Heyne)

Als ein Forschungsteam auf medizinischer Mission nach Rumänien reist, sind die Mitglieder ziemlich erschüttert, als sie ein Kind in einem Waisenhaus entdecken, dessen Immunsystem der Schlüssel zur Heilung von Krebs und AIDS sein könnte. Das Kind heißt Josua, und ihm wurde inmitten einer tödlichen Krankheit die falsche Bluttransfusion verabreicht. Aber jetzt ruft seine bloße Existenz auch einen mysteriösen Clan auf den Plan … in satten Farben dargestellt und insgesamt ungeheuer spannend, ist “Kinder der Nacht” ein Roman, der den Vampirmythos auf den Kopf stellt.

15. Robert McCammon – Blutdurstig (Knaur)

Im modernen Los Angeles, das in “Blutdurstig” auf anschauliche Weise dargestellt wird, senkt sich das Böse zunächst langsam herab: eine Leiche hier und eine andere dort. Aber dann sorgt die Anzahl der Toten doch für Aufsehen – und alle Morde scheinen nachts zu geschehen. Die Hinweise deuten alle auf eine dunkle Macht hin, die älter ist als die Zeit, und die eine Legion von Anhänger zu haben scheint. Noch bedrohlicher aber ist deren Durst, denn der kann nie gestillt werden.

16. F. Paul Wilson – Das Kastell (Festa)

Mitten im Zweiten Weltkrieg wird eine Einheit deutscher Truppen zu einem abgelegenen Bergfried in den Siebenbürger Alpen entsandt, um ihr Territorium zu schützen. Zuerst scheint es sich um einen leichten Auftrag zu handeln – bis die Männer von Captain Wörmann am Morgen tot, mit schrecklich zerfetzten Kehlen, aufgefunden werden. Kein Mensch könnte diese Gewaltakte begangen haben, und kein Mensch kann auch nur hoffen, die Situation zu klären …. oder doch? Mit der durch den Krieg verschärften Spannung im Hintergrund verbinden sich die Kräfte von Gut und Böse in diesem Buch zu einem Schauspiel reinen Horrors.

17. Charlaine Harris – Vorübergehend tot (Feder & Schwert)

Hier beginnt die Reihe um Sookie Stackhouse. Sie ist eine ruhige, bescheidene Kellnerin aus der kleinen Stadt Bon Temps, Louisiana und ein ganz normales Mädchen – abgesehen davon, dass sie Gedanken lesen kann. Oh, und sie geht mit einem Vampir aus. Wie man vielleicht erwarten darf, verursacht das ein paar Probleme, besonders als mehrere Leichen auftauchen. Vorübergehend tot ist die perfekte Mischung aus Komödie, Action und Romantik. Der Roman hat HBO zu seiner preisgekrönten Serie True Blood inspiriert.

18. Suzy McKee Charnas – Der Vampir-Baldachin (Knaur)

Tagsüber ist Dr. Edward Lewis Weyland Professor. Aber nachts ist er ein Vampir, und obwohl er seine Kräfte nicht durch übernatürliche Mittel erworben hat – sein Zustand ist biologisch begründet -, hat sich sein Bedürfnis, sich vom menschlichen Blut zu ernähren, deshalb nicht geändert. In vier episodischen Kapiteln sehen wir, wie sich dieser Drang manifestiert und wie der Vampir trotzdem noch versucht, mit der Gesellschaft zu interagieren. Spannende Prosa, straffe Handlung und ein charismatischer Vampir im Mittelpunkt zwingen den Leser in dieses bahnbrechende Buch, das 1980 erstmals veröffentlicht wurde, hinein. (Die deutsche Version erschien 1984 bei Knaur und ist nur noch antiquarisch abrufbar).

19. Seth Grahame-Smith – Abraham Lincoln: Vampirjäger (Heyne)

Dieses Buch eignet sich hervorragend dafür, sich erneut mit Abraham Lincoln vertraut zu machen: Retter der Union, größter Präsident der Vereinigten Staaten und vereidigter Jäger aller Vampire. Als er von der wahren Ursache des Todes seiner Mutter erfährt, schwört Abraham Lincoln, sie zu rächen – und dokumentierte dies alles in seinen Aufzeichnungen, die später von Grahame-Smith entdeckt wurden. Dieses Geheimnis blieb jahrhundertelang verborgen, aber durch dieses Buch ist es möglich, Licht auf Lincolns mutigen Kampf gegen die Untoten zu werfen, und wie dadurch die Geschichte Amerikas geprägt wurde.

20. Scott Snyder / Stephen King / Rafael Albuquerque – American Vampire (Vertigo)

In dieser Graphic Novel, geschrieben von Stephen King und Scott Snyder, treffen die Leser auf zwei Vampire, deren Geschichten sich verflechten: eine junge Frau, die Rache begehrt, und ein gefährlicher Bandit, der ihr hilft, sie zu bekommen. Kings Teilnahme an diesem Werk begründete er damit, dass er den Vampiren “die Zähne zurückgeben” wollte, das heißt, sie nach dem völlig unverständlichen “Twilight”-Wirbel wieder zu blutrünstigen Killern zu machen.

Unübersetzte Meisterwerke: Was auch wieder betont werden muss, ist die immense kulturelle Wüste deutschsprachiger Phantastik, was vor allem daran liegt, dass in unseren Verlagen kaum Experten zu finden sind. Hier eine kleine Auswahl wichtiger Bücher, die es nicht zu uns geschafft haben: Steven Brust – Agyar; Carlos Fuentes – Vlad; Robin McKinley – Sunshine; Brian Wilson Aldiss – Dracula Unbound; E.E. Knight – Vampire Earth (von Heyne mittendrin abgebrochen, was noch schlimmer ist, als die Bücher gar nicht übersetzt zu haben); Andrew Fox – Fat White Vampire Blues; Silvia Moreno-Garcia – Certain Dark Things; Florence Marryat – The Blood of the Vampire; Paul Féval – La Ville-Vampire; Poppy Z. Brite – Lost Souls;

Zombies – Voodoo oder Wissenschaft?

Obwohl George Romeros 1968er Film “Nacht der lebenden Toten” oft als der originale moderne Zombiefilm gilt, erschien der erste tatsächlich fast 40 Jahre früher unter dem Titel “White Zombie” mit Béla Lugosi als bösem Voodoo-Priester in Haiti. In all den Jahren sind nur eine Handvoll Zombie-Filme zu ihren haitianischen Ursprüngen zurückgekehrt – vor allem “Schlange und Regenbogen”.

Laut dem Oxford English Dictionary tauchte das Wort “Zombie” erstmals um 1810 im englischen Sprachram auf, als der Historiker Robert Southey es in seinem Buch “History of Brazil” erwähnte. Aber dieses “Zombi” war nicht die vertraute menschenähnliche Monstrosität, sondern eine westafrikanische Gottheit. Später bezeichnete der Begriff die lebenswichtige, menschliche Kraft, die die Hülle eines Körpers ähnlich der Seele verlässt, und letztendlich ein menschliches Wesen, das weder Selbstwahrnehmung, Intelligenz oder eben diese Seele besitzt. Er wanderte durch den Sklavenhandel von Afrika nach Haiti und verselbständigte sich dort zu einem ganz eigenen Mythos.

Voodoo oder Wissenschaft?

Jeder kennt die fiktiven Zombies, aber wenige kennen die Fakten über Zombies. Für viele Menschen, sowohl in Haiti als auch anderswo, sind Zombies äußerst real. Sie sind kein Scherz; Sie sind etwas, das ernst genommen werden muss. Der Glaube an Magie und Hexerei ist in Haiti und der Karibik weit verbreitet, oft in Form von Religionen wie Voodoo und Santeria.

Haitianische Zombies sollen Menschen gewesen sein, die von Voodoo-Priestern, den so genannten Bokors oder Houngan, auf magische Weise von den Toten zurückgebracht (und manchmal auch kontrolliert) wurden. Manchmal wurde die Zombifizierung als Strafe angesetzt (eine starke Angst bei denen, die glauben, sie könnten sogar nach dem Tod noch missbraucht werden ist in der Karibik, aber auch in New Orleans nachweisbar), aber meist wurden die Zombies zur Sklavenarbeit auf Farmen und Zuckerrohrplantagen eingesetzt. 1980 behauptete ein psychisch kranker Mann sogar, zwei Jahrzehnte lang als Zombie-Arbeiter gefangen gehalten worden zu sein, obwohl er die Ermittler nicht zu dem Ort führen konnte, wo er gearbeitet haben wollte. Seine Geschichte wurde nie verifiziert.

Jahrzehntelang sah man im Westen in Zombies kaum mehr als fiktionale Filmmonster, aber diese Annahme wurde in den 1980er Jahren in Frage gestellt, als ein Wissenschaftler namens Wade Davis behauptete, ein Pulver gefunden zu haben, das Zombies erschaffen konnte und somit eine wissenschaftliche Grundlage für Zombie-Geschichten lieferte. Davis glaubte nicht an Voodoo-Magie. Aber er glaubte, dass er etwas gefunden hatte, das die Opfer in einen zombieähnlichen Zustand versetzen könnte: ein starkes Nervengift namens Tetrodotoxin, das in mehreren Tieren, einschließlich Kugelfischen, vorkommt. Er behauptete, Geheimbünde von Bokors infiltriert zu haben und dort an mehrere Proben des Zombiepulvers gekommen zu sein, die später chemisch analysiert wurden.

Davis schrieb ein Buch über das Thema: “Schlange und Regenbogen”, das später in einen Horrorfilm verwandelt wurde. Eine gewisse Zeit lang betrachtete man Davis als den Mann, der das Geheimnis der Zombies wissenschaftlich gelöst hatte. Davis‘ Behauptungen wurden jedoch später von skeptischen Wissenschaftlern angezweifelt, die seine Methoden als unwissenschaftlich ansahen und darauf hinwiesen, dass die Proben des Zombie-Pulvers inkonsistent waren und dass die in diesen Proben enthaltenen Neurotoxinmengen nicht hoch genug waren, um Zombies zu erschaffen. Darüber hinaus müssten die von den Bokors verwendeten Dosierungen exakt sein, da zu viel des Toxins eine Person leicht töten könnte. Andere wiesen darauf hin, dass niemand auf dem kleinen Inselstaat jemals eine der vielen angeblichen Plantagen mit Zombie-Arbeitern gefunden hatte.

In seinem zweiten Buch, “Passage of Darkness” (Die Ethnobiologie des haitianischen Zombies), erkannte Davis die Probleme, die seine Theorien aufwarfen und widerlegte einige der sensationelleren Behauptungen, die ihm zugeschrieben wurden. Dennoch bestand er darauf, dass der haitianische Glaube an Zombies auf (zugegebenermaßen seltenen) Fällen beruhen könnte, in denen eine Person durch Tetrodotoxin vergiftet und später im Sarg wiederbelebt und aus dem Grab genommen wurde. Außerdem fügte er hinzu, dass das Zombie-Phänomen viel mehr sei als nur das Pulver. Das sei nur ein Teil eines tief verwurzelten soziokulturellen Glaubens an die Macht der Hexerei. In der haitianischen Kultur tun Voodoo-Priester viel mehr, als Zombies zu erschaffen. Sie sollen durch Magie sowohl Segen als auch Flüche beherrschen.

Obwohl Zombies im wirklichen Leben ein Mythos bleiben, gibt es mehr als genug Geschichten darüber, um Freunde des Gore und Zombie-Fans für viele weitere Jahre zu befriedigen.

Der Straßenmagier

Bryan Camp – Der Straßenmagier; Die Götter von New Orleans (Urban Fantasy)

Obwohl das Cover von Bryan Camps Urban Fantasy-Auftakt nicht gerade dazu einlädt, mich hinter irgendeinem Ofen hervorzulocken, sollte man das nicht dem Autor ankreiden. Wir wissen alle, dass deutsche Verlage nicht gerade ein glückliches Händchen in Sachen Cover haben, was – und auch das muss erwähnt werden – auch dem Publikum geschuldet ist, das damit angesprochen werden soll.

Ich bin mir sicher, das Buch kommt dennoch in die richtigen Hände, denn bei diesem Auftakt zur Reihe “Die Halbmondstadt” handelt es sich um einen Urban-Fantasy-Roman. Allerdings muss er sich – wie fast alle Romane dieser Art – natürlich an Jim Butchers Harry Dresden messen lassen. Mehr noch, es wirkt so, als hätte Bryan Cramp Harry Dresden mit Neil Gaimans American Gods verknüpft, um zu seinem eigenen Ergebnis zu kommen.

Der Unterschied besteht darin, dass der Schauplatz eine Stadt ist, die sich in Sachen Mythen nicht gerade verstecken muss – New Orleans. Um ehrlich zu sein, war das auch der Grund, warum ich mich überhaupt für diesen Roman interessieren konnte. Dresden-Klone gibt es schließlich wie Sand am Meer, und alle schneiden eher bescheiden ab.

Jude Dubuisson ist ein Straßenmagier aus New Orleans, dessen besonderes Talent darin besteht, verlorene Dinge wiederzufinden – ein Talent, das nicht auf Irreführung und Intuition beruht, sondern auf echter Magie, die ihm von einem Vater vererbt wurde, den er nie kennengelernt hat. Ein Vater, der … mehr als ein Mensch ist, was Jude zu einer Halbgottheit macht. Doch als der Hurrikan Katrina aufzog, wurde Jude von dem immensen Ausmaß des Verlustes überwältigt und verschwand von der Bildfläche.

Er wird in ein Kartenspiel zwischen Unsterblichen hineingezogen. Ein Kartenspiel, bei dem sein Körper zerrissen und unter den Siegern verteilt wird. Ein Kartenspiel, das das Schicksal der Stadt bestimmt.

Der Roman beginnt jedes Kapitel mit einer Schöpfungsgeschichte oder Mythologie, die Parallelen zwischen den heutigen Ereignissen und diesen Mythen zieht: Szenen und Verbindungen ziehen sich durch die Kapitel und fügen eine neue Perspektive hinzu, um das Alte und das Neue zu betrachten. Der Schreibstil ist beschreibend, vielleicht sogar zu beschreibend, was sich hier und da mehr wie ein Drehbuch liest, bei dem jeder Moment und jeder Augenaufschlag darauf abzielt, ein bestimmtes Bild hervorzurufen, so dass der Leser passiv bleibt und schlecht in die Geschichte hinein findet.

Camps Schreibstil ist zwar reizvoll, aber die übermäßige Verwendung von Worten, die scheinbar nur dazu dienen, den Leser auf einen vom Autor vorgegebenen Weg zu lenken, lässt die persönliche Beteiligung an der Geschichte nicht zur Entfaltung kommen. Dennoch ist die Geschichte in einem angenehmen Tonfall vorgetragen, der Momente der Spannung, der Introspektion und der Action gleichermaßen gut wiedergab und so die Klarheit und das auditive Interesse an einer Handlung aufrechterhielt, die sich oft im Aufbau von Raum, Ort oder Geschichte verzettelt.

Kurz gesagt, Camps Schreibstil ist faszinierend, und niemand kann behaupten, dass er Worte nicht wirkungsvoll einsetzen kann, aber es fehlte der Fokus auf die Entwicklung irgendeines seiner Protagonisten.

Allerdings, und auch das sei vermerkt, kann dieser Roman nur in New Orleans spielen. So viele Städte haben ihre eigene Mystik (man denke an New York, London, Paris), aber die Mischung aus Heiligem und Profanem ist in New Orleans einzigartiger und effektiver als anderswo. Die Götter und Monster (oft beides), die dieses Buch beiläufig bevölkern, fangen den Geist und die Legende von New Orleans ein und gehen über die bloße Atmosphäre hinaus.

Das Buch ist vollgepackt mit Charakteren, sowohl gutartig als auch bösartig. Jude selbst hingegen könnte zwar fesselnd sein, weil er dadurch Zugang zu den Göttern und übernatürlichen Wesen hat, während er gleichzeitig seine Verbissenheit gegenüber der Menschheit beibehält, bleibt für mich aber eher uninteressant.

Ich selbst werde der Serie zwar nicht weiter folgen, was aber nicht bedeuten soll, dass es sich hier um einen Rohrkrepierer handelt. Für die meisten Leser, die mit Urban Fantasy etwas anfangen können, wird dieses Buch wahrscheinlich sogar ein Volltreffer sein.