Was ich sagen will ist, dass Lyrik nicht gedacht werden kann – allenthalben die Formalisten taten sich daran gütlich, hatten aber zumindest mit ihrer Kritik Recht, die sich auf die Leugnung musikalischer Muster in Gedichten stützte; denn was lautet, ist grundsätzlich der Musik zuzurechnen, ob es den Vertretern der Musik oder den Vertretern der Poeterei nun passt oder nicht. Doch auch hier gilt das, was ich allenthalben für Europa sagen kann: dass die Verquickung aller Schulen ein Gespräch ergibt, dass der Bezug auf die eigene präferierte Leistung lahm erscheint, unergiebig; ein Schattentod, der die grellen Lichter das Objekt verunstalten lässt. Und damit will ich gar nicht an einer Verunstaltung rütteln, die eben gerade neu zu gestalten vermag. Mit neuen Erfahrungen das einst Aufgegebene noch einmal besehen, das Zeitlose daran filtern (und das meint immer das Rätsel unserer Existenz; es meint ausschließlich das Rätsel unserer Existenz) – das scheint mir jegliche Verunstaltung zu rechtfertigen. Ich könnte jetzt hinzufügen: Um zum Kern zu gelangen, aber es dürfte sich herumgesprochen haben, dass es keinen Kern gibt, dass wir in Feldern zu denken haben. Lyrik – hat man einst behauptet – umkreist seinen Gegenstand, aber in Wirklichkeit wird da gar nichts umkreist, weil das Gedicht schon der Gegenstand ist, und sei es ein Loch, das alles in sein Gegenteil verkehrt.
Kategorie: Brouillon (Seite 39 von 69)
der BROUILLON ist tagesgeschäft, nicht mehr als journaling über unwichtige persönliche befindlichkeiten.
Ob das alles Öffentlichkeit braucht, weiß ich nicht, ich kann ganz gut für mich sein. Aber tatsächlich beschäftige ich mich mit dem Nachher meiner Arbeit, was konkret bedeutet, dass ich jetzt, wo ich dem Ende von GrammaTau zuneige (und auch die Sandsteinburg ausgeschrieben habe), konsequenterweise verstummen müsste oder eine neue Tür finden, die für mich gangbar ist. Natürlich weigere ich mich bis an mein Lebensende, verständlich zu sein, weil ich Verständlichkeit für Opportunismus halte, zumindest, was die Kunst betrifft (der Rest war mir jederzeit und alle Zeit vollkommen egal). Die Welt ist dann ein Kunstwerk, wenn sie unterschiedlich interpretiert werden kann. Da niemand die Welt versteht, ist das der Fall. In meiner Zurückgezogenheit gelingt es mir, subversiv zu sein, die Referenz meiner Arbeit bin nunmehr nur ich selbst. Es drängen sich Urlaute auf, Fragmente, die mit Lauten zu einem Rhythmus verbunden werden, der länger in der Luft schweben kann als ein Takt, als Nachbild, als Nach-Sonne. In meinen Gedichten kann es nicht mehr um die fremdartige Anwendung und Zusammensetzung von Sprache allein gehen; der Schwerpunkt könnte die Prosodie bilden, die ich bisher immer nur bis zu einem gewissen Grad berücksichtigt habe (wenn auch schon stark genug, um sie als Relevant zu bezeichnen). Da habe ich noch Forschungsgrund.
Also kramte ich, weil ich wieder nicht schlafen konnte, den Apparat unter der Kommode hervor, den Staub wischte ich erst gestern von seiner Oberfläche, diese Patina der ruchlosen Umgebung hatte mir lange lange gefallen. Gestern störte sie mich. Die Nacht bietet der Stimme einen anderen Raum; das liegt nicht allein an der Stille, es liegt vielmehr an der Schwingung aller Gegenstände In den letzten Tagen bemerke ich sehr genau, wie die einzelnen Stücke der Sandsteinburg nie exakt mit einer einzigen Einstellung bearbeitet werden können. Bei GrammaTau ist das selbstverständlich der unterschiedlichen Interpretation geschuldet, die Sandsteinburg ist aber – zumindest in seinen längeren Ezählpassagen – als Einheit zu verstehen. Von Kapitel 3 : Es gab einen Sturm, habe ich die gewünschten 8 Teile, um beginnen zu können, nun fertig. Doch es trifft sich sehr gut, dass ich auch – eben in besagter letzter Nacht – noch weitere Gedichte „bespielt“ habe. Seit ich in der Schweiz „Die Gilde“ zusammenstellte, habe ich das nicht mehr in die Nacht gelegt. Nachts sind hier arabische Familien unterwegs, sie laufen mitten auf der dunklen Straße und grölen wie Ballermann-Jünger. Das tun sie aber nicht, weil sie die gleiche Gehirnschmelze aufweisen, sondern weil sie es so gewohnt sind. Vielleicht nehmen sie Tag und Nacht in ihrer Unterscheidung nicht wahr. Oder es ist ihnen schlicht egal. Wenn ich die Balkontüre schließe, ersticke ich nach etwa einer Viertelstunde, aber sie hält doch einen Großteil Lärm ab. Tagsüber, wenn gegenüber das „Höllenhaus“ entkernt wird, sieht die Sache anders aus, da muss ich dann die Musik in die Höhe treiben, um etwas anderes zu hören als das Treiben der Wanderarbeier aus dem Osten. Das mag sich alles nach einem grundgütigen Ghetto anhören, dabei verwandelt sich das Viertel um die alte Spinnerei doch in eine sanierte Prinzessin – so zumindest der Schein. Seit ich hier wohne, zeigt die Baubehörde, was sie so unter Leben versteht.
Sehr guter Zusatz. Bereichert das ganze enorm. Danke!