Einst war ich der Apologet des Surrealismus, was zu Beginn der 90er Jahre schwierig war, hatte man diesen Ismus in Deutschland doch nie recht verstanden. Wie wäre denn das Unbewusste, das Magische, das Zufällige zu verteidigen gegen einen Zweckrationalismus, unter dessen Ergebnisse wir erst heute so richtg leiden? Der Surrealismus hat heute in der Weird Fiction überlebt, bei uns wagt man das – ich bin vielleicht eine der Ausnahmen – noch immer nicht. Das liegt aber nicht etwa daran, dass wir, die einstige Hochburg der Romantik und des Phantastischen – plötzlich rational geworden wären, die faust’sche Seele wandert noch immer durch unseren Volkskörper, sondern weil wir wie kein anderes Land des Westens um Gleichschaltung bemüht sind, auch wenn die Medien das Gegenteil verlauten lassen. Die Franzosen hatten, als der Surrealismus als Weltanschauung explodierte, den mit Abstand rationellsten Verstand vorzuweisen – und unsere Romantik konnte nur anhand des aufklärerischen Gebarens der sogenannten Goethezeit zur Blüte gelangen. Aber gegen den geistigen Brei, den wir heute erfahren, kann man kaum ankommen, weil das dumpfe Blubbern darin regiert. Trotzdem ist die Phantastik meine Rettung, und natürlich bin ich heute deren Apologet.
Kategorie: Brouillon (Seite 43 von 69)
der BROUILLON ist tagesgeschäft, nicht mehr als journaling über unwichtige persönliche befindlichkeiten.
Dass ich diesmal an ein Verlagskonzept eher ruhiger herangehe, ist geschichtlich motiviert. Das geht auch nicht anders, denn wir leben in grundsolide bitteren Zeiten, die man sich nur durch eine gesunde Dosis Distanz und Tätigkeit urbar machen kann. Derzeit schreibe ich an meinen „letzten Horrorgeschichten“, was nicht meint, dass es wirklich die letzten sind, sondern sich mehr auf das beziehen, was sie stilistisch leisten. Sind das überhaupt Horrorgeschichten? Wenn man sich ansieht, was hierzulande darunter verstanden wird, dann eher nicht. Mit der Philosophie und dem Existentialismus scheinen unsere Autoren nicht sonderlich viel zu tun zu haben, den Existenzengrund sehe ich nirgends, eher nette Leute, die ihrer Kreativität eine unterhaltende Stimme geben. Das macht es einerseits unmöglich, Futter für eine Anthologie zu finden, die nicht nur aus Übersetzungen bestehen soll, andererseits kommt man ohne das, was gerne gelesen wird, nicht aus. Eine Debatte findet ohnehin nirgends statt. Das ist auch der Grund, warum ich auf eine Geschichte von mir in der MISKATONIC AVENUE verzichte (abgesehen von einer Kooperation mit Tobias Reckermann). Ich bin niemandes Kind und gehöre nicht einmal in meinen eigenen Entwurf. Tobias selbst sieht das anders (wie auch Albera Anders), aber der Hauptgrund des Verzichts: ich bin mir meiner überhaupt nicht sicher. DOROTHEA (erschienen im letzten IF-Magazin) mag da einerseits eine Außnahme als auch eine Bestätigung sein. Was also geschieht mit den „Letzten Horrorgeschichten“, dem „Schwarzenhammer-Zyklus“? Zunächst einmal ein neues Filmchen, das ich mit Albera plane, wobei noch nicht feststeht, welcher Text die Grundlage stellen wird. „Die Straße Malheur“, „Die Zentrifuge“ (die ich gerade ins Englische übertrage, um sie für den dortigen Markt flott zu machen), oder „Wuot“ – das sind die derzeitigen Möglichkeiten, und vielleicht werden noch mehr folgen. Seit Jahren sträube ich mich dagegen, eine eigene Sammlung herauszugeben, weil ich nicht glaube, Leser für diese artifiziellen Texte zu finden. Das könnte sich demnächst aber ändern, und es hängt paradoxer Weise viel von dieser ersten Anthologie ab.
So erstaunlich es sich anhört, habe ich eine irrationale Angst davor, Bücher könnte es eines Tages nicht mehr geben und diese Möglichkeit käme noch zu meinen Lebzeiten zum Tragen. Das mag vielleicht ein Grund für meine Besessenheit sein: kaum habe ich ein Buch in meine Sammlung integriert, fehlt mir ein anderes schmerzlich. Und das geht immer so fort. Als Leser hat man immer zu wenig Bücher, auch wenn man eines Tages so viel hat, sie nie und nimmer alle lesen zu können. Doch das spielt keine Rolle und kann nur der Einwand eines Nichtlesers sein, denn manchmal besteht die Aufgabe eines Lesers gerade darin, nur zwischen den Büchern zu verweilen und nicht zu lesen. Es gibt keine andere Möglichkeit, das Universum zu uns einzuladen; sobald wir in den Nachthimmel sehen, zieht es sich zurück. Nur in einer Bibliothek offenbart es sich, wie das Leben, das man sucht, aber nur noch in der Erinnerung findet, einer Erinnerung, die sich nicht zuletzt aus Gelesenem speist.
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Sehr guter Zusatz. Bereichert das ganze enorm. Danke!