Die Hochzeit: Schlitten, die auf Rädern die Kufen nachstellten, schneelos den Asphalt berollten, klingelten herbei, schön geschmückt mit Glöckchen und Glocken und Bändchen, schöner gar als die Jungfern trugen. Hypnose ist kein Schlaf sondern ein Wachzustand. Achatne Kugeln pilgerten die künstlich angelegten Gartenwege entlang, die allein dem Zweck dienten, die Braut für fotodokumentarische Zwecke dort entlang schweben zu lassen, wenn sie denn eintrifft (sie scheint sich zu verspäten). Aus Wasserspeiern pinkelt goldeingefärbtes Wasser, das in reichverzierten Auffangbecken glitzert.
WeiterlesenKategorie: Stories (Seite 30 von 43)
direkt aus dem lateinischen „storia“ übernehme ich diesen begriff, der mir immer schon eine andere konnotation ausdrücken zu schien als das vermaledeite „geschichten“.
»Ich weiß, es ist nicht deine Veranda, Schatz, aber es ist nicht weit davon entfernt, oder?« Dabei lächelte sie in einem ausgeklügelten System. Willi hätte Ilene am liebsten eine runtergehauen, eine wie Beethoven, die Bläser doppelt. Unter mondscheinbehangenen Trauben hatte er ihr erzählt, was ihm diese Veranda bedeutet, da waren sie noch nicht verheiratet gewesen, noch jedes Wort schön, klingt wie Geigen. Die Insekten symphonieren waffenstillständisch, erst später wird gestochen, gekrabbelt, gesummt, belästigt, ins Bier kamikaziert. Draperie des Mondenscheins, Wasser nicht still, bewegt vom Schunkeln der Erde, angestampfter Baggersand, Moon am Schlafen, eine Kulisse, wie um die Grotte von Vaucluse. Bildungen des Zufalls sind Bilder der Schönheit, Erdspalten und Grotten ein Synonym für das Weibliche. Das wusste auch Petrarca, der hier in die Quelle der Sorgue blickte und seine Laura besang (Anselm Feuerbach hatʼs dann gemalt). Die Erde ist voller Löcher, wie ein vom Furzen durchsiebter Käse. Warum sollte nicht ein vergessene Rasse, deren Stammvater ein Talpa ist, da unten leben, Ölkerzenalleen anlegen, der Mittelpunktsonne huldigen, angepasst mit Schaufelrädern an den Flanken, tellergroße Membrane an den Wangen, das Gehirn eines Pottwals, trockene Ursuppe, Bruder Ozean, der See hier vielleicht eine Toilette, denk’ mal dran, wer alles unter Wasser defäkiert und dann erinnere dich an das Paradies, das kannst du, es ist alles in unseren Zellen gespeichert, wir sind fleischfressende Mikrochips. Das Hirn, die Fleischmaschine. Das Leben existenzlos, auch die Welt: existenzlos.
WeiterlesenWilli hat zu viel Zeit zum Nachdenken, zu wenig Zeit, etwas zu verändern. Vielleicht hat sich die Tür, die offenstand, wie es uns das Unterbewusste lehrt, mit lautem Krachen geschlossen, vielleicht ist dies das Geräusch, das er hört, bevor er in Aufruhr gerät und stets zur selben Stunde erwacht : »Hier spricht die Zeit! Bleiben Sie stehen und hören Sie gut zu, denn ich werde mich nicht wiederholen!« Und auch die Bewegung, die er jetzt ausführt (es ist nur ein Streifen mit den Fingern an der Schläfe entlang), wird er nicht noch einmal machen. Frischluft wirbelt einsam in der bodennahen Grenzschicht herum, windkateraktreitende Pollen, Nacktsamer, Bedecktsamer. Nichts könnte tauglicher sein für ein tägliches Brunchen mit der Feder als jenes Fragment 91 des dunklen Heraklit. Alles plätschert oder fließt also, und man wird nicht zweimal in das gleiche Flussbett pinkeln. Aber die Zeit fließt nicht wie ein Fluss, sondern tickt wie eine Uhr, wobei jedes Ticken einer Planck-Zeit von 10-43 Sekunden entspricht, genauer gesagt, die Zeit im Universum fließt mit dem Ticken unzähliger Uhren. Bei einem Tick ist die Materie da, beim nächsten Tick ist sie verschwunden – eigentlich wird das Ticken durch das Verschwinden definiert. Aber zwischen den Ticks existiert die Zeit nicht; es gibt so wenig ein Dazwischen wie es Wasser zwischen zwei benachbarten Wassermolekülen gibt. Doch das Beunruhigende an der Zeitfluss-Metapher ist nicht der Fluss, der sich von der Kaverne hervor aus dem Quell greint, sondern dass wir selbst es sind, die nie wieder dieselben sein können. Ein Gedanke, der uns ontologisch gebeutelten Wesen sagt, dass es Sein an sich nicht gibt, dass Werden und Bewegung bereits alles ist. Wir können sagen, dass es unsere Fiktionen von uns selbst sind, die sich im Werden befinden, dass wir die Weltgeschichte entziffern, indem wir sie erfinden.
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Sehr guter Zusatz. Bereichert das ganze enorm. Danke!