Possenspiele

Schlagwort: England (Seite 26 von 33)

Dämonische Besessenheit

Alte Sendung aus dem „Phantastikon-Podcast“

Solange es Gottheiten gibt, gibt es auch Teufel, die sich im ewigen Kampf um menschliche Seelen befinden. Von den Sumerern bis zu heutigen Sekten enthält jede Religion dualistische Elemente, Licht und Dunkel, Gut und Böse, Engel und Teufel, binäre Gegensätze, die die Gläubigen ängstlich und brav halten sollen. Teufel befeuern dabei die dunkle Seite dieser Gleichung. Sie symbolisieren das, was uns passiert, wenn wir die Regeln nicht befolgen. Sie lauern auf unvorsichtige Sünder, verspotten, verführen und nehmen schließlich Besitz von unserem Verstand und Fleisch und verurteilen uns zu körperlicher Zerstörung und geistiger Verdammnis.

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Robin Hood (Der vermummte Räuber)

Im Laufe der Jahrhunderte hat das Erzählen und Nacherzählen der traditionellen Robin-Hood-Geschichten dazu geführt, dass eine schier unendliche Vielzahl von Interpretationen entstanden ist, die sich in Comics, Accessoires, Filmen, TV-Serien, Computerspielen usw. niederschlägt. Da es an unbestrittenen historischen Beweisen mangelt, hat jeder „Geschichtenerzähler“ die Gelegenheit genutzt, seiner Fantasie freien Lauf zu lassen und der beliebten Legende eigene Wendungen und Verzierungen hinzuzufügen. Infolgedessen hat die Fiktion über die Tatsachen gesiegt und eine Marke geschaffen, die als Symbol der Popkultur millionenfach reicher ist als eine echte historische Figur je sein könnte.

Der verbotene Tag

Historiker verbinden die Ursprünge der Robin-Hood-Legende oft mit den frühen heidnischen Festen am 1. Mai, dem „Robin-Hood-Tag“, und dem 30. Juni, an dem Mittsommer gefeiert wird.

Um die Ankunft des Frühlings zu symbolisieren, war es Tradition, ein Stück aufzuführen, in dem ein Jugendlicher als Robin Hood auftrat und die Maikönigin, auch „Jungfer Marian“ genannt, in den Wald brachte. Dort würde der Abt der Unvernunft, auch Bruder Tuck genannt, ihre Paarung „segnen“. Der unzüchtige und unmoralische Inhalt dieser Aufführungen wurde vom einfachen Volk sehr geschätzt und diente natürlich auch als Ausrede für rüpelhaftes Verhalten sowie aufrührerisches Schlemmen und Trinken.

Die Besorgnis der Behörden in England und Schottland über den unanständigen Ton der Feierlichkeiten wuchs unvermeidlich. Diese Parodie der Ehe, kombiniert mit all den ausschweifenden Vergnügungen, verschaffte dem Robin-Hood-Tag den berüchtigten Ruf, für eine große Anzahl illegitimer Kinder verantwortlich zu sein. Einige Historiker, die oft als „die Söhne Robins“ bezeichnet werden, behaupten, dass der Nachname Robinson so entstanden sein könnte.

Obwohl das schottische Parlament im Jahr 1555 beschloss, dass „niemand als Robin Hood, Little John, Abt der Unvernunft oder Maikönigin“ auftreten sollte, verbot das englische Parlament erst mit dem Aufkommen puritanischer Einflüsse im 17. Jahrhundert den Robin-Hood-Tag vollständig. Während der Restaurationszeit wurde das Fest wieder eingeführt, allerdings wurde es als einfaches Maifest bekannt. Die kirchlichen und bürgerlichen Behörden konnten sich schließlich darüber freuen, dass sie den Robin Hood’s Day erfolgreich aus dem öffentlichen Gedächtnis gelöscht hatten.

Mensch und Mythos

Mensch oder Mythos? Das ist die am häufigsten gestellte Frage zu Robin Hood. Weil es keine schlüssigen historischen Beweise für seine tatsächliche Existenz gibt, ist er zu einer extrem polarisierenden Gestalt geworden. Das schwer fassbare Geheimnis seiner wahren Herkunft trägt zur Faszination bei. Ob er gelebt hat oder nicht, ist heute nicht mehr wirklich wichtig.

Im Laufe der Jahrhunderte hat die Fiktion über die Tatsachen gesiegt und die Geschichten von Englands berühmtestem Gesetzlosen sind zu einer weltweiten Legende geworden. Sie haben Robin Hood als „Volkshelden“ etabliert und ihn zur „internationalen Berühmtheit“ erhoben – zur Ikone der Populärkultur mit einer über 500 Jahre alten Fangemeinde.

Die Volkskultur hat Robin Hood zu einer symbolischen Ikone der Freiheit und sozialen Gerechtigkeit gemacht und ihn mit zahlreichen Tugenden und Attributen ausgestattet, die seinem globalen Status als Volksvertreter gerecht werden.

Legt man jedoch die zahlreichen Schichten der Fantasien, die zu seinem internationalen Ruhm beigetragen haben, beiseite, so entdeckt man bald einige sehr dunkle Verbindungen zu Gewalt und bösartigem Verhalten.

Der vermummte Räuber

Wissenschaftler weisen schnell darauf hin, dass Robin Hood in erster Linie ein „Gesetzloser“ war und viele der „echten“ Banditen, von denen verschiedene Historiker glauben, ihre Taten könnten in den Mythos eingeflossen sein, nichts anderes als gnadenlose, mörderische Diebe waren, die kein Mitgefühl oder eine andere Ethik als den Selbsterhalt kannten. Trotz ihrer Verbrechen fanden sie in der Bevölkerung Bewunderung. Tatsächlich haben im Laufe der Jahrhunderte viele Kriminelle bewusst Vergleiche mit der traditionellen Robin-Hood-Legende gezogen, um Unterstützung in der Bevölkerung zu finden und ihr Image aufzupolieren.

Wir wissen, dass Robin Hood seit Langem mit den geheimnisvollen Geistern der Waldfolklore, wie dem Grünen Mann und Herne dem Jäger, in Verbindung gebracht wird. Es gibt aber auch plausible Hinweise darauf, dass er sogar Mitglied der Tempelritter gewesen sein könnte – jener heldenhaften Mönchsoldaten, die während der Kreuzzüge die Pilger auf ihrer Reise ins Heilige Land bewachten und neben Richard Löwenherz kämpften.

Als ihr Orden im Jahr 1307 von der katholischen Kirche exkommuniziert wurde, flohen viele Templer in die Wälder Mittelenglands, die bereits zuvor ein Zufluchtsort für Gesetzlose gewesen waren. Um unauffällig zu bleiben, trugen sie oft wenig mehr als die einem Mönch gebührende Kapuzenkleidung. Von dieser leiten sich die Worte „Hood” (Kapuze) und „Hoodlum” (Ganove) ab. Einige Historiker sind der Ansicht, dass dies auf den wahren Ursprung des Namens Robin Hood oder Robin of the Hood – oder gar Robbing Hood (vermummter Räuber) – verweist.

Von ihren Kritikern wurden die Templer auch misstrauisch als „eine esoterische Bruderschaft, die nach verbotenem Wissen hungert“ betrachtet. Man warf ihnen vor, Verbindungen zu okkulten Gruppen in der arabischen Welt zu knüpfen und sich an teuflischen Praktiken zu beteiligen. Der gefeierte Autor Sir Walter Scott hielt ihre militärische Organisation für wahrhaft bösartig und machte die Templer zu den Bösewichten seines klassischen Romans „Ivanhoe“, in dem auch Robin Hood und seine Bande von Sherwood-Geächteten auftreten.

In der Ballade „The Geste of Robyn Hode“ aus dem frühen 13. Jahrhundert wird Robins grausame Ader deutlich. Darin tötet er kaltblütig fünfzehn Förster, weil sie es versäumt haben, ihn für seine Bogenschießkünste zu bezahlen.

Der Fernsehhistoriker Michael Wood erklärt, dass der Begriff „Robehode“ bis 1300 allgemein für jeden lokalen Bösewicht verwendet wurde. In den Gerichtsregistern wurden mehrere Hods und Hoods mit dem Vornamen Robert geführt, darunter eine Familie aus Wakefield in Yorkshire. Sie waren zwischen 1270 und 1340 für ihre leichtfertige, brutale Gewalt und ihr unsoziales Verhalten berüchtigt.

Robin Hood in der Fantasy

Obwohl einige Historiker behaupten, dass die Figur Robin Hoods bis in die mittelalterlichen Mythen zurückverfolgt werden kann, tritt die Legende auch in den Genres Science Fiction und Fantasy auf. Das ist womöglich einer der Hauptgründe dafür, warum sich Robin Hood als globale Figur etabliert hat.

In der DC-Comics-Serie „Red Hood und die Outlaws“ wird die Robin-Hood-Legende in eine futuristische Welt mit mittelalterlichen Untertönen versetzt. Ein verbotenes Artefakt erinnert an den „Heiligen Gral“ und spiegelt die Werte und Prinzipien einer längst vergangenen, gerechten Gesellschaft wider. Am Ende entpuppt sich das begehrte Objekt als eine alte, ledergebundene Kopie der Geschichte von Robin Hood.

In der Star Trek: The Next Generation-Episode „Gefangen in der Vergangenheit“ aus dem Jahr 1991 sah man, wie sich der Schauspieler Patrick Stewart als der schelmische „Q“ ganz in den traditionellen Federhut usw. kleidete und Captain Picard und seine Crew in ein Robin-Hood-basiertes Szenario mit romantischem Touch nach Sherwood Forest transportierte.

Auf dem schmalen Grat zwischen den Genres Science-Fiction, Fantasy und Horror werden oft allerlei Themen neu interpretiert und zusammengeführt. So ist es also kein Wunder, dass auch die Robin-Hood-Legende ihre Horror- und Fantasyableger gefunden hat. Anfang 2013 wurde „Zombie Hood” veröffentlicht. Der Film spielt in Nottingham und entnimmt seine Handlung der traditionellen Legende.

In ihrem ersten Comic von Eco Comics verbündet sich Robin Hood mit den Horrorschwergewichten Dracula und Jekyll & Hyde, um eine Gruppe kriminell gesinnter Vampirinnen zu besiegen. Ein weiterer Beweis dafür, dass die Robin-Hood-Legende in ihren fantasievollen Adaptionen keine Grenzen kennt.

100 Jahre Hercule Poirot – Das fehlende Glied in der Kette

Alte Sendung aus dem „Phantastikon-Podcast“

Mit zwei Milliarden Büchern, die in über 100 Sprachen übersetzt wurden, ist Agatha Christie die unangefochtene Königin des Kriminalromans, die weltweit meistverkaufte Romanautorin und die wohl erfolgreichste weibliche Bühnenautorin aller Zeiten. Im Oktober 2020 jährte sich die Veröffentlichung ihres ersten Romans “Das fehlende Glied in der Kette” zum 100ten Mal, und damit auch das Erscheinen des legendären Hercule Poirot, des kleine Mannes mit dem tadellos gepflegten Schnurrbart, der mit Hilfe seiner  „kleinen grauen Zellen“ jedes Verbrechen lösen konnte. 

Obwohl er möglicherweise nach Sherlock Holmes der zweitberühmteste Detektiv der britischen Kultur ist, ist Poirot gar kein Brite, sondern ein Flüchtling. Er kam als Teil einer Gruppe von Belgiern, die durch den Ersten Weltkrieg vertrieben worden waren, nach England, doch seine Wiege liegt in Brüssel. Indem sie über diesen pensionierten belgischen Polizisten schrieb, der Fälle in ganz Großbritannien und auf der ganzen Welt löste, konnte Christie die Komplexität des Englischen und seine Beziehung zu Kontinentaleuropa erforschen (und sich manchmal auch darüber lustig machen).

Agatha Christie war Mitte 20, als sie 1916 mit dem scheinbar unmöglichen Unterfangen begann, ihren ersten Kriminalroman zu verfassen. Zu dieser Zeit war Christie mit einem Offizier des britischen Royal Flying Corps verheiratet und arbeitete in einem Krankenhaus in Torquay in England, zunächst als Krankenschwester und später in der Apotheke, wo sie Medikamente zubereitete und bereitstellte. Während dieser Tätigkeit entwickelte sie eine Faszination für Gifte, die sie in den nächsten sechs Jahrzehnte nicht mehr loslassen sollte. In vielen ihrer bekanntesten Romanen wird das ihr bevorzugtes Mittel sein, jemanden über den Jordan zu schicken, und natürlich war es das auch in ihrem allerersten Buch “Das fehlende Glied in der Kette”, ein früher Beitrag dessen, was heute als das Goldene Zeitalter der Detektivgeschichten bezeichnet wird, eine Periode, die sich in etwa von 1920 bis in die 40er Jahre hinein erstreckte.

Das Buch wirft uns in die Gesellschaft von Captain Arthur Hastings, einem Soldaten, der von der Westfront des Ersten Weltkriegs nach Hause kehrt und die Einladung angenommen hat, einen Teil seines Krankenurlaubs in Styles Court zu verbringen, dem Landsitz seines Jugendkollegen John Cavendish in Essex.

Seine Ruhe dort wird jedoch bald durch die Ermordung von Cavendishs älterer, verwitweter und wohlhabender Stiefmutter Emily Inglethorp gestört. Hastings sucht Hilfe bei Hercule Poirot, einem pensionierten, aber einst berühmten belgischen Polizeibeamten, den Hastings vor dem Krieg kennen gelernt hatte und der seit kurzem als Emigrant in einem Haus in der Nähe von Styles lebt.

Fans von Sherlock Holmes werden die Figuren von Hercule Poirot und seinem Freund Captain Hastings ziemlich vertraut erscheinen. Ein ausgezeichneter Detektiv, der allen anderen auf diesem Gebiet um Längen voraus ist und mit einem Ex-Soldaten zusammenarbeitet. Christie lässt sogar den Namen Sherlock Holmes sehr früh im Buch fallen, so dass man leicht erkennen kann, woher die Inspiration kommt. Abgesehen davon ist diese Serie jedoch kein billiger Abklatsch von Sherlock Holmes.

Wie jeder besonnene Leser zu schätzen wissen wird, wurde er natürlich in einer Zeit geschrieben, in der andere gesellschaftliche Normen galten. Wer also dazu neigt, Geschichte durch eine heutige Linse zu betrachten, sollte sich selbst einen Gefallen tun und etwas anderes lesen. Leider muss das immer wieder erwähnt werden, weil solche Leser dazu neigen, ihre Denkfehler lautstark unters Volk zu schreien. Wer aber etwas über diesen Zeitabschnitt herausfinden will, der wird hier gut bedient, denn eines ist gewiss: keiner der heute verfassten historischen Romane kann jenen Autoren, die in dieser Zeit lebten, das Wasser reichen. Hier haben wir echte Momentaufnahmen darüber, wie das Leben damals wirklich war, wie Verbrechen begangen wurden und wie sich das Gesetz dazu verhielt.

Poirots Verdacht, dass die Verstorbene mit Strychnin, “einem der tödlichsten Gifte, die der Menschheit bekannt sind”, vergiftet wurde, bestätigt sich, obwohl die genaue Dosierung dieses bitteren Neurotoxins unbekannt ist. Ebenso wenig wie die Identität des Mörders. Die Verdächtigen aber sind zahlreich, unter ihnen John Cavendish und sein jüngerer Bruder Lawrence, deren Anspruch auf das Vermögen ihrer Stiefmutter in Zweifel steht; Emilys bedeutend jüngerer Ehemann Alfred Inglethorp wird als “ein mieser kleiner Schurke” beschrieben; Evelyn Howard, die von der verstorbenen Großmutter angeheuerte Lebensgefährtin, die eine einzigartige Feindseligkeit gegenüber Alfred zeigt; Mary Cavendish, deren Liebe zu Ehemann John zwischen seinen Tändeleien und ihren eigenen eintönigen Flirts stark gelitten hat; und Cynthia Murdoch, Emilys Schützling, die zufällig in einer Apotheke arbeitet. Es liegt an Poirot, mit Unterstützung von Hastings und Scotland Yard-Inspektor James Japp, Motive und Möglichkeiten abzuwägen und schließlich herauszufinden, wer aus diesem illustren Kreis für die vorzeitige Entsendung von Frau Inglethorp verantwortlich war.

Obwohl Christies Prosa hier recht sparsam ist, sind ihre Bemühungen um Irreführung und falsche Fährten meisterhaft eingesetzt und ihr Plot aufwendig gestaltet. Die Idee, Strychnin als Waffe einzusetzen, stammt natürlich aus den Krankenhauserfahrungen der Autorin. Tatsächlich ist ohne ein fachmännisches Wissen um Gifte die Lösung des Rätsels nicht zu finden.

Oberflächlich betrachtet ähneln Christies Romane einem nostalgischen Rückzug ins Pastorale und ins englische Herrenhaus. Dank der Betonung geschlossener Räume und detaillierter Grundrisse herrschaftlicher Gebäude lassen sie sich als eine mögliche Hinwendung nach innen lesen. Doch dieser Anschein trügt.

Die Öffnung von Grenzen, sowohl buchstäblich als auch intellektuell, prägt Christies England. Es war ihr Verständnis für die Arbeit europäischer Denker, das ihrem Detektiv einen Vorsprung verschafft. Wo ein englischer Detektiv, wie Sherlock Holmes, nach äußeren Beweisstücken sucht, die analysiert werden können, löst Poirot den Fall, indem er die verborgenen Implikationen des Verhaltens der Menschen erkennt – einschließlich seiner eigenen. Poirots freudianischer Fokus auf die Psychologie der Verdächtigen ermöglicht es ihm zu erkennen, dass einfache Fehler und Versprecher tiefere Bedeutungen verbergen können. In „Das fehlende Glied in der Kette“ wird ein entscheidender Hinweis enthüllt, als Poirot die Bedeutung seines eigenen, fast unbewussten Instinkts, aufzuräumen, erkennt.

In Christies Welt reicht der typisch englische gesunde Menschenverstand von Polizisten nicht aus, um das Rätsel zu lösen. Stattdessen bringt eine Prise kontinentale Theorie Licht ins Dunkel, was unter der Oberfläche liegt.

Ein weiteres Markenzeichen von Poirot ist sein gelegentliches Ringen um das richtige englische Wort oder die richtige Redewendung. In The Mysterious Affair at Styles zitiert er sogar Hamlet falsch. Doch es wäre ein Fehler, diese Momente als einfache Fehler zu lesen. Stattdessen spielt Poirot wissentlich mit der Trope des „komischen Ausländers“, indem er Schwierigkeiten mit der Sprache nutzt, um Verdächtige zu entwaffnen und Ängste vor Verdächtigungen zu zerstreuen (wie konnte eine so komische Figur ein so großer Detektiv sein?). In den berühmten Szenen, in denen Poirot die Wahrheit erklärt, wird sein Englisch deutlich fließender. Poirot verkörpert dabei den Außenseiter, der perfekt in der Lage ist, englische Täuschungen zu durchschauen.

Klein-England

Der Erfolg des „lustigen Ausländers“ bei ahnungslosen Engländern spielt in Christies größere Erkundung des Englischen in ihre Büchern hinein.

Poirot ist ein begeisterter Verehrer Englands. In Der Mord an Roger Ackroyd kommentiert er, England sei „wunderschön, oder etwa nicht?“. Doch diese Begeisterung wird nicht immer erwidert. Ein Running Gag der Poirot-Romane und -Adaptionen ist, dass er oft als Franzose verwechselt wird. Bei Ackroyd wird er so beschrieben, dass er „genau wie ein komischer Franzose in einer Revue“ aussieht. Aber in einem Genre, das viel Liebe zum Detail verlangt, geht der Witz hier auf Kosten eines besonders engstirnigen Typs von Engländern, die den Unterschied zwischen Franzosen und Belgiern nicht erkennen können.

Ebenso fällt, wie die Literaturwissenschaftlerin Alison Light anmerkt, Poirots Popularität mit der Ausweitung des Reisens zusammen, da die Engländer sich zunehmend als Touristen im Ausland sahen. Mehrere von Poirots berühmtesten Fällen ereignen sich auf Verkehrsmitteln und an exotischen Orten, wie der Tod auf dem Nil. Doch auch wenn sich die Engländer in diesen Geschichten im Ausland aufhalten, spielen die Klassenverhältnisse aus der Heimat immer noch eine Rolle, wo auch immer sie sich befinden. England folgt ihnen, und diese nach innen gerichtete Engländerei sitzt tief.

Auch wenn Christie sich über England und die englischen Verhaltensweisen lustig gemacht haben mag, gelang es ihr, die Herzen der britischen Leser mit ihrem kleinen, smarten Belgier zu erobern. Poirot wurde von den Lesern so geliebt, dass Christie zwischen 1921 und 1975 33 Romane, zwei Theaterstücke und mehr als 50 Kurzgeschichten über ihn schrieb.

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