Possenspiele

Schlagwort: Frankreich (Seite 2 von 10)

Der grüne Mann

Der Grüne Mann ist ein Waldgeist, der seit Hunderten, vielleicht sogar Tausenden von Jahren in der Folklore verankert ist. Die Legende vom Grünen Mann stammt angeblich aus Europa, doch es gibt Geschichten und Belege dafür auf der ganzen Welt. Googelt man nach diesem Wesen, findet man eine Fülle von Informationen über seine Motive und Skulpturen, die in Kirchen in ganz Europa zu sehen sind. Doch hinter der Legende des Grünen Mannes steckt mehr.

Während der Grüne Mann in der heutigen Zeit als Gartenkunstwerk betrachtet wird, war er für unsere heidnischen Vorfahren einst ein Waldgott und der ultimative Wächter des Waldes.

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Malet / Tardi – 120, Rue de la Gare

„120, Rue de la Gare“ ist ein Roman von Léo Malet aus dem Jahr 1943. Hier stellt uns der Autor seine Figur Nestor Burma vor, die aus dem Wunsch entstand, einen hartgesottenen Detektiv nach amerikanischem Vorbild mit einem Hauch englischer Detektivgeschichten zu schaffen. Malet hatte nämlich unter dem englischen Pseudonym Frank Harding mit amerikanischen Figuren und Schauplätzen in den USA zu schreiben begonnen, bevor er auf die Idee kam, einen französischen Roman zu schreiben, der in Frankreich spielt und in dem französische Figuren auftreten.

Burma Gesamtausgabe
In der Gesamtausgabe

Nestor Burmas kritische, ironische und mit Sarkasmus gespickte Äußerungen über Institutionen, Profiteure, Wohlhabende und die gesamte französische Gesellschaft der zweiten Nachkriegszeit decken sich zwar mit den säuerlichen, zynischen und desillusionierten Aussagen der großen Ermittler des amerikanischen Noir-Krimis. Burma ist jedoch nicht einfach ein französisierter Klon seiner Vorbilder(etwa von Sam Spade). Es ließ sich nicht vermeiden, dass viel von Malets eigener Persönlichkeit in die Figur Burmas einfloss (seine Unabhängigkeit, sein freies Reden, seine finanziellen Schwierigkeiten und seine Pfeife).

Aus diesem Grund nimmt „Nestor Burma einen privilegierten Platz in Léo Malets Werk ein: Was Malet selbst erlebt hat, hat er auf seinen Helden übertragen; was er selbst nicht erleben konnte oder wagte, hat er ihm ebenfalls zugestanden, wodurch die Figur zu seinem wahren Doppelgänger wurde. Obwohl er die Figur unsympathisch machen wollte, gibt Malet zu, dass ihm das nicht gelungen ist:

„Da ich, ohne es zu wollen, ein wenig von mir selbst einbringen musste, erschien er trotzdem sympathischer, als ich gedacht hätte.“

Es dauerte übrigens eine Weile, bis sich der Krimi seines innovativen Charakters bewusst wurde. Während der Besatzungszeit wurde das aus den USA importierte Genre im besetzten Frankreich zur Persona non grata. So wie der angelsächsische Film die Kinos nicht mehr füllte, verschwanden die amerikanischen Romane einfach aus den Schaufenstern der Buchhandlungen. Die deutsche Zensur griff durch und beendete die Sehnsucht nach den Ländern jenseits von Kanal und Atlantik. Aber die Leser, die diese Art von populärer Literatur gierig verfolgten, waren nicht mit dem Krieg verschwunden. Sie verlangten stillschweigend nach den Stereotypen des Genres: tropfnasse Trenchcoats mit Umlegekragen, dunkle Gesichter unter zerknitterten Stetsons, Zigaretten, Kaugummi und Femmes fatales in Seidenstrümpfen, Whisky on the rocks, Handfeuerwaffen, schweinische Charaktere und Heldentum in Ich-Form, Slang, sarkastischer und desillusionierter Humor … Action und Drama im Überfluss.

Malet eliminiert jedoch die englischen und amerikanischen Zutaten seiner Geschichte und konzentriert sich thematisch auf das besetzte Frankreich (der Weg Burmas in „120, Rue de la Gare“ beginnt in einem deutschen Stalag, geht weiter in die Freie Zone in Lyon und endet im besetzten Frankreich in Paris). Weniger angelsächsisch geht nicht.

Edition Moderne

Nestor Burma wird als der berühmte Detektiv vorgestellt, der die Agentur „Fiat Lux“ leitet. Der Leser hat also nicht unbedingt das Gefühl, das erste Abenteuer dieses Helden zu erleben, obwohl dies tatsächlich der Fall ist. Im Stalag lernt Nestor Burma einen seltsamen Mann kennen, der sein Gedächtnis verloren hat. Der Mann wurde während des Krieges mit verbrannten Füßen im Wald gefunden. Seitdem weiß er nicht mehr, wer er ist. Umso erstaunlicher ist es, dass er Burma seine letzten Worte in völliger Klarheit zuruft: „Sag Hélène, 120, Rue de la Gare!

Nach seiner Entlassung aus dem Stammlager will Nestor Burma nach Paris zurückkehren, doch als sein Zug in der Gare de Lyon hält, steht Colomer, ein ehemaliger Mitarbeiter seiner Detektei, auf dem Bahnsteig. Nestor ruft ihm aus dem Zugfenster zu, und Colomer eilt zu Burma, kann aber nur noch „120, Rue de la Gare“ rufen, bevor er erschossen wird, ohne dass man weiß, von wem.

Nestor Burma ist alles andere als ein Idiot. Zwei Menschen, die in ihrem Verhalten und ihrem Lebensort so weit voneinander entfernt sind wie der seltsame Gefangene und sein ehemaliger Partner, die sterben, nachdem sie die Adresse „120, Rue de la Gare“ ausgesprochen haben, das kann kein Zufall sein.

Léo Malet legt uns einen Roman vor, bei dem die Handlung nicht die Hauptqualität darstellt. Die eigentliche Stärke des Buches ist unbestreitbar das Charisma von Nestor Burma, und es ist verständlich, dass der Autor ihn viele Abenteuer erleben lassen wollte. Dennoch darf man im Laufe der Seiten nicht den Faden verlieren, muss sich an die Hinweise halten, die die falschen Fährten bis zur endgültigen Enthüllung nähren, muss sich an die anderen erinnern, an das, was sie tun, sagen oder nicht sagen. Hier spürt man den englischen Kriminalroman, der von den verschachtelten Details der laufenden Ermittlungen lebt. Gute Arbeit beim Aufbau des Puzzles, auch wenn die Zufälle manchmal nicht ganz glaubwürdig sind.

1988 adaptierte Tardi das Werk von Léo Malet in einem meisterhaften Comic von 190 Seiten. Wie nicht anders zu erwarten, lehnt sich seine Sicht des Werkes eng an die des Romans an. Wenn ein Zeichner eine bereits existierende literarische Vorlage auf dem Zeichenbrett hat, versucht er in der Regel, das Szenario, das er umsetzen will, so getreu wie möglich wiederzugeben. Es ist fast eine Frage der Ehre, eine Hommage an denjenigen, der alles geschaffen hat. Der von Malet entlehnte Text ertränkt die Panels in einer unumgänglichen Prosa. Tardi behält jedoch die Kontrolle über das Geschehen, indem er ein angemessenes Schwarzweiß, eine Palette von Grautönen und einen charakteristischen Strich vorgibt, der die Strenge des architektonischen Hintergrunds mit der heiteren Art kontrastiert, in der Gesichter und Mimiken in schnellen Strichen dargestellt werden, sowie mit der Sorgfalt, mit der die architektonische Wiedergabe der Gebäude von Lyon und Paris ausgeführt wird… Der Roman ist das Rohmaterial, aus dem der Zeichner schöpft und das er auf ein Minimum reduziert. Man hat den Eindruck von schwarz-weißen Postkarten der Epoche, in die sich imaginäre Figuren einfügen. Das ist großartig, das bewundert man.

Anna Kavans Bazooka

Anna Kavans unverkennbarer, markanter Stil wurde von so unterschiedlichen Autoren wie Brian Aldiss, J.G. Ballard, Doris Lessing und Anais Nin bewundert.

Sie wurde als „Helen Woods“ in Cannes, Frankreich am 10 April, 1901 als Tochter wohlhabender Britischer Auswanderer geboren. Anna verbrachte ihre Kindheit in verschiedenen Europäischen Ländern, in Kalifornien und England. Sie heiratete Donald Ferguson und lebte eine geraume Zeit in Burma. Die Ehe scheiterte, aber es war dies die Zeit, in der sie mit dem Schreiben begann.

Anna Kavan heiratete noch einmal. Aufzeichnungen über diese zweite Ehe existieren nicht. Erneut lebte sie in verschiedenen Europäischen Ländern, bevor sie sich in England niederließ. Es erschienen in dieser Zeit einige Bücher von ihr, die sie unter dem Namen Helen Ferguson veröffentlichte. Zunächst waren das noch traditionelle Erzählwerke. Erst später entwickelte sie ihren einzigartigen und anspruchsvollen Stil.

Um 1926 nahm sie immer öfter Heroin zu sich, um die zeit ihres Lebens auftretenden, teils schweren Depressionen in Schach zu halten. Ihre anhaltende psychische Erkrankung, wie auch die Veränderung ihres Schreibstils, waren das Ergebnis eines Zusammenbruchs. Nach diesem änderte sie ebenfalls ihr Äußeres und ihren Lebenswandel radikal. Das führte schließlich zum Namen Anna Kavan, einer Figur aus ihrem Roman „Let Me Alone“, mit der sie sich identifizierte. Mehrer Male versuchte sie den Entzug, wurde aber wieder und wieder rückfällig. Sie nannte die Heroinspritze ihre „Bazooka“. Selbst während ihrer depressiven Episoden hielt sie am Schreiben fest. Die Zeiten ihrer akuten Phasen verbrachte sie in Kliniken in der Schweiz oder in England. Dort sammelte sie auch Material für ein Werk, das in einer Klinik spielen sollte. Neben ihrer Schriftstellerei brachte sie es in London zu einigen Ausstellungen ihrer Gemälde.

Zeit ihres Lebens blieb sie eine schwierige Person. Je näher ihr Ende rückte, desto mehr zog sie sich zurück. Dennoch besaß sie einen kleinen Freundeskreis, der ihre Probleme und ihr exzentrisches Verhalten wohlwollend übersah. Sie starb, nachdem sie mehreren Selbstmordversuche überlebt hatte am 5. Dezember 1968 an Herzversagen. Ihr bekanntest Roman ist „Ice“.

Auszüge aus: Anna Kavan, Jlia & the Bazooka, 1970 (Julia und die Bazooka. Novellen und Erzählungen)

Übersetzt von Michael Perkampus

Der Verkehr brüllt, bellt, schleudert sich selbst in einer reißenden Woge in die Schlacht – Autos schlagen wie urzeitliche Monster um sich. Manche haben das Grinsen teuflischer Lust in ihren bösartigen, rudimentären Gesichtern stehen, Schadenfreude über zukünftige Opfer. Sie ahnen den Moment voraus, in dem ihr mörderisches Gewicht, bestehend aus hartem Schwermetall, weiches, verletzliches, schutzloses Fleisch zerreißt, es zu einem Brei anrührt, in dünnen Schichten über die Fahrbahn verteilt, eine tückische, rutschige Fläche anrichtet, auf der andere Autos im Kreis schleudern, ihre Reifen mit den Wurstpellen aus Gedärm verheddert, das aus dem ganzen Schlamassel platzt. Plötzlich merke ich, dass ein Auto mich als Beute ausgewählt hat und auf direktem Wege durch das Chaos auf mich zusteuert. (p.5)

Da das Universum nur in meinem Kopf existiert, muss ich selbst diesen Ort erschaffen haben, abscheulich und verdorben, wie er ist. (p.8)

Während ich ihn beobachtete, atmete ich die ganze Zeit über seinen natürlichen Geruch ein, den wilden urzeitlichen Duft von Sonnenschein, Freiheit, Mond und zerkleinerten Blättern, kombiniert mit der kühlen Frische fleckiger Tierhaut, noch klamm von der mitternächtlichen Feuchtigkeit der Dschungelpflanzen. (p.11)

Der Vorfall wurde übermäßig verlängert. Das merkwürdiges Katzengeschrei hörte nicht mehr auf, und undeutliche Formen brachen daraus hervor. Als es endlich vorbei war, fuhr ich weiter, als wäre nichts geschehen. Es war ja auch nichts geschehen, wirklich nicht. (p.22)

Alles ging weiter und weiter: der Nebel, der Scheibenwischer, meine Fahrt. Es war so, als wüsste ich nicht, wie man das Auto anhielt, und als müsste ich so lange weiter fahren, bis der Tank leer wäre, oder bis alle Wege zu ihrem Ende kommen würden.(p.22)

Alles, was ich wollte, war, dass alles so weiterging wie bisher, so dass ich in tiefem Schlaf verbleiben konnte, und nicht mehr wäre als ein Loch im Raum, weder hier noch sonstwo, so lange wie möglich, am liebsten für immer. (p.29)

Weiß, still, heiter und kühl, um mich an die unnahbaren, makellosen, schneebedeckten Berge zu erinnern; Rot für den Kontrast, für Liebe und Rosen, für Gefahr, Gewalt, Blut. (p.30)

Unglück türmt sich über ihnen auf wie ein Kreis vereister Berge, die unerbittlich näher rücken. (p.49)

Ich wusste, dass sie es getan hatten, also muss ich sie gehört und gefühlt haben, aber es war in einem anderen Raum geschehen und betraf mich nicht. Ich würde nicht zurück kommen, und es gab nichts, was sie dagegen tun konnten. (p.76)

„Eine Person ist entweder hier oder sie ist nicht hier, stimmts? Und wenn sie nicht hier ist, dann muss sie woanders sein, was bedeutet, sie ist verschwunden…“ (p.77)

Schneebedeckte Gipfel ragen überall in den Himmel, bleich wie Phantome in der Nacht, breite, körperlose Geisterschatten, größer als das Leben. Sie fließen in leuchtender Blässe, die Sichel des Mondes gleitet zwischen sie. Fahre ich oder träume ich? Traumhaft sind diese kolossalen, fantastischen Berge, unnahbar wie Götter. Traumhaft dieser aus dem Himmel fallende Mond. Eine endlose Traumstraße, stets spiralförmig nach oben. Alptraumstraße, stets am Rande schwindelnder Abgründe, eines Messers Schneide, die sich immer steiler und schärfer nach oben dreht. Soll ich überhaupt zur nächsten Biegung gelangen? (p.100)

Die Scheinwerfer werfen erneut ihr Streulicht von sich, stechen vorwärts, verwandeln sich in einen Gegenstand, der etwas aufspießt, etwas ausweidet. Vier Gestalten werden festgenagelt, vier weiße Gesichter, erschreckend nahe. Sie heben sich ab vor dem Hintergrund der taumelnden Berge, weiße Fischgesichter, erstarrt, mit offenen Mündern. Die Luft wird kälter und dunkler, Donnergrollen im Eis; eiskalt von den Anhöhen ausgeatmet wie ein Befehl. Die Vormachtstellung des Hochgebirges macht sich geltend. (p.100-101)

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