Possenspiele

Schlagwort: Literatur (Seite 62 von 84)

Lovecraft und der Cthulhu-Mythos

“Ich hege keine trügerischen Hoffnungen gegenüber dem heiklen Zustand meiner Erzählungen, und ich erwarte nicht, ein ernsthafter Konkurrent der von mir bevorzugten Autoren unheimlicher Literatur zu sein”, schrieb Lovecraft 1933 in seinem autobiographischen Essay “Some Notes on a Nonentity”. Er fügte hinzu: “Das einzige, das ich zugunsten meiner Arbeit ins Feld führen kann, ist ihre Aufrichtigkeit.”

H.P. Lovecraft

Mit dem Begriff Weird Fiction verhält es sich ähnlich wie mit dem der amerikanischen Short Story. Beide lassen sich nicht verlustfrei ins Deutsche übertragen, denn weder ist die Weird Tale identisch mit unserem Verständnis einer unheimlichen Erzählung, noch ist die Short Story einfach eine Kurzgeschichte. Das führt zu Komplikationen im Übersetzungswirrwarr. Noch verwirrender wird es, wenn man die Weird Tale einfach mit einer Horrorgeschichte gleichsetzt. Lovecraft zum Beispiel benutzte das unheimliche Element, um sein eigenes Werk zu beschreiben, wurde aber präziser, wenn er es als „Literatur des kosmischen Grauens“ oder „Literatur der Angst“ bezeichnete. Diese Aussagen deuten darauf hin, dass Lovecraft sich selbst im Horrorgenre verortete.

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Michel Siefener – Die magische Bibliothek

Der Protagonist als Identifikationsfigur für Träumer und etwas verschrobene Gestalten, die nicht immer einsame Gelehrte sein müssen, um ihren Außenseiterstatus darzustellen; das ist es, was Michael Siefener in seiner 2006 bei Medusenblut erschienenen und jetzt bei Atlantis neu aufgelegten Novelle dem Leser zu bieten weiß.

Es kommt nicht von ungefähr, dass sich die besten Autoren phantastischer Erzählungen in ihren Protagonisten spiegeln, der an ihrer statt merkwürdige Ereignisse durchlebt oder untersucht. Und dann sind es wiederum die Leser, die in diesem Fall tatsächlich Idealleser sind, und die sich mit ähnlichen Träumen nicht nur der Hauptfigur, sondern auch dem Autor nahe fühlen. Durch diese Kommunikation entsteht etwas viel größeres, das über das Geschichtenerzählen hinaus geht und nicht selten einer Haltung entspricht. Phantastische Literatur ist ihrem Wesen nach intim, das Brausen der Welt, die Gegenwart sind hier völlig irrelevant.

Wenn Siefener Albert Moll (der eben genau das Gegenteil von Dur ist, wenn man das ganze musikalisch sehen will) seine Lieblingsautoren aufzählen lässt, festigt sich die Bindung zur Leserschaft allein dadurch, dass all diese Namen bei Liebhabern der Phantastik wohlvertraut sind. Sie stehen alle im Regal, weil keine ernstzunehmende Bibliothek ohne sie auch nur halbwegs vollständig wäre. An anderer Stelle spricht Moll davon, dass die phantastische Literatur bei ihm die Funktion der Religion übernommen habe, nachdem er als junger Mensch die Gedankenflucht, die er damit assoziiert, noch in der Kirche suchte, ohne dass er dem Gemurmel dort irgendeine Bedeutung abgewinnen konnte.

Auch wenn es nicht Teil der Geschichte ist, so liegt in dieser lapidaren und kurzen Aussage die ganze Aussage eines romantischen Geistes, der sich nach Unendlichkeit sehnt. Das Buch ist in Teilen eine Verteidigung des Eskapismus als lebensnotwendiges Prinzip sensibler Geister, und es kommt selten vor, dass dies so vehement vorgetragen wird.

Trotzdem hatte ich enorme Schwierigkeiten, das Buch zu lesen, obwohl ich einer naiven Sprachkunst keineswegs abgeneigt bin.

Der Rechtsanwalt Albert Moll reist mit dem Zug zu einem Klienten nach Fangenburg, um mit dem Grafen Roderick von Blankenstein dessen Testament auszuarbeiten. Der Graf hat nicht den besten Ruf im Dorf, denn er ist ein widerwärtiger Zeitgenosse, was Moll dann auch bald mitbekommen wird. Doch zunächst erfreut er sich an der Reise, die er mit der Lektüre von Stokers Dracula – seinem erklärten Lieblingsbuch – verbringt. Hier beginnen dann auch die Parallelen zu greifen, die in der ganzen Geschichte auftauchen, denn das Namedropping bekannter Autoren und ihrer famosen Geschichten ist kein Zufall, sondern das Prinzip, mit dem Siefener hier zu Werke geht. Das könnte bereits eine Erklärung für die folgenden Geschehnisse andeuten, die nicht selten darauf abzielt, dass Moll wahnsinnig sein könnte und zwischen seinen Fantasien und der Wirklichkeit nicht mehr zu unterscheiden weiß. Allerdings bleibt das nur eine der Möglichkeiten, die am Ende übrig sind, schließlich steht fest, dass er – der mit seinem Bruder die Kanzlei von seinem Vater übernommen hat – einer Intrige aufgesessen ist, die sich im Hintergrund von Wahn und Wirklichkeit abspielt und das eine oder das andere begünstigt.

Moll, der seine Geschäfte mit dem Grafen so schnell wie möglich hinter sich bringen will, wird von Sabine, die sich als Antiquarin vorstellt, dazu verleitet, nach einer „magischen Bibliothek“ im Schloss zu suchen. Sie hat angeblich Hinweise auf sensationelle okkulte Bücher, die dort irgendwo lagern müssen, vergessen von der Welt. Ein unvorstellbarer Wert für jemanden, der in seinen Lieblingsgeschichten immer wieder solche äußerst raren Stücke genannt bekommt.

Es ist zunächst einmal interessant, wie Siefener dem tollpatschigen und verträumten Moll auch eine unbeholfene Sprache zur Verfügung stellt; das beabsichtigte Traumhafte bleibt dadurch aber auf der Strecke. Vor allem die inflationären Selbstbefragungen, brechen den Fluss der Erzählung: „War es nicht nur ein Traum gewesen? Ein schöner Traum? Ein Albtraum? Was war mit Ilse los?“

Denn plötzlich hat es der bei Frauen wohl nicht gerade angesagte Moll mit zwei Damen zu tun, zwischen denen er emotional hin und her eilt. Gerade hat er Sabine noch auf dem Friedhof geküsst, schon ist er bereit, mit Ilse das Lager zu teilen, der Tochter des Wirts, bei dem er im Dorf ein Zimmer hat. Die Übergänge solcher Szenen, von denen es im Buch wimmelt, sind voller technischer Fehler, die Figurenzeichnungen banal. Das muss nicht immer etwas schlechtes sein, macht den Text aber zu einem, dem man ständig Sätze streichen und Anmerkungen zur Verbesserung an die Seite kritzeln möchte. Eigentlich Aufgabe eines Lektorats, das es heutzutage ohnehin nicht mehr zu geben scheint. Andererseits hätte man auch erwarten können, dass der Autor bei einer Neuveröffentlichung noch einmal Hand anlegt. Mit ein wenig investierter Arbeit hätte sich daraus vielleicht kein hervorragendes, so aber zumindest ein brauchbares Buch machen lassen.

Erschienen bei Atlantis.

Die Augen der Heather Grace / David Pirie

Alte Sendung aus dem „Phantastikon-Podcast“

Wir sind nie in den Genuss der bemerkenswerten Krimis gekommen, die David Pirie anfangs der 2000 für die BBC produzierte. Die zweiteilige Geschichte „Murder Rooms: The Dark Beginnings of Sherlock Holmes“ wird auf der Insel zu den besten Präsentationen gezählt, die das Fernsehen auf diesem Sektor je geschaffen hat. Allerdings muss man dazusagen, dass es zu dieser Zeit die Sherlock-Serie noch nicht gab, die erst 2010 ausgestrahlt wurde.

Insgesamt sollte es die Serie, die an die frühen Hammer-Filme und den amerikanischen Film Noir der 1940er Jahre erinnert, auf sechs Filme bringen. Dass sie trotz des Erfolges eingestellt wurde, ist nach wie vor eines der großen Rätsel, hat aber wohl mit BBC-Interna zu tun. Sie kam viele Jahre zu früh und würde heute ganz anders behandelt werden.

Die Informationen, die Pirie für die Filme als auch für die Bücher verwendet hat, und die eine der Grundlagen für die Entwicklung der Figuren Holmes und Watson (hier Bell und Doyle) bilden, basieren zum Teil auf den Briefen und Schriften des Dr. Joseph Bell, der Doyles Lehrer und Mentor war, als der junge Autor als Medizinstudent an der Universität Edinburgh eingeschrieben war.

Dr. Joseph Bell wird die Geburtsstunde der forensischen Wissenschaft zugeschrieben, da er bei seiner Arbeit wissenschaftliche Beobachtungstechniken einsetzte und diesen Aspekt erstmals in die Verbrechensbekämpfung einbrachte.

Es wird berichtet, dass Dr. Bell an einer Reihe von kriminalpolizeilichen Ermittlungen beteiligt war, indem er der Polizei durch seine Beobachtungen Informationen über das Opfer eines Verbrechens, den Tatort und den möglichen Täter lieferte.

Einigen Berichten zufolge war er sogar an den Ermittlungen bei der Jagd nach Jack the Ripper im Jahr 1888 in London beteiligt. Gerüchten zufolge untersuchte Dr. Joseph Bell die Tatorte der Ripper-Morde und nutzte seine Beobachtungen, um den Namen eines Verdächtigen herauszufinden, der in einem Umschlag versiegelt wurde. Allerdings wurde über diesen Verdächtigen nichts weiter bekannt.

Es ist zwar seit etwa 1890 allgemein bekannt, dass Dr. Bell das Vorbild für Sherlock Holmes war, wobei gesagt werden muss, dass Joseph Bell eben nicht Sherlock Holmes ist. Einen ganz erheblichen Einfluss hatte nämlich Edgar Poe mit seinem Auguste Dupin, ohne den Doyle die Feder vermutlich gar nicht in die Hand genommen hätte.

Für die drei Romane, die den jungen Arzt Conan Doyle als Erzähler auftreten lassen, kann man als Sherlock-Holmes-Fan nicht dankbar genug sein. Es steht zwar zu vermuten, dass jene Leser, die ihren Fokus nicht so sehr auf dem Viktorianischen oder Holmes haben, nicht ganz so begeistert reagieren – vor allem, weil sie die zahlreichen Hinweise gar nicht genießen können -, aber dennoch ist das hier ein außerordentlicher Beitrag zum Genre, der n einigen Stellen ganz bewusst auch an die damals sehr beliebten Penny Dreadfuls erinnert, die auf den viktorianischen Geschmack des Makabren ausgerichtet waren, denn bei aller Etikette waren die Leser des vereinten Königreichs zu dieser Zeit sehr an der Sensation interessiert.

Dass die drei Bücher etwas stiefmütterlich behandelt wurden, liegt wohl gerade daran, dass man der Vermischung von Film und Literatur allgemein skeptisch gegenüber steht und das natürlich auch zurecht. Wenn ein Buch verfilmt wird, kann man wie selbstverständlich davon ausgehen, dass der Film hier den Kürzeren zieht, wenn aber ein Buch erst nach der filmischen Umsetzung geschrieben wird, wittert man – in den meisten Fällen völlig zurecht – ein absolut minderwertiges Produkt. Mit Piries Die Augen der Heather Grace haben wir es allerdings nicht mit einem Buch zum Film zu tun, sondern mit einem brillanten Krimidebüt, das zwar Elemente übernimmt, die auch in der Serie vorkommen, aber sich dennoch völlig davon unterscheidet. Das ist vor allem der Tatsache geschuldet, dass Pirie in erster Linie ein Autor ist, der sich intensiv mit der Schauerliteratur als auch mit dem frühen Horror-Kino auseinandergesetzt hat.

Als Drehbuchautor hat sich Pirie einen Ruf für seine originellen Noir-Thriller, Klassikeradaptionen und zeitgenössischen Gothic-Stoffe erworben. Er wurde für seine Verfilmung des Romans „Die Frau in Weiß“ von Wilkie Collins hoch gelobt.

Der junge Dr. Doyle, der nach einem tragischen Verlust versucht, einen Neuanfang zu machen, verstrickt sich in die Angelegenheiten einer Patientin mit ungewöhnlichen Augen, Miss Heather Grace. Die künftige Erbin, die den Angriff eines Verrückten überlebt hat, der ihre Eltern ermordet hat, wird nun von einer alptraumhaften Gestalt terrorisiert, die ihr auf dem Weg zu und von ihrem neuen Zuhause folgt. Die Handlung leiht sich Elemente aus mehreren Holmes-Geschichten („Das gefleckte Band“, „Der einsame Radfahrer“ und „Wisteria Lodge“), die angeblich nur „fiktionalisierte“ Versionen des realen Rätsels sind, mit dem sich Bell und Doyle auseinandersetzen. Dass sich Doyle in seine Patientin verliebt, verkompliziert seine und Bells Ermittlungen in mehreren Mordfällen. Zu den Verdächtigen gehören der furchteinflößende Onkel der jungen Frau, der eine große Sammlung giftiger Kreaturen unterhält, ihr ewig lächelnder Verlobter und ein skrupelloser Arzt. Pirie versteht es meisterhaft, Spannung zu erzeugen, und einige Passagen sind wirklich schauerlich. Doyle, eine schmerzhaft menschliche und sympathische Figur, deren Schwächen die Handlung vorantreiben, und Bell, ein sehr glaubwürdiger Holmes-Ersatz, sind ihrem subtilen und gerissenen Antagonisten ebenbürtig. Die beunruhigende Auflösung ist ein perfektes Ende für diesen schwer fesselnden und atmosphärisch dichten Thriller.

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