Possenspiele

Schlagwort: Literatur (Seite 75 von 84)

Manusprickt

Noch habe ich den Katarrh und bin im Verzug mit den Sandsteinburg-Lesungen, das Manusprickt bearbeite ich jedoch ausgiebig. Der Beiname „Possenspiel“ ist jetzt das offizielle Element dieser multiplen Dampframme. Ich muss gestehen, dass ich die Sandsteinburg nie fertig zu machen beabsichtigt hätte, wenn nicht Albera seit einem Jahr die Weichen stellte. Oft hatte ich den Text in seine nahezu 1000 Einzelteile zerlegt, selbst überzeugt von der Unmöglichkeit dieses „absoluten Buches“, manchmal ertappte ich mich dabei, dass ich an einen idealen Leser dachte, überhaupt an Leser, was ich mir jedoch erfolgreich wieder austreiben konnte. Es geht um Kunst und nicht um Leser. Zwei Begriffe also, die sich beißen. Man darf nicht feige sein, wenn man sein Leben ausschließlich der Literatur widmet, wenn man selbst ein Kunstwerk ist und man jegliche Grenzen schon vor Jahrzehnten überschritten hat. Aber es ist die Eger mein Rubikon. Und es ist die Sandsteinburg meine Nemesis.

Alibert

Seit heute Nacht drängt es mich wieder zur Maschine (ich werde zu einem späteren Zeitpunkt noch etwas zu meiner Schreibmaschinensucht erläutern). Einerseits ist bei mir nicht selten genug die Sprache selbst der Protagonist des Phantastischen, andererseits leide ich dadurch unter der Nivellierung dessen, was man in Deutschland Literatur nennt. Ich habe mein ganzes Leben in den Dienst der Sprache gestellt und mir oft genug die Frage gestellt, ob ich das besser nicht getan hätte. Eine Wahl hatte ich aber nicht.

Vor einem Jahr: 
Die erste Erzählung, die ich jemals verfasste, habe ich nicht aufgeschrieben, weil es eine Erzählung ist, die so oft passiert, im Badezimmer, wenn man die Türchen des Spiegelschranks so stellt, dass man selbst sich bis in die Unendlichkeit hinein vervielfältigt. Aber wem ist in diesem Augenblick schon bewusst, dass dies nicht nur das Prinzip alles Kunst ist, sondern das Rätsel der gesamten Existenz.

Zementartiger Quarkkuchen

Lesetechnisch bleibe ich weiter bei Ricardo Piglia, „Ins Weiße zielen“ und „Falscher Name“ (letzteres ist mir in der Schweiz abhanden gekommen. Und danach dann den Erzählband „Der Himmel“ von Nona Fernández, deren Kurzroman „Die Toten im trüben Wasser des Mapocho“ mir bereits genau jenes Gefühl verschaffte, auf dem ich in jeder Literatur auf der Suche bin. Weil sich das zeit- und länderspezifisch nicht umreißen lässt (außer in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur, da finde und suche ich auch nichts), ist das ein schwieriger Prozess, der nicht durch eine Verschlagwortung abgekürzt werden kann. Von äußerster Wichtigkeit ist das, was Massimo Bontempelli 1927 eine „nouvelle atmosphère“ genannt hat, abgeleitet von einem Denken in Bildern, das kein Verhältnis zur linear geordneten Zeitvorstellung kennt. Gerade in Europa ist das Denken in eine eklatante Katastrophe geraten, mit dem die tiefen Schichten der Wirklichkeit schon lange nicht mehr erfasst werden können.

Obwohl der Tisch, an dem ich schreibe, regelmäßig wie ein Stall abgesprüht und ausgemistet wird, bleibt der kardinale Saustall stets die Konstante. Um 11 der letzte Arzttermin für diesen und nächsten Monat, zur Feier gab es einen zementartigen Quarkkuchen, der die Speiseröhre in einen gut betonierten Abwasserkanal verwandelt.

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