Possenspiele

Schlagwort: Schauerliteratur (Seite 18 von 27)

Diese Rubrik vereint die Analyse und Beschäftigung mit der unheimlichen Literatur als Ganzes. D.h., dass auch „strange story“, „weird fiction“, „pure horror“, „geistergeschichte“ und sogar manche Phasen der „crime fiction“ und der „gothic novel“ hier einfließen.

Die Symbolik der Maske des roten Todes

Prospero jagt der Gestalt hinterher, die durch jeden einzelnen Raum schreitet, bis sie schließlich den letzten Raum erreicht. Prospero stellt die geheimnisvolle Gestalt dort, die sich zu ihm umwendet und dieser schließlich tot zu Boden sinkt. Die Adligen reißen dem Fremden die Maske herunter und müssen erkennen, dass er kein Gesicht hat. Er ist der Rote Tod persönlich. Selbstverständlich sterben sie alle.

Durch die Art und Weise, wie Poe in fast allen seinen Arbeiten mit Zeichen, Hinweisen und Symbolen arbeitete, beeinflusste er die europäische Avantgarde, hauptsächlich die französische, maßgeblich. Ein Beispiel. Sehen wir uns die sieben farbkodierten Räume etwas genauer an, die von Osten nach Westen verlaufen. Sie sind so beschrieben, das sich leicht der Lauf des Lebens aus ihnen herauslesen lässt. Beginnend mit der Geburt (blau), Kindheit (purpur), Jugend (grün), Reife (orange), Alter (weiß), dem nahen Tod (violett), und dem Tod selbst (schwarz/rot).

Der siebte Raum, in den Prospero den Fremden jagt, repräsentiert also den Tod. Zunächst stirbt Prospero selbst, am Ende der Geschichte aber alle, die den Raum betreten haben.

Poe machte keinen Hehl daraus, dass er Allegorien verabscheute, weil diese den Leser von der Wirksamkeit des Effekts ablenke. Und dieser Effekt ging ihm bekanntlich über alles. Aber wie so oft, hielt sie Poe nicht an seine eigenen Prämissen, die er aufstellte (um genau zu sein, hielt er sich an keine einzige).

Die Erzählung weist keine Charaktere auf, die die glaubwürdige Auslegung einer Allegorie zuließen. Nur Prospero spricht. Sein Name deutet auf Glück und Fröhlichkeit hin, was ironischerweise natürlich nicht der Fall ist. Innerhalb seiner Abtei hat er sich eine Welt nach seinen Vorstellungen erschaffen, mit Masken, die seinen eigenem Geschmack angemessen sind. Diese „Figuren“, die um ihn herum tanzen, sind so sehr ein Produkt des Prinzen Phantasie, dass Poe sie eine „Vielzahl an Träumen“ nennt.

Trotzdem gibt es Deutungsmöglichkeiten. Die Farben der Räume wurde bereits angesprochen, aber auch die Zahl 7 offenbart ihre Symbolik recht eindeutig. Sieben Stationen kennt das Leben, die alte Welt kannte sieben Wunder, man kannte sieben Zeitalter, es gibt sieben Totsünden – überhaupt ist die Zahl 7 eine mystische Zahl. Der Maskenball (oder Tanz) erinnert an die Totentanz-Motive in der bildenden Kunst, die seit dem 14. Jahrhundert immer wieder bearbeitet wurden; hier führt ein Skelett die Leute ins Grab, so wie Prospero seine Gesellschaft ebenfalls in den Tod führt.

Eindrücklich unterbricht das Schlagen der gewaltigen Uhr aus Ebenholz die Erzählung gleichermaßen wie die Feierlichkeiten auf dem Papier. Und obwohl die Uhr ein Objekt ist, gibt Poe ihr menschliche Züge, wenn er von „Lungen, aus dem ein Ton kommt, der überaus musikalisch ist“ und von einem „Gesicht“ spricht.

Poe ist bis in die heutige Zeit hinein ein unfassbares Genie, auch wenn die Untersuchungen über ihn und sein Werk selbst ganze Bibliotheken füllen. Gerade diese Unfassbarkeit macht auch die lang anhaltende Faszination aus, die gleichermaßen von ihm wie von seinem Werk ausgeht. Es ist das Rätsel seines Geistes, in dem sich wie bei keinem anderen Schriftsteller der latente Wahnsinn in einer Begabung äußert, die nie wieder erreicht wurde und wohl auch nie wieder erreicht werden kann.

Geistermode: Warum tragen Gespenster Kleidung?

„Geister erscheinen gewöhnlich in demselben Kleid, das sie zu Lebzeiten trugen, obwohl sie manchmal ganz in Weiß gehüllt sind; aber das sind vor allem die Gespenster des Kirchhofs.“ (Francis Grose, 1787)

Geister
„Wie erklären Sie sich die Kleidung der Geister – sind diese etwa ebenfalls Geister?“ (Saturday Review, 19. Juli 1856)

Wie kann man die Kleidung von Geistern erklären? Eine entwaffnend einfache – und doch verwirrende – Frage, die seit Jahrhunderten sowohl von Skeptikern als auch von Gläubigen diskutiert wird.

Wenn Geister die Seele oder die ewige Essenz eines Menschen darstellen sollen, warum müssen sie dann in etwas so Prosaischem wie Kleidung oder dem allgegenwärtigen weißen Laken erscheinen? Ich meine, haben Sie schon einmal von jemandem gehört, der behauptet, den Geist seiner verstorbenen Großmutter gesehen zu haben – nackt?

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„Locked Room“ oder das unmögliche Verbrechen

Traditionelle Rätselkrimis gewinnen in den letzten Jahren wieder an Beliebtheit. Zusätzlich zu den anderen wunderbaren literarischen Elementen in einem Buch oder einer Kurzgeschichte weiß der Leser, dass er auch ein raffiniert ausgeklügeltes Rätsel zu lösen hat.

Bei so vielen neuen Lesern, die sich für das Genre erwärmen, ist mir eine gewisse Verwirrung bezüglich der Begriffe aufgefallen, mit denen diese Krimis beschrieben werden. Die meisten Krimileser kennen den Begriff „Locked Room Mystery“, aber was genau bedeutet er?

Das Rätsel des geschlossenen Kreises. Eine kleine Anzahl von Menschen wird aus unterschiedlichen Gründen  isoliert, dann geschieht ein Verbrechen in ihrer Mitte. Es gibt keine Möglichkeit, die Gesellschaft zu verlassen oder gerettet zu werden, so dass ein beklemmendes Gefühl entsteht, weil die Personen wissen, dass jemand in ihrer Mitte ein Mörder ist.

Ein Beispiel hierfür ist eine Insel ohne Boote oder ein Landhaus während eines Schneesturms. Zweifellos kommt einem das Bild vieler Agatha Christie-Romane in den Sinn. Dieser Aufbau der Handlung wird oft mit einem Krimi in verschlossenen Räumen verwechselt. Es stimmt, dass in vielen Krimis sowohl ein geschlossener Kreis als auch ein abgeschlossener Raum vorkommen, aber beides ist nicht dasselbe. Was ist also ein Locked Room Mystery?

Rätsel des verschlossenen Raumes. Ein Verbrechen wurde in einem Raum oder an einem anderen unzugänglichen Ort begangen, an dem es unmöglich zu sein scheint, dass das Verbrechen überhaupt begangen wurde. Entscheidend ist hier, dass die ganze Situation wirklich unmöglich erscheint, nicht nur, dass eine kleine Gruppe von Personen von der Außenwelt abgeschnitten ist.

Ein Beispiel ist ein toter Mann, der in einem fensterlosen Raum gefunden wird, der von innen versperrt wurde. Er ist an einer Schusswunde gestorben und den Schuss haben die Personen außerhalb des Raumes auch gehört, aber im Raum gibt es keine Waffe und keine Möglichkeit, dass der Täter daraus entkommen sein könnte; es gibt keine rationale Möglichkeit, das Verbrechen zu erklären, so dass die Figuren sich fragen, ob es der Geist der Familie war, den man in den Gängen des Herrenhauses umherstreifen sah. Ellery Queen und John Dickson Carr sind zwei Autoren, die sich mit genialen Lösungen für diese scheinbar unmöglichen Rätsel hervorgetan haben.

Das unmögliche Verbrechen. Das ist der Oberbegriff, unter den Krimis mit verschlossenen Räumen fallen. Er umfasst jede scheinbar unmögliche Situation, wie z. B. das Verschwinden eines unbezahlbaren Juwels vor aller Augen. In der Praxis dient ein unmögliches Verbrechen als Synonym für einen Locked-Room-Krimi. Es ist eine genauere Beschreibung dessen, was die Leser darunter verstehen.

Miracle Problem. Der von dem Krimi-Historiker Douglas G. Greene bevorzugte Begriff für das unmögliche Verbrechen. Der Begriff „Wunderproblem“ bringt auf den Punkt, warum das unmögliche Verbrechen so verlockend ist – nämlich weil es den Anschein hat, dass das Verbrechen nur durch ein Wunder begangen worden sein kann, weil es keine logische, irdische Möglichkeit gab, es zu begehen.

Folgende Zutaten sind enthalten:

Fairplay (Alles auf den Tisch). Die Leser sollten alle Hinweise haben, die sie brauchen, um das Verbrechen ihrerseits zu lösen – alle Teile des Puzzles sollten vorliegen, so dass sie die gleichen Informationen haben wie der Detektiv. Autoren wie Ellery Queen trieben dies auf die Spitze, indem sie die Erzählung unterbrachen, um den Leser direkt anzusprechen, und uns aufforderten, das Verbrechen vor dem Detektiv zu lösen. Schließlich haben wir zu diesem Zeitpunkt bereits alle Hinweise erhalten, die wir brauchen.

Übernatürliche Erklärungen sind nicht erlaubt. Auch wenn es scheint, dass niemand das Verbrechen begangen haben kann, muss die Lösung logisch nachvollziehbar sein.

Keine geheimen Gänge. Ja, Geheimgänge sind wunderbar! Ich liebe sie so sehr, dass sie ein zentrales Element in einer meiner eigenen Krimireihen sind. Aber sie haben keinen Platz als Lösung für ein echtes Rätsel in einem verschlossenen Raum.

Ebenfalls häufig enthalten, aber nicht erforderlich:

Bühnenmagier. Aufgrund der scheinbar unlösbaren Natur der Illusionen, die von Bühnenmagiern durch Irreführung geschaffen werden, werden Magier oft als Detektive in Krimis mit verschlossenen Räumen eingesetzt. Ihre Fähigkeiten, scheinbar unmögliche Tricks zu kreieren, werden von der Polizei dazu genutzt, ihre Fähigkeiten in die entgegengesetzte Richtung zu nutzen, um zu erkennen, dass es sich im Grunde um einen Trick handelt, der von einem Kriminellen zur Täuschung geschaffen wurde, und nicht um eine Illusion, die von einem Künstler zur Unterhaltung erdacht wurde.

Im Goldenen Zeitalter der Detektivromane schuf Clayton Rawson einen meiner Lieblingsdetektive, den Bühnenmagier The Great Merlini. In der modernen Literatur ist Andrew Maynes Figur Jessica Blackwood eine ehemalige Magierin, die auf brillante Weise unmögliche Situationen durchschaut.

Die Gothic-Atmosphäre des Schauerliteratur. Vom Stil her ähneln viele Locked-Room-Krimis Schauerromanen, denn da es keine logische Erklärung gibt, scheint eine übernatürliche Erklärung die einzig mögliche Lösung zu sein. Spukgeschichten sind weit verbreitet, schließlich kann ein Geist eine hilfreiche Tarnung für einen tatsächlichen Mörder sein. John Dickson Carr verstand es hervorragend, seine Leser durch eine geisterhafte Atmosphäre in die Irre zu führen.

Der Klassiker

Kein Autor steht mehr für das Genre der „Locked Room“-Krimis als John Dickson Carr, und kein Buch von ihm ist berühmter als Die drei Särge von1935, und das aus gutem Grund. Der Roman zeigt Carr bei diesem geschickt gezeichneten Krimi in Hochform,  mit einer unheimlichen Atmosphäre und einen Hauch des Übernatürlichen. Und dann wäre da noch Dr. Fells berühmte Rede über den verschlossenen Raum, in der der Detektiv die möglichen Lösungen von unmöglichen Verbrechen erklärt.

Dr. Fell löst das Rätsel eines Mannes, der einen Professor tötet, der wiederum einen alten Aberglauben über die Auferstehung von Menschen aus ihren Särgen als Schwindel entlarvt hat, und dann einfach aus einem verschlossenen Raum verschwindet, ohne die geringste Spur zu hinterlassen, obwohl es ihm unmöglich war, keine Fußspuren im Schnee zu verursachen. Dr. Fell ist ein überlebensgroßer Charakter, sowohl was seine buchstäbliche Größe als auch seine Persönlichkeit und seinen Humor betrifft. Die Sprache ist veraltet, aber die Figuren und die Handlung machen das Buch zu einer fesselnden Lektüre.

Die drei Särge ist das sechste Buch in Carrs Dr. Gideon Fell-Reihe, aber im Gegensatz zu vielen modernen Serien (oder Serien überhaupt), in denen Beziehungen und die Entwicklung von Charakteren einen größeren Teil der Geschichte ausmachen, muss diese Reihe nicht in der richtigen Folge gelesen werden. Ebenfalls sehr empfehlenswert von John Dickson Carr: Tod im Hexenwinkel, Die Doppelgängerin, Die grüne Kapsel und Dutzend andere.

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