Possenspiele

Autor: Annu Dasumal (Seite 2 von 9)

Fallanalyse: Die Nacht des Hexers

Mit dem Roman Die Nacht des Hexers beginnt 1973 nicht nur die literarische Karriere John Sinclairs, sondern auch die Entwicklung eines einzigartigen Erzählkosmos innerhalb der deutschen Populärkultur. Als erster Band der Reihe »Gespenster-Krimi« führt der Text den Ermittler in eine Welt ein, die gleichermaßen von Kriminalität und Okkultismus durchdrungen ist. Bereits hier werden Motive etabliert, die sich durch die gesamte Reihe ziehen: das Spiel mit dem Übernatürlichen, der Kampf gegen das personifizierte Böse, die allmähliche Verwandlung des rationalen Ermittlers in eine mythisch überhöhte Figur, denn John Sinclair ist nichts weniger als der Sohn des Lichts.

Der Roman spielt in der fiktiven englischen Stadt Middlesbury, in der sich eine Reihe unerklärlicher Todesfälle ereignet. Die Opfer weisen Spuren auf, die auf übernatürliche Einflüsse schließen lassen. John Sinclair, damals noch ein klassischer Scotland-Yard-Ermittler ohne besondere Kenntnisse des Okkulten, wird mit dem Fall betraut. Seine Ermittlungen führen ihn zu Professor Ivan Orgow, einem brillanten, aber gefährlich abgedrifteten Wissenschaftler, der sich der Nekromantie verschrieben hat. Orgow experimentiert mit der Wiedererweckung von Toten und hat mit Hilfe eines Mediums eine Armee von Zombies erschaffen, mit deren Hilfe er seine Macht festigen will. Sinclair gelingt es schließlich, Orgow zu besiegen, doch der Roman endet mit dem unheilvollen Versprechen einer zukünftigen Rückkehr des Bösen.

Literarisch gesehen markiert »Die Nacht des Hexers« zwar nicht die Geburtsstunde eines neuen Genres im deutschsprachigen Heftroman, also einer Mischform aus Detektivroman und Horrorfiktion, wohl aber den Beginn einer der weltweit erfolgreichsten Serien. Zu Beginn ist Sinclair noch kein Geisterjäger, sondern ein Polizeibeamter, der durch die Konfrontation mit dem Übernatürlichen aus seiner rationalen Ordnung geworfen wird, obwohl es bereits eine Abteilung für paranormale Phänomene gibt. Sie wird von Superintendent James Powell geleitet. Dieser Moment der Destabilisierung bildet die Grundlage für seine weitere Charakterentwicklung. Seine Figur steht damit sinnbildlich für die Spannung zwischen Aufklärung und Aberglauben, zwischen Vernunft und Mythos, die die Serie durchzieht.

Die Figur Ivan Orgows steht exemplarisch für den Typus des „mad scientist“. Er ist nicht nur ein Antagonist, sondern zugleich eine Metapher für die Schattenseiten des wissenschaftlichen Fortschritts, die zum Ende der 60er Jahre bereits ziemlich beliebt war. Durch die Verbindung von Naturwissenschaft und Magie öffnet sich ein Raum des Kontrollverlusts, in dem Moral und Ethik ausgehebelt werden. Orgow wird so zum Spiegelbild einer Gesellschaft, die sich vor den Konsequenzen ihrer eigenen Wissbegierde fürchtet. Die erste Figur eines „verrückten Wissenschaftlers“ in der Belletristik entstand in einem dunklen, kühlen Sommer des Jahres 1816, als die 19-jährige Mary Shelley die Figur des Doktor Victor Frankenstein schuf. Ivan Orgow ist nur eine der unzähligen Varianten davon.

Besonderes Augenmerk verdient die Topographie des Romans. Das alte Anwesen Manor Castle, Orgows Laboratorium und der Friedhof sind klassische Schauplätze der Gothic Fiction. Ihre räumliche Abgeschiedenheit steht sinnbildlich für die soziale und moralische Isolation der Figuren. Die dadurch erzeugte Atmosphäre des Unheimlichen ist nicht bloße Kulisse, sondern integraler Bestandteil der Erzählstruktur. Allerdings zeugt die Bezeichnung “Manor Castle” von völliger Unkenntnis des Englischen, denn ein Manor ist nichts anderes als ein Herrenhaus. Daraus dann ein Manor Castle zu machen, ist schon etwas abwegig, aber das dürfte damals niemandem aufgefallen sein.

Natürlich gibt es auch das später ikonische Kreuz hier noch nicht, das Sinclair in späteren Episoden als Waffe gegen das Böse dient und das noch unentdeckte Geheimnisse birgt. Diese Abwesenheit verweist auf seinen Status als Neuling in einer Welt, deren metaphysische Regeln er erst noch kennen lernen muss. Das Kreuz dient ihm später nicht nur als Werkzeug, sondern auch als Symbol einer neuen Identität – als Grenzgänger zwischen Diesseits und Jenseits.

Tatsächlich ist Die Nacht des Hexers bereits weit mehr als ein klassischer Auftaktband. Es ist ein Text, der bereits die DNA der gesamten Serie enthält. Die Grundspannung zwischen Logik und Mythos, zwischen Weltlichkeit und Transzendenz, wird hier angelegt und fortan variiert. Der Roman ist damit nicht nur der erste Fall John Sinclairs (tatsächlich ist es nicht einmal der erste), sondern auch ein programmatisches Manifest für alles, was noch folgen sollte, zu diesem Zeitpunkt aber noch gar nicht abzusehen war.

Gitta Gans und der Kolumbusfalter

1967 begann mit „Der Kolumbusfalter und andere Abenteuer“ eine Ära, die bis heute anhält. Das „Lustige Taschenbuch“ war geboren. Aber uns soll es nicht so sehr um dieses Taschenbuch gehen, sondern um die gleichnamige Geschichte von Romano Scarpa. Und um eine Figur, die dem deutschen Publikum hier zum ersten Mal vorgestellt wurde: Gitta Gans.

Derzeit sind mehr als 180 000 Schmetterlingsarten bekannt und jährlich werden an die 700 neue Arten entdeckt. Nur 10 000 Arten davon leben in Europa, allein 18 000 Arten sind in Costa Rica zu finden.

Eine der besten Geschichte eröffnet also den legendären Reigen der langen Lustiges-Taschenbuch-Geschichte. Erzählerisch ist sie über jeden Zweifel erhaben mit ihren vielen Wendungen. Scarpa hatte hier etwas geschaffen, an dem sich fortan alle anderen Geschichten messen lassen mussten. Das beliebte Motiv der Schatzsuche bekam hier seinen Olymp. Scarpa hat auch gleich zu Beginn eine umstrittene Figur im Gepäck: Gitta Gans, die keinen anderen Zweck hat, als Dagobert Duck anzuhimmeln und sich ihm als Braut aufzudrängen. Die Figur trat zum ersten Mal in der Geschichte „Der letzte Gulugulu“ auf. Romano Scarpa erfand die Figur für das Topolino Nr. 232 vom 24. Juli 1960 und behandelte sie von Anfang an so, als wäre sie schon immer im Duck-Kosmos vorhanden gewesen. Und mindestens genauso lang – also schon immer – sei sie in Dagobert verliebt. Das scheint überhaupt ihre einzige Motivation zu sein.

Schon in der zweiten Geschichte „Die doppelte Entführung“ verbindet Scarpa sie auf konfliktreiche Weise mit einer anderen von ihm eingeführten Figur: Kuno Knäul. In der Folge werden die beiden noch oft miteinander auftreten, meist, um Dagobert ein Schnippchen zu schlagen. Und bereits kurz nach ihrem Erscheinen übernahmen sie fast alle anderen italienischen Autoren. Im Laufe der Zeit kamen so ungefähr 500 Geschichten mit Gitta Gans zusammen. Auch Carl Barks mochte die Figur, der seinem venezianischen Kollegen dann auch ein Skript schickte, das dieser 1975 für die Geschichte „Im goldenen Käfig“ verwendete. Im italienischen Original heißt Gitta „Brigitta“ und ist inspiriert von der Schauspielerin Brigitte Bardot, die in den 60er Jahren sehr beliebt war. Scarpa hat ihr diesen Namen nicht ohne Augenzwinkern verpasst, bedenkt man den UNterschied zwischen der französischen Diva und der doch recht grasigen Erscheinung Gittas. Scarpa schlug zunächst den Namen Brigitta Papera vor, der sich tatsächlich mit „Gans“ übersetzen lässt, änderte ihn aber zehn Jahre später in Brigitta McBridge um, was auf eine gewollte schottische Herkunft schließen lässt.

Gitta Gans © Mataria

Scarpa liebte seine Figur so sehr, dass er sogar daran dachte, eine eigene Saga mit ihr zu gestalten. Das Projekt wurde allerdings nie realisiert.

Im „Kolumbusfalter“ macht Gitta ihrem Angebeteten erst einmal das Leben schwer, indem sie eine konkurrierende Textilfabrik leitet. Ihre handbemalten Stoffe sind wesentlich beliebter als die von Dagobert. Die Ideen für ihre ausgefallenen Muster bekommt sie von Donald Duck und den Neffen Tick, Trick und Track aus Costa Rica zugesandt, die extra zu diesem Zweck exotische Falter fotografieren.

Vielleicht existiert da ein besonderes Geheimnis der Muster, das nur unterbewusst wirkt, denn legt man diese neben jene von Dagobert, sieht man eigentlich keinen großen Unterschied. Als die Neffen einen besonderen Falter entdecken, dessen Markierung sie als Schatzkarte identifizieren, wollen sie diesen Schatz natürlich auch finden. Doch sie sind nicht erfolgreich und planen, Dagobert und Donald gleichermaßen reinzulegen. Man weiß in dieser Zickzack-Geschichte zunächst wirklich nicht, wie das alles enden wird, vor allem, weil auch noch die Panzerknacker mitmischen und bei Gitta neue Kleidung in Auftrag geben. Gitta wusste mit dem abstrakten Faltermuster zunächst nichts anzufangen, aber für die Panzerknacker kommt natürlich – Stilsicher wie sie sind – nur ein Muster mit Zahlen infrage.

Der Kolumbusfalter (© Egmont Ehapa)

Seit 2017 kommt man nicht mehr umhin, auch die Fortsetzung des Kolumbusfalter zu erwähnen, denn zum 50-jährigen Jubiläums des Lustigen Taschenbuchs, kehrte er zurück. Gezeichnet wurde der Spaß von Fleming Andersen nach einer Idee des Micky-Maus-Magazin-Redakteurs Peter Höpfner. Allerdings gibt die Geschichte nicht halb so viel her wie das Original.

Jim Butcher: Eiskalt (Die dunklen Fälle des Harry Dresden 14)

Eiskalt ist eine hervorragende Fortsetzung der Dresden Files. Das Buch bereichert die Serie in zweierlei Hinsicht und macht die fesselnde Saga um Harry Dresden noch besser als zuvor. Erstens schließt der Band auf spektakuläre Weise die „Unterreihe“ ab, die mit Wandel begann. Als der vierzehnte Band zu Ende ging, waren viele Fragen beantwortet und einige Nebenhandlungen abgeschlossen. Aber nicht nur das, dieses Buch enthüllt auch einen wichtigen Handlungsstrang, der im Grunde alle bisherigen 13 Dresden Files-Romane zu einer einzigen, zusammenhängenden Geschichte macht. Inzwischen gibt es auch Hinweise auf einen noch größeren Sturm, der Harrys Welt künftig heimsuchen wird.

Eiskalt bietet auch eine willkommene Abwechslung in Bezug auf das Setting. Früher gab es eine Handvoll Episoden, die mit Vampiren überladen waren. Das wäre mit der Zeit langweilig und repetitiv geworden. Mit Eiskalt kommt endlich frischer Wind in die Serie, denn wir befinden uns mitten in einem jahrhundertealten Konflikt zwischen Winter- und Sommerfeen.

Die Dresden Files sind eine sehr erfolgreiche Reihe, und das liegt an verschiedenen Faktoren. Selbst wenn man nur ein Buch der Serie gelesen hat, bleiben die Charaktere im Gedächtnis, weil Butcher sie von Beginn an mit Leben erfüllt, egal, wie nebensächlich sie zunächst erscheinen. Außerdem hat die Serie, die in Chicago spielt, einen starken Neo-Noir-Charakter, den viele Leute sehr anziehend finden. Die wahre Stärke dieser Serie liegt jedoch in Butchers Fähigkeit, im Laufe der Zeit immer bessere Geschichten zu erzählen und sich von Band zu Band zu steigern. Ein Beispiel: In den früheren Teilen hatte es Harry oft mit Monstern zu tun, die viel stärker waren als er. Wie gelang es ihm, sich aus diesen Schwierigkeiten zu befreien? Er griff auf seine „innere Stärke“ zurück und fand plötzlich (und auf wundersame Weise) eine Kraft, die ihm half, die Kämpfe zu gewinnen. Als Jim Butcher in den ersten beiden Büchern dieses Handlungselement „innere Stärke finden“ einsetzte, war es noch nachvollziehbar. Aber als er kurz davor war, diesen Deus ex Machina-Plot zu oft zu wiederholen, um seinen Helden aus der Patsche zu helfen, war die Gefahr des Klischees fast schon in Reichweite. In den letzten Bänden dieser Reihe hat Butcher jedoch den monströsen Kopf des Klischees, der in diesen Büchern aufkeimte, erschlagen, als er anfing, Harrys Nemesis, deren Kräfte in einer anderen Liga spielten, ihm ziemlich viel Schaden zuzufügen. Wenn Harry in den letzten Büchern in Schwierigkeiten geriet, konnte er sich entweder mit seinem Verstand oder mit Hilfe seiner Freunde befreien. Diese Änderung der Erzählweise brachte Wendungen und Überraschungen in die Geschichten, aber auch ein echtes Gefühl der Gefahr für unsere Helden.

In Eiskalt hat Jim Butcher seine Erzählkunst noch einmal gesteigert, denn diesmal geht die Geschichte nicht nur rasend schnell voran, sondern die Handlung selbst ist völlig unvorhersehbar. Gerade wenn man denkt, dass Harry alles im Griff hat, wird die Geschichte im nächsten Absatz plötzlich von einer Überraschung überrollt und macht dann eine 180-Grad-Wendung.

Als neuer Winterritter ist Harry nun die rechte Hand von Mab, der Winterkönigin. Das verleiht ihm eine Menge Macht, die seine angeborenen magischen Fähigkeiten noch verstärkt – beeindruckend, wenn man bedenkt, wie gefürchtet er ohnehin schon ist. Aber Mab hat sicher auch Pläne mit ihm. Pläne, die er vielleicht ausführt, vielleicht aber auch nicht, denn ein einfacher Befehlsempfänger war er noch nie.

Mit vielen der üblichen Anspielungen auf Spider-Man und Star Wars, von denen Butcher offensichtlich ein Fan ist, bekommen wir das Gefühl, dass die Dinge fast wieder normal sind… fast. Vergessen wir nicht, dass Harrys Freunde ihn für tot hielten. Er hat keinen Ort mehr, den er sein Zuhause nennen könnte, und eine Zeit lang war er tatsächlich so gut wie tot. Sein Humor ist noch intakt, nur etwas düsterer geworden. Seine Einstellung zum Leben ist sicherlich getrübt nach der Zeit, die er im Niemalsland verbringen musste, um zu genesen und wieder zu sich selbst zu finden.

Wir sehen ihn zusammen mit den meisten Nebenfiguren wieder, andere werden in diesem Band zwar erwähnt, aber wir sehen nichts von ihnen. Neue Kreaturen und Charaktere tauchen auf, und wir betrachten Harrys Welt mit ganz anderen Augen und erleben sie viel düsterer als zuvor. Was die Charaktere betrifft, so ist Cat Sith sicherlich der interessanteste der neuen Garde, der allerdings noch nicht gänzlich erschlossen ist.

Auch einige gewöhnliche Menschen werden sich in diesem Buch für immer verändern, sie alle zu nennen, würde zu unnötigen Spoilern führen. Dennoch werde ich hier eine Art Pseudo-Spoiler einfügen. Es gibt einen sehr leidenschaftlichen und lang erwarteten Kuss zwischen Harry und einer anderen Figur. Er endet nicht so, wie ich es mir gewünscht hätte, aber ich verstehe, dass Butcher diese Möglichkeit für ein anderes Mal offen lassen will.

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